Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung der Interessentheorie auf Buchführungs- und Bilanzdelikte
Leitsatz (redaktionell)
Die Rechtsprechung vermittelt zur Frage der Anwendung der Interessentheorie auf Buchführungs- und Bilanzdelikte nach § 283 Abs. 1 Nr. 5 bis 8, § 283b StGB kein einheitliches Bild. Der Senat neigt dazu, die von der Rechtsprechung namentlich für Vermögensverschiebungen in der unternehmerischen Krise entwickelte Interessentheorie jedenfalls auf Buchführungs- und Bilanzdelikte nicht anzuwenden. Für die Erfüllung von handelsrechtlichen Pflichten einer juristischen Person durch ihre Organe erscheint es bedeutungslos, ob ein Handeln im Interesse des Vertretenen vorliegt. Zudem schützen diese Strafvorschriften neben den Gläubigerinteressen die Sicherheit des Geschäftsverkehrs als solchen. Einer Entscheidung dieser Rechtsfrage bedurfte es im Streitfall allerdings nicht.
Normenkette
StGB §§ 283b, 283 Abs. 1 Nrn. 5-8
Verfahrensgang
LG Dresden (Urteil vom 04.10.2010) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten E. wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 4. Oktober 2010, soweit es ihn betrifft, nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben
- in den Fällen III.3 a bis m (Anwaltsrechnungen) sowie III. (Betrug zum Nachteil H. S. GmbH) mit den jeweils zugrundeliegenden Feststellungen,
- im Ausspruch über die Gesamtstrafe und
- über das Berufsverbot.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten E. sowie die Revision des Angeklagten C. werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Der Angeklagte C. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten E., an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten E. – unter Freisprechung im Übrigen – wegen Subventionsbetruges in Tateinheit mit Untreue in sechs Fällen, wegen Untreue in fünfzehn Fällen, wegen Betruges sowie wegen Verletzung der Buchführungspflicht in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt sowie für die Dauer von zwei Jahren die Ausübung eines Berufs als Rechtsanwalt verboten. Von der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe hat es zur Kompensation überlanger Verfahrensdauer acht Monate als vollstreckt erklärt. Den Angeklagten C. hat das Landgericht – unter Freisprechung im Übrigen – des Subventionsbetruges, des Betruges in vier tateinheitlichen Fällen, der Insolvenzverschleppung sowie der Verletzung der Buchführungspflicht in drei Fällen schuldig gesprochen und eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt. Deren Vollstreckung hat es zur Bewährung ausgesetzt und zur Kompensation überlanger Verfahrensdauer zwei Monate als vollstreckt erklärt.
Rz. 2
Der Revision des Angeklagten C. bleibt aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt (§ 349 Abs. 2 StPO). Die auf Sach- und Verfahrensrügen gestützte Revision des Angeklagten E. hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 3
1. Soweit der Angeklagte E. unter III.3 lit. a bis m der Urteilsgründe wegen Untreue in 13 Fällen verurteilt worden ist, hält dies sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Strafkammer legt dem Beschwerdeführer jeweils zur Last, dass er als Rechtsanwalt gegenüber der von ihm als Mitgesellschafter gehaltenen C. GmbH Gebühren in Rechnung gestellt hat, jedoch dabei keine anwaltliche Tätigkeit, sondern „größtenteils … seine Tätigkeit als faktischer Geschäftsführer” entlohnen wollte (UA S. 39). Das Landgericht hat ferner eine Vielzahl einzelner Abrechnungen lediglich anhand ihres jeweiligen Aktenzeichens und des Vorgangsnamens nicht aber auch mit Beschreibungen der damit verbundenen Tätigkeit des Angeklagten dargestellt. Hierdurch bleibt dem Senat die revisionsgerichtliche Überprüfung der tatgerichtlichen Bewertung verschlossen, ob von sämtlichen Abrechnungsvorgängen keine anwaltliche Tätigkeit umfasst war. Näherer Darlegung der konkret in Rechnung gestellten Tätigkeit bedurfte es insbesondere deshalb, weil die Strafkammer selbst zugrunde gelegt hat, dass nur „größtenteils” Tätigkeiten vergütet wurden (UA S. 39), die nicht Gegenstand anwaltlicher Tätigkeit waren. Überdies lassen die unzulänglichen Feststellungen besorgen, dass – wie etwa der mit 185,38 EUR berechneten Einspruchseinlegung beim Finanzamt Freital (UA S. 115 f., 42) – auch anwaltliche Tätigkeiten, naheliegend im Zuge eines zur C. GmbH bestehenden Mandatsverhältnisses, durch den Angeklagten abgerechnet wurden.
Rz. 4
2. Auch die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Betruges zum Nachteil der H. S. GmbH (Fall III.) begegnet bereits wegen unklarer Feststellungen zur Täuschungshandlung des Angeklagten durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken. Dass der Angeklagte „eine Abschlagszahlung in Höhe von 50.000 EUR veranlasste”, „um die H. S. GmbH zur Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit”, nämlich der Erbringung von Werkleistungen, „zu bewegen”, belegt – auch in der Zusammenschau der Urteilsgründe – keine nachvollziehbare Täuschungshandlung.
Rz. 5
3. Wegen des Wegfalls dieser Schuldsprüche, die vom Landgericht für die angeordnete Maßregel eines Berufsverbots als „Symptomtaten” (UA S. 147) bewertet wurden, hat auch die Maßregelanordnung keinen Bestand.
Rz. 6
4. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen tragen allerdings den Schuldspruch wegen (vorsätzlicher) Verletzung der Buchführungspflicht in drei Fällen gemäß § 283b Abs. 1 Nr. 1 und 3 lit. b StGB. Danach unterließen es die Beschwerdeführer E. (als faktischer Geschäftsführer) und C. (als bestellter Geschäftsführer) „willentlich” (UA S. 47), die Handelsbücher der C. GmbH zu führen sowie die Eröffnungsbilanz aufzustellen und einen Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2003 zu erstellen. Mit Blick auf die ebenfalls festgestellte und ausgeurteilte zweckwidrige Verwendung gewährter Subventionsmittel sowie die von beiden Beschwerdeführern begangenen Untreuehandlungen zum Nachteil von C. GmbH verstand es sich hier allerdings nicht von selbst, dass die Angeklagten nicht ausschließlich aus eigennützigen Motiven heraus handelten.
Rz. 7
a) Eine Strafbarkeit könnte angesichts dessen namentlich bei Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Interessentheorie zweifelhaft sein (vgl. hierzu nur BGH, Urteile vom 20. Mai 1981 – 3 StR 94/81, BGHSt 30, 127, 128 f., vom 6. November 1986 – 1 StR 327/86, BGHSt 34, 221, 223). Nach den Grundsätzen dieser – vom 3. Strafsenat im Rahmen eines Anfrageverfahrens jüngst in Frage gestellten (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2011 – 3 StR 118/11; vgl. ferner BGH, Beschluss vom 1. September 2009 – 1 StR 301/09, BGHR StGB § 283 Abs. 1 Geschäftsführer 4) – Rechtsprechung ist für die Strafbarkeit des Vertreters einer juristischen Person nach § 283 StGB erforderlich, dass er zumindest auch im Interesse des Geschäftsherrn handelt (vgl. § 14 StGB); liegen hingegen beim Vertreter ausschließlich eigennützige Motive vor, so scheidet eine Bestrafung wegen Bankrotts neben einer möglichen Strafbarkeit wegen Untreue aus (vgl. nur Fischer, StGB, 58. Aufl., § 283 Rn. 4d mwN).
Rz. 8
Die Rechtsprechung vermittelt zur Frage der Anwendung der Interessentheorie auf Buchführungs- und Bilanzdelikte nach § 283 Abs. 1 Nr. 5 bis 8, § 283b StGB kein einheitliches Bild. Teilweise wird die Frage auch bei diesen Delikten bejaht (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 1982 – 3 StR 68/82, wistra 1982, 148, 149, Beschluss vom 14. Dezember 1999 – 5 StR 520/99, NStZ 2000, 206, 207; vgl. ferner BGH, Urteil vom 11. Oktober 1960 – 5 StR 155/60), teilweise wird sie hingegen ausdrücklich (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2009 – 5 StR 353/08, NStZ 2009, 635, 636) oder stillschweigend (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 1995 – 2 StR 693/94, wistra 1995, 146, 147) verneint.
Rz. 9
Unabhängig von den im Anfrageverfahren vom 3. Strafsenat angestellten grundsätzlichen Erwägungen (aaO) neigt der Senat dazu, die von der Rechtsprechung namentlich für Vermögensverschiebungen in der unternehmerischen Krise entwickelte Interessentheorie jedenfalls auf Buchführungs- und Bilanzdelikte (§ 283 Abs. 1 Nr. 5 bis 8, § 283b StGB) nicht anzuwenden. Gegen eine Übernahme spricht – worauf auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hinweist – der in diesen Konstellationen objektiv eindeutige Bezug zum übertragenen Aufgabenbereich. Diese gesetzlich vermittelte Pflichtenstellung kann letztlich nicht unter dem Vorbehalt einer inneren Tendenz des Organs stehen. Für die Erfüllung von handelsrechtlichen Pflichten der juristischen Person durch ihre Organe erscheint es deshalb bedeutungslos, ob ein Handeln im Interesse des Vertretenen vorliegt (Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 14 Rn. 26; Tiedemann in LK, 12. Aufl., Vor § 283 Rn. 84). Zudem schützen diese Strafvorschriften neben den Gläubigerinteressen die Sicherheit des Geschäftsverkehrs als solchen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2001 – 4 StR 421/00, NStZ 2001, 485, 486; Tiedemann aaO, § 283 Rn. 7; Fischer aaO, Vor § 283 Rn. 3; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 283 Rn. 1).
Rz. 10
b) Einer Entscheidung dieser Rechtsfrage bedarf es allerdings nicht. Denn das Fehlen ausdrücklicher Feststellungen zur Motivlage oder deren Erörterung in den Urteilsgründen stellt hier noch keinen durchgreifenden Rechtsmangel dar. Der Senat entnimmt nämlich dem Zusammenhang der Urteilsgründe, dass die Angeklagten mit ihrem vorsätzlichen Verstoß gegen die ihnen obliegenden Buchführungs- und Bilanzierungspflichten zumindest nicht – ausschließlich – erstrebten, die zweckwidrigen und vermögensschädigenden Mittelverwendungen zu verschleiern (UA S. 45 ff., 66 ff., 127 ff., 145 f.). Ersichtlich lag dem allein ein besonderes Maß an Gleichgültigkeit gegenüber den kaufmännischen Pflichten zugrunde.
Rz. 11
5. In der rechtsfehlerhaften Annahme der Strafkammer, der Beschwerdeführer habe in sämtlichen Fällen ausgeurteilter Untreue den Missbrauchstatbestand erfüllt (§ 266 Abs. 1 Variante 1 StGB), liegt keine Beschwer. Soweit in einigen Fällen als Tathandlung keine rechtsgeschäftlichen Verfügungen oder Verpflichtungen (vgl. Fischer aaO, § 266 Rn. 24), sondern eine tatsächliche Vermögensverfügung festgestellt wurde, haben die Angeklagten jedenfalls den Treubruchstatbestand (§ 266 Abs. 1 Variante 2 StGB) erfüllt. Die Tathandlungen des § 264 Abs. 1 Nr. 2 StGB (zweckwidrige Verwendung der Subvention) und des § 266 Abs. 1 StGB (Entzug der Mittel zu Lasten des durch die Subvention begünstigten Unternehmens) fallen dabei in einer Handlung zusammen. Beide Tatbestände stehen deshalb im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB) zueinander.
Rz. 12
6. Aufrechterhalten bleibt die Entscheidung über die Kompensation für die eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung; der neue Tatrichter ist nicht gehindert, gegebenenfalls weiter entstehende Verzögerungen zu berücksichtigen.
Unterschriften
Raum, Brause, Schaal, König, Bellay
Fundstellen
BFH/NV 2012, 543 |
wistra 2012, 149 |
NZWiSt 2012, 237 |
StRR 2012, 150 |
StV 2012, 216 |
ZRFC 2012, 101 |
ZWH 2012, 62 |