Entscheidungsstichwort (Thema)
Mehrwertsteuererstattung im Verkehrshaftpflichtprozess an Haftpflichtversicherer
Leitsatz (amtlich)
Im Verkehrshaftpflichtprozess ist die Mehrwertsteuer, die die obsiegenden beklagten Streitgenossen (hier: Haftpflichtversicherer, Halter und Fahrer) ihrem gemeinsamen Prozessbevollmächtigten schulden, von der unterlegenen Klägerseite auch dann in voller Höhe zu erstatten, wenn einer der Streitgenossen (hier: der Halter) vorsteuerabzugsberechtigt ist, sofern der nicht vorsteuerabzugsberechtigte Haftpflichtversicherer - wie im Regelfall - im Innenverhältnis der Streitgenossen die gesamten Kosten des gemeinsamen Prozessbevollmächtigten zu tragen hat.
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 1-2; UStG § 4 Abs. 10
Verfahrensgang
OLG München (Beschluss vom 13.08.2004; Aktenzeichen 11 W 2772/03) |
LG Augsburg (Beschluss vom 25.09.2003; Aktenzeichen 9 O 1127/03) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 1) und 2) werden der Beschluss des 11. Zivilsenats des OLG München v. 13.8.2004 und der Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Augsburg v. 25.9.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das LG Augsburg zurückverwiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren haben die Kläger zu 1) und 2) zu tragen.
Beschwerdewert: bis 300 EUR
Gründe
I.
Die Kläger haben im vorliegenden Rechtsstreit die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner auf Schadensersatz wegen der Folgen eines Verkehrsunfalls in Anspruch genommen, die Beklagte zu 1) als Haftpflichtversicherer, die Beklagte zu 2), eine Autovermietung-GmbH, als Kraftfahrzeughalter und den Beklagten zu 3) als Fahrer. Die Beklagte zu 2) hat widerklagend den Kläger zu 1) und zwei Drittwiderbeklagte in Anspruch genommen. Nach Klagerücknahme hat das LG die Kosten der Beklagten den Klägern zu 1) und 2) und den Drittwiderbeklagten zu unterschiedlichen Anteilen auferlegt. Die Beklagten haben beantragt, die Kosten ihres gemeinsamen Prozessbevollmächtigten dementsprechend festzusetzen und dabei die gesamte auf dessen Honorar entfallende Mehrwertsteuer (331,73 EUR) zu berücksichtigen. Sie haben geltend gemacht, zwar sei die Beklagte zu 2) vorsteuerabzugsberechtigt. Im Innenverhältnis habe aber die gesamten Rechtsanwaltskosten die Beklagte zu 1) zu tragen, die nicht vorsteuerabzugsberechtigt sei. Die Rechtspflegerin hat bei der Kostenfestsetzung im Hinblick auf die Vorsteuerabzugsberechtigung der Beklagten zu 2) nur einen Teil der Mehrwertsteuer berücksichtigt. Dagegen haben die Beklagten zu 1) und 2) sofortige Beschwerde erhoben. Das Beschwerdegericht hat diese zurückgewiesen. Die Beklagten zu 1) und 2) haben nunmehr die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde, die sich gegen die Kläger zu 1) und 2) richtet, eingelegt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das Beschwerdegericht sie in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO), und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet.
1. Sind im Verkehrsunfallprozess Halter und Fahrer gemeinsam mit dem Haftpflichtversicherer als Gesamtschuldner verklagt und durch einen gemeinsamen Prozessbevollmächtigten vertreten, stellt sich die Frage, ob bei einem Obsiegen der Beklagten im Rahmen der Kostenfestsetzung die gesamte auf das Honorar des Prozessbevollmächtigten entfallende Mehrwertsteuer bei der Kostenfestsetzung zu berücksichtigen ist, wenn einer der Streitgenossen vorsteuerabzugsberechtigt ist. Die Frage wird unterschiedlich beantwortet.
Nach überwiegender Ansicht ist sie zu bejahen, weil im Innenverhältnis der beklagten Streitgenossen der nicht vorsteuerabzugsberechtigte Haftpflichtversicherer die Kosten des gemeinsamen Prozessbevollmächtigten zu übernehmen hat (KG v. 28.10.1997 - 1 W 1070/97, KGReport Berlin 1998, 83 = NJW-RR 1998, 860 = VersR 1999, 464 f.; OLG Karlsruhe JurBüro 1993, 35 f.; OLG Köln JurBüro 2001, 428; OLG Stuttgart v. 11.6.2001 - 8 W 80/99, OLGReport Stuttgart 2001, 390 = Rpfleger 2001, 566; v. Eicken in Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl., VV 7008 Rz. 29 Fn. 25; v. Eicken/Madert, NJW 1996, 1649 [1652]; ebenso für Fallgestaltungen außerhalb des Kraftfahrzeughaftpflichtprozesses OLG Schleswig JurBüro 1997, 644 f.; abweichend hinsichtlich der Erhöhungsgebühr des § 6 Abs. 1 BRAGO OLG Düsseldorf JMBl NW 1994, 59; v. 31.1.1995 - 10 W 4/95, OLGReport Düsseldorf 1995, 124 = MDR 1995, 474 f.; OLG Hamm v. 28.11.1991 - 23 W 615/91, 23 W 616/91, OLGReport Hamm 1992, 151 = MDR 1992, 811 = Rpfleger 1992, 220; OLG Hamburg v. 7.5.1991 - 8 W 117/91, MDR 1991, 797).
Die vom Beschwerdegericht vertretene Auffassung bejaht dagegen nur eine der Vorsteuerabzugsberechtigung einzelner Streitgenossen Rechnung tragende Berücksichtigung der Mehrwertsteuer. Dies wird damit begründet, dass es für die Kostenfestsetzung entscheidend auf die Beteiligung der Streitgenossen am Rechtsstreit ankomme, während es nicht zu Lasten des Erstattungspflichtigen gehen könne, wenn einer der Streitgenossen sich verpflichtet habe bzw. verpflichtet sei, die Kosten der anderen zu übernehmen (OLG München v. 6.4.1995 - 11 W 2839/94, MDR 1995, 856 = Rpfleger 1995, 519 f.; OLG Nürnberg, Beschl. v. 29.10.1992 - 2 W 2852/92, bei JURIS dokumentiert; Belz in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 100 Rz. 40; Stein/Jonas/Bork, 22. Aufl., § 100 Rz. 14, 18; unklar OLG Stuttgart v. 28.7.1995 - 8 W 148/94, Rpfleger 1996, 82 f.).
2. Die erstgenannte Ansicht ist zutreffend.
a) Im Kraftfahrzeughaftpflichtprozess ist das Innenverhältnis zwischen dem Haftpflichtversicherer einerseits und Halter und Fahrer andererseits durch das bestehende Versicherungsverhältnis bestimmt. Nach § 7 II Abs. 5 AKB ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, dem Haftpflichtversicherer die Prozessführung zu überlassen. Demgemäß wird der Prozessbevollmächtigte im Haftpflichtprozess regelmäßig von dem Versicherer bestellt (Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, 17. Aufl., § 7 AKB Rz. 193 ff., m.w.N.). Nach § 10 Abs. 5 AKB gilt der Haftpflichtversicherer zudem als bevollmächtigt, die ihm zur Abwehr der Ansprüche zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen der versicherten Personen, zu denen nach Abs. 2 auch Halter und Fahrer gehören, abzugeben. Dem entsprechend ist der Haftpflichtversicherer, soweit der Versicherungsschutz reicht, im Verhältnis zu den Genannten auch verpflichtet, die gesamten Kosten eines gemeinsamen Prozessbevollmächtigten zu tragen (vgl. § 150 Abs. 1 VVG; § 10 Abs. 6 S. 2 AKB; Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, 17. Aufl., § 10 AKB Rz. 134 f.).
b) Diese im Innenverhältnis der Streitgenossen bestehenden Umstände sind im Rahmen der Kostenfestsetzung von Bedeutung. Nach § 91 Abs. 1 ZPO hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insb. die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren, wobei die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei in allen Prozessen zu erstatten sind (§ 91 Abs. 2 S. 1 ZPO). Entscheidend ist dabei, welche Kosten die obsiegende Partei bzw. die obsiegenden Streitgenossen tatsächlich aufwenden mussten (BGH, Beschl. v. 17.7.2003 - I ZB 13/03, BGHReport 2003, 1252 = NJW-RR 2003, 1507 f.). Ergibt sich auf Grund der Regelungen, die das Innenverhältnis der Streitgenossen betreffen, dass einer von ihnen die gesamten Kosten des gemeinsamen Prozessbevollmächtigten zu tragen hat, sind dies die vom Gegner zu erstattenden Kosten. Dies gilt - jedenfalls im Verkehrshaftpflichtprozess - auch, soweit auf Grund der gemeinsamen Prozessführung eine Erhöhungsgebühr (§ 6 Abs. 1 BRAGO, Nr. 1008 des Vergütungsverzeichnisses der Anlage 1 zum RVG) anfällt, die einer der Streitgenossen im Innenverhältnis endgültig zu tragen hat.
Der BGH hat bereits entschieden, dass selbst tatsächliche Umstände im Innenverhältnis von Streitgenossen bei der Kostenfestsetzung zu berücksichtigen sind, wenn nur so erreicht werden kann, dass der obsiegende Streitgenosse auf Dauer und vollständig von außergerichtlichen Kosten befreit wird (BGH, Beschl. v. 30.4.2003 - VIII ZB 100/02, MDR 2003, 1140 = BGHReport 2003, 1047 = NJW-RR 2003, 1217 [1218] = VersR 2004, 489 [490], betreffend die Zahlungsunfähigkeit eines unterlegenen Streitgenossen). Es besteht kein Grund zu einer abweichenden Beurteilung, wenn sich die Verpflichtung eines Streitgenossen, die gesamten Prozesskosten endgültig zu tragen, aus dem Gesetz bzw. allgemein zugänglichen Vertragswerken ergibt.
Die abweichende Auffassung des Beschwerdegerichts überzeugt nicht, weil sie das Innenverhältnis der Streitgenossen außer Acht lässt und damit der Sache nach eine Abrechnung fiktiver Kosten vornimmt. Dies hat zur Folge, dass dem nicht vorsteuerabzugsberechtigten Streitgenossen - hier dem Haftpflichtversicherer - Kosten nicht erstattet werden, die er notwendigerweise für die Prozessführung hat aufwenden müssen und auf deren Ersatz er den vorsteuerabzugsberechtigten Streitgenossen nicht in Anspruch nehmen kann.
3. Die Voraussetzungen, unter denen der Haftpflichtversicherer die gesamten Kosten des Haftpflichtprozesses zu tragen hat, liegen nach den nicht angegriffenen Ausführungen der Beklagten im Streitfall vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1458905 |
BFH/NV Beilage 2006, 215 |
NJW 2006, 774 |
NWB 2006, 927 |
BGHR 2006, 202 |
ZAP 2006, 256 |
DAR 2006, 237 |
MDR 2006, 476 |
Rpfleger 2006, 100 |
VRS 2006, 183 |
VersR 2006, 241 |
ZfS 2006, 265 |
AGS 2006, 92 |
NJW-Spezial 2006, 16 |
RVGreport 2006, 34 |
SVR 2006, 178 |
VRR 2006, 156 |
BFH/NV-Beilage 2006, 215 |
RVG prof. 2006, 46 |