Leitsatz (amtlich)
Wird der Zuschlag versagt, weil das Meistgebot nicht sieben Zehnteile oder die Hälfte des Grundstückswertes erreicht, und entfällt im weiteren Verfahrensverlauf das Rechtsschutzinteresse für eine Anpassung des festgesetzten Grundstückswertes an veränderte Umstände, so ist die (überholte) Festsetzung in dieser Hinsicht für das Prozessgericht bei Anwendung des § 114a ZVG nicht bindend (Abgrenzung zu BGH v. 13.11.1986 - IX ZR 26/86, BGHZ 99, 110 = MDR 1987, 317 im Anschluss an BGH v. 10.10.2003 - IXa ZB 128/03, MDR 2004, 294 = BGHReport 2004, 342 = WM 2004, 98).
Normenkette
ZVG § 74a Abs. 1 S. 1, Abs. 5, § 85a Abs. 1, § 114a
Verfahrensgang
LG Gießen (Beschluss vom 10.10.2003) |
AG Büdingen |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Gießen v. 10.10.2003 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 102.258,38 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Das AG ordnete am 28.5.1996 die Zwangsversteigerung an und setzte auf Grund eines eingeholten Sachverständigengutachtens den Verkehrswert des Grundstücks samt Zubehör (Gaststätte) durch Beschluss v. 18.9.1997 auf 1.176.913 DM fest. Nach mehrfacher Einstellung des Verfahrens wurde der Zuschlag mit Beschluss v. 19.2.2002 versagt, weil das Meistgebot im vorausgegangenen Versteigerungstermin die Hälfte des festgesetzten Verkehrswertes nicht erreichte.
Auf Antrag der bestrangig betreibenden Grundpfandgläubigerin, der späteren Ersteherin, wurde das zwischenzeitlich erneut einstweilen eingestellte Verfahren mit Beschluss v. 16.6.2003 fortgesetzt. Wenige Tage vor dem anberaumten Versteigerungstermin beantragte der Schuldner Vollstreckungsschutz gem. § 765a ZPO mit Rücksicht auf ein angestrebtes Immobilien-Leasing, die Versagung des Zuschlags, einen Verkündungstermin für den Zuschlag und die Einholung eines neuen Verkehrswertgutachtens, weil die alte Wertermittlung durch Anstieg der Bodenwerte überholt sei. Im Versteigerungstermin am 8.9.2003 erhielt die betreibende Gläubigerin auf ihr bares Meistgebot von 11.106,85 EURden Zuschlag. In den Gründen des Zuschlagsbeschlusses erklärte das AG die Anträge des Schuldners auf Vollstreckungsschutz und Einholung eines neuen Verkehrswertgutachtens für unbegründet.
Die auf den abgelehnten Neubewertungsantrag des Schuldners gestützte Zuschlagsbeschwerde hat das LG zurückgewiesen und zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Die Anpassung des Bodenwertes im Rahmen erhöhter Richtwerte habe nach Zuschlagsversagung gem. § 74a Abs. 1 S. 1 oder § 85a Abs. 1 ZVG grundsätzlich keine rechtliche Bedeutung mehr. Bei einer Wertveränderung ohne Substanzverbesserung, die nur der allgemeinen Marktentwicklung folge, sei ein besseres Meistgebot im zweiten Termin infolge nachträglich erhöhter Wertfestsetzung ausgeschlossen. Die Regelung des § 114a ZVG zwinge ebenfalls nicht zu einer Abänderung des festgesetzten Verkehrswertes, wenn durch Verbrauch der einmaligen Zuschlagshindernisse sich ansonsten eine Anpassung erübrige. Auch § 83 Nr. 6 ZVG sei hier nicht deshalb verletzt, weil das AG den Schutzantrag gem. § 765a ZPO abgelehnt habe. Denn der Schuldner habe nicht vorgetragen, wie durch das angestrebte Immobilien-Leasing die Gläubiger hätten befriedigt werden sollen. Hiergegen wendet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde, mit welcher der Schuldner weiterhin die Aufhebung des Zuschlags erstrebt.
II.
Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO statthafte und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
1. Das LG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil das Rechtsbeschwerdegericht noch nicht entschieden habe, ob der festgesetzte Verkehrswert auch für den nach Zuschlagsversagung anberaumten weiteren Versteigerungstermin abgeändert werden müsse. Den Senatsbeschluss v. 10.10.2003 (BGH, Beschl. v. 10.10.2003 - IXa ZB 128/03, MDR 2004, 294 = BGHReport 2004, 342 = WM 2004, 98 [99]) konnte das LG noch nicht kennen. Hierdurch ist inzwischen geklärt, dass nach einer Zuschlagsversagung gem. § 74a Abs. 1 S. 1 oder § 85a Abs. 1 ZVG für eine spätere Anpassung des festgesetzten Verkehrswertes an veränderte Umstände mangels rechtlicher Bedeutung im Zwangsversteigerungsverfahren das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
Die Rechtsbeschwerde rügt, dass ohne Wertanpassung bis zum Zuschlag die aus § 114a ZVG abzuleitende Rechtsposition des Schuldners nicht ausreichend berücksichtigt werde. Diese Rüge greift nicht durch. Das LG hat eine Verletzung von § 83 Nr. 1 ZVG zutreffend verneint.
§ 114a ZVG bestimmt, dass einem zur Befriedigung aus dem Grundstück Berechtigten (§ 10 ZVG), der den Zuschlag erhält, sieben Zehnteile des Grundstückswertes auf seine persönliche Forderung anzurechnen sind, soweit der Wert nicht bei entsprechendem Gebot Ansprüche einer besseren Rangklasse (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ZVG) zu decken hätte. Die Vorschrift will verhindern, dass ein innerhalb der 7/10-Grenze liegender Berechtigter - wie die Ersteherin im Beschwerdefall - das Grundstück in der Zwangsversteigerung günstig erwirbt und sodann den ungedeckten Restbetrag seiner persönlichen Forderung gegen den Schuldner in voller Höhe geltend macht (BGH v. 6.7.1989 - IX ZR 4/89, BGHZ 108, 248 [249] = MDR 1989, 1097; vgl. außerdem BGH v. 13.11.1986 - IX ZR 26/86, BGHZ 99, 110 [113 f.] = MDR 1987, 317). Die Anrechnungspflicht des § 114a ZVG bezeichnet eine Rechtsfolge außerhalb des Zwangsversteigerungsverfahrens, die sich innerhalb des Verfahrens nur in hier nicht gegebenen Sonderfällen auswirken kann. Entsteht Streit über die hiernach eintretende Erfüllung der persönlichen Schuld, hat das Prozessgericht zu entscheiden (Böttcher, ZVG, 3. Aufl., § 114a Rz. 11; Mohrbutter/Drischler/Radtke/Tiedemann, Die Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungspraxis, 7. Aufl., Muster 101, Anm. 3; Schiffhauer in Dassler/Schiffhauer/Gerhardt/Muth, ZVG, 12. Aufl., § 114a Rz. 1; Stöber, ZVG, 17. Aufl., § 114a Anm. 3.11; vgl. auch BGH v. 13.11.1986 - IX ZR 26/86, BGHZ 99, 110 [118] = MDR 1987, 317).
Nach der Rechtsprechung des BGH geht das Gesetz auch für die Anrechnungspflicht des § 114a ZVG von dem im Verfahren nach § 74a Abs. 5 ZVG festgesetzten Verkehrswert aus, der das Prozessgericht regelmäßig bindet (BGH v. 13.11.1986 - IX ZR 26/86, BGHZ 99, 110 [118 f.] = MDR 1987, 317; v. 9.1.1992 - IX ZR 165/91, BGHZ 117, 8 [18] = MDR 1992, 369 = AG 1992, 155).
Von dieser Regel sind jedoch Ausnahmen notwendig. Würde das Prozessgericht im Anrechnungsstreit an die nach § 74a Abs. 5 ZVG getroffene Wertfestsetzung des Vollstreckungsgerichts gebunden sein, obwohl sich nach Wegfall der zuschlagsfähigen Mindestbietgrenze (§ 74a Abs. 4, § 85a Abs. 2 S. 2 ZVG) eine Wertveränderung ergeben hat, dürfte gerade wegen einer solchen verfahrensrechtlichen Wirkung auf den materiellen Schuldnerschutz des § 114a ZVG den Beteiligten das Rechtsschutzbedürfnis für Neufestsetzungsanträge bis zur Zuschlagerteilung nicht abgesprochen werden (vgl. Schiffhauer in Dassler/Schiffhauer/Gerhardt/Muth, ZVG, 12. Aufl., § 114a Rz. 3; Stöber, ZVG, 17. Aufl., § 114a Anm. 3.1; siehe ferner Ebeling, Rpfleger 1987, 122 [123]).
2. Die Rechtsbeschwerde beanstandet auch zu Unrecht, dass der Zuschlag nach § 83 Nr. 6 ZVG, § 765a ZPO nicht hätte erteilt werden dürfen.
a) Eine sittenwidrige Härte gegen den Schuldner enthält der angefochtene Zuschlag nicht allein schon deswegen, weil die Ersteherin nur bis an die untere Grenze ihres Rechtes herangeboten hat. Der Rechtsbeschwerdeführer ist insoweit, wie das LG zutreffend bemerkt hat, durch § 114a ZVG hinreichend geschützt.
b) Die Verpflichtung des Vollstreckungsgerichts, den Zuschlag zu versagen und das Verfahren nach § 765a ZPO mit Rücksicht auf das angestrebte Immobilien-Leasing durch den Schuldner einstweilen einzustellen, hat das Berufungsgericht abgelehnt, weil nicht dargelegt worden sei, wie die Gläubiger auf diesem Wege hätten befriedigt werden sollen. Auch das lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
Zwar konnte bei dem angestrebten Geschäft ein vorhergehender Grundstücksverkauf an den Leasinggeber (sale and lease back) angenommen werden. Dem Kläger hätte es aber oblegen, die Bedingungen eines solchen Verkaufs vorzutragen, wenn er darauf gestützt nach § 765a ZPO Vollstreckungsschutz beanspruchen wollte. Diesen Vortrag hat er erst in der Rechtsbeschwerdeinstanz nachgeholt, wo er nicht mehr berücksichtigt werden kann.
Der nachgeschobene Sachverhalt - die rechtlich noch nicht gesicherte Kaufbereitschaft eines Leasingunternehmens zu 72 v. H. des Verkehrswertes - hätte jedoch auch bei rechtzeitigem Vortrag eine einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens nicht gerechtfertigt. Offen ist, ob sich diese angebliche Ankaufsbereitschaft auch auf das mitversteigerte Zubehör bezog. Offen ist auch der mögliche Durchführungszeitpunkt. Damit ist gegenwärtig noch nicht einmal erkennbar, ob der Schuldner angesichts weiterlaufender Zinsen und der Kosten einer rechtsgeschäftlichen Veräußerung bei dem freihändigen Verkauf besser gestanden hätte als nach dem tatsächlichen Verlauf und der Wertanrechnung nach § 114a ZVG (vgl. zur Einbeziehung des Zubehörs hier BGH v. 9.1.1992 - IX ZR 165/91, BGHZ 117, 8 [18] = MDR 1992, 369 = AG 1992, 155).
Fundstellen
Haufe-Index 1127087 |
BGHR 2004, 850 |
EBE/BGH 2004, 1 |
NJW-RR 2004, 666 |
EWiR 2004, 463 |
WM 2004, 755 |
WuB 2004, 549 |
ZfIR 2004, 699 |
InVo 2004, 292 |
Rpfleger 2004, 433 |