Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder. Pflichtversicherung. Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes. Alters- und Hinterbliebenenversorgung. Satzung. Allgemeine Versicherungsbedingungen. Inhaltskontrolle. Europarechtliches Diskriminierungsverbot. Berechnung der Versicherungsrente. Rentenanwartschaft. Berücksichtigung von Mutterschutzzeiten. Zusatzversorgungspflichtiges Entgelt. Umlagepflichtiges Arbeitsentgelt
Leitsatz (amtlich)
Die Nichtberücksichtigung von Mutterschutzzeiten bei Errechnung einer von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) zu gewährenden Versicherungsrente nach § 44 Abs. 1 S. 1a VBLS a.F. verstößt gegen Art. 6 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 86/378 des Rates v. 24.7.1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit (ABl. EG 1986 Nr. L 225, 40) in der durch die Richtlinie 96/97/EG des Rates v. 20.12.1996 (ABl. EG 1997 Nr. L 46, 20) geänderten Fassung. Als Folge des Verstoßes ist die VBL ggü. der klagenden Versicherten unmittelbar verpflichtet, deren Mutterschutzzeiten bei Errechnung der Versicherungsrentenanwartschaft wie Umlagemonate zu berücksichtigen (nach Vorabentscheidung des EuGH v. 13.1.2005 - Rs. C-356/03, NZA 2005, 347).
Normenkette
Richtline 86/378/EWG des Rates v. 24.7.1986 Art. 6 Abs. 1 Buchst. g i.d.F. der Richtlinie 96/97 EG des Rates v. 20.12.1996; MuSchG § 13 Abs. 2, § 14 Abs. 1; EStG § 3 Nr. 1d; VBLS (in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung) § 29 Abs. 7, § 44 Abs. 1 S. 1a
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 18.01.2002; Aktenzeichen 6 S 11/01) |
AG Karlsruhe (Urteil vom 23.03.2001) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Karlsruhe v. 18.1.2002 aufgehoben und das Urteil des AG Karlsruhe v. 23.3.2001 geändert.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, bei der Errechnung der der Klägerin zustehenden Versicherungsrente (Anwartschaft) die Zeiten des Mutterschutzes (v. 16.12.1992 bis 5.4.1993 und v. 17.1.1994 bis 22.4.1994) wie Umlagemonate zu berücksichtigen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Verfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob Mutterschutzzeiten, in denen die Klägerin kein umlagepflichtiges Arbeitsentgelt bezogen hat, bei Errechnung einer Versicherungsrente nach § 44 Abs. 1 der Satzung der Beklagten in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (VBLS a.F.) wie Umlagemonate zu berücksichtigen sind.
I. Die heute als selbständige Rechtsanwältin tätige Klägerin war v. 1.1.1990 bis 30.9.1999 als Angestellte im öffentlichen Dienst des Bundeslandes Rheinland-Pfalz beschäftigt und bei der beklagten Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder pflichtversichert. Wegen der Geburten zweier Kinder befand sie sich v. 16.12.1992 bis 5.4.1993 sowie v. 17.1. bis 22.4.1994 im gesetzlichen Mutterschutz.
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass diese Mutterschutzzeiten bei der Berechnung ihrer im Zusatzversorgungssystem der Beklagten erworbenen Versicherungsrentenanwartschaften wie Umlagemonate berücksichtigt werden müssen. Für Versicherte, die - wie die Klägerin - wegen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses im öffentlichen Dienst aus dem Zusatzversorgungssystem ausgeschieden sind, sieht die Satzung a.F. einen Anspruch auf Versicherungsrente nach Eintritt des Versicherungsfalles - also insb. nach Erreichen der Regelaltersgrenze - vor (§ 37 Abs. 1b VBLS a.F.).
Die Höhe der Versicherungsrente für Versicherte in der Situation der Klägerin bestimmt sich nach § 44 Abs. 1 S. 1a VBLS a.F., der lautet:
"Als monatliche Versicherungsrente werden ... 0,03125 v.H. der Summe der zusatzversorgungspflichtigen Entgelte, von denen für die Zeit nach dem 31.12.1977 bis zum Beginn der Versicherungsrente (§ 62) Umlagen entrichtet worden sind, ... gewährt."
Hinsichtlich der zur Finanzierung der Zusatzversorgung erforderlichen Umlagen bestimmt § 29 VBLS a.F.:
"(1) Der Arbeitgeber hat eine monatliche Umlage in Höhe des nach § 76 festgesetzten Satzes des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts (Abs. 7) des Versicherten einschließlich eines vom Pflichtversicherten erhobenen Beitrags nach § 76 Abs. 5 zu zahlen.
...
(7) Zusatzversorgungspflichtiges Entgelt ist, soweit nachstehend nichts Anderes bestimmt ist, der entsprechend den Bestimmungen über die Beitragsentrichtung in der gesetzlichen Rentenversicherung zeitlich zugeordnete steuerpflichtige Arbeitslohn. ..."
Nach diesen Satzungsbestimmungen sind die von der Klägerin während ihrer Mutterschutzzeiten vom Arbeitgeber bezogenen Leistungen bei der Ermittlung der Höhe der Versicherungsrente nicht zu berücksichtigen. Die privat krankenversicherte Klägerin hatte während der Schutzzeiten gem. §§ 3 Abs. 2 und 6 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG - sechs Wochen vor und bis zu zwölf Wochen nach der Entbindung) neben dem Anspruch auf das staatliche Mutterschaftsgeld (§ 13 Abs. 2 MuSchG) auch Anspruch auf den vom Arbeitgeber zu leistenden sog. Zuschuss zum Mutterschaftsgeld in Höhe der Differenz zum letzten Nettoarbeitsentgelt (§ 14 Abs. 1 MuSchG). Diese Arbeitgeberleistung ist nach § 3 Nr. 1d des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei. Dementsprechend hat die Klägerin während ihrer Mutterschutzzeiten kein zusatzversorgungspflichtiges Entgelt i.S.v. § 29 Abs. 7 VBLS a.F. erhalten, für das ihr Arbeitgeber gem. § 29 Abs. 1 VBLS a.F. an die Beklagte monatliche Umlagen hätte zahlen müssen.
Mit Wirkung ab dem 1.1.2001 hat die Beklagte ihre Satzung neu gefasst mit dem Ziel, das bisherige System durch ein Betriebsrentensystem mit sog. Versorgungspunkten abzulösen. Die Neufassung ist nach Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde und Veröffentlichung im Bundesanzeiger v. 3.1.2003 in Kraft getreten. Danach werden die Anwartschaften sowohl auf Versorgungs- als auch auf Versicherungsrenten gemäß der bisherigen Berechnungsweise zum Stichtag 31.12.2001 ermittelt, in Versorgungspunkte umgerechnet und dem Versorgungskonto des Versicherten als sog. Startgutschriften zugeschrieben. Eine Berücksichtigung von Mutterschutzzeiten ist weder für die Zeit vor dem Stichtag noch danach (vgl. §§ 36 Abs. 1, 37 und 64 Abs. 4 VBLS n.F.) vorgesehen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
II. Mit Beschluss v. 9.7.2003 (BGH v. 9.7.2003 - IV ZR 100/02, BGHReport 2003, 1134 = VersR 2004, 364 ff.) hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und gem. Art. 234 des EG-Vertrages (EG) den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mit der Bitte um Vorabentscheidung folgender Fragen angerufen:
1. Stehen Art. 119 EGV und/oder Art. 11 Nr. 2a der Richtlinie 92/85/EWG und Art. 6 Abs. 1g der Richtlinie 86/378/EWG, neu gefasst durch die Richtlinie 96/97/EG, Satzungsbestimmungen eines Zusatzversorgungssystems der hier vorliegenden Art entgegen, nach denen eine Arbeitnehmerin während des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs (hier: v. 16.12.1992 bis 5.4.1993 sowie v. 17.1. bis 22.4.1994) keine Anwartschaften auf eine im Falle ihres vorzeitigen Ausscheidens aus der Pflichtversicherung ab Eintritt des Versicherungsfalles (Rentenalter, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit) monatlich zu beanspruchende Versicherungsrente erwirbt, weil die Entstehung solcher Anwartschaften davon abhängt, dass ein Arbeitnehmer im jeweiligen Zeitabschnitt steuerpflichtigen Arbeitslohn erhält, die der Arbeitnehmerin während des Mutterschaftsurlaubs zufließenden Leistungen nach den nationalen Bestimmungen jedoch keinen steuerpflichtigen Arbeitslohn darstellen?
2. Gilt dies insb., wenn man berücksichtigt, dass die Versicherungsrente nicht - wie die beim Verbleib in der Pflichtversicherung im Versicherungsfall zu leistende Versorgungsrente - der Absicherung der Arbeitnehmerin im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit dient, sondern die während der Zeit der Pflichtversicherung für sie geleisteten Beiträge abgelten soll?
Mit Urteil der Ersten Kammer des Gerichtshofes v. 13.1.2005 hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften über das Vorabentscheidungsersuchen des Senats wie folgt entschieden (EuGH v. 13.1.2005 - Rs. C-356/03, NZA 2005, 347):
"Art. 6 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 86/378/EWG des Rates v. 24.7.1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit in der durch die Richtlinie 96/97/EG des Rates v. 20.12.1996 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nationalen Bestimmungen entgegensteht, nach denen eine Arbeitnehmerin während des teilweise vom Arbeitgeber bezahlten gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs keine Anwartschaften auf eine Versicherungsrente, die Teil eines Zusatzversorgungssystems ist, erwirbt, weil die Entstehung solcher Anwartschaften davon abhängt, dass die Arbeitnehmerin während des Mutterschaftsurlaubs steuerpflichtigen Arbeitslohn erhält."
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Die Beklagte ist verpflichtet, bei der Errechnung der der Klägerin zustehenden Versicherungsrente (Anwartschaft) nach § 44 Abs. 1 S. 1a VBLS a.F. die Zeiten des Mutterschutzes (v. 16.12.1992 bis 5.4.1993 und v. 17.1.1994 bis 22.4.1994) wie Umlagemonate zu berücksichtigen.
I. Das Berufungsgericht hat einen solchen Anspruch verneint, weil vom Arbeitgeber der Klägerin während der Mutterschutzzeiten keine Umlagen an die Beklagte gezahlt worden seien. Das beruhe darauf, dass der vom Arbeitgeber während der Mutterschutzzeiten gewährte Zuschuss zum Mutterschaftsgeld gem. § 3 Nr. 1d EStG steuerfrei und damit nach § 29 Abs. 7 VBLS a.F. auch nicht umlagepflichtig sei. Dass die Errechnung der Versicherungsrente gem. § 44 Abs. 1 S. 1a VBLS a.F. allein an tatsächlich gezahlte Umlagen anknüpfe, sei mit Blick auf den Zweck der Versicherungsrente sachgerecht und verstoße weder gegen Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft noch gegen Grundrechte, gegen die Bestimmungen des Gesetzes über Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGBG) oder gegen Treu und Glauben.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit das Berufungsgericht einen Verstoß gegen europäisches Recht verneint hat.
1. Die Bestimmungen der VBLS finden als Allgemeine Versicherungsbedingungen auf die Gruppenversicherungsverträge Anwendung, die von den beteiligten Arbeitgebern als Versicherungsnehmern mit der Beklagten als Versicherer zu Gunsten der bezugsberechtigten Versicherten, der Arbeitnehmer, abgeschlossen sind (st.Rspr., vgl. BGH v. 23.6.1999 - IV ZR 136/98, BGHZ 142, 103 [105 ff]. = MDR 1999, 1324; BVerfG v. 22.3.2000 - 1 BvR 1136/96, NJW 2000, 3341 unter II.2.a, c).
a) Sie unterliegen daher regelmäßig der richterlichen Inhaltskontrolle gem. § 9 AGBGB (jetzt § 307 BGB). Darauf kann sich auch die Klägerin als aus der Satzung unmittelbar Berechtigte berufen (vgl. BGH v. 23.6.1999 - IV ZR 136/98, BGHZ 142, 103 [107] = MDR 1999, 1324). Bei der gebotenen umfassenden Abwägung der beiderseitigen Interessen sind auch die objektiven Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die Grundrechte zu berücksichtigen (BGH v. 16.3.1988 - IVa ZR 154/87, BGHZ 103, 370 [383] = MDR 1988, 761; BVerfG v. 22.3.2000 - 1 BvR 1136/96, NJW 2000, 3341 unter II.2.c).
b) Weiter sind die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft zu beachten. Art. 141 EG (die Art. 117 bis 120 des EG-Vertrages sind durch die Art. 136 bis 143 EG ersetzt worden, Art. 141 EG entspricht insoweit der früheren Regelung in Art. 119 EGV) gibt jedem Bürger der Europäischen Gemeinschaft ein subjektives Recht, sich vor den nationalen Gerichten sowohl ggü. Privaten (vgl. dazu BAG v. 19.11.2002 - 3 AZR 631/97, BAGE 103, 373 ff. = MDR 2003, 460) als auch ggü. Personen des öffentlichen Rechts und insb. auch ggü. Pensionskassen, die damit betraut sind, Leistungen eines Betriebsrentensystems zu erbringen (vgl. dazu EuGH, Urt. v. 9.10.2001 - Rs. C-379/99 - Barmer Ersatzkasse, NJW 2001, 3693), unmittelbar auf den Grundsatz der Entgeltgleichheit und das Verbot der Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts zu berufen. Auch ein Verstoß gegen die zu Art. 119 EGV/141 EG erlassenen Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften führt dazu, dass die nationalen Gerichte den Schutz der Rechte aus Art. 119 EGV/141 EG unmittelbar zu gewährleisten haben (EuGH, Urt. v. 17.5.1990 - Rs. C-262/88 - Barber, EuGHE 1990, I-1889 ff., Rz. 36-39). Bei Verletzung des europarechtlichen Diskriminierungsverbots können Betroffene verlangen, so gestellt zu werden wie die nicht diskriminierte Gruppe. Diskriminierende Satzungsbestimmungen dürfen dann nicht zu Lasten der Betroffenen angewendet werden (BAG v. 19.11.2002 - 3 AZR 631/97, BAGE 103, 373 ff. = MDR 2003, 460 m.w.N.).
2. Die Beklagte ist eine Trägerin der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes in der Bundesrepublik Deutschland. Sie gewährt - als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts unter der Aufsicht des Bundesministeriums der Finanzen (vgl. §§ 1 und 3 VBLS a.F.) - den nichtbeamteten Arbeitnehmern der ihr angeschlossenen Arbeitgeber eine die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung ergänzende zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung im Wege privatrechtlicher Versicherung (§ 2 S. 1 VBLS a.F.). Dem Prinzip der von der Beklagten angebotenen Versicherung entspricht die Erbringung von Leistungen für erhaltene Beiträge und Umlagen. Danach muss die Beklagte - anders als ein Sozialversicherungsträger, der zum Ausgleich nicht beitragsgedeckter Leistungen Zuschüsse der öffentlichen Hand erhält, wie etwa die gesetzliche Rentenversicherung gem. § 213 SGB VI - ihre Leistungen nach den ihr zufließenden Umlagen sowie den Erträgen ihres Vermögens ausrichten. Sie kann daher grundsätzlich nur insoweit Leistungen gewähren, als ihr Beiträge oder Umlagen (§§ 29 Abs. 1, 75 Abs. 1 VBLS a.F.) zugeflossen sind, und Versicherungsschutz nur für solche Zeiten gewähren, für die sie Beiträge oder Umlagen erhalten hat (Gilbert/Hesse, Die Versorgung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes, Stand August 2002, § 2 VBLS Anm. 3, S. B 4a; Schiedsspruch des Oberschiedsgerichts der VBL v. 27.6.1977 - OS 126/76, S. 8). Weiter gehende Leistungen für einzelne Gruppen von Versicherten kann sie nur durch eine Erhöhung oder Umverteilung der Umlagen für andere Arbeitnehmer finanzieren, woraus notwendigerweise ein Konflikt mit dem Grundsatz der Gewährung gleicher Leistungen für gleiche Beiträge entsteht.
Auch die Regelung des § 44 Abs. 1 S. 1a VBLS a.F. folgt dem Prinzip, wonach der Berechnung der Versicherungsrente nur diejenigen zusatzversorgungspflichtigen Entgelte zu Grunde zu legen sind, von denen Umlagen entrichtet wurden (vgl. Gilbert/Hesse, Die Versorgung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes, Stand August 2002, § 37 VBLS Anm. 3, B 118b). Allerdings handelt es sich bei der Versicherungsrente gem. §§ 37 Abs. 1b, 44 VBLS a.F. nicht um eine Versorgungsleistung im eigentlichen Sinne. Sie soll dem Versicherten - anders als mit der Versorgungsrente gem. §§ 37 Abs. 1a, 41 f. VBLS a.F. - keine Absicherung im Alter oder bei Erwerbsunfähigkeit bieten, sondern lediglich dem aus dem Arbeitsverhältnis vorzeitig ausscheidenden Bediensteten einen versicherungstechnischen Gegenwert für geleistete Beiträge gewähren (BGH, Urt. v. 6.6.1994 - IV ZR 272/93, MDR 1994, 1188 = VersR 1994, 1133 unter 2c m.w.N.; Berger/Kiefer/Langenbrinck, Das Versorgungsrecht für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, Stand Juni 2002, § 37 VBLS Anm. 2; Gilbert/Hesse, Die Versorgung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes, Stand August 2002, § 37 VBLS Anm. 3, B 118b). Ihre Höhe orientiert sich deshalb nicht am Versorgungsgedanken; sie ist vielmehr als statische, auf der Grundlage der eingezahlten Beiträge bzw. Umlagen zu errechnende Leistung konzipiert (BGH, Urt. v. 6.6.1994 - IV ZR 272/93, MDR 1994, 1188 = VersR 1994, 1133 unter 2c).
3. Im Beschluss v. 9.7.2003 (BGH v. 9.7.2003 - IV ZR 100/02, BGHReport 2003, 1134 = VersR 2004, 364 unter II 2) hat der Senat im Einzelnen dargelegt, dass es nicht gegen nationales Recht und insb. auch nicht gegen im Grundgesetz niedergelegte Grundrechte der Versicherten verstößt, dass nach §§ 29 Abs. 1, 7, 44 Abs. 1 S. 1a VBLS a.F. der Versicherungsrentenberechnung nur die Summe der zusatzversorgungspflichtigen Entgelte zu Grunde gelegt wird, für welche Umlagen entrichtet worden sind, und die genannten Vorschriften eine Berücksichtigung von Mutterschutzzeiten deshalb nicht vorsehen. Daran hält der Senat fest.
4. Dagegen verstößt die durch das Zusammenspiel der §§ 44 Abs. 1 S. 1a, 29 Abs. 7 VBLS a.F. mit §§ 13 Abs. 2, 14 Abs. 1 MuSchG und 3 Nr. 1d EStG bewirkte Nichtberücksichtigung von Mutterschutzzeiten bei Errechnung der Versicherungsrente gegen Art. 6 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 86/378/EWG des Rates v. 24.7.1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit (ABl. EG 1986 Nr. L 225, 40) in der durch die Richtlinie 96/97/EG des Rates v. 20.12.1996 geänderten Fassung (ABl. EG 1997 Nr. L 46/20). Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat mit der vom Senat eingeholten und ihn bindenden Vorabentscheidung v. 13.1.2005 (EuGH v. 13.1.2005 - Rs. C-356/03, NZA 2005, 347) ausgesprochen, die genannte europarechtliche Bestimmung stehe nationalen Bestimmungen entgegen, nach denen eine Arbeitnehmerin während des teilweise vom Arbeitgeber bezahlten gesetzlichen Mutterschutzes keine Anwartschaften auf eine Versicherungsrente, die Teil eines Zusatzversorgungssystems ist, erwirbt, weil die Entstehung solcher Anwartschaften davon abhängt, dass die Arbeitnehmerin während des Mutterschutzes steuerpflichtigen Arbeitslohn erhält. Nach der Entscheidung ist es ohne Belang, dass die Versicherungsrente lediglich dem Zweck dient, einen versicherungstechnischen Gegenwert für geleistete Beiträge zu gewähren. Vielmehr ist allein entscheidend, dass auch die Versicherungsrente Teil einer Zusatzversorgungsregelung ist, die den Versicherten eine Leistung beim Eintritt der Risiken Alter oder Erwerbsunfähigkeit gewährleisten soll (EuGH v. 13.1.2005 - Rs. C-356/03, NZA 2005, 347, Rz. 29).
5. Als Folge des Verstoßes ist die Beklagte ggü. der Klägerin unmittelbar verpflichtet (vgl. oben II 1), die festgestellte Diskriminierung zu beseitigen und Zeiten des Mutterschutzes wie Umlagemonate zu berücksichtigen.
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat mehrfach entschieden, dass sich versicherte Arbeitnehmer auf Art. 119 EGV/141 EG auch unmittelbar ggü. dem am Arbeitsverhältnis selbst nicht beteiligten, rechtlich selbstständigen Träger eines Betriebsrentensystems berufen können (EuGH, Urt. v. 9.10.2001 - Rs. C-379/99 - Barmer Ersatzkasse, NJW 2001, 3693, Rz. 20, betr. Pensionskasse deutschen Rechts; v. 25.5.2000 - Rs. C-50/99 - Podesta, EuGHE 2000, I-4039, Rz. 25 ff. betr. französische Zusatzrentenkasse; v. 28.9.1994 - Rs. C-200/91 - Coloroll, EuGHE 1994, I-4389, Rz. 20 ff. betr. Treuhänder englischen Rechts; v. 17.5.1990 - Rs. C-262/88 - Barber, EuGHE 1990, I-1889, Rz. 29 betr. englische Pensionskasse). Da die aus einem solchen System gewährten Leistungen Entgeltcharakter haben, sind - im Interesse der praktischen Wirksamkeit des Art. 119 EGV/141 EG - auch diese Einrichtungen verpflichtet, alles in ihrer Zuständigkeit Liegende zu tun, um die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung auf diesem Gebiet sicherzustellen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 9.10.2001 - Rs. C-379/99 - Barmer Ersatzkasse, NJW 2001, 3693, Rz. 21 ff. und EuGH v. 28.9.1994 - Rs. C-200/91 - Coloroll, EuGHE 1994, I-4389, Rz. 22). Ebenso kann sich die Klägerin ggü. der Beklagten unmittelbar auf die im Anwendungsbereich des Art. 119 EGV erlassenen Richtlinien 86/378/EWG und 92/85/EG berufen.
Die Beachtung des Art. 119 EGV/141 EG kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften nur dadurch sichergestellt werden, dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vergünstigungen gewährt werden wie den Angehörigen der bevorzugten Gruppe (EuGH v. 28.9.1994 - Rs. C-200/91 - Coloroll, EuGHE 1994, I-4389, Rz. 32 und EuGH v. 28.9.1994 - Rs. C-28/93 - van den Akker, EuGHE 1994, I-4527, Rz. 16 f. sowie EuGH v. 27.6.1990 - Rs. C-33/89 - Kowalska, EuGHE 1990, I-2591, Rz. 19).
Dem steht nicht entgegen, dass eine tarifvertragliche Grundlage für die Berücksichtigung von Mutterschutzzeiten in der Satzung der Beklagten fehlt. Denn das nationale Gericht muss eine diskriminierende nationale Bestimmung unangewendet lassen, ohne ihre vorherige Beseitigung durch Tarifverhandlungen oder irgendein verfassungsrechtliches Verfahren abwarten zu müssen (EuGH v. 28.9.1994 - Rs. C-200/91 - Coloroll, EuGHE 1994, I-4389, Rz. 31 und EuGH v. 28.9.1994 - Rs. C-28/93 - van den Akker, EuGHE 1994, I-4527, Rz. 16).
Fundstellen
Haufe-Index 1392714 |
BGHR 2005, 1311 |
FamRZ 2005, 1545 |
NJW-RR 2005, 1161 |
VersR 2005, 1228 |
FamRB 2006, 9 |
ELF 2005, 182 |
EuLF 2005, 246 |