Leitsatz (amtlich)
Ist eine bestimmte Art der Untersuchung der Kaufsache sachlich geboten und dem Käufer zumutbar (hier: Reibversuche mit einem feuchten Lappen zur Prüfung der Farbechtheit im Stück gefärbter Oberstoffe), so hat der Käufer diese Untersuchung auch beim Fehlen eines entsprechenden Handelsbrauchs vorzunehmen.
Normenkette
HGB § 377
Verfahrensgang
OLG Bamberg (Urteil vom 13.03.1974) |
LG Aschaffenburg |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 13. März 1974 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin kaufte von der Beklagten in den Jahren 1971 und 1972 Kleiderstoffe verschiedener Färbung, darunter den Artikel „Verona”, Dessin 2013 in rot und Dessin 1892 in marineblau. Die Auslieferung der Ware erfolgte in der Zeit vom 15. November 1971 bis zum 23. Februar 1972. Nach Verarbeitung der Stoffe zu Hosenanzügen und zu Kostümen für Damen stellte sich bei der Kundschaft heraus, daß die Stoffe abfärbten, so daß mit ihnen in Berührung kommende Gegenstände die Farbe der Stoffe annahmen.
Am 6. April 1972 beanstandete die Klägerin die Ware telefonisch und wiederholte mit Schreiben vom selben Tage ihre Reklamation. Die Beklagte räumte in der Folgezeit die Farbunechtheit der Stoffe ein, wies jedoch die Beanstandung der Klägerin zurück: Es liege ein „offener Mangel” vor, den die Klägerin gemäß § 7 der zum Vertragsinhalt gewordenen Einheitsbedingungen der Deutschen Textilindustrie innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt der Ware und vor deren Zuschnitt oder sonstiger Verarbeitung hätte rügen müssen. Die Klägerin trat dem entgegen, wobei sie zusätzlich geltend machte, sie habe „nadelfertige” Stoffe bestellt, was sie jeder Verpflichtung zur Nachprüfung enthoben habe.
Das Landgericht hat die fehlende Farbechtheit als versteckten Mangel gewertet und – unter Abweisung weitergehender Zahlungsansprüche der Klägerin – die Beklagte verurteilt, 21.510,50 DM Schadensersatz nebst Zinsen an die Klägerin zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Herausgabe der im Besitz der Klägerin befindlichen 212 Teile, die aus dem Artikel „Verona” in den Farben rot Nr. 2013 und marineblau Nr. 1892 gefertigt wurden; zusätzlich hat das Landgericht die Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz auch des künftigen Schadens festgestellt. Das Oberlandesgericht hat die Farbunechheit als offenen Mangel gewertet und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Mit der Revision, um deren Zurückweisung die Beklagte bittet, verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren insoweit weiter, als das Landgericht ihm stattgegeben hat.
Entscheidungsgründe
Das angefochtene Urteil hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Dabei bedarf § 7 der Einheitsbedingungen der Deutschen Textilindustrie keiner besonderen Erörterung, den hinsichtlich der hier allein interessierenden Frage der Untersuchungs- und Mängelanzeigepflicht ist dort der Sache nach nichts anderes gesagt als in der gesetzlichen Regelung des § 377 HGB.
I. Das Berufungsgericht hat einen offenen Mangel angenommen und die Rüge fehlender Farbechtheit als verspätet (§ 377 HGB) behandelt. Zwar sei nicht festzustellen, daß die Prüfung auf Farbechtheit bei gefärbten Oberstoffen durch den Konfektionär im Raume Aschaffenburg einem Handelsbrauch entspreche, dies bedeute aber noch nicht, daß schon deshalb ein versteckter Mangel vorliege, vielmehr sei hinsichtlich der Untersuchungspflicht auf Kriterien anderer Art abzustellen: Die rasche Abwicklung der Geschäfte im Handelsverkehr diene den Belangen des Verkäufers, liege aber auch im allgemeinen Interesse. Eine sorgfältige und alsbaldige Untersuchung der Ware durch den Käufer sei zumal dann geboten, wenn – wie im vorliegenden Fall – bei bestimmungsgemäßer Weiterverarbeitung der Ware im Falle des Vorhandenseins von Mängeln hohe Folgeschäden zu befürchten seien. Bei erst im Stück gefärbten Oberstoffen – wie hier – sei die Gefahr des Abfärbens wesentlich größer als bei Oberstoffen, die aus schon gefärbten Garnen hergestellt seien. Zudem hätte die Prüfung auf Farbechtheit nur ganz geringen Arbeits- und Kostenaufwand erfordert, weil für jeden Stoffballen von üblicherweise 40–60 Meter Länge ein einziger Reibversuch mit einem feuchten Lappen genügt hätte; diese Untersuchung sei wesentlich einfacher als etwa die Prüfung der Stoffe auf vorhandene Webfehler, was ein Abrollen und Beschauen der gesamten Ware erfordere.
II. Dieser Wertung des Berufungsgerichts ist zuzustimmen, denn sie stellt entscheidend auf die sachliche Notwendigkeit und auf die Zumutbarkeit der Untersuchung ab und nimmt damit den in § 377 HGB enthaltenen Maßstab für die Bemessung der Sorgfaltspflicht des Käufers beim Handelskauf. Der Senat hat dies in seinem, vom Berufungsgericht angezogenen Urteil vom 14. Oktober 1970 – VIII ZR 156/68 – (LM HGB § 377 Nr. 13 = WM 1970, 1480 = BB 1970, 1416), das einen dem vorliegenden durchaus vergleichbaren Sachverhalt betraf, im einzelnen ausgeführt. Hiernach kommt der Gefahr hoher Mängelfolgeschäden und dem geringen Kosten- und Arbeitsaufwand für eine sachgerechte Untersuchung durch den Käufer maßgebliche Bedeutung zu. Auf die Üblichkeit der Untersuchung und auf das Vorliegen eines entsprechenden Handelsbrauchs – worauf die Revision demgegenüber abstellen möchte – kann es schon deshalb nicht entscheidend ankommen, weil bei Anwendung dieser Maßstäbe Nachlässigkeiten und Mißstände, die bei Abwicklung von Geschäften des kaufmännischen Verkehrs eingerissen sein mögen, als rechtens hingenommen würden, obwohl die genannten Verhaltensweisen sachlich nicht zu billigen sind und deshalb auch rechtlich keinen Schutz verdienen. Ist für bestimmte Bereiche des Handelsverkehrs eine besondere Art der Untersuchung des Kaufgutes auf etwa vorhandene Mängel üblich und besteht sogar insoweit ein Handelsbrauch, so kann allerdings dem Käufer ein Abweichen vom Handelsüblichen zu rechtlichem Nachteil gereichen. Für den umgekehrten, hier gegebenen Fall, daß eine sachlich gebotene und zumutbare Art der Untersuchung als handelsüblich nicht festzustellen ist, kann jedoch nicht gefolgert werden, der Käufer sei allein schon aus diesem Grunde von der Verpflichtung freigestellt, die angelieferte Ware alsbald so zu untersuchen, wie es die kaufmännische Sorgfalt erfordert und wie es ihm im Interesse seines Vertragspartners, aber auch im allgemeinen Interesse an einer schnellen, möglichst reibungslosen Abwicklung von Geschäften und damit letztlich auch im wohlverstandenen Eigeninteresse zuzumuten ist. Dabei sind hinsichtlich Art und Ausmaß der gebotenen Untersuchung an den fachmännischen Käufer in der Regel weitergehende Anforderungen zu stellen als an den Nichtfachmann (RGZ 59, 75; Schlegelberger-Hefermehl HGB, 4. Aufl. 1965, Anm. 66 zu § 377). Für die Klägerin als Käuferin waren die angelieferten Stoffe nicht lediglich Umsatzartikel sondern Gegenstand eigener, intensiver Weiterverarbeitung.
Nach allem kann die Revision mit ihrem Angriff, Reibversuche mit einem feuchten Lappen zur Prüfung auf Farbechtheit seien nicht üblich und es bestehe im Raum Aschaffenburg kein entsprechender Handelsbrauch, keinen Erfolg haben.
III. Unbegründet ist aber auch der weitere Angriff der Revision, die Klägerin sei jeglicher Untersuchungs- und Mängelanzeigepflicht nach § 377 HGB schon deshalb enthoben gewesen, weil sie „nadelfertige” Stoffe bestellt habe. Insoweit kann dahinstehen, ob die im Berufungsurteil (S. 12) gebrachte Hauptgründung, die Lieferung nadelfertiger Ware sei nicht Vertragsinhalt geworden, weil die Auftragsbestätigung der Beklagten in diesem Punkt sich mit dem Auftragsschreibern der Klägerin nicht decke, die angefochtene Entscheidung trägt. Rechtlich unangreifbar ist jedenfalls die Hilfsbegründung des Berufungsgerichts: Der Begriff „nadelfertig” hat nichts zu tun mit der Farbechtheit des Stoffes. Diese Wertung berücksichtigt das eigene Vorbringen der Klägerin in den Vorinstanzen. Hiernach besagt der Hinweis „nadelfertig” nur, daß die Stoffe gekrumpft und dekatiert, also schnittbereit sein müssen, so daß sie ohne weitere Behandlung verarbeitet werden können. Das besagt aber nicht, daß eine Untersuchung der Stoffe entbehrlich wäre. Die Revision bringt nichts vor, was die Annahme des Berufungsgerichts ausräumen könnte, bei der Angabe „nadelfertig” handle es sich nur um eine Mitteilung über die Zurichtung, also den Fertigungszustand der zur Weiterverarbeitung gewünschten Stoffe.
IV. Nach allem war die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen. Gemäß § 97 Abs. 1 ZPO hat die Klägerin die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels zu tragen.
Unterschriften
Dr. Haidinger, Claßen, Dr. Hiddemann, Wolf, Merz
Fundstellen
NJW 1976, 625 |
Nachschlagewerk BGH |