Leitsatz (amtlich)
Ist in dem Gesellschaftsvertrag einer offenen Handelsgesellschaft vorgesehen, das Vertragsänderungen der Schriftform bedürfen, so hat der Mangel dieser Form in der Regel nicht die Nichtigkeit einer Vertragsänderung zur Folge.
Normenkette
BGB § 125; HGB § 105
Verfahrensgang
OLG Bamberg |
LG Schweinfurt |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 12. Januar 1967 aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden hat.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien waren die Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft. Der Kläger hat seine Mitarbeit in dem Unternehmen zum 1. Oktober 1964 eingestellt und übt wieder seinen erlernten Beruf als Chirurg aus.
Der Beklagte behauptet, der Kläger sei zum 1. Januar 1965 aus der Gesellschaft ausgeschieden. Das sei durch eine mündliche Erklärung des Klägers gegenüber dem Mittelsmann V. geschehen, die er – der Beklagte – angenommen habe.
Der Kläger bestreitet, gegenüber V. verbindlich sein Ausscheiden angeboten zu haben, und hält überdies eine bloß mündlich getroffene Vereinbarung für unwirksam, weil im Vertrage – das ist unstreitig – für Vertragsänderungen Schriftform vereinbart sei. Er hat die Feststellung beantragt, daß er noch Gesellschafter sei. Das Landgericht hat diese Feststellung getroffen.
In der Berufungsinstanz hat der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag auch auf einen von ihm unter dem 18. März 1966 vorsorglich gefaßten Beschluß gestützt, den Kläger gemäß § 25 des Gesellschaftsvertrages aus der Gesellschaft auszuschließen. Des weiteren hat er Eventualwiderklage mit dem Antrag erhoben, ihn für berechtigt zu erklären, das Geschäft ohne Liquidation mit Aktiven und Passiven zu übernehmen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und seine Widerklage abgewiesen.
Mit der Revision, um deren Zurückweisung der Kläger bittet, verfolgt der Beklagte seine Anträge zur Klage und zur Eventualwiderklage weiter.
Entscheidungsgründe
1. Das Berufungsgericht hat den Gesellschaftsvertrag dahin ausgelegt, daß eine Vereinbarung über das Ausscheiden des Klägers eine Änderung dieses Vertrages im Sinne seines § 27 gewesen wäre und deshalb nach dieser Bestimmung der Schriftform bedurft haben würde.
Diese Auslegung ist frei von Rechtsirrtum. Was die Gesellschafter für eine gewöhnliche Vertragsänderung vereinbart haben, muß – entgegen der in der mündlichen Verhandlung von der Revision vertretenen Ansicht – auch für die Beendigung der Gesellschaft durch das Ausscheiden eines Gesellschafters gelten.
2. Aus dem Schriftformerfordernis hat das Berufungsgericht gefolgert, daß die von dem Beklagten behauptete, nur mündliche Vereinbarung über das Ausscheiden des Klägers unwirksam sei.
Die bisher von dem Berufungsgericht getroffenen Feststellungen rechtfertigen diese Annahme jedoch nicht.
Allerdings hat nach § 125 Satz 2 BGB „der Mangel der durch Rechtsgeschäft bestimmten Form im Zweifel gleichfalls Nichtigkeit zur Folge”.
Diese Auslegungsregel kann angesichts der besonderen Verhältnisse, die insoweit für eine offene Handelsgesellschaft maßgeblich sind, auf diese Gesellschaft nicht angewendet werden. Mit der Errichtung einer offenen Handelsgesellschaft wird zwischen den Beteiligten ein Dauerschuldverhältnis begründet, das nicht nur auf längere Zeit angelegt ist, sondern häufig, nach den inzwischen gemachten Erfahrungen sogar meist – entgegen der noch im Gesetz enthaltenen Auslegungsregel des § 31 Nr. 4 HGB – über den Tod der Vertragschließenden hinaus fortbestehen soll. Dabei ist es die Besonderheit dieses Dauerschuldverhältnisses, daß durch die Zusammenarbeit der Gesellschafter besondere wirtschaftliche Werte geschaffen werden, wie sie sich in dem gemeinsamen Unternehmen darstellen. Der Schutz und die Erhaltung dieser wirtschaftlicher Werte hat, wie die gesellschaftsrechtliche Vertragspraxis lehrt, eine besondere rechtliche Bedeutung. Das kommt u.a. darin zum Ausdruck, daß die Auslegungsvorschrift des § 139 BGB bei Nichtigkeit einer einzelnen Vertragsbestimmung in den sorgfältig ausgearbeiteten Gesellschaftsverträgen heute im allgemeinen abbedungen wird, und daß es auch beim Fehlen einer solchen Bestimmung heute häufig angebracht sein wird, unter Berücksichtigung des Parteiwillens die Gültigkeit der übrigen Vertragsbestimmungen zu bejahen (BGH Betr. 1955, 750; Rob. Fischer GroßKomm. HGB § 105 Anm. 48a). Der hierin zum Ausdruck kommende rechtliche Gesichtspunkt des Bestandsschutzes geht, wie auch die Anerkennung der fehlerhaften Gesellschaft zeigt, dahin, den einzelnen Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages, selbst beim Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes, eine möglichst weitgehende rechtliche Anerkennung zuteil werden zu lassen. Mit dieser rechtlichen Beurteilung, die den Besonderheiten einer offenen Handelsgesellschaft einen entsprechenden rechtlichen Ausdruck verleiht, ist die auf Rechtsgeschäfte ganz allgemein abgestellte Auslegungsvorschrift des § 125 Satz 2 BGB nicht zu vereinbaren; sie bedarf daher insoweit – ähnlich wie auch einige andere für Rechtsgeschäfte allgemein geltende Vorschriften – einer Abänderung im Sinne einer rechtlichen Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse einer offenen Handelsgesellschaft.
Mit Rücksicht auf die lange Geltungsdauer und ihre wirtschaftliche Bedeutung liegt es in der Natur der Gesellschaftsverträge, daß sie häufigen und vielfältigen Abänderungen unterliegen. Das bringt schon die Notwendigkeit einer Anpassung an die sich ständig ändernden wirtschaftlichen Verhältnisse mit sich, eine Notwendigkeit, der sich ein Unternehmen von einer gewissen wirtschaftlichen Bedeutung gar nicht entziehen kann. Dabei vollzieht sich diese Anpassung erfahrungsgemäß meist in einer allmählichen Abwandlung kaufmännischer Gepflogenheiten, wie sie in dem Unternehmen bis dahin üblich waren, und erfaßt dabei auch solche Bräuche, die im Gesellschaftsvertrag eine Regelung gefunden habe, ohne daß sich die Beteiligten dessen vielfach bewußt werden. Solchen Abänderungen des Gesellschaftsvertrages mit der harten Auslegungsregel des § 125 Satz 2 BGB zu begegnen, wird den besonderen Rechtstatsachen bei einer offener Handelsgesellschaft nicht gerecht und entspricht damit in der Regel auch nicht dem Willen der Gesellschafter. Das zeigt, daß der Ausgangspunkt für die Auslegungsvorschrift des § 125 Satz 2 BGB bei der offenen Handelsgesellschaft nicht zutrifft, bei ihr ist der Regeltatbestand ein anderer als im allgemeinen Vertragsrecht. Das nötigt zu der Folgerung, daß insoweit für die Regel eine andere Auslegungsvorschrift eingreifen muß, nämlich eine solche, die dem hier geltenden Regeltatbestand Rechnung trägt, also das zum Ausdruck bringt, wonach sich die Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft unter Berücksichtigung der für sie geltenden rechtlichen Verhältnisse im allgemeinen richten. Danach kann man zwar einer Bestimmung im Gesellschaftsvertrag, nach der Abänderungen des Vertrages der Schriftform bedürfen, nicht von vornherein jede rechtliche Bedeutung absprechen; denn eine solche Annahme würde dem allgemeinen widersprechen, daß nach dem Willen der Vertragschließenden eine besonders aufgenommene Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag im allgemeinen auch irgendeine rechtliche Bedeutung haben soll.
Diese Erwägungen führen dazu, daß die rechtliche Bedeutung einer gesellschaftsvertraglichen Bestimmung, wonach Abänderungen des Gesellschaftsvertrages der Schriftform bedürfen, darin liegt, daß die Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft damit im Regelfall der Schriftform nicht eine Wirksamkeitsverordnung im Sinne des § 125 Satz 2 BGB beilegen, sondern mit ihr lediglich eine Klarstellungsfunktion bezwecken. Daher kann für die Auslegungsregel des § 125 Satz 2 BGB in diesem Bereich auch kein Raum sein.
Fundstellen