Leitsatz (amtlich)
a) Wird das Grundkapital einer AG im Zuge der Herabsetzung auf Null erhöht, gebietet die Treupflicht dem Mehrheitsaktionär, möglichst vielen Aktionären den Verbleib in der Gesellschaft zu eröffnen. Daraus ergibt sich grundsätzlich die Pflicht, das Entstehen unverhältnismäßig hoher Spitzen dadurch zu vermeiden, daß der Nennwert der neuen Aktien auf den gesetzlichen Mindestbetrag festgelegt wird.
b) Sachliche Gründe, welche die Festlegung eines höheren Nennwertes geboten erscheinen lassen, sind von der Gesellschaft darzulegen und zu beweisen.
Normenkette
AktG § 8 Abs. 1 i.d.F. des Gesetzes vom 26. Juli 1994, §§ 53a, 228, 243 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Aktenzeichen 6 U 470/96) |
LG Koblenz (Aktenzeichen 4 HO 152/95) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Teilurteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 12. März 1998 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens – einschließlich der Kosten der Streithelferin des Klägers zu 1 – zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger und die Streithelferin des Klägers zu 1, Minderheitsaktionäre der Beklagten, wenden sich mit ihrer Anfechtungsklage – soweit im Revisionsverfahren von Bedeutung – gegen den zu Punkt 2 der Tagesordnung vom 20. Juli 1995 gefaßten Hauptversammlungsbeschluß. Gegenstand der Beschlußfassung war u.a. eine Herabsetzung des Grundkapitals von 6.930.000,– DM, eingeteilt in 138.600 Aktien im Nennbetrag von je 50,– DM, zur Deckung sonstiger Verluste auf Null DM, eine gleichzeitige Kapitalerhöhung auf 115.500,– DM durch Ausgabe von 2.310 neuen, auf den Inhaber lautenden Aktien im Nennbetrag von je 50,– DM zu pari mit Bezugsberechtigung der bisherigen Aktionäre und die Feststellung des vorgelegten Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 1994 unter Berücksichtigung der vereinfachten Kapitalherabsetzung mit gleichzeitiger Kapitalerhöhung. Die Mehrheitsaktionärin der Beklagten (künftig: D.) hatte die neuen Aktien im Zeitpunkt der Hauptversammlung bereits gezeichnet und den Ausgabebetrag eingezahlt. Der Zeichnungsschein enthält die Verpflichtung von D., den bezugsberechtigten Aktionären Inhaberaktien gegen Zahlung des Nennbetrages zu übertragen, soweit diese ihr Bezugsrecht binnen einer noch zu bestimmenden Ausschlußfrist von mindestens zwei Wochen ausüben.
Kläger und Streithelferin des Klägers zu 1 halten den Beschluß für rechtswidrig. Sie sind der Ansicht, die von der Beklagten und ihrer Hauptaktionärin gewählte Gestaltung beeinträchtige das Bezugsrecht der Minderheitsaktionäre. Deren Rechte würden auch dadurch verletzt, daß der Nennbetrag der neu auszugebenden Aktien auf 50,– DM und nicht auf den Mindestbetrag von 5,– DM festgesetzt worden sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat den Beschluß für nichtig erklärt. Mit ihrer Revision strebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils an.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Das Berufungsgericht hat der Anfechtungsklage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Es kann allerdings dahingestellt bleiben, ob der angefochtene Beschluß wegen der von der Beklagten für die Abwicklung des Bezugsrechtes gewählten – allerdings nicht in den Beschlußinhalt aufgenommenen – Verfahrensweise gegen das Gesetz verstößt. Das Berufungsgericht hat das angenommen, weil die Beklagte die neuen Aktien bereits vor Durchführung der Hauptversammlung durch die Mehrheitsaktionärin hat zeichnen lassen und ihrer Verpflichtung aus dem – nach dem Hauptversammlungsbeschluß nicht angetasteten – gesetzlichen Bezugsrecht gegenüber den Minderheitsaktionären dadurch nachzukommen beabsichtigte, daß die Mehrheitsaktionärin verpflichtet wurde, die von ihr übernommenen Aktien auf die ihr Bezugsrecht ausübenden Aktionäre zu übertragen, sie also ein Verfahren gewählt hat, das nach dem Gesetz (§ 186 Abs. 5 AktG) nur dann nicht als Ausschluß des Bezugsrechtes gilt, wenn die Abwicklung über ein Kreditinstitut erfolgt (Hüffer, AktG 3. Aufl. § 186 Rdn. 46; KK/Lutter, 2. Aufl. § 186 Rdn. 105 Abs. 2; GroßKomm./Wiedemann, 4. Aufl. § 186 Rdn. 199; MünchKomm./Krieger, § 56 Rdn. 74 ff.; Kropff, AktG 1965, § 186 unter „Ausschußbericht”). Der Beschluß kann bereits aus einem anderen Grunde keinen Bestand haben.
2. Der Beschluß der Hauptversammlung der Beklagten verstößt deswegen gegen das Gesetz und kann daher nach § 243 Abs. 1 AktG angefochten werden, weil die Beklagte verpflichtet war, die Aktien aus der Kapitalerhöhung mit einem Nennbetrag von 5,– DM zu stückeln. Ihre Hauptversammlung hätte mit den Stimmen der Mehrheitsaktionärin einen entsprechenden Beschluß fassen müssen. Das folgt aus der Treupflicht, die der Mehrheitsaktionärin der Beklagten gegenüber den Minderheitsaktionären obliegt (vgl. dazu BGHZ 103, 184, 193 ff.; 129, 136, 142 ff.).
a) Es begegnet keinen Bedenken, daß die Hauptversammlung das Grundkapital der Beklagten auf Null DM herabgesetzt hat. Wie der Senat bereits entschieden hat (BGHZ 119, 305, 306, 319 f.), ist ein solcher Schritt zulässig, wenn die Herabsetzung nach § 228 AktG mit einer Kapitalerhöhung verbunden wird, die auf jeden Fall den Mindestnennbetrag des Grundkapitals erreicht. Diese Voraussetzung ist bei der Beklagten erfüllt, weil ihr Grundkapital im Anschluß an die Herabsetzung über den Mindestnennbetrag hinaus auf 115.500,– DM erhöht worden ist.
Der Beklagten kann auch kein Verstoß gegen § 222 Abs. 4 Satz 1 AktG vorgeworfen werden. Nach der Entscheidung des Senats vom 9. Februar 1998 (II ZR 278/96, ZIP 1998, 692, 693 – zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ 138, 71) kommt nach der zwingenden Regelung dieser Vorschrift eine Kapitalherabsetzung durch Zusammenlegung von Aktien erst dann in Betracht, wenn eine Herabsetzung des Nennbetrages nicht mehr möglich ist. Diese Voraussetzung ist bei einer Kapitalherabsetzung auf Null zwangsläufig erfüllt.
b) Die Mehrheitsaktionärin der Beklagten ist jedoch verpflichtet, im Rahmen der gesetzlichen Regelungen allen Aktionären den Verbleib in der Gesellschaft zu eröffnen. Denn die Möglichkeit, durch Einflußnahme die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter zu beeinträchtigen, erfordert als Gegengewicht die gesellschaftsrechtliche Pflicht, auf diese Interessen angemessen Rücksicht zu nehmen (BGHZ 103, 184, 195; 129, 136, 143 f.). Dieser Verpflichtung ist die Mehrheitsaktionärin der Beklagten nicht nachgekommen. Der Beschluß, die neuen Aktien im Nennwert von 50,– DM auszugeben, hatte zur Folge, daß – ohne Hinzukauf von Bezugsrechten – eine neue Aktie nur von Aktionären gezeichnet werden konnte, die Inhaber von 60 Altaktien im Gesamtnennwert von 3.000,– DM waren. Bei einem solchen Vorgehen entstehen unverhältnismäßig hohe Spitzen, die bei entsprechener Aktionärsstruktur dazu führen, daß eine große Anzahl von Kleinaktionären aus der Gesellschaft ausscheidet. Soweit jedoch diese Aktionäre in der Gesellschaft verbleiben möchten, kann diesem – berechtigten – Verlangen dadurch Rechnung getragen werden, daß Aktien mit geringeren Nennbeträgen gebildet werden. Da im Zeitpunkt der Beschlußfassung der Mindestnennbetrag der Aktie 5,– DM betrug (§ 8 Abs. 1 Satz 1 AktG in der damaligen Fassung), hätte bei Festlegung dieses Nennwertes ein Aktionär mit sechs alten Aktien in Nennwert von 300,– DM Anspruch auf Zuteilung einer neuen Aktie im Nennwert von 5,– DM erlangt. Derartigen Interessen hätte die Mehrheitsaktionärin der Beklagten Rechnung tragen müssen, gleichgültig, ob davon, wie sie selbst eingeräumt hat, acht oder, wie die Streithelferin des Klägers zu 1 behauptet hat, 343 Aktionäre profitieren können.
Die Beklagte kann dem nicht entgegenhalten, die Minderheitsaktionäre hätten ihre Mitgliedschaft durch den Zukauf von Bezugsrechten erhalten können. Einmal ist nicht ersichtlich, daß den Minderheitsaktionären ein solcher Zukauf möglich gewesen wäre. Denn da die Börseneinführung der Aktien nicht vorgesehen war, gab es auch keinen Handel mit Bezugsrechten. Der Zeichnungsvertrag enthält außerdem keine Verpflichtung der Mehrheitsaktionärin, den Aktionären, die Bezugsrechte hinzuerwerben möchten, solche auch zu verkaufen. Zum anderen folgt die Verpflichtung zur Ausgabe von Aktien im Nennwert von 5,– DM aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Zu Aufwendungen, die von Minderheitsaktionären für den Zukauf von Bezugsrechten getätigt werden müssen, sind diese nicht verpflichtet. Sie sind zudem für die Minderheitsaktionäre mit größeren Beeinträchtigungen verbunden als für die Beklagte und ihre Mehrheitsaktionärin die Umstellung der Stückelung von 50,– DM auf 5,– DM pro Aktie.
Sachliche Gründe, die eine Beibehaltung des Nennwertes von 50,– DM pro Aktie geboten erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich. Daß die Beklagte stets Aktien mit einer Stückelung von 50,– DM gehabt hat, ist eine Folge der gesetzlichen Regelung, die bis zum Jahre 1994 bestanden hat, bietet aber keine sachliche Rechtfertigung dafür, die Minderheitsaktionäre zu benachteiligen.
Unterschriften
Röhricht, Hesselberger, Henze, Goette, Kraemer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 05.07.1999 durch Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 538640 |
BGHZ |
BGHZ, 167 |
BB 1999, 1946 |
DB 1999, 1747 |
DStR 1999, 1449 |
HFR 2000, 444 |
NJW 1999, 3197 |
NWB 1999, 3461 |
BGHR |
NZG 1999, 1158 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1999, 1767 |
WuB 2000, 657 |
WuB 2000, 661 |
WuB 2000, 663 |
WuB 2000, 665 |
WuB 2000, 669 |
ZIP 1999, 1444 |
AG 1999, 517 |
DNotZ 1999, 836 |
ZNotP 1999, 408 |
www.judicialis.de 1999 |