Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbenhaftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten. Haftungsbeschränkung auf den Nachlaß. Haftung der Gesellschaft kraft Eintragung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Erbe eines persönlich haftenden Gesellschafters haftet für die vor seinem Eintritt begründeten Gesellschaftsverbindlichkeiten auch dann unbeschränkt, wenn die Gesellschaft zwar in diesem Zeitpunkt wegen Rückgangs des Geschäftsbetriebes nur noch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, im Handelsregister aber noch als Handelsgesellschaft eingetragen war.
2. War jedoch die Gesellschaft beim Erbfall bereits aufgelöst, kann er die Haftung auf den Nachlaß beschränken.
Orientierungssatz
Die Vorschrift des HGB § 5 wirkt sowohl zugunsten des die wahren Verhältnisse kennenden Dritten wie zugunsten der Gesellschaft (Anschluß RG, 1902-01-25, I 325/01, RGZ 50, 154).
Normenkette
HGB §§ 125, 130, 139, 171
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 21. Januar 1981 im Kostenpunkt sowie insoweit aufgehoben, als der Beklagten die Beschränkung der Haftung auf den Nachlaß vorbehalten worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Kläger haben gemäß Urteil und Kostenfestsetzungsbeschluß vom März 1975 gegen die im Handelsregister eingetragene A. u. R. W KG Forderungen in Höhe von 11.144,39 DM. Am 15. September 1975 verstarb der einzige persönlich haftende Gesellschafter, der Vater der Beklagten. Diese sollte als dessen Alleinerbin aufgrund einer Nachfolgeklausel im Gesellschaftsvertrage in seine Gesellschafterstellung einrücken. Am 15. März 1976 wurde der Antrag der Beklagten auf Anordnung der Nachlaßverwaltung gemäß § 1982 BGB abgelehnt, am 27. September 1976 das Nachlaßkonkursverfahren eröffnet. Am 15. März 1976 zeigte die Beklagte dem Registergericht an, daß die Auflösung der Gesellschaft beschlossen worden sei und nunmehr die Liquidation folge. Am 19. April 1977 wurde die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Kommanditgesellschaft mangels Masse abgelehnt. Die Kläger verlangen von der Beklagten die Bezahlung der Gesellschaftsschuld.
Der Klage hat das Landgericht ohne, das Berufungsgericht mit dem Vorbehalt beschränkter Erbenhaftung stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision begehren die Kläger den Fortfall des Vorbehalts.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
I. Allerdings wenden sich die Kläger zu Unrecht gegen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist. Die Wiedereinsetzung ist gemäß § 238 Abs. 3 ZPO unanfechtbar, so daß von der fristgemäßen Berufung auszugehen ist.
II. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte hafte für den Anspruch der Kläger nur mit dem Nachlaß ihres Vaters, nicht aber mit ihrem Privatvermögen; die für den persönlich haftenden Gesellschafter einer Handelsgesellschaft geltenden Vorschriften der §§ 128, 130 HGB seien nämlich ihr gegenüber nicht anwendbar, weil sie am 15. September 1975 nicht Gesellschafterin einer Kommanditgesellschaft, sondern einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts geworden sei; der Geschäftsbetrieb der Kommanditgesellschaft sei schon vor diesem Zeitpunkt auf den Umfang eines Kleingewerbes zurückgegangen und § 5 HGB nicht auf gemäß §§ 125, 130 HGB, also kraft Gesetzes entstandene, sondern nur auf rechtsgeschäftlich begründete Verbindlichkeiten anwendbar. Dem ist nicht zu folgen.
Die Feststellung des Berufungsgerichts, die Kommanditgesellschaft habe im Zeitpunkt der Rechtsnachfolge nur ein Kleingewerbe betrieben, ist zwar rechtlich nicht zu beanstanden. Die Revision wendet aber mit Recht ein, daß das Berufungsgericht die Bedeutung des § 5 HGB verkannt hat, wonach das Gewerbe, solange die Eintragung im Handelsregister bestand, als vollkaufmännisches mit der Folge galt, daß es gemäß § 6 HGB von einer Handels- und nicht von einer BGB-Gesellschaft betrieben wurde.
1. Diese Bestimmung dient nicht dem Schutz gutgläubiger Dritter. Sie wirkt für und gegen jedermann, also sowohl zugunsten des die wahren Verhältnisse kennenden Dritten wie zugunsten der Gesellschaft (vgl. RGZ 50, 154, 158). Der § 5 HGB soll lediglich Rechtssicherheit dadurch schaffen, daß er den Streit über das Erfordernis kaufmännischer Einrichtungen ausschließt, das im § 2, §3 Abs. 2 und 3 und § 4 HGB Tatbestandsvoraussetzung der Vollkaufmanns-Eigenschaft ist (vgl. BGHZ 32, 307, 314). Ob seine Anwendung innerhalb des Privatrechtsverkehrs auf den rechtsgeschäftlichen und den damit zusammenhängenden Prozeßverkehr beschränkt ist oder auch den sogenannten Unrechtsverkehr umfaßt, kann im vorliegenden Falle dahingestellt bleiben, da es sich bei den Ansprüchen der Kläger gegen die Gesellschaft um rechtsgeschäftliche handelt. Nicht nur bei Begründung dieser Ansprüche, sondern auch später, als der Geschäftsumfang schließlich zurückgegangen war, hatten es die Kläger bis zur gänzlichen Aufgabe des Gewerbebetriebes oder der Löschung im Handelsregister mit einer Kommanditgesellschaft zu tun. Diese blieb gemäß § 5 HGB nicht nur im Prozeß parteifähig. Es galten auch nach wie vor die Regelungen der §§ 130, 139 HGB mit der Folge, daß die aufgrund einer erbrechtlichen Nachfolgeklausel in die Gesellschaft einrückenden neuen Gesellschafter den Altgläubigern unbeschränkt hafteten, falls sie von den Möglichkeiten des § 139 HGB, die Haftung zu beschränken, keinen Gebrauch machten. Das Berufungsgericht unterscheidet an dieser Stelle zu Unrecht zwischen Verbindlichkeiten, die kraft Gesetzes, und solchen, die kraft Rechtsgeschäfts entstehen. Auch die Haftung gemäß § 128 HGB besteht kraft Gesetzes. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß Gesellschafter gemäß § 128 HGB für die Verbindlichkeiten einzustehen haben, die die Gesellschaft rechtsgeschäftlich in einem Zeitpunkt begründet hat, in dem sie nur ein Kleingewerbe betrieb, aber noch im Handelsregister eingetragen war. Für die Haftung gemäß § 130 HGB gilt nichts anderes. Wenn das Berufungsgericht meint, es sei schlechterdings unmöglich, daß die Kläger in ihrem Verhalten von der Eintragung beeinflußt worden seien, so übersieht es nicht nur, daß § 5 HGB kein Vertrauen fordert, sondern auch, daß schon die Eigenart der im § 130 HGB geschaffenen Rechtsfolge für den Zeitpunkt der Begründung des Anspruchs keinen guten Glauben voraussetzt. Denn der Gläubiger kann beim Vertragsschluß nicht auf den künftigen Beitritt ihm zusätzlich haftender Gesellschafter vertrauen. Er hat es, solange die Eintragung besteht und das Gewerbe ausgeübt wird, trotz etwaiger Kenntnis der wahren Verhältnisse gemäß § 5 HGB mit einer Handelsgesellschaft zu tun, deren Gesellschafter ihm nach den §§ 128 ff und 171 ff HGB haften. Hieraus folgt für den vorliegenden Fall, daß die Beklagte, sollte sie als Alleinerbin aufgrund der erbrechtlichen Nachfolgeklausel des Gesellschaftsvertrages Gesellschafterin einer im Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht aufgelösten Gesellschaft geworden sein, den Klägern gemäß § 130 HGB unbeschränkt haftet.
2. Die Nebenintervenientin hat nun aber behauptet, die Gesellschaft sei wegen der aussichtslosen wirtschaftlichen Lage schon zu Lebzeiten des Rechtsvorgängers (GA II 277), mindestens aber innerhalb der Frist des § 139 Abs. 3 HGB aufgelöst worden, und zwar im letztgenannten Falle dadurch, daß die Beklagte den Gewerbebetrieb nicht fortgesetzt habe (GA II 45). Danach haben zwar die Gesellschafter, soweit das diesem Sachvortrag zu entnehmen ist, die Auflösung der Gesellschaft nicht ausdrücklich beschlossen – wenn man von dem in der Handelsregister-Anmeldung vom 15. März 1976 genannten, vermutlich erst kurz vorher gefaßten und deshalb wohl nicht mehr innerhalb der Drei-Monats-Frist des § 139 Abs. 3 HGB liegenden Auflösungsbeschluß absieht. Das schließt aber nicht aus, daß sie sich schon zu einem früheren Zeitpunkt stillschweigend einig waren, nunmehr die Gesellschaft nicht fortzusetzen, sondern zu liquidieren. Ob es sich dabei um einen freien Entschluß handelte oder ob die Umstände, insbesondere die am 22. Februar 1975 angeordnete Zwangsversteigerung des Betriebsgrundstücks und die Tatsache, daß für die Fortführung dringend benötigte Gelder nicht zu beschaffen waren, den Gesellschaftern keine andere Wahl ließen, als sich auf die Liquidation zu einigen, ist dabei unerheblich. Eine derart stillschweigende Übereinstimmung kann die Kommanditistin entweder schon mit dem Rechtsvorgänger der Beklagten oder erst mit dieser – möglicherweise als es um die Entlassung der letzten Bediensteten ging – erzielt haben. Diese Übereinstimmung war jedoch Voraussetzung der Auflösung. Es reicht dagegen nicht, daß die Geschäftstätigkeit aus sonstigen Gründen, weil etwa keine Aufträge mehr vorlagen, immer stärker zurückging. Selbst wenn die noch angefallenen Arbeiten ohnehin zur Liquidation des Unternehmens erforderlich gewesen wären, so dienten sie der Abwicklung doch erst mit Einverständnis aller Gesellschafter.
Mit diesem Sachverhalt hat sich das Berufungsgericht, weil es die Klage aus anderem Grunde abgewiesen hat, bislang nicht auseinandergesetzt. Das ist aber nunmehr noch erforderlich: Sollte nämlich die Gesellschaft nach dem Eintritt der Beklagten, aber innerhalb der Frist des § 139 Abs. 3 HGB aufgelöst worden sein, so haftet die Beklagte gemäß § 139 Abs. 4 HGB für die bis dahin entstandenen (und die weiterhin durch die Liquidation entstehenden) Gesellschaftsverbindlichkeiten nur „nach Maßgabe der die Haftung des Erben für Nachlaßverbindlichkeiten betreffenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts” (§§ 1967, 1975 BGB). Dasselbe wird allgemein für den Fall vertreten, daß die Gesellschaft mit dem Tode des Gesellschafters aufgelöst wird, die Mitgliedschaftsrechte alsdann in den Nachlaß fallen und die Rechte des Erblassers im Liquidationsstadium seinen Erben zufallen (RGZ 72, 119, 121; Ulmer in Großkomm. HGB 3. Aufl. § 131 Anm. 94 m.w.N.). Nichts anderes kann gelten, wenn die Gesellschaft schon vor dem Erbfall aufgelöst worden ist. Die Möglichkeit der Beschränkung auf den Nachlaß ist in den beiden letzten Fällen die Folge davon, daß selbst eine – wie hier – im Gesellschaftsvertrag enthaltene Klausel, die die Fortsetzung der Gesellschaft mit dem Erben oder einem von ihnen vorsieht, im Liquidationsstadium, weil das Handelsgeschäft gerade nicht fortgeführt werden soll, gegenstandslos geworden ist und die verbleibenden Mitgliedschaftsrechte des Erblassers infolgedessen in den Nachlaß fallen, den Erben daher nicht „in Person”, sondern „als solchen” (bei mehreren Erben der Erbengemeinschaft) zustehen; dem entspricht es auch, daß der Gesellschafter-Erbe nach allgemeiner Meinung (A. Hueck, Das Recht der oHG 4. Aufl. § 28 IV 4; Schlegelberger/Geßler, 4. Aufl. Anm. 54 zu § 139 HGB; Ulmer, a.a.O. Anm. 100, 154 zu § 139 HGB) nach Auflösung der Gesellschaft nicht mehr wählen kann, ob er Kommanditist werden oder gegebenenfalls ausscheiden will, und ihm auch deshalb die Beibehaltung der ererbten Stellung als voll haftender Gesellschafter nicht entgegengehalten werden kann. Eine Haftung der Beklagten gemäß § 130 HGB für die vor ihrem Eintritt in die Gesellschaft entstandenen Ansprüche der Kläger kommt daher nicht in Betracht, wenn zu irgend einer Zeit vor Ablauf der Dreimonatsfrist des § 139 Abs. 3 HGB die Gesellschaft aufgelöst worden ist.
3. Da das Berufungsgericht die Auflösungsfrage wegen des abweichenden Rechtsstandpunkts nicht geprüft hat, ist sein Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen, damit sich die Parteien zu diesem Gesichtspunkt noch äußern und alsdann die erforderlichen Feststellungen getroffen werden können.
Fundstellen
NJW 1982, 45 |
DNotZ 1982, 488 |
JZ 1981, 784 |