Leitsatz (amtlich)
Zur Frage des begründeten Anlasses zur Kündigung des Handelsvertretervertrages durch den Handelsvertreter bei einer Sortimentserweiterung des Unternehmers, wenn zwar der Handelsvertreter den Unternehmer in dessen Einverständnis in dem erweiterten Bereich nicht vertreten soll, er aber in diesem Bereich bereits für ein Konkurrenzunternehmen tätig ist.
Normenkette
HGB § 89b Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 14.02.1985) |
LG Oldenburg |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 14. Februar 1985 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger war seit dem Jahr 1972 als Handelsvertreter für die Beklagte beim Absatz von Fahrrädern, Fahrrad-Zubehör und Schuhreparaturmitteln tätig. Im Dezember 1982 teilte die Beklagte ihm mit, daß sie in ihr Programm ab Januar 1983 (nicht 1982, wie es in dem Berufungsurteil versehentlich heißt) auch Elektroinstallationsmaterial und Leuchten aufnehmen werde. Mit Schreiben vom 13. April 1983 bat die Beklagte den Kläger, auch diese Artikel für sie in dem ihm zur Bearbeitung zugewiesenen Gebiet zu vertreten. Da der Kläger bereits seit mehreren Jahren diese Produkte für die Firma d. GmbH als Handelsvertreter vertrat, unterrichtete er diese von der Absicht der Beklagten. Die Firma d. GmbH ließ den Kläger wissen, daß sie mit einer solchen Wettbewerbssituation keinesfalls einverstanden sein werde und von ihrem Recht zur fristlosen Kündigung des Vertragsverhältnisses zum Kläger Gebrauch machen werde, wenn dieser das Elektroinstallationsmaterial der Beklagten anbiete oder vertreibe.
Nach mehreren Unterredungen in dieser Angelegenheit teilte die Beklagte dem Kläger schließlich im Juni 1983 mit, daß sie die Vertretung ihres Installationssortiments in dessen Gebiet einem anderen Handelsvertreter übertragen habe. Mit Schreiben vom 22. Juni 1983 kündigte der Kläger das Vertragsverhältnis zur Beklagten fristgerecht zum 30. September 1983 und meldete wegen der Beendigung seiner Tätigkeit einen Ausgleichsanspruch an.
Der Kläger hat zur Begründung des mit der Klage alsdann verfolgten Ausgleichsanspruchs vorgetragen, die Beklagte habe ihm durch die Erweiterung ihres Programms einen begründeten Anlaß zur Kündigung gegeben. Die ursprünglich konfliktfreie Doppelvertretung sei nach der Sortimentserweiterung in eine für ihn unzumutbare Konkurrenzsituation umgeschlagen. Die wichtigsten von ihm betreuten Abnehmer seien Verbrauchermärkte oder andere Großabnehmer, die regelmäßig sowohl die Fahrräder mit dem Zubehör als auch das Elektroinstallationsmaterial bezögen. Bei den Verkaufsgesprächen könne er sich nicht glaubwürdig und überzeugend für die Erzeugnisse sowohl der Beklagten als auch für die der Firma d. GmbH einsetzen, da er notwendigerweise dabei die Erzeugnisse eines der beiden Unternehmen zu Lasten des anderen Unternehmens herausstellen müsse. Diesem von der Beklagten geschaffenen Interessenkonflikt habe er sich nur durch eine Kündigung entziehen können.
Der Kläger hat vorgetragen, er habe der Beklagten einen festen Kundenstamm geworben und er verliere durch die Kündigung die bisherigen Provisionseinnahmen, die seine werbende Tätigkeit abgegolten hätten. Nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre mache dies einen Betrag in Höhe von … DM einschließlich Mehrwertsteuer aus. Die Bezahlung dieses Betrages hat er von der Beklagten verlangt.
Die Beklagte ist dem Verlangen des Klägers entgegengetreten und hat vorgetragen, durch die Sortimentserweiterung dem Kläger die Vertretung beider Unternehmen nicht unmöglich gemacht zu haben. Die Waren aus dem Elektrobereich und die Waren aus dem Fahrradbereich seien nicht austauschbar und würden insbesondere auch bei den Verkaufsverhandlungen nicht als Einheit gesehen. Sie hat die Richtigkeit des vom Kläger berechneten Ausgleichsanspruchs bestritten.
Landgericht und Berufungsgericht haben die Klage abgewiesen.
Mit der Revision verfolgt der Kläger den Klageanspruch weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat das Bestehen eines Ausgleichsanspruchs nach § 89 b HGB verneint, weil der Kläger das Vertragsverhältnis gekündigt habe, ohne daß die Beklagte hierzu einen begründeten Anlaß gegeben habe. Die Fortführung der bestehenden Zusammenarbeit zwischen den Parteien, so hat das Berufungsgericht ausgeführt, hätte nicht zu einer schweren Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Klägers geführt, weil die Firma d. GmbH nur für den Fall eine fristlose Kündigung angedroht habe, daß der Kläger für die Beklagte Installationsmaterial anbieten oder vertreiben sollte. Der Kläger sei nicht etwa vor die Wahl gestellt worden, entweder nur für dieses Unternehmen oder die Beklagte tätig zu werden. Der Kläger habe auch keine anderen Umstände vorgetragen, die die Annahme einer schweren Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz begründen könnten. Soweit er sich darauf berufen habe, daß bei einer Fortführung seiner früheren Tätigkeit sein guter Ruf, die Grundlage seiner Berufsausübung, gefährdet sei, habe er dazu konkrete Tatsachen nicht vorgetragen. Es sei dem Kläger zuzumuten gewesen, zumindest den Versuch zu unternehmen, seine bisherige Tätigkeit fortzusetzen, weil konkrete Anzeichen für einen Vertrauensverlust bei den von ihm betreuten Kunden noch nicht sichtbar geworden seien; auch sei zur Zeit der Kündigung völlig offen gewesen, ob überhaupt ein Vertrauensschwund eintreten werde. Die Kündigung des Klägers ohne den Versuch, bei seinen Kunden durch eine sachliche Darstellung der Umstände einem Vertrauensverlust vorzubeugen, sei zumindest verfrüht.
II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
1. Zwar ist die Beurteilung, ob der Unternehmer dem Handelsvertreter einen begründeten Anlaß zur Kündigung im Sinne des § 89 b Abs. 3 Satz 1 HGB gegeben hat, ebenso wie die eines wichtigen Grundes für die Kündigung, für die der Bundesgerichtshof dies bereits mehrfach ausgesprochen hat, im wesentlichen tatsächlicher Natur und in der Revisionsinstanz nur beschränkt, nämlich darauf überprüfbar, ob das Berufungsgericht von richtigen rechtlichen Gesichtspunkten ausgegangen ist und keine wesentlichen Tatumstände außer acht gelassen hat (BGH, Urt. v. 26.1.1984 – I ZR 188/81, WM 1984, 556, 558; Urt. v. 3.7.1986 – I ZR 171/84, zur Veröffentlichung bestimmt). Einer solchen Nachprüfung halten die getroffenen Feststellungen aber nicht stand.
2. a) Das Berufungsgericht ist rechtlich zutreffend davon ausgegangen, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes an einen begründeten Anlaß regelmäßig weniger strenge Anforderungen als an einen wichtigen Grund zu stellen sind, und daß auch ein rechtmäßiges Verhalten des Unternehmers dem Handelsvertreter unter Umständen einen begründeten Anlaß zur Kündigung geben kann (Urt. v. 7.6.1984 – I ZR 50/82, NJW 1984, 2529 m.w.N.). Danach genügt es, daß der Handelsvertreter durch das Verhalten des Unternehmers in eine für ihn nach Treu und Glauben nicht haltbare Lage kommt (BGH, Urt. v. 29.5.1967 – VII ZR 297/64, NJW 1967, 2153; Urt. v. 28.11.1975 – I ZR 138/74, NJW 1976, 671). Dem Berufungsgericht kann nicht darin beigetreten werden, nur bei einer schweren Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Handelsvertreters bestehe ein begründeter Anlaß. Ein solcher Grundsatz ist insbesondere der Entscheidung des Bundesgerichtshofs a.a.O. NJW 1967, 2153 nicht zu entnehmen. Der VII. Zivilsenat hat dort nicht ausgeführt, daß nur in einer solchen Lage der Handelsvertreter einen begründeten Anlaß zur Kündigung habe, sondern ausgesprochen, daß jedenfalls bei einer solchen – vom dortigen Berufungsgericht festgestellten – Lage der Handelsvertreter kündigen könne, ohne dadurch seinen Ausgleichsanspruch zu verlieren.
b) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die Beklagte den Kläger zwar nicht vor die Wahl gestellt, entweder für sie oder die Firma d. GmbH tätig zu werden. Sie wollte ihm vielmehr ermöglichen, weiterhin für sie die bisher auch schon von ihm vertretenen Artikel aus dem Bereich der Fahrräder und des Zubehörs anzubieten, während ein anderer Vertreter für sie das Elektroinstallationsmaterial anbieten sollte, so daß der Kläger – wie bisher schon – für diese Artikel die Firma d. GmbH vertreten konnte. Die Auffassung des Berufungsgerichts, bei dieser Sachlage entfalle ein Ausgleichsanspruch des Klägers, weil er das Vertreterverhältnis gekündigt habe, ohne daß ihm das Verhalten der Beklagten hierzu einen begründeten Anlaß gegeben habe (§ 89 b Abs. 3 Satz 1 HGB), ist nicht frei von durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Nach der Aufnahme der Elektroartikel und Leuchten in das Programm der Beklagten geriet der Kläger in eine ihm nicht zumutbare Konfliktslage. Als Handelsvertreter der Firma d. GmbH, für die er im wesentlichen den gleichen Kundenkreis ansprach, der auch die Erzeugnisse der Beklagten abnahm, war er Konkurrent der Beklagten, die nun das gleiche Material durch einen anderen Vertreter vertrieb, während er als Handelsvertreter der Beklagten für Fahrräderzubehör deren Interessen zu vertreten hatte. Er war damit gleichzeitig Interessenvertreter und Wettbewerber der Beklagten. Er mußte, um seinen Pflichten als Handelsvertreter der Beklagten nachzukommen, diese beim Absatz von Fahrrädern und Zubehör fördern. Beim Angebot von Elektroinstallationsmaterial mußte er versuchen, sie in ihren Absatzmöglichkeiten zu beschränken, weil er hier die Belange der Firma d. GmbH als deren Handelsvertreter wahrzunehmen hatte. Da nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts vor allem Verbrauchermärkte, die regelmäßig beide Sortimente abnahmen, zu dem Kundenkreis des Klägers zählten, mußte er damit gegenüber denselben Kunden diese unterschiedlichen Interessen vertreten. Diese Kollision der Interessen konnte sich nach Lage der Sache für den Kläger in mehrfacher Hinsicht nachteilig auswirken. Für die angesprochenen Kunden lag es nahe, daß ihnen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der werbenden Tätigkeit des Klägers kamen. Das mußte zu einem Rückgang der Bestellungen und damit zu einem Verlust an Provisionen und gegebenenfalls des Ausgleichsanspruchs gegenüber beiden Unternehmen führen. Gelang es dagegen der Beklagten durch den Einsatz des neben dem Kläger beauftragten Vertreters mit den neu aufgenommenen Erzeugnissen die Firma d. GmbH bei Kunden aus dem Markt zu drängen, konnte diese den Eindruck gewinnen, der Kläger habe sich für deren Produkte nicht mit dem nötigen Nachdruck eingesetzt. Das begründete für den Kläger die Gefahr von Auseinandersetzungen mit der Firma d. GmbH.
c) Soweit das Berufungsgericht noch gemeint hat, der Kläger habe zunächst abwarten müssen, ob diese Folgen wirklich einträten, hat es rechtsfehlerhaft zu hohe Anforderungen gestellt. Zu Recht kann dieser darauf verweisen, daß für einen Handelsvertreter der Ruf der Zuverlässigkeit und Seriosität gegenüber seinen Geschäftspartnern von besonderer Bedeutung ist. Würde er, was das Berufungsgericht als Voraussetzung einer die Rechte aus § 89 b Abs. 1 HGB wahrenden Kündigung ansieht, tatsächlich beschädigt, so würde das zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung des Klägers geführt haben. In diesem Fall wäre der Kläger wegen der von der Beklagten geschaffenen neuen Konkurrenzlage aber auch Gefahr gelaufen, nicht unerhebliche wirtschaftliche Einbußen zu erleiden. Dieses Risiko kann ihm nicht zugemutet werden. Das Berufungsgericht hat auch nicht hinreichend beachtet, daß die Rückgewinnung von Kunden, die wegen eines der Sache nach als widersprüchlich empfundenen Verhaltens verlorengegangen sind, regelmäßig mit besonderen Schwierigkeiten für den Handelsvertreter verbunden ist.
III. Danach war das Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um diesem Gelegenheit zu geben, die noch fehlenden Feststellungen zu den Voraussetzungen eines Ausgleichsanspruchs nach § 89 b Abs. 1 Nr. 1–3 HGB zu treffen.
Dem Berufungsgericht war auch die Entscheidung über die Kosten der Revision zu übertragen.
Unterschriften
v. Gamm, Merkel, Piper, Teplitzky, Mees
Fundstellen
BB 1987, 221 |
NJW 1987, 778 |
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