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BGH Urteil vom 07.03.2005 - II ZR 138/03

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Leitsatz (amtlich)

a) Verlangt eine GmbH oder in ihrer Insolvenz der Insolvenzverwalter von einem Gesellschafter Rückzahlung einer Leistung nach den Grundsätzen des Eigenkapitalersatzes, muss die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter darlegen und beweisen, dass die Gesellschaft zu dem maßgeblichen Zeitpunkt in einer Krise i.S.d. § 32a Abs. 1 GmbHG war.

b) Beruft sich die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter dazu auf eine Insolvenzreife wegen Überschuldung der Gesellschaft, reicht es nicht aus, wenn lediglich die Handelsbilanz vorgelegt wird, auch wenn sich daraus ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ergibt. Vielmehr muss entweder ein Überschuldungsstatus mit Aufdeckung etwaiger stiller Reserven und Ansatz der Wirtschaftsgüter zu Veräußerungswerten aufgestellt oder dargelegt werden, dass stille Reserven und sonstige aus der Handelsbilanz nicht ersichtliche Veräußerungswerte nicht vorhanden sind.

c) Dabei muss die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter nicht jede denkbare Möglichkeit ausschließen, sondern nur nahe liegende Anhaltspunkte - beispielsweise stille Reserven bei Grundvermögen - und die von dem Gesellschafter insoweit aufgestellten Behauptungen widerlegen.

 

Normenkette

GmbHG §§ 30-31, 32a a.F.

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Urteil vom 27.03.2003; Aktenzeichen 9 U 58/02)

LG Verden (Aller)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des OLG Celle v. 27.3.2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Beklagte ist zu 25 % an der B. GmbH beteiligt. Er ist Eigentümer des Betriebsgrundstücks, das er an die Gesellschaft vermietet hat. Am 2.6.1999 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet und der Kläger zum Verwalter bestellt. Mit der Klage verlangt der Kläger Rückzahlung der von dem Beklagten im Jahre 1998 vereinnahmten Mieten. Dazu behauptet er, die Gesellschaft sei schon seit 1994 überschuldet gewesen. Das LG hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Überlassung des Betriebsgrundstücks habe jedenfalls im Jahre 1998 eigenkapitalersetzenden Charakter gehabt. Die zum 31.12.1996 aufgestellte Bilanz der Gesellschaft habe einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag i.H.v. 139.672,44 DM ausgewiesen. Dieser Wert sei nicht im Hinblick auf die Erstellung eines Überschuldungsstatus zu korrigieren gewesen. Zwar habe der Beklagte zu einzelnen Aktivposten der Bilanz das Vorliegen von stillen Reserven behauptet und dazu auch präzise Zahlen vorgetragen. Der daraufhin als Sachverständiger eingeschaltete Wirtschaftsprüfer habe jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte vorgefunden, um die tatsächlichen Werte der Wirtschaftsgüter bestimmen zu können. Das gehe zu Lasten des Beklagten. Zwar liege die Beweislast für die Kreditunwürdigkeit grundsätzlich bei der Gesellschaft bzw. ihrem Konkursverwalter. Die Jahresbilanz habe aber eine indizielle Bedeutung für die Insolvenzreife. Nur wenn greifbare Anhaltspunkte für das Vorhandensein stiller Reserven vorlägen, müsse der Konkursverwalter dazu vortragen und Beweis führen.

II. Dem kann nicht gefolgt werden.

1. Die Klage auf Rückgewähr der Mieten ist nach §§ 30, 31 Abs. 1 GmbHG i.V.m. den Rechtsprechungsregeln zur eigenkapitalersetzenden Gebrauchsüberlassung (BGH v. 16.10.1989 - II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 = GmbHR 1990, 118 = MDR 1990, 224; v. 14.12.1992 - II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 = GmbHR 1993, 87 = MDR 1993, 223) nur dann begründet, wenn die Gesellschaft am 31.12.1996 - oder jedenfalls bis zum 30.6.1997, als der Beklagte den Mietvertrag zum Ablauf des 31.12.1997 spätestens hätte kündigen können - in eine Krise i.S.d. § 32a Abs. 1 GmbHG geraten ist und der Beklagte - wovon im Normalfall auszugehen ist - das erkennen konnte. Eine Krise lag dann vor, wenn die Gesellschaft insolvenzreif oder jedenfalls "überlassungsunwürdig" war. Zu einer unabhängig von einer Insolvenzreife bestehenden Überlassungsunwürdigkeit hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Dafür ist auch nichts ersichtlich. Entscheidend ist daher allein die Frage, ob die Gesellschaft insolvenzreif war. Da die Gesellschaft im Jahre 1998 noch zahlungsfähig war, konnte sich eine Insolvenzreife nur aus einer Überschuldung ergeben. Nach der hier noch anwendbaren Konkursordnung sind dazu eine rechnerische Überschuldung und eine negative Fortbestehensprognose erforderlich. Eine rechnerische Überschuldung in diesem Sinne liegt vor, wenn die im Insolvenzfall verwertbaren Vermögensgegenstände zu ihren Veräußerungswerten nicht mehr ausreichen, um die Schulden zu decken.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats liegt die Darlegungs- und Beweislast bezüglich der Überschuldung bei der Gesellschaft bzw. dem für sie tätig werdenden Insolvenzverwalter. Der Insolvenzverwalter hat die Überschuldung grundsätzlich durch Vorlage eines Überschuldungsstatus darzulegen. Darin sind die stillen Reserven aufzudecken und die Vermögensgegenstände zu Veräußerungswerten anzusetzen. Nicht ausreichend ist dagegen, lediglich die Handelsbilanz vorzulegen, weil die Handelsbilanz nach anderen Kriterien als ein Überschuldungsstatus aufzustellen ist. So sagt sie etwa nichts über stille Reserven aus. Die Handelsbilanz kann deshalb nur indizielle Bedeutung für die insolvenzrechtliche Überschuldung haben. Mindestens muss der Insolvenzverwalter die Ansätze der Handelsbilanz daraufhin überprüfen und erläutern, ob und ggf. in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige daraus nicht ersichtliche Veräußerungswerte vorhanden sind. Dabei muss er nicht jede denkbare Möglichkeit ausschließen, sondern nur nahe liegende Anhaltspunkte - beispielsweise stille Reserven bei Grundvermögen - und die von dem Gesellschafter insoweit aufgestellten Behauptungen widerlegen (BGH v. 21.2.1994 - II ZR 60/93, BGHZ 125, 141 [146] = GmbHR 1994, 394 = MDR 1994, 783; v. 8.1.2001 - II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 [267 f.] = MDR 2001, 401 = BGHReport 2001, 197 = AG 2001, 303 = GmbHR 2001, 190; Urt. v. 18.12.2000 - II ZR 191/99, MDR 2001, 825 = BGHReport 2001, 245 = GmbHR 2001, 197 = ZIP 2001, 242 [243]; v. 2.4.2001 - II ZR 261/99, MDR 2001, 947 = GmbHR 2001, 473 = BGHReport 2001, 604 = ZIP 2001, 839; ebenso zur vergleichbaren Problematik bei der Kreditunwürdigkeit BGH, Urt. v. 2.6.1997 - II ZR 211/95, GmbHR 1997, 890 = NJW 1997, 3171 [3172]; v. 17.11.1997 - II ZR 224/96, GmbHR 1998, 233 = NJW 1998, 1143 [1144]).

2. Nach diesen Grundsätzen und dem bisherigen Vortrag der Parteien ist die Klage unbegründet. Der Kläger hat keinen Überschuldungsstatus zu dem maßgeblichen Zeitpunkt aufgestellt. Er hat auch nicht die Behauptungen des Beklagten zu den stillen Reserven widerlegt. So hat der Beklagte behauptet, die Transportfahrzeuge der Gemeinschuldnerin, die in der Handelsbilanz mit einem Erinnerungswert von 11 DM erfasst gewesen seien, hätten tatsächlich einen Wert i.H.v. 61.000 DM gehabt, die Werkzeuge der Gemeinschuldnerin, in der Bilanz mit 18.348 DM veranschlagt, seien 43.000 DM wert gewesen, die abgeschriebenen geringwertigen Wirtschaftsgüter hätten noch einen Wert i.H.v. 11.000 DM gehabt und die sonstige Betriebs- und Geschäftsausstattung, die mit einem Buchwert i.H.v. 23.645 DM erfasst gewesen sei, sei tatsächlich 73.000 DM wert gewesen. Dieser Vortrag ist substantiiert genug, um dem Kläger die Möglichkeit zu geben, sich damit auseinander zu setzen und die Zahlen des Beklagten zu widerlegen. Das hat das Berufungsgericht im Ansatz auch richtig gesehen, wie sich daraus ergibt, dass es eine Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet hat. Dass der Sachverständige dann aber erklärt hat, er könne mangels ausreichender Unterlagen keine Feststellungen treffen, geht zu Lasten des Klägers. Seine Sache war es, die Überschuldung unter Berücksichtigung des substantiierten Gegenvortrags des Beklagten darzulegen und zu beweisen. Ist ihm das nicht möglich, kann seine Klage keinen Erfolg haben. Anders wäre allenfalls dann zu entscheiden, wenn der Beklagte eine ihm obliegende Pflicht zur Führung und Aufbewahrung von Büchern bzw. Belegen verletzt hätte. Das aber macht der Kläger selbst nicht geltend.

III. Danach kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Die Sache ist zurückzuverweisen, da sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist. Das Berufungsgericht hat die Beweisaufnahme abgebrochen, ohne alles getan zu haben, um den Sachverhalt aufzuklären. So hätte versucht werden müssen, auf Grund der Veräußerungserlöse, die für die streitigen Gegenstände im Rahmen des Konkursverfahrens erzielt worden sind, auf die Verkehrswerte zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt rückzuschließen, soweit ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die verwerteten Wirtschaftsgüter auch schon zu jenem Zeitpunkt vorhanden waren. Dazu hätte notfalls ein anderer Sachverständiger hinzugezogen werden müssen, der - über das allgemeine Wissen eines Wirtschaftsprüfers hinaus - über spezielle Kenntnisse in der Bewertung von Anlagegütern verfügt. Entgegen der Auffassung des Sachverständigen Bi. ist es dagegen nicht erforderlich, eine Überschuldungsbilanz aufzustellen. Es geht allein darum zu überprüfen, ob die von dem Beklagten behaupteten stillen Reserven vorhanden waren, die - nur - in ihrer Summe ausreichen, um trotz des in der Handelsbilanz ausgewiesenen Fehlbetrags eine rechnerische Überschuldung i.S.d. Insolvenzrechts auszuschließen. Gelingt dem Kläger, ggf. nach ergänzendem Vortrag, der Beweis, dass jedenfalls ein Teil dieser stillen Reserven nicht vorhanden war, ist von einer rechnerischen Überschuldung - und damit angesichts der von dem Berufungsgericht festgestellten negativen Fortbestehensprognose von einer Insolvenzreife - auszugehen. Gelingt dem Kläger dieser Beweis dagegen nicht, ist die Klage unbegründet. Die Zurückverweisung ermöglicht den Parteien, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats ergänzend vorzutragen, und dem Berufungsgericht, auf dieser Grundlage die Beweisaufnahme fortzusetzen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1337897

BB 2005, 1181

DB 2005, 996

DStR 2005, 1150

DStZ 2005, 392

HFR 2005, 1025

WPg 2005, 569

Inf 2005, 611

NWB 2005, 2112

BGHR 2005, 846

EBE/BGH 2005, 3

GmbH-StB 2005, 168

NJW-RR 2005, 766

MittBayNot 2006, 164

NZG 2005, 482

StuB 2005, 738

WM 2005, 848

WuB 2005, 763

AnwBl 2005, 135

InVo 2005, 442

MDR 2005, 935

NZI 2005, 351

ZInsO 2005, 486

GmbHR 2005, 617

InsbürO 2005, 276

BBKM 2006, 55

SJ 2005, 39

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