Leitsatz (amtlich)
a) Hat die Ingangsetzung der Vor-GmbH in der Zeit zwischen Aufnahme der Geschäftstätigkeit und Eintragung der Gesellschaft zu einer Organisationseinheit geführt, die als Unternehmen anzusehen ist, das über seine einzelnen Vermögenswerte hinaus einen eigenen Vermögenswert repräsentiert, hat die Bewertung des Vermögens in der Vorbelastungsbilanz nach der Ertragswertmethode zu erfolgen.
b) Die Bewertung der Ertragskraft eines Unternehmens kann auf künftige Erfolgschancen im Regelfall nur dann gestützt werden, wenn die Voraussetzung für die Nutzung der Chancen am Stichtag bereits im Ansatz geschaffen sind.
Normenkette
GmbHG § 11
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Kammergerichts vom 14. Februar 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger, Konkursverwalter über das Vermögen der „A. GmbH” mit Sitz in B. (künftig: Gemeinschuldnerin), nimmt den Beklagten aus Unterbilanzhaftung in Anspruch. Der Beklagte gehörte zu den Gründern der am 25. Juli 1989 mit einem Stammkapital von 450.000,– DM errichteten Gemeinschuldnerin. Er übernahm zwei Anteile in Höhe von 149.000,– DM und 1.000,– DM. Die Gemeinschuldnerin, die am 13. August 1990 in das Handelsregister eingetragen wurde, nahm ihren Betrieb mit der Eröffnung ihrer Gaststätte am 12. April 1990 auf.
Der Kläger behauptet, das von den Gesellschaftern vollständig eingezahlte Stammkapital sei im Zeitpunkt der Eintragung bereits verbraucht gewesen. Er verlangt von dem Beklagten die Zahlung des auf ihn entfallenden anteiligen Betrages von 150.000,– DM.
Der Beklagte bestreitet, daß bei Eintragung der Gesellschaft eine Unterbilanz vorgelegen habe. Er ist der Ansicht, die Haftungsmasse des Unternehmens müsse nach den für das Ertragswertverfahren entwickelten Grundsätzen ermittelt werden, weil die Gemeinschuldnerin im Zeitpunkt der Eintragung bereits über einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verfügt habe. Werde auf diese Weise verfahren, ergebe sich, daß die Stammkapitalziffer gedeckt gewesen sei.
Das Landgericht hat den Beklagten unter Abweisung der Klage im übrigen zur Zahlung von 29.000,– DM verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung des Gesamtklagebetrages.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt zur Zurückverweisung.
Sie rügt zu Recht, daß das Berufungsgericht bei der Prüfung der Frage, ob und in welcher Höhe bei der Gemeinschuldnerin im Zeitpunkt ihrer Eintragung in das Handelsregister eine Unterbilanz vorgelegen hat, von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen ist.
1. Zu folgen ist allerdings der Ansicht des Berufungsgerichts, daß ein Geschäfts- oder Firmenwert berücksichtigt werden muß. War die Ingangsetzung der Vor-GmbH erfolgreich und hat sie schon in der Zeit zwischen Aufnahme der Geschäftstätigkeit und Eintragung der Gesellschaft zu einer Organisationseinheit geführt, die als Unternehmen anzusehen ist, das über seine einzelnen Vermögenswerte hinaus einen eigenen Vermögenswert darstellt, so hat die Bewertung des Vermögens in der Vorbelastungsbilanz nach der Ertragswertmethode zu erfolgen (Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl., § 11 Rdn. 89; Baumbach/Hueck/Osterloh, GmbHG, 16. Aufl., § 41 Rdn. 44; Osterloh, FS Goerdeler, 1987, 533, 536 f., 541 f.). Da nach diesen Regeln das Unternehmen nach dem Grundsatz der wirtschaftlichen Unternehmenseinheit als „organisierte Kombination von materiellen und immateriellen Faktoren in seiner Funktion insgesamt” bewertet wird (vgl. Stellungnahme HFA 2/1983: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen Wpg. 1983, 468, 473), schließt der Ertragswert den Geschäfts- bzw. Firmenwert ein (vgl. Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., A II, S. 2; Dörner in: WP-Handbuch 1992, Bd. II, Abschn. A Rdn. 179, 258). Er wird somit bei der Feststellung, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe eine Unterbilanz vorliegt, berücksichtigt.
Entgegen der Ansicht der Revision hindert der Zweck der Vorbelastungs- oder Unterbilanzhaftung (vgl. dazu BGHZ 124, 282, 286) die Berücksichtigung des Geschäfts- oder Firmenwertes nicht. Da der Geschäftswert seinen Ausdruck allein im Ertragswert findet und dieser das Ergebnis einer Wertfeststellung bildet, die nach anerkannten Grundsätzen der Betriebswirtschaftslehre für bereits strukturierte und in das Marktgeschehen integrierte Unternehmen getroffen wird, erscheint die Kapitalaufbringung auch bei Zugrundelegung dieser Bewertungsmethode hinreichend gewährleistet.
Nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien hat die Gemeinschuldnerin ihren Gaststättenbetrieb am 12. April 1990, also vier Monate vor ihrer Eintragung in das Handelsregister aufgenommen und verfügte im Zeitpunkt ihrer Eintragung über eine als Unternehmen anzusehende Organisationseinheit. Aufgrund dessen war ihr Vermögen nach den Grundsätzen des Ertragswertverfahrens zu bewerten.
2. Die Revision rügt aber zu Recht, daß das Berufungsgericht – dem gerichtlichen Sachverständigen folgend – den Ertragswert des Unternehmens der Gemeinschuldnerin, bezogen auf den Zeitpunkt ihrer Eintragung in das Handelsregister, unter Zugrundelegung theoretischer Vorgaben und Annahmen bemessen hat, ohne den konkreten Umständen und der tatsächlichen Unternehmensführung durch die Geschäftsleitung der Gemeinschuldnerin und ihrer Gesellschafter hinreichend Rechnung zu tragen.
a) Die Revision beanstandet, daß der Sachverständige und ihm folgend das Berufungsgericht zwar die Mängel der Geschäftsführung (zu hoher Personalaufwand wegen zu großer Beschäftigtenzahl, keine Geschäftsführung durch einen im Gastronomiebereich erfahrenen Betriebsleiter) angeführt, für die Bemessung des Unternehmenswertes jedoch allein die Führung des Betriebs der Gemeinschuldnerin ohne diese Mängel (an Umsatz und Gewinn angepaßte Personalkosten, Anstellung eines im Gastronomiegewerbe erfahrenen Geschäftsleiters) zugrunde gelegt habe. Das sei rechtsfehlerhaft, weil zum Stichtag vom 13. August 1990 diese Maßnahmen nicht einmal in Ansätzen eingeleitet gewesen, sondern die Geschäfte wie in dem Zeitraum vor der Eintragung mit den vom Sachverständigen aufgedeckten Mängeln weitergeführt worden seien. Darauf habe der Kläger in seinen Schriftsätzen mehrfach hingewiesen. Diese Rüge hat Erfolg.
b) Zwar ist der Unternehmenswert, der von dem Barwert der zukünftigen Überschüsse der Einnahmen über die Ausgaben gebildet wird und theoretisch den richtigen Wert eines Unternehmens darstellt, zukunftsbezogen (Stellungnahme HFA 2/1983 aaO Wpg. 1983, 469, 474). Um ein tragfähiges Fundament für diese Zukunftsschätzung zu erhalten, geht man bei der Bestimmung der Ertragsgrundlagen – unter Auswertung von Vergangenheitsergebnissen – allerdings von den Verhältnissen am Bewertungsstichtag aus. Auf zukünftig nachweisbare Erfolgschancen kann die Bewertung der Ertragskraft im Regelfall nur dann gestützt werden, wenn die Voraussetzungen für die Nutzung dieser Chancen bereits im Ansatz geschaffen sind (Dörner in WP-Handbuch, 10. Aufl., Bd. II, Abschn. A Rdn. 49, 69). Als Ausgangspunkt für die Ermittlung des Ertragswertes des Unternehmens der Gemeinschuldnerin kommen nur die Organisationsverhältnisse und Strukturen in Betracht, die am Stichtag vorhanden waren.
Diesen Gesichtspunkt hat der Sachverständige seinen Ausführungen zum Ertragswertverfahren zwar im Ausgangspunkt zugrunde gelegt (S. 9 des Gutachtens), bei der Errechnung des Ertragswertes (S. 11-13 des Gutachtens) jedoch nicht umgesetzt. Er hat vielmehr eine Umsatz- und Ergebnisprognose aufgestellt, bei der er entgegen seinen Eingangsbemerkungen von einem sachkundigen Management und einer Reduzierung des Personalaufwandes durch sachgemäße Strukturierung des Personaleinsatzes ausgegangen ist. Das Berufungsgericht ist dieser Berechnung nicht nur gefolgt, sondern hat auch – wie der Sachverständige im Rahmen seiner Berechnungen – den Ansatz gewählt, bei der Bestimmung des Ertragswertes müsse im vorliegenden Fall von einer wirtschaftlich sinnvollen Fortführung des Unternehmens ausgegangen werden. Es sei zu unterstellen, daß der Betrieb von einem erfahrenen Gastronomen geleitet und der offensichtliche Personalüberhang abgebaut werde. Damit hat das Berufungsgericht die Bedeutung der Grundsätze des Ertragswertverfahrens für den vorliegenden Fall verkannt.
Im Rahmen der Unterbilanzhaftung wird jedoch nur die Sicht eines real einzuschätzenden, auf der Grundlage personenbezogener Erfolgsfaktoren ermittelten Ertrags- und Geschäftswertes den Belangen des Gläubigerschutzes gerecht.
3. Um zu einer angemessenen, den Umständen des vorliegenden Falles entsprechenden Bewertung des Geschäftswertes des Unternehmens der Gemeinschuldnerin zu gelangen, wird das Berufungsgericht unter Einholung einer ergänzenden sachverständigen Stellungnahme die weiter erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.
Unterschriften
Röhricht, Hesselberger, Henze, Kapsa, Kraemer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 09.11.1998 durch Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 609349 |
BGHZ |
BGHZ, 35 |
BB 1999, 14 |
DB 1999, 37 |
DStR 1999, 206 |
HFR 1999, 750 |
NJW 1999, 283 |
BBK 1999, 55 |
BGHR |
GmbH-StB 1999, 10 |
NJW-RR 1999, 615 |
NZG 1999, 208 |
NZG 1999, 70 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1998, 2531 |
WuB 1999, 245 |
ZAP 1999, 10 |
ZIP 1998, 2151 |
AG 1999, 122 |
DNotZ 1999, 437 |
MDR 1999, 171 |
NZI 1999, 75 |
ZInsO 1999, 181 |
GmbHR 1999, 31 |