Leitsatz (amtlich)
a) Die Mitglieder des Aufsichtsrates einer nicht in das Handelsregister eingetragenen Vor-AG haften dem ersten Vorstand der Gesellschaft, mit dem sie für die Vorgesellschaft den Anstellungsvertrag geschlossen haben, nicht nach § 41 Abs. 1 S. 2 AktG wegen seiner Vergütungsansprüche.
b) Die für den ersten Vorstand in der Gründungsphase einer Vor-AG geschuldete Vergütung gehört nicht zu dem nach § 26 Abs. 2 AktG in der Satzung gesondert auszuweisenden Gründungsaufwand.
Normenkette
AktG § 41 Abs. 1 S. 2, § 26 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 18. Zivilsenats des OLG Köln v. 20.12.2001 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Am 26.3.1999 wurde die - später nicht in das Handelsregister eingetragene - G. AG von J.H. und der M.T.GmbH & Co. KG gegründet; gleichzeitig bestellten die Gründer die Beklagten zu 1) und zu 2) und T.S., dessen alleinige Erbin die Beklagte zu 3) ist, zu Mitgliedern des ersten Aufsichtsrats. Dieser trat noch am selben Tag zu seiner ersten Sitzung zusammen, wählte T.S. zum Vorsitzenden und die Beklagte zu 1) zu seiner Vertreterin und bestellte den Kläger zum Vorstandsmitglied der Gesellschaft. In der Niederschrift ist festgehalten, dass der Vorsitzende des Aufsichtsrats oder seine Vertreterin ermächtigt werde, die vom Aufsichtsrat beschlossenen Anstellungsverträge mit den Vorstandsmitgliedern zu schließen. Dies geschah am 30.3.1999, wobei für den Aufsichtsrat die Beklagten zu 1) und 2) unterzeichneten. Der Kläger trat sein Amt - wie in diesem Vertrag vorgesehen - am 1.7.1999 an, kündigte das Anstellungsverhältnis aber bereits am 15.10.1999 fristlos wegen Nichtzahlung der Bezüge. Seinem bereits am 21.9.1999 gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Vorgesellschaft hatte das zuständige AG am 14.10.1999 entsprochen.
Mit der Klage nimmt der Kläger die Beklagten auf Zahlung der unstreitig rückständigen Dienstbezüge für Juli bis Oktober 1999 und der Differenz zwischen der vertraglich geschuldeten Vergütung und anderweitig in der Zeit von November 1999 bis November 2000 bezogenen Einkünften sowie auf die Feststellung künftiger Ersatzpflicht in Anspruch.
Vor dem LG und dem OLG blieb die Klage erfolglos. Mit der - angenommenen - Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger kann - wie LG und OLG zutreffend entschieden haben - die Beklagten nicht auf Zahlung der in dem Anstellungsvertrag mit der G. AG i.Gr. v. 30.3.1999 vereinbarten Vorstandsvergütung in Anspruch nehmen.
Die Beklagten zu 1) und 2) als ehemalige Aufsichtsratsmitglieder und die Beklagte zu 3) als Alleinerbin des früheren Aufsichtsratsvorsitzenden der Vorgesellschaft kommen zwar grundsätzlich als Handelnde i.S.v. § 41 Abs. 1 S. 2 AktG in Betracht, es bestehen auch keine durchgreifenden Bedenken gegen die Wirksamkeit des Anstellungsvertrages, die genannte Haftungsnorm eröffnet dem Kläger als in der Gründungsphase bestellten Vorstand aber keine Ansprüche gegen die Mitglieder des ersten Aufsichtsrats der neuen Gesellschaft.
1. Die Klage ist nicht bereits deswegen unbegründet, weil für die Handelndenhaftung nach § 41 Abs. 1 S. 2 AktG nach Aufgabe des gegenständlich verstandenen Vorbelastungsverbots kein Raum mehr wäre. Im Schrifttum wird verbreitet die Berechtigung dieser Rechtsfigur in Zweifel gezogen (vgl. Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 41 Rz. 18 f. - "ohne überzeugende gedankliche Grundlage"; Pentz in MünchKomm/AktG, 2. Aufl., § 41 Rz. 126; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., S. 1025 f.) und zutreffend angeführt, dass wesentliche Funktionen, die der historische Gesetzgeber dieser Haftungsnorm zugewiesen hat, entfallen sind. So hat die sog. Straf- und Druckfunktion der Handelndenhaftung, nachdem nicht nur für das GmbH-Recht, sondern auch für das Aktienrecht die Wahrung des Unversehrtheitsgrundsatzes durch das Vorbelastungsverbot aufgegeben und der Übergang zur Unterbilanzhaftung vollzogen worden ist, ihre Bedeutung verloren. Dies trifft jedoch nicht in gleicher Weise auf die sog. Sicherungsfunktion der Handelndenhaftung zu. Sie trägt dem Gedanken Rechnung, dass die mit der Vorgesellschaft in rechtsgeschäftlichen Kontakt tretenden Gläubiger nicht wissen können und mit der Unsicherheit nicht belastet werden sollen, ob die Gründer sämtlich das handelnde Organ ermächtigt haben, schon vor der Eintragung der Gesellschaft geschäftlich tätig zu werden (vgl. dazu Hoffmann-Becking in Handb.d.Gesellschaftsrechts, Bd. 2, 2. Aufl., § 3 Rz. 36; Pentz in MünchKomm/AktG, 2. Aufl., § 41 Rz. 126; Heidel/Höhfeld, AktG, § 41 Rz. 28); fehlt diese Ermächtigung und ist demgemäß die Vertretungsmacht des Handelnden eingeschränkt, soll nach dem Willen des Gesetzgebers der Gläubiger wenigstens die als organschaftlicher Vertreter für die Gesellschaft auftretende Person in Anspruch nehmen dürfen. Unter diesem Blickwinkel hat die Handelndenhaftung nach wie vor ihren Platz. Sie ist zudem in Art. 7 der Publizitätsrichtlinie der EG (vgl. Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl., S. 107; Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., § 5 Rz. 96 f. i.V.m. S. 94 Rz. 133) mit Bindungswirkung für die Mitgliedsstaaten niedergelegt und in der in diesem Zusammenhang auf das Aktienrecht übertragbaren GmbH-rechtlichen Rechtsprechung des Senats bis in die jüngste Zeit anerkannt worden (vgl. BGH, Beschl. v. 7.7.2003 - II ZB 4/02, GmbHR 2003, 1125 = AG 2003, 684 = BGHReport 2003, 1278 = WM 2003, 1814).
2. Die Haftung der Beklagten nach § 41 Abs. 1 S. 2 AktG (vgl. zu Inhalt und Umfang Pentz in MünchKomm/AktG, 2. Aufl., § 41 Rz. 142 ff.; Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 41 Rz. 24; für die GmbH BGHZ 53, 210 [214]; Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl., § 11 Rz. 100, 113) scheitert nicht schon daran, dass die Vorgesellschaft gegenüber dem Kläger nicht wirksam verpflichtet worden wäre.
Der Aufsichtsrat war das für den Abschluss des Dienstvertrages zuständige Organ und ist, wie das Berufungsgericht zutreffend und von den Parteien nicht angegriffen festgestellt hat, in formell ordnungsgemäßer Weise tätig geworden. Auch im Übrigen begegnet die Wirksamkeit des Anstellungsvertrages mit den in ihm eingegangenen Zahlungspflichten keinen durchgreifenden Bedenken, obwohl hier die Vergütung des im Gründungsstadium berufenen ersten Vorstandes nicht als Gründungsaufwand nach § 26 Abs. 2 AktG in die Satzung aufgenommen worden ist. Nach einer verbreiteten Meinung im Schrifttum soll dieses Versäumnis zur Unwirksamkeit der Verpflichtung führen (so Kraft, a.a.O., § 30 Rz. 43; Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 30 Rz. 12). Dieser Auffassung folgt der Senat nicht, weil sie wenig praktikabel erscheint und vom Zweck des Gesetzes nicht gefordert wird (vgl. Röhricht in Großkomm. z. AktG, 4. Aufl., § 30 Rz. 34; Pentz in MünchKomm/AktG, 2. Aufl., § 30 Rz. 41).
Zwar ließen sich auch die Kosten für die Anstellung des ersten Vorstandes nach dem Wortlaut des Gesetzes noch als Gründungsaufwand einordnen, weil jede neu gegründete Aktiengesellschaft für ihre vollständige Entstehung eines Vertretungsorgans bedarf; der Senat verkennt auch nicht, dass die Zuerkennung einer überhöhten Vergütung an die Organe zu einer Aushöhlung des soeben erst aufgebrachten oder aufzubringenden Kapitals führen kann. Dies ist indessen keine Besonderheit der Gestaltung der Dienstverträge des ersten Vorstandes. Auch in anderer Weise können in diesem Stadium durch Eingehung von Verbindlichkeiten - z.B. durch den Abschluss von Mietverträgen, durch die Einstellung von Personal oder durch den Aufbau eines Vertriebsnetzes - oder durch Aufwendungen Teile des eingezahlten oder einzuzahlenden Kapitals verbraucht werden, ohne dass dem ein entsprechender im Gesellschaftsvermögen verbliebener Gegenwert gegenübersteht.
3. a) Als für die Vorgesellschaft handelndes Organ nach § 41 Abs. 1 Satz 2 AktG kommt - anders als die Beklagte zu 1) meint - grundsätzlich auch der Aufsichtsrat in Betracht. Das gilt nicht allein dann, wenn er "wie ein Vorstand" handelt, also im Gründungsstadium dessen Aufgaben an sich zieht. Da ihm nach § 112 AktG die alleinige Vertretungskompetenz für den Abschluss von Anstellungsverträgen mit den Vorstandsmitgliedern zugewiesen ist, ist er in diesem Bereich an sich der "geborene" Handelnde i.S.v. § 41 Abs. 1 S. 2 AktG.
b) Der Kläger als erster Vorstand der Vorgesellschaft kann jedoch die Mitglieder des Aufsichtsrats nach dieser Vorschrift nicht in Anspruch nehmen.
Dass er von der Vorgesellschaft die ihm versprochene Vergütung nicht erhält, rechtfertigt sein Begehren nicht. Nach dem oben beschriebenen Schutzzweck der Handelndenhaftung wäre Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Aufsichtsratsmitglieder, dass der Aufsichtsrat den Anstellungsvertrag, ohne hierzu von den Gründern ermächtigt worden zu sein, geschlossen hat. Davon kann, da die Vorgesellschaft im Gründungsstadium über einen organschaftlichen Vertreter verfügen muss und sich kaum jemand bereit finden wird, dieses Amt ohne entsprechende Honorierung anzutreten, regelmäßig nicht ausgegangen werden; auch im vorliegenden Fall bestehen in dieser Richtung keinerlei Anhaltspunkte.
Davon abgesehen überdehnt der Kläger bei seinem Vorgehen den Anwendungsbereich der Handelndenhaftung. Zwar sind auch bei der Bestellung und Anstellung des ersten Vorstandes einer neu gegründeten Aktiengesellschaft Organ- und Dienstverhältnis voneinander zu unterscheiden. Der allein verbliebene Schutzzweck der Handelndenhaftung, dem Vertragspartner der Vorgesellschaft einen Schuldner zu verschaffen, wenn die Gesellschaft mangels wirksamer Ermächtigung der Handelnden nicht leisten muss, ist aber in diesem Fall nicht betroffen. Mit Recht ist deswegen das Berufungsgericht für eine restriktive Anwendung des § 41 Abs. 1 S. 2 AktG eingetreten (vgl. auch Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 41 Rz. 18; Pentz in MünchKomm/AktG, 2. Aufl., § 41 Rz. 126; Nirk, Handb. d. Aktienrechts, Teil I, Rz. 104). Denn die zum ersten Vorstand berufenen Personen sind nach der ganzen Struktur des Gründungsverfahrens typischerweise mit den internen Verhältnissen der Gesellschaft vertraut oder können sich die notwendigen Informationen unschwer beschaffen und müssen - anders als außenstehende Dritte, die mit der Vorgesellschaft in rechtsgeschäftlichen Kontakt treten und regelmäßig nicht wissen können, ob die handelnden Organe mit Ermächtigung der Gründer handeln - nicht geschützt werden (vgl. Barz in Großkomm. z. AktG, 3. Aufl., § 41 Rz. 21; Riedel, NJW 1970, 404 [406], reSp). Die Mitglieder des ersten Vorstands können schon im Gründungsstadium durch entsprechende Vereinbarungen mit den Gründern die Erfüllung ihrer Vergütungsansprüche sicherstellen. Des Schutzes der Handelndenhaftung bedürfen sie ebenso wenig, wie es gerechtfertigt ist, sie in der Insolvenz der Vorgesellschaft dadurch besser zu stellen, dass sie nicht darauf beschränkt sind, ihre Vergütungsforderung zur Tabelle anzumelden, sondern außerdem die Aufsichtsratsmitglieder persönlich belangen können. Dem entspricht, dass nach der Rechtsprechung des Senats auch Gründungsgesellschafter oder mit den Verhältnissen vertraute, zum Beitritt entschlossene Personen nicht durch die Handelndenhaftung geschützt werden sollen (vgl. BGHZ 15, 204 [206]; BGH v. 17.3.1980 - II ZR 11/79, BGHZ 76, 320 [325] = GmbHR 1980, 202 = MDR 1980, 648; schon RGZ 105, 152 f.; ferner Barz in Großkomm. z. AktG, 3. Aufl., § 41 Rz. 21; Pentz in MünchKomm/AktG, 2. Aufl., § 41 Rz. 141).
Fundstellen
Haufe-Index 1176394 |
BB 2004, 1585 |
DB 2004, 1608 |
DStR 2004, 1396 |
WPg 2004, 869 |
NJW 2004, 2519 |
NWB 2004, 2635 |
BGHR 2004, 1353 |
EWiR 2004, 783 |
NZG 2004, 773 |
StuB 2004, 848 |
WM 2004, 1581 |
WuB 2004, 845 |
ZIP 2004, 1409 |
AG 2004, 508 |
DNotZ 2005, 59 |
MDR 2004, 1192 |
GmbHR 2004, 1151 |
AR 2004, 10 |
LMK 2004, 209 |
SJ 2004, 37 |