Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass eines Mahnbescheids. Verjährungshemmung. Rechtsmissbrauch. bewusst wahrheitswidrige Erklärung. Erbrachte Gegenleistung. Zurückweisung eines unzulässigen Mahnbescheidsantrags. Erschleichen eines Mahnbescheids. Bewusst falsche Angaben. Hemmungswirkung
Leitsatz (amtlich)
Die Berufung auf eine durch Erlass eines Mahnbescheids eingetretene Verjährungshemmung kann im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Mahnbescheidsantrag die bewusst wahrheitswidrige Erklärung enthält, dass die Gegenleistung bereits erbracht sei.
Normenkette
BGB §§ 204, 242; ZPO §§ 690-691
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 17.03.2011; Aktenzeichen 31 S 13012/10) |
AG München (Entscheidung vom 15.06.2010; Aktenzeichen 191 C 23390/09) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 31. Zivilkammer des LG München I vom 17.3.2011 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Beklagte bestellte am 5.5.2005 bei der Klägerin, die in M. Möbelhäuser betreibt, telefonisch zu einem Gesamtpreis von 1.296 EUR verschiedene Möbelstücke. Deren Artikelnummern listete sie am folgenden Tage in einer E-Mail, welche sie unter ihrer bei ihrem damaligen Arbeitgeber bestehenden E-Mail-Adresse versandte, noch einmal auf. Die Klägerin verlangt die Bezahlung dieser bei ihr nicht abgeholten Möbelstücke Zug um Zug gegen deren Übergabe. Unter dem 22.12.2008 hat sie einen Mahnbescheid über den Kaufpreisbetrag nebst Zinsen beantragt, der am 23.12.2008 erlassen und der Beklagten am 13.2.2009 zugestellt worden ist. In dem von ihrem Prozessbevollmächtigten eingereichten Antragsformular war angegeben, dass der Anspruch von einer Gegenleistung abhänge, diese aber erbracht sei.
Rz. 2
Das AG hat der Klage stattgegeben. Das LG hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Übergabe der näher bezeichneten Möbelstücke, weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 3
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 5
Es sei zwar, wie erstinstanzlich festgestellt, davon auszugehen, dass die Beklagte Vertragspartnerin der Klägerin geworden sei. Die Klägerin könne sich aber entgegen der Auffassung des AG nicht auf eine durch den Mahnbescheid bewirkte Hemmung der Verjährung berufen. Denn sie habe in dem Mahnantrag nicht nur versehentlich, sondern bewusst wahrheitswidrig erklärt, dass die Gegenleistung bereits erbracht sei, um sich dadurch, ohne die Klage sofort begründen zu müssen, schnell einen Titel zu verschaffen. Diese Fallgestaltung könne auch nicht mit einer Verjährungshemmung bei Zurückweisung eines unzulässigen Mahnantrages gleichgesetzt werden, da das Mahngericht keine Möglichkeit gehabt habe, die Angabe zur Erbringung der Gegenleistung zu überprüfen und den Antrag aus diesem Grunde als unzulässig zurückzuweisen. Bei einem solchen Vorgehen sei - wie bereits das OLG München in einem Urteil vom 4.12.2007 (5 U 3479/07) entschieden habe - ein Berufen der Klägerin auf die durch den (fehlerhaft) erlassenen Mahnbescheid eingetretene Verjährungshemmung wegen des Erschleichens seines Erlasses durch falsche Angaben als rechtsmissbräuchlich anzusehen.
II.
Rz. 6
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand, so dass die Revision zurückzuweisen ist.
Rz. 7
Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts, gegen die die Revision nichts Erhebliches vorbringt, hat die Klägerin die von ihr im Mahnantrag gem. § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO geforderte Erklärung, dass der Anspruch nicht von einer Gegenleistung abhänge oder die Gegenleistung erbracht sei, bewusst falsch abgegeben. Das Berufungsgericht hat deshalb zu Recht angenommen, dass die Klägerin wegen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) gehindert ist, sich auf die durch Einreichung des Mahnantrages vor Ablauf der Verjährungsfrist (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB) gem. § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB, § 167 ZPO eingetretene Hemmung der von der Beklagten geltend gemachten Verjährung des erhobenen Kaufpreisanspruchs (§§ 433 Abs. 2, 214 Abs. 1 BGB) zu berufen.
Rz. 8
1. Allerdings kommt es nach der Rechtsprechung des BGH für den Eintritt der Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB nicht auf die Zulässigkeit, sondern allein auf die Wirksamkeit des auf den Mahnantrag erlassenen und zugestellten Mahnbescheides an, so dass bei hinreichender Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs dessen Verjährung auch dann gehemmt wird, wenn der Mahnantrag an Mängeln leidet oder sogar unzulässig ist oder wenn für die darin erhobene Forderung - von der Sachbefugnis abgesehen - noch nicht sämtliche Anspruchsvoraussetzungen vorliegen (BGH, Urt. v. 24.1.1983 - VIII ZR 178/81, BGHZ 86, 313, 322 ff.; v. 5.5.1988 - VII ZR 119/87, BGHZ 104, 268, 273; v. 8.5.1996 - XII ZR 8/95, NJW 1996, 2152 unter 2b aa; v. 12.4.2007 - VII ZR 236/05, BGHZ 172, 42 Rz. 43; ähnlich zur verjährungshemmenden Wirkung der Zustellung eines Antrages im selbständigen Beweisverfahren BGH, Urt. v. 22.1.1998 - VII ZR 204/96, NJW 1998, 1305 unter II 1). Davon geht auch das Berufungsgericht aus.
Rz. 9
2. Dies schließt es jedoch - wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei annimmt - nicht aus, dass sich bei Erschleichen eines Mahnbescheides durch bewusst falsche Angaben, die seinem Erlass entgegengestanden hätten, das Berufen auf eine derart verjährungshemmende Wirkung im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich darstellen kann.
Rz. 10
a) Von dieser grundsätzlich bestehenden Möglichkeit ist bereits der Gesetzgeber bei Schaffung des § 204 BGB ausgegangen. Denn er hat sich in der Gesetzesbegründung zu dem Hinweis veranlasst gesehen, dass die zur Verhinderung der missbräuchlichen Erlangung einer Verjährungshemmung getroffenen Regelungen nicht als abschließend zu verstehen seien, und seiner Erwartung Ausdruck gegeben, dass die Gerichte rechtsmissbräuchlichen Rechtsverfolgungsmaßnahmen keine Hemmungswirkung zubilligen würden (BT-Drucks. 14/6857, 44). Dementsprechend geht auch die Rechtsprechung des BGH dahin, dass Fallgestaltungen, in denen ein Gläubiger im Einzelfall mit Hilfe unzulässiger oder unbegründeter Anträge in missbräuchlicher Weise versuchen sollte, die Hemmung der Verjährung herbeizuführen, durch Anwendung von § 242 BGB begegnet werden kann (BGH, Urt. v. 28.9.2004 - IX ZR 155/03, BGHZ 160, 259, 264 ff. m.w.N.; v. 6.7.1993 - VI ZR 306/92, BGHZ 123, 337, 345).
Rz. 11
b) Soweit in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum neben der Frage, ob ein aufgrund objektiv falscher Angaben des Antragstellers erlassener Mahnbescheid zur Herbeiführung einer Verjährungshemmung geeignet ist (vgl. OLG Koblenz, NJOZ 2005, 1997, 1999; Musielak/Voit, ZPO, 8. Aufl., § 693 Rz. 4; Schüler in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 688 Rz. 12), auch die Frage erörtert wird, wie es sich etwa bei einer vorsätzlich falschen Erklärung des Antragstellers zu den von § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO geforderten Umständen verhält, wird die Auffassung vertreten, dass eine Berufung des Antragstellers auf die verjährungshemmende Wirkung eines zugestellten Mahnbescheids rechtsmissbräuchlich sei. Denn bei wahrheitsgemäßen Angaben im Mahnantrag hätte das Mahngericht den Antrag gem. § 691 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO als unzulässig zurückweisen müssen, so dass dem Antragsteller lediglich die Möglichkeit der verjährungshemmenden Klageerhebung geblieben wäre. Beschreite ein Kläger in einem derartigen Fall gleichwohl den Weg des Mahnverfahrens in der nahe liegenden Absicht, die Klage nicht sofort begründen zu müssen, nutzte er treuwidrig eine formale Rechtsposition aus, wenn er sich auf die verjährungshemmende Wirkung des zugestellten Mahnbescheids berufe (OLG München, Urt. v. 4.12.2007 - 5 U 3479/07, juris Rz. 86; ähnlich Wagner, ZfIR 2005, 856, 858 f.; vgl. ferner OLG Oldenburg FamRZ 2010, 1098 für den unter Verschleierung der Vermögensverhältnisse bewusst falschen Prozesskostenhilfeantrag).
Rz. 12
c) Das Berufungsgericht hat sich dem unter Zugrundelegung der rechtsfehlerfreien Feststellung angeschlossen, die Klägerin habe bewusst wahrheitswidrig erklärt, dass die Gegenleistung bereits erbracht sei, um sich dadurch schnell einen Titel zu verschaffen, ohne die Klage sofort begründen zu müssen. Die getroffene Wertung, die Klägerin nutze ihre durch diese Täuschungshandlung erschlichene formale Rechtsposition treuwidrig aus, wenn sie sich auf die verjährungshemmende Wirkung des zugestellten Mahnbescheids berufe, lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
Fundstellen
Haufe-Index 2906829 |
NJW 2012, 8 |
NJW 2012, 995 |
BauR 2012, 996 |
EBE/BGH 2012, 59 |
FamRZ 2012, 542 |
WM 2012, 560 |
DGVZ 2012, 123 |
MDR 2012, 363 |
NJ 2012, 384 |
ZfBR 2012, 348 |
ZfS 2012, 385 |
GuT 2012, 58 |