Leitsatz (amtlich)
Zur Haftung des Kommissionärs im Falle der Aufhebung des Ausführungsgeschäfts im börslichen Freiverkehr wegen Mistrade.
Normenkette
HGB §§ 384-385, 394
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des OLG Schleswig vom 20.12.2018 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten um die Haftung der beklagten Bank als Kommissionärin nach der Aufhebung eines börslichen Wertpapiergeschäfts wegen Mistrade.
Rz. 2
Die Parteien unterhielten Geschäftsbeziehungen, denen die Sonderbedingungen der Beklagten für Wertpapiergeschäfte zugrunde lagen (künftig: SB Wp; soweit hier von Bedeutung inhaltsgleich WM 2007, 1768 ff.). Der Kläger ist beruflich mit dem Handel von Wertpapieren und Derivaten befasst, so bei der ... Bank mit "Aktienderivate Sales". Er tätigte nach eigenem Vortrag seit dem Jahr 2008 über die Beklagte jährlich 100 bis 150 Wertpapiertransaktionen mit einem jährlichen Volumen von rund 15 Mio. EUR. Am 3.6.2011 vereinbarte er mit der Beklagten, sie solle auf eigenen Namen, aber für seine Rechnung 5.000 Stück Wertpapiere (ISIN: DE ...) mit der Bezeichnung "RC ..." der M. GmbH (künftig: Emittentin) erwerben. Die Beklagte betraute die D. ... AG (künftig: D...) mit der Ausführung, die die Wertpapiere noch am 3.6.2011 um 10:22 Uhr an der Frankfurter Wertpapierbörse (künftig auch: FWB) im Freiverkehr ("Scoach Premium Trading") zum Preis von 40,14 EUR pro Stück erwarb.
Rz. 3
Die Emittentin stellte nach Abschluss des Geschäfts einen Antrag auf Aufhebung von Geschäften (Mistrade-Antrag) nach § 24 der Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse (Stand: 23.5.2011; künftig: Bedingungen). Zur Begründung machte sie geltend, das Geschäft sei zu einem offensichtlich nicht marktgerechten Preis zustande gekommen. Marktgerecht sei ein Preis von 51,50 EUR. Die Geschäftsführung der FWB gab dem Antrag statt und hob das Geschäft am 3.6.2011 wegen offensichtlicher Preisabweichung auf. Die Beklagte unterrichtete den Kläger. Daraufhin wies der Kläger die Beklagte an, gegen diese Entscheidung vorzugehen, ohne konkrete Weisungen zu erteilen. Ein Mitarbeiter der Beklagten äußerte noch am 3.6.2011 telefonisch gegenüber einem Mitarbeiter der FWB, der Kläger sei mit der Aufhebung des Geschäfts nicht einverstanden. Er versandte an Bedienstete der FWB am 10.6.2011 nach einem neuerlichen Telefonat mit dem Kläger eine E-Mail mit einem vom Kläger konkret vorgegebenen Text, die wie folgt lautete:
"Sehr geehrte Damen und Herren, wir weisen Sie rein vorsorglich darauf hin, dass unser Kunde, wie wir bereits am 03.06.11 telefonisch mitgeteilt [haben], mit der Aufhebung des Geschäftes nicht einverstanden ist. Freundliche Grüße"
Rz. 4
Ein weiterer Mitarbeiter der Beklagten richtete vom Kläger aufgefordert am 23.11.2011 eine weitere E-Mail an Bedienstete der FWB, die folgenden Wortlaut hatte:
"Sehr geehrte [...], am 03.06.2011 um 10.22 Uhr erwarb unser Kunde 5000 Silberzertifikate (...) des Emittenten M. zu je 40,14 Euro an der Frankfurter Börse Scoach. Dieser Geschäftsabschluss wurde nachträglich wieder aufgehoben, womit unser Kunde jedoch nicht einverstanden war, was wir Ihnen sowohl telefonisch am 03.06.2011 als auch schriftlich per email vom 10.06.2011 15.55 Uhr mitgeteilt haben. Bisher ist eine Reaktion Ihrerseits nicht erfolgt, weshalb unser Kunde Sie hiermit letztmalig auffordert, eine Verschaffung der 5000 Stück zum damaligen Kaufpreis von je 40,14 Euro zu veranlassen. Gleichzeitig erteilt unser Kunde einen unlimitierten Verkaufsauftrag über diese 5000 Stück zum heutigen Kassakurs an der Frankfurter Börse Scoach, bzw. zum aktuellen Geldkurs. Freundliche Grüße"
Rz. 5
Die FWB reagierte auf diese Äußerungen nicht.
Rz. 6
Die Klage auf Zahlung der Differenz zwischen dem zuerst gültigen Kaufpreis von 40,14 EUR und einem vom Kläger unterstellten Verkaufspreis eines fiktiven Verkaufs am 23.11.2011 von 49,25 EUR, insgesamt auf Zahlung von 45.550 EUR nebst Zinsen, und auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Kosten der Rechtsverfolgung hat das LG abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er sein Klagebegehren gestützt auf die Delkrederehaftung der Beklagten und ihre Haftung wegen der Verletzung vertraglicher Pflichten nach Aufhebung des Ausführungsgeschäfts weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
A.
Rz. 7
Die Revision ist im Umfang des Revisionsangriffs statthaft (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Weder aus der Entscheidungsformel des Berufungsurteils noch aus den Gründen ergibt sich insoweit eine Einschränkung der Zulassung. Die vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde, mit der der Kläger eine Zulassung erstrebt, soweit das Berufungsgericht die Delkrederehaftung der Beklagten nicht in Gänze zum Gegenstand seiner Zulassung gemacht haben sollte, ist damit gegenstandslos (vgl. BGH, Urt. v. 22.11.2016 - XI ZR 434/15, BGHZ 213, 52 Rz. 6).
B.
Rz. 8
Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, weder greife die Delkrederehaftung noch sei die Beklagte dem Kläger wegen der Verletzung einer Vertragspflicht nach Aufhebung des Ausführungsgeschäfts zur Zahlung verpflichtet.
I.
Rz. 9
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (OLG Schleswig WM 2020, 126 ff.) - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - ausgeführt:
Rz. 10
Eine Delkrederehaftung der Beklagten sei nicht eröffnet. Zwar sei zwischen den Parteien ein Kommissionsvertrag zustande gekommen. Die Haftung nach § 394 Abs. 1 HGB in Verbindung mit Nr. 9 SB Wp setze indessen eine wirksame Verbindlichkeit aus dem Ausführungsgeschäft voraus. Daran fehle es, weil aufgrund der bestandskräftigen Aufhebung des Ausführungsgeschäfts eine Forderung gegen den Handelspartner nicht bestehe.
Rz. 11
Die Beklagte sei dem Kläger auch nicht wegen einer schuldhaften Verletzung einer Vertragspflicht nach Aufhebung des Ausführungsgeschäfts zum Schadensersatz verpflichtet. Der Kommissionär sei grundsätzlich nicht verpflichtet, den Kommittenten darüber zu beraten, wie er gegen die Aufhebung des Ausführungsgeschäfts vorgehen könne. Die Beklagte habe weder gegen eine Weisung des Klägers noch gegen eine Warn- oder Hinweispflicht noch gegen eine sonstige vertragliche Verpflichtung verstoßen.
Rz. 12
Das LG habe mit Tatbestandswirkung festgestellt, dass der Kläger einen Mitarbeiter der Beklagten zunächst angewiesen habe, gegen die Entscheidung der FWB vorzugehen, ohne zu erklären, was genau zu tun sei. Nach dem Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erster Instanz habe der Kläger stets ganz konkrete Angaben, also auch hinsichtlich des Telefonats, gemacht. Der Mitarbeiter der Beklagten habe daraufhin entsprechend der Anweisung mit der FWB telefoniert und mitgeteilt, dass der Kläger mit der Aufhebung des Geschäfts nicht einverstanden sei. Der Kläger habe am 10.6.2011 erneut mit dem Mitarbeiter der Beklagten telefoniert und ihn angewiesen, eine E-Mail mit einem vom Kläger konkret vorgegebenen Text an die Beklagte zu versenden. Dies habe der Mitarbeiter der Beklagten getan. Ebenso sei ein weiterer Mitarbeiter der Beklagten am 23.11.2011 verfahren. Damit habe die Beklagte exakt die Maßnahmen ergriffen, die der Kläger von ihr verlangt habe.
Rz. 13
Soweit der Kläger nunmehr vortrage, es sei aus seiner Weisung am 3.6.2011 für die Beklagte erkennbar gewesen, dass sie die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen habe, könne dem schon deshalb nicht gefolgt werden, weil der Kläger ausweislich seiner Einlassung in der mündlichen Verhandlung erster Instanz selbst nicht gewusst habe, auf welchem Weg gegen die Aufhebung des Ausführungsgeschäfts vorzugehen sei. Ob er lediglich einen Anruf bei der FWB oder die Einlegung eines "formellen Widerspruchs" gewollt habe, sei seiner Anweisung nach eigenen Angaben nicht eindeutig zu entnehmen gewesen. Verantwortlich für den Widerspruch sei der Kläger selbst und nicht die Beklagte gewesen. Die Beklagte habe weder eine Rechtsberatung geschuldet noch "die Einlegung eines formellen Widerspruchs gegen die Entscheidung" der FWB. Es überspanne die Anforderungen an die Beklagte als Kommissionärin im Rahmen der ihr obliegenden Interessenwahrnehmungspflicht, sie ohne konkrete Weisung zu verpflichten, für den Kläger als Kommittenten formell Widerspruch einzulegen. Darauf, ob sie eine konkrete Weisung hätte einholen können, komme es angesichts der letztlich konkret erteilten Weisungen des Klägers hinsichtlich der Versendung der von ihm verfassten E-Mails nicht an. Die konkrete Übernahme der Aufgabe, schriftlich Widerspruch gegen die Aufhebung des Ausführungsgeschäfts einzulegen, habe der Kläger weder vorgetragen noch sei sie sonst ersichtlich. Auch nach den Angaben des Klägers sei zum Zeitpunkt der Gespräche der Parteien über ein Vorgehen gegen die Entscheidung der FWB weder dem Kläger noch der Beklagten klar gewesen, was konkret zu unternehmen sei.
II.
Rz. 14
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
Rz. 15
1. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht zu der Auffassung gelangt, die Beklagte sei dem Kläger nicht nach § 394 Abs. 1 HGB in Verbindung mit Nr. 9 SB Wp zur Zahlung verpflichtet.
Rz. 16
a) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, zwischen den Parteien sei ein Kommissionsvertrag i.S.d. §§ 383 ff. HGB vereinbart worden. Dies weist Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers nicht auf.
Rz. 17
b) Das Berufungsgericht hat weiter rechtsfehlerfrei angenommen, aus § 394 Abs. 1 HGB in Verbindung mit Nr. 9 SB Wp lasse sich eine Haftung der Beklagten schon dem Grunde nach nicht herleiten, weil die Beklagte gem. § 394 Abs. 2 Satz 1 HGB einwenden könne, dass eine wirksame Verbindlichkeit aus dem Ausführungsgeschäft nicht bestehe (vgl. BGH, Urt. v. 25.6.2002 - XI ZR 239/01 WM 2002, 1687, 1688).
Rz. 18
aa) Nach § 394 Abs. 1 HGB hat der Kommissionär für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzustehen, wenn dies von ihm übernommen oder am Ort seiner Niederlassung Handelsbrauch ist. Die Delkrederehaftung der Beklagten beruht auf der vertraglichen Übernahme der Einstandspflicht gem. Nr. 9 SB Wp (Ensthaler/Achilles, GK-HGB, 8. Aufl., § 394 Rz. 1), auf die auch der Kläger sein Begehren stützt.
Rz. 19
bb) In der Übernahme der Delkrederehaftung nach Nr. 9 SB Wp liegt keine Erweiterung der Haftung über das gesetzlich in § 394 Abs. 2 Satz 1 HGB Vorgesehene hinaus.
Rz. 20
Nach § 394 Abs. 2 Satz 1 HGB besteht eine Delkrederehaftung nur, soweit die Erfüllung aus dem Vertragsverhältnis vom Handelspartner gefordert werden kann (BGH, Urt. v. 25.6.2002 - XI ZR 239/01 WM 2002, 1687, 1688; OLG Nürnberg WM 2015, 2146, 2148; Ensthaler/Achilles, GK-HGB, 8. Aufl., § 394 Rz. 6; Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 39. Aufl., § 394 Rz. 4; für die Erfüllungshaftung nach § 384 Abs. 3 HGB auch BGH, Urt. v. 23.6.2015 - XI ZR 386/13, BGHZ 206, 63 Rz. 16). Nr. 9 SB Wp, der eine Haftung "für die ordnungsgemäße Erfüllung des Ausführungsgeschäfts" anordnet, ändert nach seinem eindeutigen Wortlaut an der Akzessorietät der Delkrederehaftung nichts. Damit schützen § 394 Abs. 1 HGB, Nr. 9 SB Wp den Kunden nicht vor der Unwirksamkeit oder dem nachträglichen Wegfall des Ausführungsgeschäfts (vgl. Braun in Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Bank- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., Rz. 17.321; Hammen, WuB 2020, 197, 198; Jaskulla, WuB 2016, 96, 97). Das gilt gem. Nr. 3 Abs. 1 SB Wp auch, soweit die Unwirksamkeit oder der nachträgliche Wegfall des im börslichen Freiverkehr geschlossenen Ausführungsgeschäfts auf börsenrechtlichen Regelungen beruht (vgl. Braun, a.a.O., Rz. 17.253; Zahrte in Bunte/Zahrte, AGB-Banken, AGB-Sparkassen, Sonderbedingungen, 5. Aufl., SB Wp Rz. 68; F. Schäfer in Assmann/Schütze/Buck-Heeb, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 5. Aufl., § 13 Rz. 67; MünchKomm/HGB/Ekkenga, 4. Aufl., Effektengeschäft Rz. 541; Hopt, a.a.O.; Fleckner/Vollmuth, WM 2004, 1263, 1276).
Rz. 21
cc) Die Geschäftsführung der FWB hat das Ausführungsgeschäft wirksam aufgehoben. Darauf, ob sie das Ausführungsgeschäft materiell zu Recht aufgehoben hat, kommt es für den Ausschluss der Delkrederehaftung der Beklagten nicht an (vgl. U. Schäfer, BKR 2015, 459, 462). Damit gehen die von der Revision insoweit erhobenen Verfahrensrügen ins Leere.
Rz. 22
In der Aufhebung des Ausführungsgeschäfts durch die Geschäftsführung der FWB lag ein wirksamer privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt (vgl. Kumpan in Baumbach/Hopt, HGB, 39. Aufl., § 24 BörsG Rz. 13; Hammen, WuB 2020, 197, 198; Heuser, Mistrades bei Börsengeschäften, 2013, S. 68 ff.; Jaskulla, WM 2012, 1708, 1714 f.; Lindfeld, Die Mistrade-Regeln, 2008, S. 53 ff.). Er vernichtete das Ausführungsgeschäft. Sein verfügender Teil entfaltete Tatbestandswirkung (vgl. dazu zuletzt BGH, Urt. v. 4.8.2020 - II ZR 174/19 WM 2020, 1728 Rz. 35 ff., zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
Rz. 23
Der Geschäftsführung der FWB als teilrechtsfähiger Anstalt des öffentlichen Rechts gem. § 2 BörsG war die Handlungsform des Verwaltungsakts eröffnet (Kumpan in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 5. Aufl., § 2 BörsG Rz. 24). Die Geschäftsführung konnte sich bei der Aufhebung im Jahr 2011 auf § 15 Abs. 4 Satz 1 und 2 BörsG in der bis zum 2.1.2018 geltenden Fassung bzw. auf ihre Eilkompetenz nach § 7 Abs. 5 Satz 2 BörsG i.V.m. § 48 Abs. 3 Satz 2 BörsG in der vom 26.3.2009 bis zum 31.5.2012 geltenden Fassung (künftig: a.F.) i.V.m. §§ 23 ff. der Bedingungen stützen (Lindfeld, Die Mistrade-Regeln, 2008, S. 84 ff. zur Vorgängerregelung des § 7 Abs. 5 Satz 2 BörsG in § 4 Abs. 5 Satz 2 BörsG). Der Aufhebungsbescheid war und ist wirksam und inzwischen bestandskräftig.
Rz. 24
2. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht außerdem einen Anspruch des Klägers auf Ersatz des Erfüllungsschadens wegen der Verletzung einer aus dem Kommissionsvertrag folgenden Vertragspflicht nach Aufhebung des Ausführungsgeschäfts gem. § 280 Abs. 1 BGB, §§ 384 Abs. 1, 385 Abs. 1 HGB verneint. Jedenfalls aus diesem Grund steht der Tatbestandswirkung des verfügenden Teils des Aufhebungsbescheids im Verhältnis zur Beklagten der Rechtsgedanke des § 162 Abs. 2 BGB nicht entgegen.
Rz. 25
a) Die Beklagte hat zunächst ihre aus dem Kommissionsvertrag resultierende Pflicht erfüllt, den Kläger gem. § 384 Abs. 2 Halbs. 1 HGB und §§ 675 Abs. 1, 666 BGB über die Aufhebung des Ausführungsgeschäfts zu unterrichten (vgl. BGH, Urt. v. 25.6.2002 - XI ZR 239/01 WM 2002, 1687, 1689; BGH, Urt. v. 9.12.1958 - VIII ZR 165/57, WM 1959, 269, 271; Ensthaler/Achilles, GK-HGB, 8. Aufl., § 384 Rz. 9; Fleckner, WM 2011, 585, 590; HK-HGB/Psaroudakis, 3. Aufl., § 384 Rz. 5; Schlegelberger/Hefermehl, HGB, 5. Aufl., § 384 Rz. 23). Eine von einer Weisung unabhängige Pflicht des Kommissionärs, der Aufhebung unverzüglich zu widersprechen, besteht entgegen der Rechtsmeinung der Revision nicht. Der Kommittent kann von Fall zu Fall ein Interesse daran haben, es ohne Rücksicht auf ihre Rechtmäßigkeit bei den Rechtsfolgen der Aufhebung durch eine staatliche Stelle zu belassen. Der Entscheidung des Kommittenten, die Aufhebung bestandskräftig werden zu lassen, darf der Kommissionär nicht vorgreifen.
Rz. 26
b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte der Weisung nach § 384 Abs. 1 Halbs. 2 HGB, die Aufhebung im Namen des Klägers telefonisch und per E-Mail zu beanstanden, entsprochen.
Rz. 27
c) Eine Weisung, schriftlich für den Kläger, jedenfalls aber in Übereinstimmung mit § 42 Abs. 2 VwGO (vgl. VG Frankfurt/M., Urt. v. 5.4.2004 - 9 E 4690/02, juris Rz. 20 f.), gegen Kostenerstattung nach §§ 675 Abs. 1, 670 BGB (vgl. OLG Hamburg, BeckRS 2015, 2380) und in der Form des § 70 Abs. 1 VwGO in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung durch die D... als Adressatin des privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakts Widerspruch einzulegen, hat der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht erteilt, so dass die Beklagte nicht nach § 385 Abs. 1 HGB haftet.
Rz. 28
Der Inhalt einer Weisung, die auch konkludent erteilt werden kann, ist durch Auslegung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte (§ 157 BGB) zu ermitteln (Staub/Koller, HGB, 5. Aufl., § 384 Rz. 57). Die Auslegung des Inhalts der Weisung des Klägers obliegt als Individualerklärung dem Tatrichter. Sie kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt oder wesentlichen Auslegungsstoff außer Acht gelassen hat (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 25.6.2002 - XI ZR 239/01 WM 2002, 1687, 1688; v. 12.4.2016 - XI ZR 305/14, BGHZ 210, 30 Rz. 49; v. 9.1.2018 - XI ZR 17/15, BGHZ 217, 178 Rz. 36).
Rz. 29
Dies ist entgegen den Einwänden der Revision nicht der Fall. Die von der Revision in diesem Zusammenhang geltend gemachten Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO). Die vom Berufungsgericht bei der Würdigung der Erklärungen des Klägers mit herangezogene und von ihm inhaltlich vorgegebene E-Mail vom 10.6.2011, die als Begleitumstand den Sinngehalt der Erklärung vom 3.6.2011 erhellen konnte, legt mehr als nahe, der Kläger habe - wie aus der Bezugnahme auf das am 3.6.2011 geführte Telefonat in der von ihm vorformulierten E-Mail vom 10.6.2011 ersichtlich - bereits am 3.6.2011 von der Beklagten nicht mehr und nichts anderes erwartet als eine fernmündliche Intervention in seinem Namen.
Rz. 30
d) Eine Haftung der Beklagten ist, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei erkannt hat, auch nicht deshalb begründet, weil die Beklagte nicht nach § 385 Abs. 2 HGB und §§ 675 Abs. 1, 665 Satz 2 BGB von einer Weisung des Klägers abgewichen ist und schriftlich unter Verweis auf § 14 Abs. 1 Satz 1 HessVwVfG durch die D... als Adressatin form- und fristgerecht Widerspruch eingelegt oder die Äußerungen des Klägers nicht als Weisung verstanden hat, die Rechtslage zu prüfen und sodann aufgrund eigener rechtskundiger Entschließung durch die D... gegen die Aufhebung vorzugehen.
Rz. 31
aa) Ob sich aus § 385 Abs. 2 HGB, § 665 Satz 2 BGB nicht nur das Recht, sondern auch eine Pflicht zur Abweichung von einer Weisung - hier: einer Weisung zur telefonischen Weitergabe und Weitergabe per E-Mail einer eigenen Beanstandung des Klägers - ergeben kann, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (Erman/Berger, BGB, 15. Aufl., § 665 Rz. 11; Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., § 665 Rz. 6 a.E.). Diese sprechen hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts dagegen. Weder war mit dem Aufschub bis zur Entschließung des Auftraggebers bei der Frage, wer in welcher Form einen Rechtsbehelf oder ein Rechtsmittel einlegen solle, im Verhältnis zu dem für die Beklagte ohne Weiteres erreichbaren Kläger Gefahr verbunden (vgl. Ensthaler/Achilles, GK-HGB, 8. Aufl., § 385 Rz. 3), noch musste sich der Beklagten aufdrängen, dass ein förmlicher Widerspruch durch die D... vom Kläger gebilligt werde.
Rz. 32
bb) Der Kommissionsvertrag bietet entgegen der Rechtsauffassung der Revision über die allgemeinen Nebenpflichten hinaus auch unabhängig davon, dass die Beklagte keine nach §§ 3, 5 Abs. 1 RDG erlaubte Rechtsdienstleistung erbracht hätte, wenn sie sich mit der Prüfung der Voraussetzungen einer erfolgreichen Rechtsverteidigung gegen die Aufhebungsentscheidung und deren Durchführung gemäß der von ihr ermittelten Rechtslage hätte betrauen lassen, keine Grundlage für eine Rechtsberatung über die formellen Voraussetzungen eines Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels gegen privatrechtsgestaltende Verwaltungsakte und deren materiell-rechtliche Erfolgsaussichten.
Fundstellen
Haufe-Index 14191774 |
EWiR 2021, 33 |
WM 2020, 2079 |
WuB 2021, 26 |
ZIP 2020, 2279 |
AG 2020, 909 |
JZ 2020, 696 |
JZ 2020, 760 |
JZ 2021, 378 |
JZ 2021, 575 |
MDR 2020, 1453 |
BKR 2021, 108 |
ZBB 2020, 399 |
IHR 2021, 207 |