Entscheidungsstichwort (Thema)
Bauzeitverlängerung. Entschädigung für Bauzeitverzögerung. Bemessungsgrundlage für Umsatz. Steuerbare Leistung. Umsatzsteuerpflicht
Leitsatz (amtlich)
a) Der gem. § 642 BGB zu zahlenden Entschädigung liegt eine steuerbare Leistung des Unternehmers zugrunde. Diese Entschädigung ist Entgelt i.S.v. § 10 Abs. 1 UStG und damit Bemessungsgrundlage für den Umsatz.
b) Die gem. § 2 Nr. 5 VOB/B zu zahlende geänderte Vergütung ist Entgelt i.S.v. § 10 Abs. 1 UStG für die geänderte Leistung des Auftragnehmers und damit Bemessungsgrundlage für den Umsatz.
c) § 6 Nr. 6 VOB/B gewährt dem Auftragnehmer einen Schadensersatzanspruch, dem keine steuerbare Leistung zugrunde liegt, so dass hierfür eine Umsatzsteuerpflicht ausscheidet.
Leitsatz (redaktionell)
1. Unerheblich für einen steuerbaren Umsatz ist es, ob die Gegenleistung nach der zivilrechtlichen Dogmatik als Schadensersatz oder als Vergütung bezeichnet wird. Nicht erforderlich ist es auch, dass dem Leistungsaustausch ein rechtlich verbindliches Verpflichtungsgeschäft zugrunde liegt. Entscheidend ist allein, ob die Zahlung der Summe mit einer Leistung des Steuerpflichtigen in einer Wechselbeziehung steht. Das Verhalten des Leistenden muss darauf abzielen oder zumindest geeignet sein, ein Entgelt für die erbrachte Leistung auszulösen.
2. Zum amtlichen Leitsatz c: Soweit aus der Entscheidung des Senats vom 21.03.1968 VII ZR 84/67 eine andere Auffassung abzuleiten sein könnte, hält der Senat hieran nicht fest.
Normenkette
UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1; BGB § 642; VOB/B § 2 Nr. 5, § 6 Nr. 6; BGB § 249
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 27. Zivilsenats des KG vom 22.11.2005 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von mehr als 94.846,77 EUR und Zinsen verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Die Klägerin macht Ansprüche wegen Bauzeitverlängerung geltend.
[2] Die Beklagte beauftragte unter Vereinbarung der VOB/B die Klägerin im Mai 1998 mit Heizungs-, Lüftungs-, Sanitär- und MSR-Leistungen, die nach der ursprünglichen Planung Ende Mai 1999 fertiggestellt sein sollten. In der Folgezeit vereinbarten die Parteien zahlreiche Nachträge.
[3] Mit Schreiben vom 18.11.1998 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sich die Fertigstellung des Bauvorhabens um zwei bis drei Monate verschiebe. Ihr, der Beklagten, sei bewusst, dass die Auftragnehmer Mehrkosten anmelden könnten. In der Folgezeit erstellte die Beklagte mehrere aktualisierte Terminpläne; zuletzt war ein Fertigstellungstermin im März 2001 vorgesehen. Die Klägerin stellte ihre Leistungen im Mai 2001 fertig; die Beklagte nahm diese ab.
[4] Die Klägerin hat mit der Klage unter Berücksichtigung von Abschlagszahlungen rund 1 Mio. EUR verlangt. Das LG hat die Klage bis auf einen Betrag i.H.v. 53,15 EUR (= 103,96 DM) abgewiesen. Das Berufungsgericht hat der Klägerin weitere 109.960,62 EUR (= 215.064,28 DM) für eine Bauzeitverzögerung von drei Monaten zugesprochen. Dieser Betrag enthält Umsatzsteuer i.H.v. insgesamt 15.167 EUR. Mit der vom Senat in Höhe dieses Betrags zugelassenen Revision möchte die Beklagte die Abweisung der Klage insoweit erreichen.
Entscheidungsgründe
[5] Die Revision führt zur teilweisen Aufhebung des Berufungsurteils und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
[6] Das Berufungsgericht hat es offen gelassen, ob der Anspruch der Klägerin aus § 2 Nr. 5 VOB/B, aus § 6 Nr. 6 VOB/B oder aus § 642 BGB folgt. Das Berufungsgericht hat wegen des Schreibens der Beklagten vom 18.11.1998 und des weiteren Verhaltens der Beklagten angenommen, die Beklagte trage die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Klägerin wegen einer Verzögerung von drei Monaten der insoweit geltend gemachte Anspruch nicht oder nicht in voller Höhe zustehe. Der Ersatzanspruch sei, selbst wenn dieser aus § 6 Nr. 6 VOB/B herzuleiten wäre, zumindest ein vergütungsähnlicher Anspruch, so dass insoweit Umsatzsteuer anfalle.
II.
[7] Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
[8] 1. Auch ohne eine besondere Vereinbarung ist davon auszugehen, dass die Beklagte nach dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag zur Zahlung von Umsatzsteuer nur insoweit verpflichtet ist, wie die Klägerin steuerbaren Umsatz hatte; soweit die Klägerin dagegen allein gem. § 14 Abs. 2 oder 3 UStG a.F. (§ 14c UStG n.F.) verpflichtet sein sollte, Umsatzsteuer abzuführen, weil sie in ihrer Rechnung Umsatzsteuer ausgewiesen hat, kann dies eine entsprechende Zahlungspflicht der Beklagten nicht begründen (vgl. BGH, Urt. v. 22.11.2007 - VII ZR 83/05, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Das Berufungsgericht hätte daher der Klägerin nicht Umsatzsteuer zusprechen dürfen ohne zu entscheiden, ob der Anspruch aus § 2 Nr. 5 VOB/B, § 642 BGB oder § 6 Nr. 6 VOB/B begründet ist, denn die Umsatzsteuerpflicht ist hinsichtlich dieser Ansprüche nicht einheitlich zu beurteilen. Ergibt sich der Anspruch aus § 2 Nr. 5 VOB/B, ist er auf die für die Leistung des Auftragnehmers zu entrichtende Vergütung gerichtet, die aufgrund der Änderung des Bauentwurfs oder anderer Anordnungen des Auftraggebers zu erhöhen ist. Damit erhöht sich auch die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer entsprechend (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG). Ebenso gewährt § 642 BGB einen Anspruch, bei dem Umsatzsteuer anfällt (dazu 2.). Dagegen besteht keine Umsatzsteuerpflicht, soweit der Auftraggeber gem. § 6 Nr. 6 VOB/B zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet ist (dazu 3.).
[9] 2. Einer gem. § 642 BGB zu zahlenden "Entschädigung" liegt eine steuerbare Leistung zugrunde.
[10] a) Steuerbarer Umsatz liegt vor, wenn zwischen der erbrachten Leistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, wobei die gezahlten Beträge die tatsächliche Gegenleistung für eine bestimmbare Leistung darstellen, die im Rahmen eines Rechtsverhältnisses, in dem gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, erbracht wurde (EuGH, Urt. v. 18.7.2007 - C-277/05, BFH/NV 2007, Beilage 4, S. 424 = IStR 2007, 667, Tz. 19; BGH, Urt. v. 22.11.2007 - VII ZR 83/05, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt). Unerheblich ist es, ob die Gegenleistung nach der zivilrechtlichen Dogmatik als Schadensersatz oder als Vergütung bezeichnet wird (vgl. BGH, Urt. v. 17.7.2001 - X ZR 71/99, BauR 2001, 1903, 1904 = NJW 2001, 3535 = ZfBR 2001, 534). Nicht erforderlich ist es auch, dass dem Leistungsaustausch ein rechtlich verbindliches Verpflichtungsgeschäft zugrunde liegt (BGH, Urt. v. 22.10.1997 - XII ZR 142/95, DB 1998, 875 = NJW-RR 1998, 803 = MDR 1998, 94 m.w.N.). Entscheidend ist allein, ob die Zahlung der Summe mit einer Leistung des Steuerpflichtigen in einer Wechselbeziehung steht. Das Verhalten des Leistenden muss darauf abzielen oder zumindest geeignet sein, ein Entgelt für die erbrachte Leistung auszulösen (BGH, Urt. v. 17.7.2001 - X ZR 71/99, BauR 2001, 1903, 1904 = NJW 2001, 3535 = ZfBR 2001, 534; v. 22.10.1997 - XII ZR 142/95, DB 1998, 875 = NJW-RR 1998, 803 = MDR 1998, 94 m.w.N.).
[11] b) Die Entschädigung gem. § 642 BGB, deren Rechtsnatur umstritten ist (vgl. Boldt, BauR 2006, 185, 193; Roskosny/Bolz, BauR 2006, 1804 ff.; Schilder, Der Anspruch aus § 642 BGB - Grundlagen und Berechnung der zusätzlichen Vergütung, 2006, S. 109 ff., jeweils m.w.N.), ist nach diesem steuerrechtlichen Verständnis ein Entgelt für Leistungen des Unternehmers, mit denen sie in einer Wechselbeziehung steht. Der Unternehmer wird dafür vergütet, dass er für den Besteller Kapital und Arbeitskraft bereithält (vgl. BGH, Urt. v. 7.7.1988 - VII ZR 179/87, BauR 1988, 739, 740). Dem entspricht, dass sich die Höhe der "Entschädigung" nach der Höhe der vereinbarten Vergütung bestimmt, § 642 Abs. 2 BGB. Die Vorschriften zur Berechnung von Schadensersatz, §§ 249 ff. BGB, sind dagegen nicht auf den Anspruch aus § 642 BGB anwendbar (BGH, Urt. v. 21.10.1999 - VII ZR 185/98, BGHZ 143, 32, 40).
[12] Der Annahme, dass mit dem Anspruch aus § 642 BGB eine steuerbare Leistung entgolten wird, steht das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 18.7.2007 (C-277/05, BFH/NV 2007, Beilage 4, S. 424 = IStR 2007, 667) nicht entgegen. Dort hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Angeld, das ein Gast bei einer Hotelbuchung zu zahlen hat, nicht Gegenleistung für eine steuerbare Leistung ist. Im Unterschied zu diesem Angeld, das im Falle der Vertragsdurchführung mit dem Übernachtungspreis verrechnet wird, besteht der Anspruch gem. § 642 BGB neben dem Anspruch auf die vereinbarte Vergütung (vgl. BGH, Urt. v. 21.10.1999 - VII ZR 185/98, a.a.O.). Zudem muss der Unternehmer in den Fällen des § 642 BGB über das bei der Vereinbarung der Vergütung angenommene Maß hinaus seine Leistung bereithalten; der Hotelbetreiber in dem vom Gerichtshof entschiedenen Fall erbringt dagegen mit der Freihaltung des reservierten Zimmers nur die Leistung, zu der er aufgrund des Beherbergungsvertrages ohnehin verpflichtet ist (vgl. EuGH, a.a.O., Tz. 23 ff.).
[13] 3. § 6 Nr. 6 VOB/B gewährt dagegen einen Schadensersatzanspruch, dem keine steuerbare Leistung zugrunde liegt.
[14] a) Die umsatzsteuerrechtliche Behandlung des Anspruchs aus § 6 Nr. 6 VOB/B in der Literatur ist nicht einheitlich (für die Annahme eines "echten" Schadensersatzes vgl. etwa OFD Berlin, Vfg. vom 21.8.2000, St 137-S 7100-4/00; Husmann in: Rau/Dürrwächter, UStG, Stand 2003, § 1 Rz. 443; Schuhmann in: Rau/Dürrwächter, UStG, Stand 2003, § 10 Rz. 65, S. 68/2; Probst in: Hartmann/Metzenmacher, UStG, Stand 8/05, E § 1 Abs. 1 Nr. 1 Rz. 298; Binner, BrBp 2005, 185, 189; Hochstadt/Matten, BauR 2003, 626, 632; für eine umsatzsteuerpflichtige Leistung hingegen z.B. Kapellmann/Schiffers, Vergütung, Nachträge und Behinderungsfolgen beim Bauvertrag, Bd. 1, 5. Aufl., Rz. 1497).
[15] b) Schadensersatzzahlungen gem. § 6 Nr. 6 VOB/B sind keine Gegenleistung für eine Leistung des Auftragnehmers an den Auftraggeber. Die Leistung des Auftragnehmers ist das Werk. Das Werk wird durch Behinderungen, die Ansprüche nach § 6 Nr. 6 VOB/B auslösen können, nicht verändert (vgl. OLG Düsseldorf BauR 1988, 487, 490; Vygen in: Vygen/Schubert/Lang, Bauverzögerung und Leistungsänderung, 5. Aufl., Rz. 307). Anders als im Fall des § 2 Nr. 5 VOB/B bleiben die Pflichten des Auftragnehmers und daher auch die Vergütung als Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer unverändert.
[16] Der Auftragnehmer erbringt aufgrund der Behinderungen im Unterschied zu § 642 BGB keine zusätzlichen steuerbaren Leistungen. Mit dem Schadensersatzanspruch wird der Ausgleich des Vermögensschadens verlangt, der sich aus Behinderungen ergibt, die sich als vertragliche Pflichtverletzungen erweisen. Dies gilt auch dann, wenn als Schaden Ersatz für die Kosten verlangt wird, die dem Auftragnehmer dadurch entstanden sind, dass er für die Herstellung des Werks zusätzlichen Aufwand hatte, etwa durch den zusätzlichen Einsatz eines Projekt- oder Bauleiters, wie dies die Klägerin hier u.a. geltend macht; auch dieser Aufwand ist keine Leistung an den Auftraggeber. Dem entspricht es, dass der nach § 6 Nr. 6 VOB/B zu ersetzende Schaden auf der Grundlage der §§ 249 ff. BGB errechnet wird. Soweit aus der Entscheidung des Senats vom 21.3.1968 (VII ZR 84/67, BGHZ 50, 25, 29 f.) eine andere Auffassung abzuleiten sein könnte, hält der Senat hieran nicht fest.
[17] 4. Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird die Feststellungen treffen müssen, die erforderlich sind, um beurteilen zu können, aus welchem Rechtsgrund die Klage begründet ist.
Fundstellen
Haufe-Index 1950336 |
BFH/NV Beilage 2008, 261 |
BGHZ 2008, 118 |
DB 2008, 578 |
HFR 2008, 874 |
UR 2008, 784 |
NJW 2008, 1523 |
GStB 2008, 425 |
NWB 2008, 1135 |
BGHR 2008, 529 |
BauR 2008, 821 |
DWW 2009, 5 |
DWW 2009, 7 |
EBE/BGH 2008, 91 |
IBR 2008, 202 |
ZfIR 2008, 724 |
MDR 2008, 499 |
MDR 2009, 311 |
ZfBR 2008, 361 |
BTR 2008, 79 |
BauSV 2009, 79 |
GK/BW 2008, 190 |
GuT 2008, 229 |
NJW-Spezial 2008, 173 |
NZBau 2008, 318 |
BBB 2008, 47 |
BFH/NV-Beilage 2008, 261 |
GK/Bay 2008, 280 |
SJ 2008, 10 |