Leitsatz (amtlich)
Sollte eine Bürgschaft, die eine leistungsunfähige Ehefrau 1992 für einen Warenkredit an eine GmbH, deren Geschäftsführer der Ehemann ist, nur Vermögensverlagerungen an die Ehefrau vorbeugen, so ist die Bürgschaftsklage wegen Rechtsmißbrauchs als zur Zeit unbegründet abzuweisen, solange sich dieses Risiko nicht verwirklicht hat.
Normenkette
BGB § 765
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Aktenzeichen 17 U 210/96) |
LG Mönchengladbach (Aktenzeichen 10 O 397/95) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten zu 1) wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 19. Dezember 1997 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten zu 1) erkannt worden ist.
Die Klage gegen die Beklagte zu 1) wird als zur Zeit unbegründet abgewiesen.
Die Gerichtskosten der ersten und zweiten Instanz tragen die Klägerin zu 30/47 und der Beklagte zu 2) zu 17/47. Die Gerichtskosten des Revisionsverfahrens tragen die Klägerin zu 3/4 und der Beklagte zu 2) zu 1/4.
Der Klägerin werden die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) auferlegt.
Der Beklagte zu 2) trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst. Ihm werden von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin im ersten und zweiten Rechtszug 17/47 und im Revisionsverfahren 1/4 auferlegt.
Ihre übrigen außergerichtlichen Kosten trägt die Klägerin selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte zu 1) (fortan: die Beklagte) aus einer – undatierten – selbstschuldnerischen Bürgschaft in Anspruch, die Ende April 1992 bis zum Höchstbetrag von 300.000 DM erteilt wurde „für alle Ansprüche” der Klägerin, die „aus ihren Lieferverträgen über Warenbezüge” gegen die GmbH (künftig: Hauptschuldnerin) „erwachsen sind oder erwachsen werden”. Die Beklagte hatte damals als kaufmännische Angestellte ein monatliches Bruttoeinkommen von 2.250 DM.
Der Ehemann der Beklagten, Geschäftsführer der Hauptschuldnerin und früherer Beklagter zu 2), übernahm damals eine gleichlautende Bürgschaft. Die Warenkreditschuld der Hauptschuldnerin hatte die Klägerin ab Ende Februar 1992 in Höhe von 75.000 DM versichern lassen. 1994 wurde diese Kreditversicherung auf 300.000 DM erhöht.
Seit Mai 1995 schuldet die Hauptschuldnerin der Klägerin aus der seit 1990 bestehenden Geschäftsbeziehung 476.738,17 DM wegen Warenlieferungen. Leistungen des Kreditversicherers erhielt die Klägerin nicht. Der Ehemann der Beklagten wurde aufgrund seiner Bürgschaft rechtskräftig verurteilt, an die Klägerin 176.738,17 DM nebst Zinsen zu zahlen.
Land- und Oberlandesgericht haben der Bürgschaftsklage gegen die Beklagte in Höhe von 300.000 DM nebst Zinsen stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte weiter die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Da die Revisionsbeklagte trotz rechtzeitiger Ladung im Verhandlungstermin nicht vertreten war, mußte auf Antrag der Revisionsklägerin durch Versäumnisurteil entschieden werden. Dieses Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge, sondern berücksichtigt den gesamten Sach- und Streitstand (vgl. BGHZ 37, 79, 82).
Die Revision hat den Erfolg, daß die Bürgschaftsklage gegen die Beklagte als zur Zeit unbegründet abzuweisen ist.
I.
Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei die von einem Juristen der Klägerin für den vorliegenden Fall entworfene Bürgschaftsurkunde nicht als Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 1 AGBG gewertet und den Individualvertrag der Parteien dahin ausgelegt, daß die Beklagte sich – neben ihrem Ehemann – als Mitbürgin für dieselbe Hauptschuld bis zum Höchstbetrag von 300.000 DM verpflichtet hat (§ 769 BGB). Insoweit rügt die Revision das angefochtene Urteil nicht.
II.
Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, daß die Bürgschaft der Beklagten nicht wegen Verstoßes gegen die guten Sitten unwirksam ist (§ 138 Abs. 1 BGB).
Dazu hat das Berufungsgericht ausgeführt: Es könne offenbleiben, ob im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Bürgschaftsvertrages ein krasses Mißverhältnis zwischen dem Umfang der Bürgenhaftung bis zu 300.000 DM und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Beklagten vorgelegen habe. Eine Bürgschaft sei nicht schon allein deshalb nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, weil der Bürge bei Vertragsschluß seine Schuld nicht erfüllen und dies auch für die Zukunft nur unter besonders günstigen Voraussetzungen erwartet werden könne. Die Verpflichtung des Bürgen sei vielmehr in aller Regel erst dann unwirksam, wenn er durch weitere, dem Gläubiger zurechenbare Umstände in seinen berechtigten Interessen erheblich beeinträchtigt werde und dadurch ein unerträgliches Ungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien entstehe. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Falle auch nach dem Vorbringen der Beklagten nicht erfüllt. Allein die tatsächliche Verknüpfung der Warenlieferung an die Hauptschuldnerin mit der Bürgschaftsverpflichtung der Beklagten sei wegen des Sicherungszwecks der Bürgschaft nicht zu beanstanden. Die Klägerin habe ein schutzwürdiges Interesse an der Mithaftung der Beklagten. Zwar möge deren Bürgschaft bei Vertragsschluß mit Rücksicht auf das verhältnismäßig niedrige Einkommen zunächst nur geringe Sicherheit geboten haben. Immerhin sei aber eine Teilerfüllung ihrer Verbindlichkeit in der Zukunft nicht von vornherein ausgeschlossen gewesen. Außerdem habe die Mitverpflichtung der Beklagten bezweckt, etwaigen Vermögensverschiebungen ihres Ehegatten vorzubeugen.
Diese Erwägungen enthalten zwar Rechtsfehler. Der vorgetragene und festgestellte Sachverhalt stützt aber die Annahme, daß der Bürgschaftsvertrag der Parteien nicht sittenwidrig ist.
1. Das Berufungsgericht hätte nicht offenlassen dürfen, ob im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein krasses Mißverhältnis zwischen dem Umfang der Bürgenhaftung und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Beklagten bestanden hat. Sind die finanziellen Mittel des Bürgen mit Rücksicht auf die Höhe der verbürgten Hauptschuld praktisch bedeutungslos und hat der Gläubiger kein rechtlich vertretbares Interesse an dem vereinbarten Haftungsumfang, so kann ein solches wirtschaftlich sinnloses Rechtsgeschäft gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein, ohne daß es auf weitere belastende Umstände ankommt (BGHZ 125, 206, 210 f; 136, 347, 350 f; BGH, Urt. v. 8. Oktober 1998 - IX ZR 257/97, WM 1998, 2327, 2328). In einem solchen Fall spricht eine emotionale Bindung des Bürgen an den Hauptschuldner – hier der Beklagten an ihren Ehemann als Geschäftsführer der Hauptschuldnerin – dafür, daß er sich nur wegen der sich daraus ergebenden inneren Zwangslage auf die Bürgschaft eingelassen und der Gläubiger dies in verwerflicher Weise ausgenutzt hat (vgl. BGHZ 136, 347, 351).
a) Bei Abschluß des Bürgschaftsvertrages der Parteien bestand ein krasses Mißverhältnis zwischen dem Haftungsumfang und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Beklagten. Diese hatte damals nach tatrichterlicher Feststellung ein monatliches Bruttoeinkommen von 2.250 DM; weiteres Vermögen hatte die Beklagte nach ihrem unbestrittenen Vorbringen nicht. Die pfändbaren Einkünfte der Beklagten reichten bei einem geschätzten monatlichen Nettoeinkommen von 1.700 bis 1.800 DM allenfalls aus, um binnen fünf Jahren ab Fälligkeit der Bürgschaftsforderung etwa 20.000 DM der verbürgten Warenkreditschuld bis zu 300.000 DM aufzubringen; daraus ergibt sich ein besonders grobes Mißverhältnis zwischen dem vereinbarten Umfang der Bürgenhaftung und der Leistungsfähigkeit der Beklagten (vgl. BGHZ 132, 328, 336 ff). Dem vorgetragenen Sachverhalt ist nicht zu entnehmen, daß dieses Mißverhältnis durch eigene Vorteile der Beklagten aus dem Warenkredit ausgeglichen worden ist.
b) Nach tatrichterlicher Feststellung diente die Bürgschaft jedoch auch dazu, Vermögensverschiebungen auf die Beklagte vorzubeugen. Ein solcher Zweck, der grundsätzlich schutzwürdig ist, gibt in der Regel der Bürgenhaftung einer wirtschaftlich leistungsunfähigen Ehefrau – insbesondere für Geschäftskredite wie im vorliegenden Fall – einen wirtschaftlich vernünftigen, mit den berechtigten Interessen der Vertragspartner zu vereinbarenden Sinn, so daß grundsätzlich ein Verstoß gegen die guten Sitten ausscheidet (BGHZ 128, 230, 234 ff; 132, 328, 331; 134, 325, 327 f; 136, 347, 353; für Bürgschaften ab 1. Januar 1999: BGH, Urt. v. 8. Oktober 1998 - IX ZR 257/97, WM 1998, 2327, 2329 f).
2. Ein Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Ein solcher ist angenommen worden, wenn der vereinbarte Bürgschaftsumfang völlig außer Verhältnis zu einem wegen vorrangiger Sicherheiten – insbesondere durch Grundpfandrechte – beschränkten Gläubigerrisiko stand, so daß die Bürgenverpflichtung über das Sicherungsbedürfnis des Gläubigers bei Abschluß des Bürgschaftsvertrages weit hinausging (BGHZ 125, 206, 212; 136, 347, 354; BGH, Urt. v. 8. Oktober 1998, aaO).
Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten waren bei Bürgschaftsübernahme Ansprüche der Klägerin gegen die Hauptschuldnerin aus Warenlieferungen annähernd in Höhe der Bürgschaftssumme zu sichern. Die Beklagte hat verwiesen auf die Zeugenaussage des Geschäftsführers Sch. der Hauptschuldnerin, der Bürgschaftsbetrag von 300.000 DM habe mit den Warenumsätzen „korrespondiert”. Weiterhin hat die Beklagte Bezug genommen auf die Aussage des Zeugen L. – Mitarbeiter der Klägerin –, die (Schuld-)Salden hätten im Bereich zwischen 100.000 DM und 300.000 DM gelegen. Die Bürgschaft des Ehemannes als Mitbürgen und die bei Abschluß des Bürgschaftsvertrages bestehende Warenkreditversicherung in Höhe von 75.000 DM, die nach tatrichterlicher Feststellung für den Versicherungsfall eine Selbstbeteiligung von 30 bis 40 % und eine Leistungsbegrenzung auf den 14-fachen Betrag der Jahresprämie vorsah, waren keine vorrangigen Sicherheiten und schränkten das Sicherungsbedürfnis der Klägerin nicht wesentlich ein.
III.
Erfolglos rügt die Revision die tatrichterliche Feststellung, die Beklagte habe nicht bewiesen, daß der Mitarbeiter L. der Klägerin ihr und ihrem Ehemann vor Abschluß der Bürgschaftsverträge zugesagt habe, die Bürgschaften seien gegenstandslos, sobald eine Kreditversicherung über 300.000 DM zustande gekommen sei. Insoweit hat sich das Berufungsgericht der rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung des Landgerichts angeschlossen. Die Verfahrensrügen der Revision wurden geprüft, greifen aber nicht durch (§ 565 a ZPO). Den Nachteil der Beweislosigkeit der behaupteten auflösenden Bedingung des Bürgschaftsvertrages (§ 158 Abs. 2 BGB) hat die Beklagte zu tragen (vgl. BGH, Urt. v. 27. April 1966 - Ib ZR 50/64, MDR 1966, 571; Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, 2. Aufl. § 158 BGB Rdnr. 1). Dies gilt entsprechend, soweit die Beklagte mit diesem Vorbringen ein Verschulden bei Vertragsschluß (vgl. BGH, Urt. v. 26. September 1961 - VI ZR 92/61, NJW 1962, 31; Baumgärtel, aaO § 276 BGB Rdnr. 16) und eine unerlaubte Handlung geltend macht.
IV.
Das Berufungsgericht hat aber übersehen, daß in dem vorliegenden Fall, in dem der Bürgschaftsvertrag ausschließlich Vermögensverlagerungen vom Hauptschuldner auf den Bürgen verhindern soll und diese Gefahr sich noch verwirklichen kann, der Gläubiger den Bürgen nicht ohne weiteres bei Fälligkeit der Hauptforderung in Anspruch nehmen darf. Ein solcher Fall legt es nahe, den Bürgschaftsvertrag dahin auszulegen, daß die Vertragspartner die Fälligkeit der Bürgschaftsforderung von Anfang an hinausgeschoben haben bis zu dem Zeitpunkt, in dem sich jene Gefahr verwirklicht hat. Selbst wenn die Vertragserklärungen eine entsprechende Auslegung nicht zulassen, so ist es dem Gläubiger nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, den bei Vertragsschluß erkennbar leistungsunfähigen Bürgen vorher in Anspruch zu nehmen. Deswegen ist dann die Bürgschaftsklage als zur Zeit unbegründet abzuweisen (BGHZ 128, 230, 235 f; 134, 325, 328 ff).
Es kann offenbleiben, ob der Bürgschaftsvertrag der Parteien im vorstehenden Sinne auszulegen ist. Jedenfalls ist es rechtsmißbräuchlich (§ 242 BGB), daß die Klägerin die Beklagte zur Zeit aus der Bürgschaft in Anspruch nimmt. Da die Beklagte bei Vertragsschluß erkennbar außerstande war, bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge in absehbarer Zeit in nennenswertem Umfang zur Tilgung der verbürgten Hauptschuld beizutragen, ergaben sich der wirtschaftliche Zweck und die rechtliche Wirksamkeit des Bürgschaftsvertrages allein daraus, daß Vermögensverlagerungen von der – durch den Ehemann der Beklagten geleiteten – Hauptschuldnerin auf die Beklagte zu Lasten der Klägerin als Kreditgeberin vermieden werden sollten. Danach ist die Bürgschaftsforderung erst dann durchsetzbar, wenn sich dieses Risiko verwirklicht hat. Dies ist jedoch weder behauptet noch festgestellt worden.
Unterschriften
Paulusch, Kreft, Stodolkowitz, Zugehör, Ganter
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 25.11.1999 durch Preuß Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 539347 |
BB 2000, 172 |
DB 2000, 369 |
DStR 2000, 169 |
NJW 2000, 362 |
NWB 2000, 297 |
FamRZ 2000, 350 |
FuR 2000, 225 |
GmbH-StB 2000, 36 |
KTS 2000, 113 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2000, 23 |
WuB 2000, 301 |
ZAP 2000, 88 |
ZIP 2000, 121 |
MDR 2000, 284 |
VuR 2000, 128 |
GmbHR 2000, 128 |
ZBB 2000, 56 |
LL 2000, 232 |