Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH & Co. KG
Leitsatz (redaktionell)
1. Schuldner der Masseverbindlichkeiten ist der Insolvenzschuldner. Damit haftet der Kommanditist in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Kommanditgesellschaft für Masseverbindlichkeiten, welche von der Insolvenzschuldnerin begründet worden sind.
2. Die persönliche Haftung des Gesellschafters für Masseverbindlichkeiten in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft scheidet grundsätzlich nicht bereits aus insolvenzrechtlichen Gründen aus (Aufgabe von BGH, Urteil vom 24. September 2009 – IX ZR 234/07, ZIP 2009, 2204).
3. Eine Haftung des Kommanditisten gegenüber Gläubigern der Kommanditgesellschaft setzt gemäß § 171 Abs. 1 HGB eine Verbindlichkeit der Kommanditgesellschaft gegenüber ihren Gläubigern voraus. Dies erfasst gemäß §§ 128, 161 Abs. 2 HGB unabhängig von ihrem Rechtsgrund grundsätzlich sämtliche Verbindlichkeiten der Kommanditgesellschaft gegenüber Dritten (Außenverbindlichkeit). Hierzu zählen insbesondere Gewerbesteuerforderungen aus dem Geschäftsbetrieb der Gesellschaft.
4. Ein Kommanditist haftet für die Gewerbesteuer der Gesellschaft, die u. A. durch die Gewinnzurechnung beim Wechsel von der Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich zur Gewinnermittlung nach Tonnage vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft entstand.
Normenkette
InsO §§ 54, 55 Abs. 4, §§ 80, 93; HGB §§ 128, 171 Abs. 2, 4; EStG § 5a Abs. 4 S. 3 Nr. 2; GewStG § 5 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Urteil vom 07.02.2020; Aktenzeichen 4 U 151/18) |
LG Konstanz (Entscheidung vom 16.07.2018; Aktenzeichen 8 O 19/17 KfH) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe – Zivilsenate in Freiburg – vom 7. Februar 2020 aufgehoben und das Urteil der 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Konstanz vom 16. Juli 2018 abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.970,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. Juni 2015 zu zahlen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger ist Verwalter in dem am 9. Oktober 2014 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. GmbH & Co. KG (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin befasste sich mit dem Erwerb und dem Betrieb des Containerschiffs M.. Der Beklagte ist Kommanditist der Schuldnerin und mit einer Hafteinlage von 255.645,94 EUR im Handelsregister eingetragen. In den Jahren 2002 bis 2007 zahlte die Schuldnerin an den Beklagten Ausschüttungen in Höhe von insgesamt 9.970,19 EUR.
Rz. 2
Die Schuldnerin wechselte im Jahr 2003 von der Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich gemäß § 4 Abs. 1, § 5 EStG zur Gewinnermittlung bei Handelsschiffen im internationalen Verkehr gemäß § 5a EStG (sogenannte Tonnagegewinnermittlung). Die gesonderte und einheitliche Feststellung des Unterschiedsbetrags zwischen Buchwert und Teilwert nach § 5a Abs. 4 EStG auf den 31. Dezember 2002 erfolgte mit Feststellungsbescheid vom 30. März 2012.
Rz. 3
Mit Beschluss vom 2. Mai 2014 bestellte das Insolvenzgericht den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete an, dass Verfügungen der Schuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien. Die Schuldnerin veräußerte das Schiff am 2. Juli 2014; der Kläger stimmte der Veräußerung in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter zu. Das Finanzamt Bremen setzte mit Bescheid vom 3. Juni 2016 eine Gewerbesteuer für das Jahr 2014 in Höhe von 309.552,40 EUR fest. Hierbei rechnete das Finanzamt gemäß § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 EStG den fortgeschriebenen Unterschiedsbetrag dem Gewinn hinzu. Von der Gewerbesteuerforderung sind 4.994,74 EUR durch Verrechnung getilgt. Den verbleibenden Betrag von 304.557,66 EUR hat das Finanzamt als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO eingeordnet. Die zur Insolvenztabelle festgestellten Insolvenzforderungen sind aufgrund von anderen Kommanditisten erbrachter Zahlungen vollständig gedeckt. Hingegen kann die Verbindlichkeit aus dem Steuerbescheid nicht aus der Insolvenzmasse befriedigt werden.
Rz. 4
Der Kläger macht geltend, der Beklagte hafte als Kommanditist für die noch offene Gewerbesteuerforderung, und verlangt Zahlung von 9.970,19 EUR. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Verurteilung des Beklagten.
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Haftung des Beklagten sei zwar aufgrund der Ausschüttungen gemäß §§ 171, 172 Abs. 4 HGB wieder aufgelebt. Jedoch hafte der Beklagte nicht für die Gewerbesteuerforderung des Finanzamts Bremen.
Rz. 7
Die Haftung des Kommanditisten für durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder durch Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse begründete Masseverbindlichkeiten sei ausgeschlossen. Diese Haftungsbeschränkung erfasse auch die gemäß § 55 Abs. 4 InsO aufgrund gesetzlicher Fiktion zur Masseschuld umqualifizierte Gewerbesteuerforderung. § 55 Abs. 4 InsO erstrecke sich auf alle Steuerarten. Zwar sei die Begründung der immanenten Haftungsbeschränkung für Masseverbindlichkeiten nur eingeschränkt geeignet, eine Haftungsbeschränkung in den Fällen zu rechtfertigen, in denen die Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO auf der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters beruhe. Die von § 55 Abs. 4 InsO vorgesehene gesetzliche Gleichstellung mit den Fällen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO rechtfertige jedoch die Übertragung dieser Grundsätze. Behandle man die Steuerverbindlichkeit in Ansehung der Haftung der Kommanditisten als Insolvenzforderung und im Übrigen als Masseverbindlichkeit, laufe dies der gesetzlichen Regelung zuwider und führe zu einer systemwidrigen Aufspaltung.
Rz. 8
Die Gewerbesteuerforderung aus der Veräußerung des Schiffes stelle eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 4 InsO dar. Maßgeblich sei die Veräußerung des Schiffs. Es handele sich um keine aufoktroyierte Verbindlichkeit, weil die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters rechtlich nicht zwingend gewesen sei.
II.
Rz. 9
Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 10
1. Der Beklagte haftet den Gläubigern der Schuldnerin als Kommanditist gemäß § 171 Abs. 1 HGB unmittelbar. Aufgrund der erhaltenen Ausschüttungen ist die Haftung des Beklagten nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts gemäß § 172 Abs. 4 HGB in Höhe von 9.970,19 EUR wieder aufgelebt.
Rz. 11
2. Die Gewerbesteuerforderung aus dem Bescheid vom 3. Juni 2016 stellt eine Gesellschaftsverbindlichkeit dar. Wie der Senat mit Urteil vom 28. Januar 2021 (IX ZR 54/20, zVb) ausgeführt und näher begründet hat, stellen Gewerbesteuerforderungen aus dem Geschäftsbetrieb einer Kommanditgesellschaft auch dann eine Gesellschaftsverbindlichkeit dar, wenn es sich um Masseverbindlichkeiten handelt.
Rz. 12
3. Der Beklagte haftet gemäß §§ 128, 161 Abs. 2, § 171 Abs. 1 HGB auch für die Gewerbesteuerforderung aus dem Bescheid vom 3. Juni 2016. Dies ergibt sich aus den allgemeinen Grundsätzen für die Haftung eines Kommanditisten. Rechtsfehlerhaft meint das Berufungsgericht, dass die Haftung des Kommanditisten für Verbindlichkeiten der Gesellschaft in der Insolvenz der Gesellschaft ausgeschlossen sei, wenn die Ansprüche des Gläubigers Masseverbindlichkeiten darstellen. Vielmehr ist die Kommanditistenhaftung nicht auf zur Insolvenztabelle angemeldete Forderungen beschränkt.
Rz. 13
a) Der Senat hat mit Urteil vom 28. Januar 2021 (IX ZR 54/20, zVb) näher ausgeführt, dass bei bestimmten Masseverbindlichkeiten die Haftung des Schuldners gegenständlich beschränkt sein kann. Eine solche gegenständlich beschränkte Haftung des Schuldners für bestimmte Masseverbindlichkeiten gebietet es jedoch nicht, die Haftung des Gesellschafters für Gesellschaftsverbindlichkeiten in der Insolvenz der Gesellschaft aus insolvenzrechtlichen Gründen einzuschränken. Dies hat der Senat im Urteil vom 28. Januar 2021 (IX ZR 54/20, zVb) begründet und dabei an der entgegenstehenden Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 24. September 2009 – IX ZR 234/07, ZIP 2009, 2204) nicht festgehalten.
Rz. 14
b) Der Beklagte haftet als Kommanditist für solche Masseverbindlichkeiten, welche die Schuldnerin begründet hat. Dies trifft auf die Gewerbesteuerforderung des Finanzamts aus dem Bescheid vom 3. Juni 2016 zu. Es besteht – wie der Senat mit Urteil vom 28. Januar 2021 (IX ZR 54/20, zVb) weiter entschieden und im Einzelnen begründet hat – kein Anlass, die Haftung eines Kommanditisten nach §§ 128, 161 Abs. 2, §§ 171, 172 Abs. 4 HGB für Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO einzuschränken, welche vom Schuldner begründet worden sind. Wie der Senat in der Parallelsache mit Urteil vom 28. Januar 2021 (IX ZR 54/20, zVb) ausgeführt hat, stellt die Gewerbesteuerforderung aus dem Bescheid vom 3. Juni 2016 eine von der Schuldnerin begründete Verbindlichkeit dar.
Rz. 15
4. Der Kläger kann gemäß § 171 Abs. 2 HGB die persönliche Haftung des Beklagten für die Verbindlichkeit der Schuldnerin geltend machen. Für § 93 InsO ist es unerheblich, ob die Verbindlichkeit der Gesellschaft eine Masseverbindlichkeit darstellt. Das gleiche gilt für § 171 Abs. 2 HGB. Dies hat der Senat mit Urteil vom 28. Januar 2021 (IX ZR 54/20, zVb) entschieden und näher begründet.
Rz. 16
5. Der Haftung des Beklagten steht nicht entgegen, dass der Kommanditist, der eine Verbindlichkeit der Gesellschaft befriedigt, unter Umständen einen Regressanspruch gegen die Gesellschaft erwirbt (§ 110 HGB; vgl. Baumbach/Hopt/Roth, HGB, 39. Aufl., § 128 Rn. 25). Dies hat der Senat mit Urteil vom 28. Januar 2021 (IX ZR 54/20, zVb) entschieden und näher begründet.
III.
Rz. 17
Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden. Die Aufhebung des Berufungsurteils erfolgt nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis; nach letzterem ist die Sache zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die Insolvenzmasse nicht genügt, um die Forderung des Finanzamts zu erfüllen, ist der Beklagte antragsgemäß zu verurteilen. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB.
Unterschriften
Grupp, Möhring, Schoppmeyer, Schultz, Selbmann,
Fundstellen
BFH/NV 2021, 751 |
BFH/NV 2021, 752 |
ZInsO 2021, 606 |
InsbürO 2021, 253 |
InsbürO 2022, 18 |
ZRI 2021, 324 |