Leitsatz (amtlich)
1. § 419 BGB trifft auf die Übernahme des Westvermögens eines von entschädigungsloser Enteignung bedrohten Ostschuldners mindestens dann nicht zu, wenn der Veräußerer noch Ostvermögen besaß, aber nicht dargetan ist, daß dieses Vermögen bereits zur Zeit der Übertragung des Westvermögens dem Zugriff privater Gläubiger entzogen war.
2. Über die Rechtsform einer juristischen Person darf nicht leichtfertig oder schrankenlos hinweggegangen werden. Auch bei der Einmanngesellschaft ist es in der Regel ausgeschlossen, eine Schuld des Gesellschafters gegen die juristische Person geltend zu machen. Dagegen erfaßt die Enteignung des Vermögens einer Person deren alleinige Mitgliedschaft an einer juristischen Person insoweit nicht, als die juristische Person außerhalb des Machtbereichs des enteignenden Hoheitsträgers Vermögen besitzt.
3. Über die Kosten eines Beweissicherungsverfahrens ist nicht besonders zu entscheiden. Diese Kosten gehören zu den Kosten des Rechtsstreits. Betrifft die Beweissicherung den eigentlichen Grund des Anspruchs, wird die Klage aber mangels Passivlegitimation abgewiesen, so erfaßt die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits von den Kosten der Beweissicherung nur die dem Beklagten erwachsenen Kosten, während über die übrigen Kosten der Beweissicherung erst durch die im Rechtsstreit gegen den wirklichen Schuldner zu treffende Regelung des Kostenpunktes entschieden wird.
Normenkette
BGB § 419; GmbHG § 11; AktG §§ 1, 48; EG BGB Art. 7; ZPO §§ 485, 91
Verfahrensgang
Tenor
Der Kläger klagt aus abgetretenem Recht der Witwe E. Diese war Kommanditistin der inzwischen gelöschten Altmärkischen Elektrizitätsgesellschaft. Diese Kommanditgesellschaft hat ihr gesamtes Vermögen durch Vertrag vom 7. Januar 1941 auf die Landelektrizität GmbH in Halle übertragen. Ihre Gesellschafter sind der Ansicht, daß der Vertrag nichtig sei, weil er unter nationalsozialistischem Druck zustande gekommen sei. Demzufolge haben sie den Vertrag auch wegen rechtswidriger Drohung angefochten. Das ist mit Schreiben vom 24. Mai 1946 geschehen.
Die Landelektrizität GmbH wurde Anfang 1946 mit der Elektrizitätswerk Sachsen-Anhalt Aktiengesellschaft (Esag) verschmolzen und im Handelsregister gelöscht. Die Esag hieß seitdem Provinzialsächsische Energieversorgungs-Aktiengesellschaft (Prevag).
Die Prevag besaß in den westlichen Besatzungszonen drei Betriebsstellen in Fallersleben, Radenbeck und Schladen, die zum Vermögen der Landelektrizität GmbH gehört hatten. Wegen der Zonentrennung richtete sie dafür in Fallersleben eine Geschäftsstelle ein.
Am 1. Juli 1948 übertrug die Deutsche Wirtschaftskommission die Betriebsführung der Prevag dem Energiebezirk West, einer im Volkseigentum stehenden Körperschaft des öffentlichen Rechts. Der Vorstand der Prevag blieb im Amt. Der Energiebezirk West nahm auch das Verfügungsrecht über die drei westlichen Betriebsstellen für sich in Anspruch. Unter dem 30. Juli 1948 ersuchte der Minister des Innern von Sachsen-Anhalt das Registergericht, die Prevag zu löschen, weil ihr gesamtes Vermögen enteignet sei. Dem Löschungsersuchen wurde nicht stattgegeben, weil die Prevag nicht in der Sequestrierungs-(Enteignungs-)Liste stand.
Am 14. Oktober 1948 gründete die Prevag und eines ihrer Vorstandsmitglieder, M., die beklagte GmbH mit Sitz in Halle. Die Geschäftsstelle in Fallersleben wurde ihre Zweigniederlassung. Das Stammkapital der Gesellschaft betrug 50.000 DM (Ost). Die Prevag übernahm eine Stammeinlage von 49.000 DM, M. eine solche von 1.000 DM. Wie schon vor der Gründung verabredet, trat M. seinen Geschäftsanteil alsbald an die Prevag ab.
Die Prevag verkaufte und übereignete der Beklagten durch Vertrag vom 22. Dezember 1948 die drei erwähnten Betriebsstellen samt allem dazugehörigen Vermögen für 3.888.434,27 DM (Ost). Die Kaufpreisforderung blieb offen.
Im Februar 1949 wurde das Vermögen der Prevag auf Grund der sowjetzonalen Verordnung vom 30. Juli 1946 in Verbindung mit der Anordnung zur Ergänzung der Vorschriften über Volkseigentum vom 2. Februar 1949 (ZVOBl 79) enteignet und dem Energiebezirk West übertragen. Die Prevag wurde am 26. Februar 1949 im Handelsregister gelöscht. Der Energiebezirk West sah sich als den Inhaber der Kaufpreisforderung von 3.888.434,27 DM und als den alleinigen Gesellschafter der Beklagten an. Am 11. März 1949 beschloß er die Erhöhung des Stammkapitals auf 2.000.000 DM (Ost). Die Kapitalerhöhung wurde in der Weise durchgeführt, daß der Energiebezirk West auf das erhöhte Stammkapital eine Einlage von 1.950.000 DM übernahm und hiergegen mit der Kaufpreisforderung aufrechnete.
Der Kläger macht geltend: Die Landelektrizität GmbH und die Prevag hätten in der Zeit vom 1. April 1941 bis zum 22. Dezember 1948 aus dem von der Altmärkischen Elektrizitätsgesellschaft übernommenen Vermögen einen Gewinn von insgesamt 540.000 RM gezogen. Wegen der Nichtigkeit des Vertrages vom 7. Januar 1941 stehe dieser Gewinn den Gesellschaftern der Altmärkischen Elektrizitätsgesellschaft zu (§ 990 BGB). Davon gebühre der Witwe E. ein Betrag von 180.000 RM, da sie zu einem Drittel an der Altmärkischen Elektrizitätsgesellschaft beteiligt gewesen sei. Da in der Sowjetzone alle Forderungen im Verhältnis von 1: 1 umgestellt worden seien, ergebe die Umrechnung, die gemäß § 244 Abs. 2 BGB nach dem Kurs des Tages der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz vorgenommen werden müsse, einen Betrag, der auf alle Fälle einen Anspruch von 7.000 DM (West) rechtfertige.
Der Kläger verlangt diesen Betrag von der Beklagten mit der Begründung: Infolge Verschmelzung der Landelektrizität GmbH mit der Esag träfen alle Folgen aus der Nichtigkeit des Vertrages vom 7. Januar 1941 die Prevag. Überdies habe die Prevag von der Verschmelzung ab das Vermögen der Altmärkischen Elektrizitätsgesellschaft selbst genutzt. Das Westvermögen der Prevag sei von Zwangseingriffen sowjetzonaler Machthaber nicht betroffen worden. Es habe den Westgläubigern der Prevag weiterhin gehaftet. Die Witwe E. sei Westgläubigerin, da sie ihren Wohnsitz in Hannover habe. An der Haftung des Westvermögens der Prevag könne sich durch die Gründung der Beklagten und die Übertragung dieses Vermögens auf die Beklagte nichts geändert haben. Im übrigen hafte die Beklagte aus § 419 BGB, weil das ihr übertragene Vermögen das gesamte West vermögen der Prevag gewesen sei und die Beklagte das ganze Westvermögen der Prevag übernommen und der Energiebezirk West das gesamte Ostvermögen dieser Gesellschaft übertragen erhalten habe.
Die Beklagte macht geltend, daß der Vertrag vom 7. Januar 1941 nicht nichtig sei. Sie bestreitet ihre Passivlegitimation mit der Begründung, daß das ihr übertragene Vermögen nur 3 % des Gesamtvermögens der Prevag ausgemacht habe; bei Abschluß des Vertrages vom 22. Dezember 1948 sei die Prevag noch nicht enteignet gewesen; zu dieser Zeit habe die Prevag noch als juristische Person bestanden und ihr Vermögen habe noch ein einheitliches Ganzes gebildet.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Berufung und Revision des Klägers hatten keinen Erfolg.
Vor dem Oberlandesgericht hat ein Beweissicherungsverfahren stattgefunden. Die Beklagte hat beantragt, die Kosten des Beweissicherungsverfahrens dem Kläger aufzuerlegen. Dieser Antrag wurde zurückgewiesen.
Gründe
I. Das Berufungsgericht läßt dahingestellt, ob der Klageanspruch begründet ist. Es meint, die Beklagte sei nicht passiv legitimiert. Die Landelektrizität GmbH und die Prevag seien es gewesen, die die herausverlangten Gewinne gezogen hätten. Die Beklagte könne daher nur haften, wenn sie die Schulden der Prevag übernommen habe oder § 419 BGB zutreffe. Im Vertrage vom 22. Dezember 1948 habe sie nur die Verbindlichkeiten übernommen, die im Zusammenhang mit den ihr übertragenen Betriebsstellen gestanden hätten, und diese Voraussetzung sei für den Klageanspruch nicht gegeben. Die Beklagte hafte auch nicht nach § 419 BGB, da sie nur 3 % des Vermögens der Prevag und nicht deren gesamtes Vermögen übernommen habe. Daß das ihr übertragene Vermögen das gesamte Westvermögen der Prevag gewesen sei, ändere nichts. Am 22. Dezember 1948 habe die Prevag noch bestanden; sie habe auch ihr Vermögen noch besessen und darüber noch verfügen können. Unter dem 30. Juli 1948 habe allerdings der Minister des Innern des Landes Sachsen-Anhalt das Registergericht ersucht, die Gesellschaft im Handelsregister zu löschen. Da aber der Betrieb der Prevag nicht in die Sequestierungsliste aufgenommen gewesen sei, habe die Gesellschaft ihre Enteignung und Löschung zunächst verhindern können. Die Prevag sei erst auf Grund der Anordnung zur Ergänzung der Vorschriften über Volkseigentum vom 2. Februar 1949 gemäß der Verordnung vom 30. Juli 1946 enteignet und erst am 26. Februar 1949 im Handelsregister gelöscht worden. Auf Anordnung der Deutschen Wirtschaftskommission habe allerdings der Energiebezirk West bereits am 1. Juli 1948 die Betriebsführung der Prevag übernommen. Aber diese Maßnahme habe an der Rechtspersönlichkeit und der Vermögensträgerschaft der Prevag nichts geändert. Bis Ende Januar 1949 sei der Vorstand der Prevag noch im Amt belassen worden, der bis zu seiner Entlassung die Aufgabe gehabt habe, für das Vermögen der Prevag zu sorgen. Bei dieser Sachlage könne das Westvermögen der Prevag nicht als ein selbständiges Vermögen angesehen werden, dessen Übertragung die Anwendung des § 419 BGB rechtfertige.
Die Revision wirft dem Berufungsurteil vor, daß es die Frage nach der Anwendbarkeit des § 419 BGB formaljuristisch beurteilt habe, statt sie nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu lösen. Sie ist der Ansicht, daß die hoheitlich angeordnete Übernahme der Betriebsführung eine Beschlagnahme dargestellt habe; deshalb sei eine Zwangsvollstreckung in das Ostvermögen der Prevag seit dem 1. Juli 1948 ausgeschlossen gewesen. Außerdem habe der Vorstand der Prevag nach der hoheitlich angeordneten Übernahme der Betriebsführung nicht mehr ohne Zustimmung der Deutschen Wirtschaftskommission über das Gesellschaftsvermögen, insbesondere das Ostvermögen, verfügen dürfen. Mindestens hierdurch habe sich das Vermögen der Prevag in ein Ost- und ein Westvermögen gespalten; der Vertrag vom 22. Dezember 1948 habe daher die Übertragung eines ganzen Vermögens zum Inhalt gehabt.
Die Revision kann keinen Erfolg haben.
Das Berufungsgericht wird allerdings dem Standpunkt des Klägers nicht vollauf gerecht, wenn es eine Haftung der Beklagten nur unter dem Gesichtspunkt des § 419 BGB ins Auge faßt. Aber im Ergebnis ist das Berufungsurteil richtig.
1. § 419 BGB setzt voraus, daß jemand durch Vertrag das Vermögen eines anderen übernimmt. Die durch den Vertrag vom 22. Dezember 1948 übernommenen Gegenstände stellten nicht das Vermögen der Prevag, sondern nur einen kleinen Bruchteil davon dar. Der Umstand, daß die übernommenen Vermögenswerte das ganze Westvermögen der Prevag ausmachten, rechtfertigt die Anwendung des § 419 BGB nicht. Diese Vermögensstücke stellten für sich kein gesondert zu beurteilendes Vermögen dar, sondern bildeten mit dem Ostvermögen der Prevag noch eine Einheit. Durch eine staatliche Hoheitsmaßnahme können allerdings juristische Personen und deren Vermögen gespalten werden. Das folgt aus der gebietsbeschränkten Wirkung staatlicher Zwangseingriffe und der Notwendigkeit, das Rechtssubjekt um das außerhalb des Zugriffsbereichs belegenen und deshalb von der Zwangsmaßnahme nicht betroffenen Vermögens willen zu erhalten. Das gilt für Eingriffe wie eine entschädigungslose Enteignung, eine Beschlagnahme oder die Einsetzung von Vertretern anstelle des Vorstandes oder Geschäftsführers. Die Dinge lagen hier aber anders. Als die Prevag ihr Westvermögen auf die Beklagte übertrug, lag nichts weiter vor, als daß dem Energiebezirk West die Betriebsführung der Prevag übertragen war. Erst nach dem Vertrag vom 22. Dezember 1948 wurde die Prevag enteignet. Die Möglichkeit hierzu wurde erst mit der Anordnung zur Ergänzung der Vorschriften über Volkseigentum vom 2. Februar 1949 eröffnet. Vorher schwebte kein Enteignungsverfahren. Das Löschungsersuchen des Ministers des Innern von Sachsen-Anhalt vom 30. Juli 1948 war abgelehnt, weil die Prevag nicht auf der Enteignungsliste stand, und war damit erledigt. Der Vorstand der Prevag rechnete nicht mit einer Enteignung, da infolge Enteignung der privaten Aktionäre nur Rechtsträger des öffentlichen Rechts Aktionäre waren und eine Enteignung der Prevag auf eine Umwandlung von Staats- und Kommunaleigentum in Volkseigentum hinauslief. Wie das Berufungsgericht festgestellt hat, blieb der Vorstand nach der Anordnung des Überganges der Betriebsführung auf dem Energiebezirk West bis zur Enteignung der Prevag im Amt. Tatsächlich hat der Vorstand den Vertrag vom 22. Dezember 1948 geschlossen und die darin festgelegten Übereignungen vorgenommen. Bei dieser Sachlage kann nicht davon ausgegangen werden, daß das Westvermögen der Prevag vor einer Übertragung auf die Beklagte bereits von dem übrigen Gesellschaftsvermögen abgespalten war. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in seinem Urteil vom 21. Juni 1954 – III ZR 75/53 – (nicht veröffentlicht) das Westvermögen einer Person als ein im Sinne des § 419 BGB übernommenes Vermögen gewertet, falls der Gläubiger mit den dem Schuldner verbliebenen, im Herrschaftsbereich der sowjetzonalen Machthaber belegenen Vermögenswerten „nichts anzufangen vermag”. Dort handelte es sich aber um eine Steuerforderung, deretwegen § 419 BGB angezogen wurde, und außerdem hatte das Berufungsgericht tatsächlich festgestellt, daß die im Einflußbereich der sowjetzonalen Machthaber belegenen Vermögensteile des Steuerschuldners dem Zugriff des Gläubigers entzogen waren; schließlich wurde die Anwendung der Vorschrift unterstützend noch damit gerechtfertigt, daß das Westvermögen unentgeltlich übertragen worden war. Im vorliegenden Falle dagegen handelt es sich nicht um einen Anspruch der öffentlichen Hand, sondern um einen privatrechtlichen Anspruch, und es ist nicht dargetan, daß der Zugriff eines solchen Gläubigers in das Ostvermögen der Prevag unmöglich gewesen wäre. Keinesfalls griff bereits die Ziffer 2 des SMA-Befehls Nr. 64 (ZVOBl 1948, 140) ein, da danach nur bereits enteignetes Vermögen von der Haftung für vor dem 9. Mai 1945 entstandene Verbindlichkeiten befreit ist und die Prevag im Jahre 1948 noch nicht enteignet war. Es kommt daher nicht erst darauf an, ob der Ansicht des III. Zivilsenats gefolgt werden könnte.
2. Soweit der Kläger geltend macht, an der Haftung des Westvermögens der Prevag könne sich durch die Gründung der Beklagten und den Vertrag vom 22. Dezember 1948 nichts geändert haben, kann dies nur unter dem Gesichtspunkt beachtlith sein, daß die hinter der Beklagten stehende Prevag unter der Rechtsperson und der Firma der Beklagten für die Klageforderung in Anspruch genommen werden könne.
Ein derartiger Durchgriff auf das persönliche Substrat der Beklagten kann jedoch nicht als berechtigt anerkannt werden. Über die Rechtsform der juristischen Person darf nicht leichtfertig oder schrankenlos hinweggegangen werden. Darauf würde es aber hinauslaufen, wenn man dem Kläger gestatten wollte, seinen Streit mit der Prevag in einem Prozeß mit der Beklagten auszutragen und die Beklagte unmittelbar in Anspruch zu nehmen, statt der Prevag, die in der Bundesrepublik bisher keinen Sitz und keine Organe hat, durch das Gericht der Belegenheit ihres Westvermögens einen Vertreter nach § 57 ZPO bestellen zu lassen, dann die Prevag zu verklagen und bei obsiegendem Urteil ihre Anteilsrechte an der Beklagten zu pfänden.
Das ist möglich. Die Prevag ist zwar durch die vollständige Enteignung ihres sowjetzonalen Vermögens für das Gebiet der Sowjetzone vernichtet worden (Beitzke BB 1949, 519; MDR 1949, 761; Raape, Internationales Privatrecht § 66 IV; der von BGHZ 13, 106 entschiedene Fall lag anders). Sie lebt aber durch ihre Mitgliedschaft an der Beklagten weiter. Diese Beteiligung bestand allerdings, solange die Beklagte ihren Sitz in Halle hatte, an einer Ostgesellschaft; sie wurde aber von der Enteignung der Prevag insoweit nicht erfaßt, als die Beklagte in den ihr durch den Vertrag vom 22. Dezember 1948 übertragenen Vermögenswerten Westvermögen besaß. Dieses Vermögen gehörte zwar der Beklagten und nicht ihrem einzigen Gesellschafter, der Prevag, denn die Rechtsordnung hat die GmbH als eine juristische Person und damit als ein von ihren Mitgliedern scharf zu scheidendes Rechtssubjekt ausgebildet. Die ausnahmslose Anwendung dieses Prinzips führt aber zu Ergebnissen, die mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit unvereinbar sind und nicht als Recht anerkannt werden können. Die Beklagte ist mit dem Ziele gegründet worden, sie zu einer Gesellschaft zu machen, deren alleiniger Gesellschafter die Prevag sein sollte. Das ist auch erreicht worden. Darüber hinaus war die Gründung der Beklagten als eine rein organisatorische Maßnahme gedacht, um das Westvermögen der Prevag zu verselbständigen und in Fallersleben eine Filiale zu haben, von der aus die drei westlichen Betriebsstellen selbständig verwaltet und die Stromversorgung der vom Osten her eingespeisten Westgebiete sichergestellt werden könnten, falls sich bei einer Verstärkung der Abschnürung beider Teile Deutschlands eine Notwendigkeit hierzu ergab. Überdies sollte die Beklagte, vielleicht von ihrem geringen Stammkapital in DM/Ost abgesehen, mit Westvermögen ausgestattet werden. Mindestens in einem Fall solcher Art muß auf die von der juristischen Person verdeckten Verhältnisse durchgegriffen werden. Dies bedeutet, daß die Mitgliedschaft der Prevag an der Beklagten für die Zwecke der Abwehr der gegen die Prevag gerichteten Enteignungsmaßnahme nicht bloß am Sitz der Gesellschaft, also in Halle, sondern überall da als belegen anzusehen ist, wo die Beklagte Gesellschaftsvermögen besaß (vgl. dazu Seidl-Hohenveldern, Internationales Konfiskations- und Enteignungsrecht, Tübingen 1952; JurBlätter 1952, 411 und BB 1953, 837). Serick (Rechtsform und Realität juristischer Personen, Berlin/Tübingen 1955) will den Durchgriff auf die von der juristischen Person verdeckten Kräfte und Verhältnisse nicht schon dann zulassen, wenn dies nach Inhalt und Zweck der Rechtsordnung erforderlich ist, um zu einer sachgerechten Entscheidung zu gelangen, sondern – von hier nicht interessierenden Tatbeständen abgesehen – bloß dann, wenn die juristische Person absichtlich zu anderen als den von der Rechtsordnung vorgesehenen. Zwecken gebraucht werde. Das ist zu eng. Beim absichtlichen Mißbrauch der juristischen Person kann es nicht schwer fallen, die durch das Rechtssubjekt verdeckte Wirklichkeit bloßzulegen. Die Rechtsprechung hat den Durchgriff auf die hinter der juristischen Person stehenden Kräfte nicht von einem absichtlichen Mißbrauch der Rechtsfigur der juristischen Person abhängig gemacht. So hat das Reichsgericht (RGZ 120, 287; 122, 481; 124, 164; 150, 401; JW 1929, 1374; 1930, 3740) den Verkauf sämtlicher Anteilsrechte als eine Veräußerung des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens angesehen, und, anders als Serick, nicht darauf abgehoben, ob der Wille der Vertragschließenden hierauf gerichtet war. Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in seinem Urteil vom 3. Juli 1953 (BGHZ 10, 207) für die Aufrechnung gegenüber Kriegsgesellschaften genügen lassen, daß diese objektiv ein unselbständiges Werkzeug des Reiches waren, wenn nur die Forderung des Reichsgläubigers mit dem Daseinszweck der Reichsgesellschaft in einem engen Verhältnis stand (vgl. auch BGHZ 15, 27 [30]). Dem ist der Senat in seinem Urteil vom 28. Februar 1955 (Lind-Möhr BGB § 387 [15] = BB 1955, 333) beigetreten (vgl. auch BGHZ 17, 19). Die Rechtsfigur der juristischen Person kann nur in dem Umfang Beachtung finden, in dem ihre Verwendung dem Zweck der Rechtsordnung entspricht. Es genügt nicht, daß diese Rechtsfigur ihren eigenen Zwecken gemäß benutzt wird. An einer rechtsordnungsmäßigen Verwendung der juristischen Person fehlt es, wenn ihre Einschaltung oder bloß die Tatsache ihres Vorhandenseins dazu führt, daß sich eine entschädigungslose Enteignung ihres Gesellschafters auf Vermögen auswirkt, das außerhalb des Machtbereichs des enteignenden Hoheitsträgers belegen ist und daher von einer Enteignung weder dann erfaßt werden würde, wenn die Enteignung das Vermögen der Gesellschaft beträfe, noch dann, wenn sie sich gegen den Gesellschafter richtete und das extraterritoriale Vermögen ihm gehörte. Es ist weder erforderlich, daß mit der Schaffung einer juristischen Person und der Übertragung von Vermögen auf sie der Zweck verfolgt wird, exterritoriales Vermögen in eine Enteignung einzubeziehen, noch, daß diese Folge überhaupt in Betracht gezogen wird (Beitzke JZ 1956, 40). Durch die Errichtung der Beklagten und die Übertragung des Westvermögens der Prevag auf sie konnte eine Enteignung der Prevag nicht über den Einflußbereich der sowjetzonalen Machthaber hinaus erweitert werden. Die gebietsbeschränkte Wirkung von hoheitlichen Zwangsmaßnahmen erfordert den Durchgriff auf das, was durch die Rechtsfigur der Beklagten verdeckt wird. Soweit es um die Betriebsstellen Fallersieben, Radenbeck und Schladen und das dazu gehörige Vermögen geht, stellt die Mitgliedschaft der Prevag an der Beklagten in Wirklichkeit nichts anderes als das Westvermögen der Prevag dar. Es würde zu weit gehen, wollte man hieraus die Folge ziehen, die der Beklagten übertragenen Vermögensstücke gehörten noch der Prevag, denn damit würde man das westliche Gesellschaftsvermögen der Beklagten als ihrem Gesellschafter gehörig ansehen und die Beklagte nicht mehr als eine von ihrem Gesellschafter verschiedene Person behandeln. Soll die nur gegen die Prevag und nicht auch gegen die Beklagte gerichtete Enteignung nicht das Westvermögen erfaßt haben, und das verlangt das Territorialitätsprinzip, so muß die Mitgliedschaft der Prevag an der Beklagten für die Zwecke der Abwehr einer sonst über die Gebietsgrenzen der Sowjetzone hinausgreifenden Enteignungsmaßnahme als im Westen belegen beurteilt werden. Insoweit ist die Beteiligung der Prevag an der Beklagten von der Enteignung verschont geblieben. Kraft dieser Beteiligung lebte die Prevag im Westen weiter. Nur dieser Vermögenswert und nicht das Westeigentum der Beklagten gehört der fortbestehenden Prevag. Der Kläger kann daher auf dem oben aufgezeigten Wege gegen die Prevag vorgehen. Für die Zulassung einer Klage, mit der eine Schuld der Prevag gegen die Beklagte geltend gemacht wird oder mit der unter der Firma der Beklagten die Prevag als ihr einziger Gesellschafter gefaßt werden soll, besteht kein Bedürfnis.
II. Dem Antrag der Beklagten, dem Kläger die Kosten des Beweissicherungsverfahrens aufzuerlegen, konnte nicht entsprochen werden. Die Kosten einer Beweissicherung gehören zu den Kosten des Rechtsstreits, ohne daß über sie besonders entschieden zu werden braucht (RGZ 66, 198; Stein-Jonas-Schönke ZPO § 91 VI, 1). Der Kläger hat daher auch die der Beklagten durch das Beweissicherungsverfahren entstandenen Kosten zu tragen, ohne daß hierüber besonders zu entscheiden gewesen wäre. Damit ist jedoch nicht gesagt, ob der Kläger auch die ihm selbst durch das Beweissicherungsverfahren erwachsenen Kosten endgültig zu tragen hat. Diese Kosten gehören nämlich zu den Kosten nicht des vorliegenden, sondern desjenigen Rechtsstreites, in dem über die Berechtigung des erhobenen Anspruchs als solchen entschieden wird. Denn die sichergestellten Beweise betreffen nicht die Frage der Passivlegitimation, sondern den eigentlichen Grund des erhobenen Anspruchs.
Fundstellen
Haufe-Index 1776296 |
BGHZ, 4 |