Leitsatz (amtlich)
Bei Mehrheitseingliederung einer (Enkel-)Gesellschaft in eine bereits innerhalb eines mehrstufigen Konzerns eingegliederte Hauptgesellschaft sind den ausgeschiedenen Aktionären alternativ zu einer angemessenen Barabfindung nicht eigene Aktien der Hauptgesellschaft, sondern entsprechend § 320 b Abs. 1 Satz 3 AktG solche der Konzernspitzengesellschaft zu gewähren.
Normenkette
AktG § 320b Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Urteil vom 13.11.1996) |
LG Regensburg |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 13. November 1996 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
von Rechts wegen
Tatbestand
Die Hauptversammlung der Beklagten beschloß am 5. Juli 1995 die Eingliederung in die R. AG, die seinerzeit 96,5 % der Aktien der Beklagten besaß und ihrerseits bereits in die S. AG eingegliedert war; die S. AG war schon vorher in die V. AG eingegliedert worden. Die als Aktionärin mit 0,3 % des Grundkapitals in der Hauptversammlung vertretene Klägerin stimmte gegen den Eingliederungsbeschluß und erklärte zur Niederschrift Widerspruch dagegen.
Die Klägerin ist der Ansicht, daß die den ausscheidenden Aktionären alternativ zu einer Barabfindung angebotene Entschädigung mit Aktien der V. AG gegen § 320 b AktG verstoße, wonach Aktien der eingliedernden Hauptgesellschaft hätten angeboten werden müssen. Daher habe schon die Bekanntgabe der Eingliederung als Gegenstand der Tagesordnung wegen des auch dort nur erwähnten Abfindungsangebots der V. AG als Konzernspitze nicht § 320 Abs. 2 AktG entsprochen; zudem beziehe sich auch der vorgelegte Prüfungsbericht zu Unrecht lediglich auf diese. Das Landgericht hat die auf Nichtigerklärung des Eingliederungsbeschlusses gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt sie ihr Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet.
Das Berufungsgericht hat eine Gesetzwidrigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses ebenso wie durchgreifende Mängel hinsichtlich der Bekanntgabe der Tagesordnung mit der Erwägung verneint, im vorliegenden Sonderfall der Mehrheitseingliederung in eine bereits innerhalb eines mehrstufigen Konzerns eingegliederte Hauptgesellschaft seien alternativ zu einer angemessenen Barabfindung nicht in unmittelbarer Anwendung des § 320 b Abs. 1 Satz 3 AktG Aktien der Hauptgesellschaft, sondern – in Analogie zu dieser Vorschrift – solche der Konzernspitzengesellschaft anzubieten; die besondere, vom Gesetzgeber nicht bedachte Form der Eingliederung „von oben nach unten” verdiene Bestandsschutz vor der bei wörtlicher Gesetzesanwendung eintretenden Rechtsfolge der Ausgliederung der Hauptgesellschaft gemäß § 327 Abs. 1 Nr. 3 AktG, zumal schutzwürdige Interessen außenstehender Aktionäre durch die Abfindung mit Aktien der Konzernspitzengesellschaft nicht beeinträchtigt würden. Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
1. Gemäß § 320 b Abs. 1 Satz 3 AktG (so bereits die wortgleiche Formulierung in § 320 Abs. 5 Satz 3 AktG a.F.) sind bei der Eingliederung aufgrund Mehrheitsbeschlusses in eine bereits abhängige Hauptgesellschaft den ausgeschiedenen Aktionären nach deren Wahl als Abfindung eigene Aktien der Hauptgesellschaft oder eine angemessene Barabfindung zu gewähren. Diese im Falle „schlichter” Abhängigkeit der Hauptgesellschaft von einer Obergesellschaft unmittelbar einschlägige und auch problemlos durchführbare Regelung würde allerdings bei wörtlicher Anwendung auf eine – wie hier – bereits ihrerseits in eine Obergesellschaft eingegliederte Hauptgesellschaft zur Beendigung ihrer Eingliederung in die Obergesellschaft führen, falls ein ausgeschiedener Aktionär der neu eingegliederten Enkelgesellschaft tatsächlich die Abfindung in Aktien der Hauptgesellschaft wählen und diese dem Verlangen durch Beschaffung „eigener” Aktien aus dem Besitz der Obergesellschaft entsprechen sollte (§§ 327 Abs. 1 Nr. 3, 71 Abs. 1 Nr. 3 AktG). Damit würde zwar zunächst der Aufbau eines mehrstufigen Konzerns „von oben nach unten” verhindert; der solchermaßen abgefundene Aktionär müßte allerdings die alsbald beschlossene „Wiedereingliederung” der Hauptgesellschaft in die Obergesellschaft hinnehmen. Auch dann würde er im Endergebnis nur mit Aktien der Obergesellschaft abgefunden. Bei einem bereits bestehenden mehrstufigen Eingliederungskonzern durch zuvor erfolgte Eingliederungen „von oben nach unten” würde es auf diese Weise zu einer mehrfachen Aus- und anschließenden Wiedereingliederung „von unten nach oben” kommen, damit die Konzernspitzengesellschaft das von Anfang an erstrebte Ziel des Aufbaus eines mehrstufigen Konzerns erreichen könnte.
Bei dieser Konstellation ist nach Ansicht des Senats – in Übereinstimmung mit der nahezu einhelligen Meinung im Schrifttum – eine direkte Abfindung in Aktien der Spitzengesellschaft als „Hauptgesellschaft der obersten Konzernstufe” geboten, um das komplizierte Verfahren der Aus- und Wiedereingliederung, an dessen Durchführung niemand ein vernünftiges, schützenswertes Interesse haben kann, überflüssig zu machen und den Aufbau eines mehrstufigen Eingliederungskonzerns „von oben nach unten” zu ermöglichen (vgl. Rehbinder, ZGR 1977, 581, 614 f.; Krieger in: Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 73 Rdn. 19; Semler/Grunewald in Geßler/Hefermehl, AktG, § 320 Rdn. 20; Martens, AG 1992, 209, 211 Fn. 7; Kamprad/Römer, AG 1990, 486, 488 ff.; zustimmend auch: Hüffer, AktG, 3. Aufl., § 320 b Rdn. 6; ähnlich Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, 6. Aufl., S. 122 unter Befürwortung einer Analogie zu § 305 Abs. 2 Nr. 2 AktG; a.A. nur: Koppensteiner in Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., § 320 Rdn. 20).
Die sinngemäße Anwendung des § 320 b Abs. 1 Satz 3 AktG auf die Konzernspitzengesellschaft im Falle der Eingliederung einer (Enkel-)Gesellschaft in eine bereits eingegliederte Tochtergesellschaft steht in Einklang mit der – verfassungsrechtlich unbedenklichen (BVerfGE 14, 203, 273 ff.) – Zielvorstellung des Gesetzgebers, die Eingliederung nicht daran scheitern zu lassen, „daß sich noch eine kleine Minderheit von Aktien in den Händen bekannter oder unbekannter Aktionäre befindet” (Begr. RegE zu § 309 AktG [= § 320 AktG 1965], BT-Drucks. IV/171, S. 214), und die ausgeschiedenen Minderheitsaktionäre durch volle wirtschaftliche Entschädigung für den Verlust ihrer Rechtsposition abzufinden. Die Analogie hält sich in den Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung (vgl. hierzu BVerfGE 69, 315, 373 f.), weil der Gesetzgeber des Aktiengesetzes 1965 eine besondere Regelung für den ersichtlich nicht bedachten Sonderfall der mehrstufigen Konzernbildung „von oben”, für den die allgemeine Regelung nicht angemessen ist, offenbar versehentlich nicht getroffen hat und durch die Analogie nur die mutmaßliche Vorstellung des Gesetzgebers zur Geltung gebracht wird. In den Vorbemerkungen des Entwurfs zum Dritten Buch des Aktiengesetzes 1965 (BT-Drucks. IV/171, S. 214) heißt es lediglich, daß dieser besondere Vorschriften enthalte, die bereits als Grundzüge einer Konzernverfassung angesehen werden müßten. Diese grundlegenden Regelungen sind hinsichtlich der verbundenen Unternehmen in erster Linie auf Unternehmensverbindungen zugeschnitten, die aus einer herrschenden Gesellschaft und einer oder mehreren Untergesellschaften bestehen. Insbesondere die zentralen Schutzvorschriften zugunsten der Aktionäre und Gläubiger abhängiger Unternehmen gehen grundsätzlich von einer zweistufigen Unternehmensverbindung und der Teilbarkeit mehrstufiger Rechtsbeziehungen in konturierte Zweiparteienverhältnisse aus (§§ 291 ff., 311 ff., 319 ff. AktG). Zwar ist für den Vertragskonzern der Primärschutz des außenstehenden Aktionärs nicht nur durch Gewährung von Aktien des anderen – wirtschaftlich selbständigen – Vertragsteils (§ 305 Abs. 2 Nr. 1 AktG), sondern darüber hinaus unter den Bedingungen drei- oder mehrstufiger Konzernierung durch Anspruch auf Aktien des herrschenden oder mit Mehrheit beteiligten Unternehmens verwirklicht (§ 305 Abs. 2 Nr. 2 AktG). Eine vergleichbare, angemessene und umfassende Regelung komplexer mehrstufiger Konzernverhältnisse hat der Gesetzgeber jedoch für die Sonderfälle der Mehrheitseingliederung in eine abhängige Gesellschaft (§ 320 Abs. 5 Satz 3 AktG 1965) nicht verwirklicht. Insoweit hat er – im Sinne des Zweistufigkeitsgedankens – offenbar lediglich die schlichte Abhängigkeit der Hauptgesellschaft von einer Obergesellschaft bedacht, weil anderenfalls zumindest im Ansatz die Problematik dargestellt worden wäre, daß bei bereits erfolgter Eingliederung der Hauptgesellschaft in eine Obergesellschaft die Abfindung in eigenen Aktien der Hauptgesellschaft jedenfalls nicht ohne Beendigung jener Eingliederung möglich ist. Wurde aber im Gesetzgebungsverfahren diese Problematik einfach übersehen, so kann dem Schweigen der Gesetzesmaterialien jedenfalls nicht entnommen werden, daß durch die Regelung des § 320 AktG 1965 eine Eingliederung „von oben nach unten” im mehrstufigen Konzern ausgeschlossen sein sollte. Obwohl zwischenzeitlich die Problematik in der Rechtsliteratur bekannt und dargestellt worden war, ist auch bei der Reform von 1994 in dieser Hinsicht in § 320 b AktG keine von der Ursprungsfassung des § 320 Abs. 5 Satz 3 AktG 1965 abweichende Regelung getroffen worden; aus dem – erneuten – Schweigen des Gesetzgebers ist jedenfalls kein von den ursprünglichen Vorstellungen (1965) abweichender Wille zu entnehmen. Es ist daher davon auszugehen, daß der Gesetzgeber von 1965 eine Regelung treffen wollte, die den Belangen aller Beteiligten gerecht wird und deshalb vernünftig ist. Im Falle einer eingegliederten Hauptgesellschaft ist das allein eine Abfindung in Aktien der Konzernspitzengesellschaft. Durch die Aktien dieser Gesellschaft, die in dem in § 320 b Abs. 1 Satz 4 AktG beschriebenen Verhältnis zu gewähren sind, werden die aus der zuletzt eingegliederten Enkelgesellschaft ausgeschiedenen Aktionäre wirtschaftlich voll entschädigt; zugleich wird dem berechtigten Interesse der Hauptgesellschaft Rechnung getragen, eine Ausgliederung aus ihrer Muttergesellschaft zu vermeiden. Demgegenüber würde eine Abfindung in eigenen Aktien die Belange der Hauptgesellschaft völlig vernachlässigen, ohne daß sie für die ausgeschiedenen Aktionäre einen grundsätzlichen Vorteil hätte oder generell besser geeignet wäre, ihren berechtigten Interessen zu dienen. Der Wertausgleich, den die Minderheitsaktionäre als volle Entschädigung für das Ausscheiden aus der eingegliederten Gesellschaft erhalten, umfaßt weder etwaige spekulative Zusatzvorteile, die sich aus einer hypothetischen Verbesserung des Umtauschverhältnisses durch die zeitliche Verzögerung des letztendlich stattfindenden Erwerbs von Aktien der Spitzengesellschaft infolge von Aus- und Wiedereingliederungen bei einem Neuaufbau des Konzerns „von unten nach oben” ergeben könnten, noch den mit einer drohenden Aus- und nachfolgenden Wiedereingliederung verbundenen sog. Lästigkeitswert. Beide – spekulativen – Umstände stellen keine wertbildenden Faktoren für den inneren Wert der Aktien des Minderheitsaktionärs dar, die mit der Eintragung der Eingliederung in das Handelsregister gemäß § 320 a Satz 1 AktG auf die Hauptgesellschaft übergehen und für die allein die Entschädigung zu gewähren ist.
Die entsprechende Anwendung des § 320 b Abs. 1 Satz 3 AktG auf die Konzernspitzengesellschaft führt – entgegen der Ansicht der Revision – auch nicht zu einem mit dem Gesetz nicht zu vereinbarenden Wahlrecht des Großaktionärs, der Aktien der Obergesellschaft anbieten könnte, wenn er die Minderheitsaktionäre aus der Hauptgesellschaft heraushalten wollte, oder – unter Berufung auf den Gesetzeswortlaut – Aktien der eingegliederten Hauptgesellschaft, wenn er die Aktionäre nicht in der Obergesellschaft haben wollte. Abgesehen davon, daß die vom Berufungsgericht zutreffend zugrunde gelegte Analogie zu § 320 b Abs. 1 Satz 3 AktG im Falle der eingegliederten Hauptgesellschaft gerade kein derartiges Abfindungswahlrecht, sondern nur noch eine Abfindung in Aktien der Obergesellschaft zuläßt, könnten die Aktionäre der Enkelgesellschaft auch dann mühelos von der Obergesellschaft ferngehalten werden: Bevor die Enkelgesellschaft eingegliedert wird, könnte die Eingliederung der zukünftigen Hauptgesellschaft in die Obergesellschaft gemäß § 327 Abs. 1 Nr. 1 AktG durch einen Hauptversammlungsbeschluß beendet werden.
2. Danach ist der Beschluß der Hauptversammlung der Beklagten vom 5. Juli 1995 über ihre Eingliederung in die R. AG rechtlich nicht zu beanstanden. Den ausgeschiedenen Minderheitsaktionären sind mit Recht alternativ neben einer Barabfindung Aktien der V. AG als Konzernspitzengesellschaft entsprechend § 320 b Abs. 1 Satz 3 AktG angeboten worden. Die hierauf bezogene Bekanntgabe der Eingliederung als Gegenstand der Tagesordnung entsprach § 320 Abs. 2 AktG. Auch der vorgelegte Eingliederungsbericht betraf zutreffend die V. AG.
Unterschriften
Röhricht, Prof. Dr. Henze, Prof. Dr. Goette, Dr. Kapsa, Dr. Kurzwelly
Fundstellen
Haufe-Index 1130414 |
BGHZ |
BGHZ, 224 |
BB 1998, 1757 |
DB 1998, 1707 |
DStR 1998, 1314 |
HFR 1999, 49 |
WPg 1998, 860 |
NJW 1998, 3202 |
BGHR |
NZG 1998, 728 |
NZG 1999, 260 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1998, 1624 |
WuB 1998, 911 |
ZIP 1998, 1353 |
AG 1998, 481 |