Mit seiner neuen Entscheidung hat der BFH ausgesprochen, was bereits seit langem der h. M. im Schrifttum entspricht. Das Urteil betrifft die Frage, ob aus der Berichtigung oder Änderung einer Bilanz steuerrechtliche Folgen für das anschließende Wirtschaftsjahr gezogen werden können, falls für das Folgejahr bereits eine bestandskräftige Steuerfestsetzung oder Gewinnfeststellung vorliegt.
Bei der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 und 2, § 5 Abs. 1 EStG) ist davon auszugehen, dass die Schlussbilanz eines Wirtschaftsjahres zugleich auch die Eröffnungsbilanz für das Folgejahr ist (Bilanzidentität, Zweischneidigkeit der Bilanz). Wird das "Betriebsvermögen am Schluss eines Wirtschaftsjahrs" (§ 4 Abs. 1 Satz 1 EStG) nachträglich aufgrund einer Bilanzberichtigung geändert, so führt dies zu einer entsprechenden Änderung der Anfangsbilanz des Folgejahres. Bei der Steuerfestsetzung (bzw. Gewinnfeststellung) für das Folgejahr hat dies in aller Regel Gewinnerhöhungen oder -minderungen zur Folge.
Ist die Berichtigung der Anfangsbilanz allerdings nicht möglich, weil der Festsetzungs-(Feststellungs-)bescheid für dieses Jahr aus verfahrensrechtlichen Gründen – insbesondere wegen Fehlens von Änderungsvorschriften oder wegen Verjährung – nicht geändert werden kann, so ist die Korrektur in der Schlussbilanz des ersten Jahres nachzuholen, in dem dies mit steuerlicher Wirkung möglich ist (ständige Rechtsprechung des BFH, Urteil v. 28. 4. 1998, VIII R 46/96, BStBl 1998 II S. 441).
Mit der neuen Entscheidung des BFH wird nunmehr klargestellt, dass eine Bilanzberichtigung, durch die das "Betriebsvermögen am Schluss eines Wirtschaftsjahres" (§ 4 Abs. 1 Satz 1 EStG) nachträglich geändert wird, als Grund für die Änderung eines bereits bestandskräftigen Bescheids für das Folgejahr ausreicht. Die Rechtsgrundlage hierfür sieht der BFH in § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO. Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu ändern, "soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkungen für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis)." Nach Auffassung des BFH (und nach der herrschenden Schrifttumsmeinung) ist die Korrektur eines Wertansatzes in der Jahresschlussbilanz ein solches "Ereignis". Denn das Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs sei – als Folge des Bilanzenzusammenhangs – materiellrechtliches Tatbestandsmerkmal des Steueranspruchs für das Folgejahr und sei damit Teil des Sachverhalts, der (auch) dieser Steuerfestsetzung zugrunde liegt.
Praktische Bedeutung kommt der neuen Entscheidung vor allem in den Fällen zu, in denen – z. B. durch eine Rechtsbehelfsentscheidung oder Berichtigungsveranlagung – Wertansätze in der Vorjahresschlussbilanz geändert werden. In einem solchen Fall ist der bereits bestandskräftige Steuerbescheid für das Folgejahr nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO von Amts wegen zu ändern. Dies gilt zu Gunsten wie zu Ungunsten des Steuerpflichtigen.