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Im Handelsrecht – wo sich die Anwendung des subjektiven Fehlerbegriffs traditionell auf Rechts- und Tatsachenfragen erstreckt –[1] ist ein Abschluss bislang nur dann fehlerhaft, "wenn der Kaufmann den Gesetzesverstoß spätestens im Zeitpunkt der Feststellung bei pflichtgemäßer und gewissenhafter Prüfung hätte erkennen können; spätere wertaufhellende Erkenntnisse machen den festgestellten Abschluss nicht fehlerhaft".[2] Ob die Aufgabe des subjektiven Fehlerbegriffs auch für die Handelsbilanz maßgeblich ist, geht aus dem Beschluss des Großen Senats nicht hervor. Da der Große Senat lediglich in Bezug auf die Steuerfestsetzung entschieden und hier zudem verfassungs- und nicht bilanzrechtlich argumentiert hat, kann die Entscheidung nach Auffassung von Hennrichs nicht herangezogen werden, um die Aufgabe des subjektiven Fehlerbegriffs auch im Handelsrecht zu begründen.[3] Demnach dürfte der subjektive Fehlerbegriff im Handelsrecht weiterhin (auch bei Rechtsfragen) seine Geltung behalten, was aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzungen der Rechenwerke auch gerechtfertigt wäre.[4] Während sich das Steuerrecht nämlich als Lastenverteilungsrecht und Eingriffsverwaltung darstellt, rückt das Handelsrecht mehr das Verhältnis der Gesellschafter untereinander und die Informationsfunktion in den Vordergrund.[5] Die Aufgabe des subjektiven Fehlerbegriffs im Handelsrecht würde für handelnde Personen wie Vorstände, Aufsichtsräte, Geschäftsführer oder auch Wirtschaftsprüfer ein nicht tragbares haftungs- und auch berufsrechtliches Risiko bergen[6] und zudem das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Bestandskraft festgestellter Abschlüsse beeinträchtigen, da ein festgestellter Jahresabschluss Rechtswirkung nach außen entfaltet und dessen Wirkungen auch teils irreversibel sind, z. B. bei Gewinnausschüttungen.[7] Demnach ist es Ziel, dass getroffene Gewinnverwendungsbeschlüsse nicht angegriffen und sanktionsbewährte Korrekturzwänge vermieden werden.[8] Folglich spricht vieles dafür, das bisherige Fehlerbegriffsverständnis auch "im Lichte des BFH-Beschlusses aufrechtzuerhalten".[9]

[1] Vgl. Brandenberg/Prinz, Der Beschluss des Großen Senats zum subjektiven Fehlerbegriff, in Rödder/Günkel, StBJB 2013/2014, S. 281.
[2] Vgl. IDW RS HFA 6, Tz. 14.
[3] Vgl. Hennrichs, NZG 2013, S. 686.
[4] Vgl. Rogall/Curdt, Ubg 2013, S. 349; a. A. Schulze-Osterloh, BB 2013, S. 1132.
[5] Vgl. Rogall/Curdt, Ubg 2013, S. 349; Weber-Grellet, DStR 2013, S. 730.
[6] Vgl. Hennrichs, NZG 2013, S. 686.
[7] Vgl. Brandenberg/Prinz, Der Beschluss des Großen Senats zum subjektiven Fehlerbegriff, in Rödder/Günkel, StBJB 2013/2014, S. 282; IDW-FN 2013, S. 359.
[8] Vgl. Prinz, Steuerberaterhandbuch 2010/2011, S. 241, 254.
[9] Vgl. IDW-FN 2013, S. 359.

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