Dr. Florian Müller, Dr. Daniel Licht
Rz. 73
Die nunmehrige Anwendung des objektiven Fehlerbegriffs kann im Einzelfall zugunsten, aber auch zulasten des Steuerpflichtigen wirken. Für letzteren Fall hat der BFH auf eine Übergangsregelung verzichtet; eine solche könne nur ausnahmsweise zugunsten der Steuerpflichtigen getroffen werden, da sowohl die Finanzverwaltung als auch die Rechtsprechung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an die Gesetze gebunden sind. Die Voraussetzungen für eine solche ausnahmsweise Übergangsregelung lägen nicht vor, da es keine langjährig gefestigte Rechtsprechung dazu gebe. Eine Übergangsregelung zugunsten der Finanzverwaltung komme aufgrund ihrer Bindung an die Gesetze ohnehin nicht in Frage. Damit bleibt es bei den regulären Vertrauensschutzmöglichkeiten, die die Abgabenordnung gewährt. In Betracht kommt hier § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO, wonach bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden darf, dass sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofes des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewendet worden ist. Der Steuerpflichtige soll durch die Änderung der Rechtsprechung keine Nachteile erleiden. Folge ist, dass zugunsten des Steuerpflichtigen für noch offene Altfälle die frühere Rechtsprechung bis zum 26.3.2013 – dem Tag vor der Veröffentlichung der Entscheidung – weiter anwendbar ist, sodass der Steuerpflichtige so zu stellen ist, wie er gestanden hätte, wenn sich die Rechtsprechung nicht geändert hätte. Das gilt auch dann, wenn der Bescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung oder vorläufig ergangen ist. Der Vertrauensschutz nach § 176 AO unterscheidet sich jedoch von jenem, der aus dem subjektiven Fehlerbegriff resultierte. Während für den subjektiven Fehlerbegriff vertretbare Einschätzungen im Zeitpunkt der Einreichung der Steuerbilanz maßgebend waren, stellt § 176 Abs. 1 AO auf die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids ab, sodass nicht der erstmalige Erlass eines Steuerbescheids erfasst ist. Ferner ist die Anwendung von § 176 AO von den Korrekturvorschriften der §§ 164 f. bzw. der §§ 172 ff. AO abhängig, sodass – anders als beim subjektiven Fehlerbegriff – ein Vertrauensschutz im Einspruchs- oder Gerichtsverfahren ausgeschlossen ist. Demnach stellt sich der Vertrauensschutz, den § 176 AO gewährt, nicht als gleichwertiger Ersatz im Vergleich zu dem, der aus der Anwendung des subjektiven Fehlerbegriffs hervorging, dar. Für den Steuerpflichtigen ist hingegen positiv, dass § 176 AO nur zu seinen Gunsten wirkt, woraus folgt, dass für ihn günstige Rechtsprechung nicht mehr erst verzögert zur Anwendung kommt, da der Steuerpflichtige nicht mehr an seine subjektive Auffassung gebunden ist.
Ein weiterer Berührungspunkt der geänderten Rechtsprechung besteht mit § 153 AO, wonach der Steuerpflichtige, der vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist, und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist, verpflichtet ist, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen. Fraglich ist nun, ob durch die geänderte Rechtsprechung zum Fehlerbegriff die Erklärung des Steuerpflichtigen als fehlerhaft betrachtet werden kann, und dadurch die Rechtsfolgen des § 153 AO ausgelöst werden können. Der Erklärungsfehler muss dabei im Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung vorgelegen haben. Demnach lässt eine spätere Rechtsprechungsänderung die abgegebene Erklärung zunächst nicht fehlerhaft werden. Obwohl die Rechtsprechungsänderung die Bilanz zwar objektiv unrichtig werden lässt, wird man keine Berichtigungspflicht bejahen können, da der Steuerpflichtige aufgrund seiner Erklärung bei der Behörde einen Irrtum erzeugt haben müsste, für dessen Korrektur er verantwortlich sein soll; eine geänderte Rechtsprechung wäre jedoch von Amts wegen zu berücksichtigen. Legt der Steuerpflichtige seine Tatsachen, auf die er seine rechtliche Würdigung stützt, offen, ist er nicht zur Berichtigung verpflichtet; eine andere Ansicht würde ein umfassendes Überwachen der Rechtsprechung zum Bilanzsteuerrecht und damit ein entsprechendes Bilanzansatz-"Monitoring" nach sich ziehen, was dem Steuerpflichtigen nicht auferlegt werden soll.