Rz. 1

Der Begriff "Bilanzierungsverstoß" soll im Folgenden sowohl für die Verletzung gesetzlich oder anderweitig normierter Bilanzierungsvorschriften (z. B. des Handels- und Steuerrechts, des Börsenrechts, der Rechnungslegungsstandards etc.) als auch für die Missachtung von Bilanzierungsregeln, die durch unbestimmte Rechtsbegriffe vorgegeben sind (wie z. B. durch die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, GoB), verwandt werden.

 

Rz. 2

Der Begriff "Bilanzierung" soll weit verstanden werden, also nicht auf die Erstellung der Bilanz beschränkt sein, sondern vielmehr auch die Gewinn- und Verlustrechnung, den Anhang und den Lagebericht (ggf. inkl. Nachhaltigkeitsberichterstattung) sowie sämtliche ergänzenden Rechenwerke umfassen. Die treffendere, aber bisher unübliche Bezeichnung wäre diesbezüglich eigentlich "Rechnungslegungsverstöße". In der Literatur[1] finden sich häufig auch die Bezeichnungen "Bilanzdelikte" und "Bilanzkriminalität" oder "Bilanzfälschung" und "Bilanzmanipulation".

 

Rz. 3

Letztlich soll auch in zeitlicher Hinsicht eine umfassende Betrachtung der Rechnungslegung vorgenommen werden. Das Augenmerk wird nicht nur auf Verstöße bei der Aufstellung der einzelnen Rechenwerke, sondern auch auf die Phasen der Prüfung, Feststellung und Offenlegung derselben gerichtet. Nicht erst durch die aktuelle Ausgestaltung der Nachhaltigkeitsberichterstattung durch den ESRS 2 wird deutlich, dass der Rechnungslegungsprozess weit in die Organisation des Unternehmens hineinstrahlt. Somit sind auch die im Unternehmen verankerten (oder fehlenden) Systeme Teil der Betrachtung von Bilanzierungsverstößen. Bislang waren nur kapitalmarktorientierte Unternehmen verpflichtet, im Lagebericht zum Risikomanagementsystem und internen Kontrollsystem bezogen auf den Rechnungslegungsprozess zu berichten. Ab dem Geschäftsjahr 2025 müssen dies auch alle großen Kapitalgesellschaften und konzernrechnungslegungspflichtige Mutterunternehmen zumindest bezogen auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung umsetzen. Allerdings war der Aufsichtsrat schon bislang für die Prüfung der Wirksamkeit dieser Systeme verantwortlich. Bilanzierungsverstöße reichen somit bis hin zu Organisationsversäumnissen von Unternehmen.

[1] Z. B. Sieben/Matschke/Neuhäuser, Bilanzdelikte, 1974; Freidank, Bilanzreform und Bilanzdelikte, 2005; Neuhäuser, Bilanzkriminalität, 1974; Peemöller, BBK 24/2009, S. 1211 ff.; Rinker, StuB 8/2019, S. 297 ff. und 10/2019, S. 395 ff..

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