Prof. Dr. Stefan Müller, Laura Peters
Rz. 55
Eine zivilrechtliche Schadenersatzpflicht bei Bilanzierungsverstößen kann sich zunächst aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem Schutzgesetz ergeben. Danach ist derjenige, der gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt, diesem zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
Rz. 56
Als Schutzgesetze kommen jedenfalls einige der soeben dargestellten strafrechtlichen Normen (§§ 263, 264, 264a, 266 StGB, nicht jedoch §§ 267 ff. StGB) in Betracht. Die handelsrechtlichen Bilanzierungsvorschriften für Einzelkaufleute und Personengesellschaften wurden hingegen bislang in der Rechtsprechung nicht als Schutzgesetze anerkannt, sodass bei ihrer Verletzung kein aus § 823 Abs. 2 BGB ableitbarer privatrechtlicher Schadenersatzanspruch besteht. Der BGH hat sich jüngst explizit gegen die Schutzgesetzqualität des § 283b Abs. 1 Nr. 3a StGB ausgesprochen. Regelungszweck der Vorschrift sei die Abwehr abstrakter Gefahren für die Vermögensinteressen der Gläubiger, vermittelt durch eine Selbstinformation des Unternehmers. Die mittelbar gläubigerschützende Wirkung sei nicht ausreichend zur Bejahung des Schutzgesetzcharakters.
Rz. 57
Eine Schadenersatzpflicht kann sich außerdem bei einem Handeln, das "gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt" wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus § 826 StGB ergeben.
Rz. 58
Des Weiteren kann eine Schadenersatzpflicht aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen gemäß §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB bestehen, wenn Sorgfaltspflichten aus einem vertragsähnlichen Vertrauensverhältnis verletzt werden (so z. B., wenn beim Verkauf eines Unternehmens eine unrichtige Bilanz vorgelegt wird).
Rz. 59
Gelegentlich werden Dritten gegenüber bestimmte Bilanzpositionen (z. B. die Vollständigkeit der Passiva) auch vertraglich garantiert. In diesen Fällen können sich unter Umständen Ansprüche aus einem selbstständigen Garantieversprechen ergeben. Die Zusage der Richtigkeit bestimmter Bilanzpositionen führt dagegen nicht zu Ansprüchen aus gesetzlicher Sachmängelhaftung (§§ 437 ff. BGB).
Rz. 60
Ist ein Steuerberater mit der Aufstellung des Jahresabschlusses beauftragt worden, so haftet dieser bei Bilanzierungsverstößen wegen Pflichtverletzung des "Steuerberatervertrages" gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 675 bzw. § 634 BGB (bei Wahrnehmung aller steuerlichen Belange in der Form eines Geschäftsbesorgungsvertrages mit Dienstvertragscharakter, bei konkreten Einzelleistungen in der Form eines Werkvertrages). Er haftet auch für die Fehler seiner Gehilfen (§ 278 BGB). Unter Umständen können auch geschädigte Dritte (wie z. B. eine Bank) aus fehlerhaft erstellten Bilanzen oder darauf basierender betriebswirtschaftlicher Auswertung (BWA) einen Ersatzanspruch gegen den Steuerberater herleiten (Dritthaftung).