Prof. Dr. Stefan Müller, Laura Peters
Rz. 237
Mit Inkrafttreten des Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetzes (FISG) zum 1.1.2022 wurde das deutsche Enforcement-Verfahren grundlegend reformiert und das bis dahin zweistufige Enforcement-System aufgehoben und durch ein einstufiges Verfahren ersetzt. "Enforcement" bezeichnet dabei die Überwachung der Rechtmäßigkeit konkreter Unternehmensabschlüsse durch eine außerhalb des Unternehmens stehende, nicht mit dem gesetzlichen Abschlussprüfer identische unabhängige Stelle.
Rz. 238
Bis 2022 bestand das Enforcement-Verfahren aus einer zweistufigen Prüfung durch die zu diesem Zweck gegründete, privatrechtlich organisierte, unabhängige Einrichtung Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) e. V. und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Die DPR wurde nach § 342b HGB a. F. auf der ersten Stufe sowohl reaktiv bei Vorliegen von Anhaltspunkten für Rechnungslegungsverstöße (so genannte Anlassprüfung) als auch proaktiv im Rahmen von Stichprobenprüfungen oder unabhängig davon im Einzelfall auf Verlangen der BaFin tätig. Das Verfahren wurde nach § 108 Abs. 1 Satz 2 WpHG a. F. auf der zweiten Stufe von der BaFin fortgeführt, wenn ein Unternehmen die Kooperation mit der Prüfstelle verweigerte, d. h. sich der Prüfung entzog, aufgezeigte Fehler nicht beseitigte oder die Ergebnisse der Prüfstelle in Zweifel zog. ZDie BaFin konnte aber auch selbstständig über die Einleitung und Durchführung einer Prüfung entscheiden und eine Prüfung – unabhängig von einer Mitteilung durch die Prüfstelle – z. B. auch dann einleiten, wenn sie erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des Prüfungsergebnisses der Prüfstelle oder an deren ordnungsgemäßer Prüfungsdurchführung hatte.
Rz. 239
Durch das FISG wurde der BaFin die alleinige Verantwortung im Enforcement-Verfahren zugeteilt. Aufgrund der Alleinverantwortung beschränkt sich die Bilanzkontrolle inzwischen auf die Anlass- und Stichprobenprüfungen. Prüfungen, die vor dem 1.1.2022 von der DPR begonnen, aber noch nicht abgeschlossen wurden, werden von der BaFin fortgeführt.
Rz. 240
Der Prüfung unterliegen – auch nach der Reform – lediglich kapitalmarktorientierte Unternehmen, d. h. Unternehmen mit Sitz im In- oder Ausland, deren Wertpapiere im Sinne von § 2 Abs. 1 WpHG an einer inländischen Börse im amtlichen oder geregelten Markt gehandelt werden (§ 106 WpHG).
Rz. 241
Gegenstand der Prüfung sind der zuletzt festgestellte Jahresabschluss und Lagebericht bzw. Konzernabschluss und Konzernlagebericht, der zuletzt veröffentlichte verkürzte Abschluss und der zugehörige Zwischenlagebericht sowie zuletzt veröffentlichte Zahlungsberichte und Konzernzahlungsberichte des betreffenden Unternehmens (§ 342b Abs. 2 Satz 1 HGB a. F.; § 106 WpHG). Der zeitliche Anwendungsbereich von Anlassprüfungen wurde durch die Reform von zwei auf drei Geschäftsjahre erweitert. Gegenstand der Prüfung sind somit nach § 107 Abs. 2 WpHG die Berichterstattung der aktuellen Berichtsperiode sowie die der zwei vorausgegangenen Geschäftsjahre.
Rz. 242
Zu einer Anlassprüfung kann es kommen, wenn konkrete Umstände tatsächlicher Art bekannt werden, die einen Verstoß gegen Rechnungslegungsvorschriften nahelegen und deren Auswirkungen nicht nur belanglos sind. Ob die Prüfung nur auf den jeweiligen Anhaltspunkt beschränkt ist oder aber eine Vollprüfung stattfindet, liegt im Ermessen der Prüfstelle. Art und Umfang der stichprobenbezogenen Prüfung sind gesetzlich nicht festgelegt. Es ist sowohl eine vollständige Zufallsauswahl als auch eine nach bestimmten Kriterien vorgenommene Stichprobe denkbar. Nach den Stichprobengrundsätzen der DPR wurdenIndexunternehmen alle 4–5 Jahre, Nicht-Index-Unternehmen alle 8–10 Jahre geprüft. Die BaFin behielt das von der DPR genutzte Prozedere bei Stichprobenprüfungen bei und erweitert diese systematisch mit Blick auf die ökonomischen Risiken.
Rz. 243
Auch die Zielsetzung des Enforcement-Verfahrens wurde mit dem FISG beibehalten. Nach § 106 WpHG soll durch das Verfahren geprüft werden, ob die Abschlüsse den gesetzlichen Vorschriften einschließlich der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung oder den sonstigen durch Gesetz zugelassenen Rechnungslegungsstandards entsprechen.
Im Dezember 2023 gab die BaFin ihre Enforcement-Schwerpunkte 2024 an. Schwerpunkt der Prüfung ist die vollständige, verlässliche und ausgewogene Darstellung der Geschäftstätigkeit und des Geschäftsmodells von Unternehmen in den Konzernabschlüssen und -Lageberichten 2023.
Rz. 244
Während die Zusammenarbeit der Unternehmen mit der DPR auf freiwilliger Basis erfolgte, kann die BaFin nach § 107 Abs. 1 Satz 1 WpHG die Prüfung anordnen. Den Unternehmen stehen dabei grundsätzlich die verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfe zu. Zusätzlich kann die BaFin die Prüfungsanordnung sowie den Grund der Anordnung nach § 107 Abs. 1 Satz 6 WpHG auf ihrer Internetseite oder dem Bundesanzeiger bekannt machen, sofern öffentliches Interesse besteht.
Rz. 245–248
vorläufig frei
Rz. 249
Sieht die BaFin nach Durchführung der Prüfung keine...