Rz. 23
Die neueren Bilanztheorien vermochten bisher nicht, das geltende Bilanzrecht bei Gesetzesänderungen zu beeinflussen. Ganz anders ist dies bei der statischen und der dynamischen Bilanztheorie. Diese haben sich im Laufe der Zeit in unterschiedlicher Intensität im Bilanzrecht niedergeschlagen. Florierte nach der Statik der Jahrhundertwende zunächst die dynamische Bilanztheorie bis zum AktG von 1965, in dem die Auswüchse der der Objektivierung entgegenlaufenden Dynamik begrenzt wurden, so gewann die dynamische Bilanztheorie mit In-Kraft-Treten des Bilanzrichtliniengesetzes am 1.1.1986, des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes am 1.1.2010 sowie dem Bilanzrichtlinienumsetzungsgesetzes zum 1.1.2016 wieder vermehrt an Bedeutung. Dieses lange Zeit bestehende "schwingende Pendel" war Ausdruck der in der Vergangenheit vorhandenen Polarisierung und Fixierung auf jeweils eine Bilanztheorie. Jeder Wissenschaftler hatte seine Position eingenommen, die er vehement verteidigte. Dass aber gerade die Verbindung statischer und dynamischer Ideen zu einer gleichsam aussagefähigen und gläubigerschutzorientierten Rechnungslegung führt, wurde erst spät erkannt. Einen wesentlichen Beitrag zur Kombination der Bilanztheorien stellt die Abkopplungsthese dar, d. h. die Erweiterung der Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung um den Anhang und den Lagebericht. Dynamisch motivierte Bilanzansätze, wie der Ansatz von aktiven latenten Steuern oder der Bewertung zum beizulegenden Zeitwert des Planvermögens, unterliegen im Anhang genauen, statisch zu interpretierenden Berichtspflichten. Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung dienen vorwiegend der vorsichtigen, gläubigerschützenden Ermittlung eines ausschüttungsfähigen Betrages.
Rz. 24
So sind dynamisch zu interpretierende, hinzugetretene Bilanzierungsnormen das Prinzip der Bewertungsstetigkeit, das Aktivierungswahlrecht für selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens, das Passivierungsgebot für Pensionsrückstellungen sowie die Berücksichtigung von Gewinnen nicht nach dem Zahlungszeitpunkt, sondern nach dem Zeitpunkt der Gewinnrealisierung.
Rz. 25
Bei der Bilanzierung der Stelle nach (§ 266 HGB) lassen sich das Liquiditätsgliederungsprinzip und die Gliederung nach Rechtsverhältnissen statisch interpretieren.
Rz. 26
Trotz divergierender Einzelregelungen kann festgehalten werden, dass im Handelsrecht der Bilanzansatz statisch und die Bewertung dynamisch geprägt sind. Als Gegenbeispiele für einen statisch motivierten Bilanzansatz können genannt werden: § 250 HGB (Rechnungsabgrenzungsposten), § 249 HGB (Aufwandsrückstellungen) sowie § 274 HGB (aktive und passive latente Steuern).
Als Gegenbeispiele für eine dynamisch motivierte Bewertung können die Abwertungsregeln im HGB angeführt werden.
Rz. 27
Die mangelnde Berücksichtigung der organischen Bilanztheorie ist auf die im Rahmen der Umsetzung bereits der BiRiLi in deutsches Recht gefällte Entscheidung des deutschen Gesetzgebers gegen den Ansatz von Wiederbeschaffungskosten gem. des nationalen Wahlrechts des Art. 33 der 4. EG-Richtlinie zurückzuführen.
Im Vorgriff der Umsetzung der konsolidierten Bilanzrichtlinie 2013/34/EU hat der Gesetzgeber lediglich bei der Bewertung eines Pensionsfonds den beizulegenden Zeitwert oberhalb der Anschaffungs- und Herstellungskosten in § 253 Abs. 1 HGB gefordert, dann aber mit einer Ausschüttungssperre über § 268 Abs. 8 HGB versehen.
Auch im Bereich des Konzernabschlusses finden sich Ansätze der organischen Bilanzauffassung im Rahmen der Kapitalkonsolidierung nach § 301 Abs. 1 HGB oder explizit auch nach § 308a HGB bezüglich der Währungsumrechnung, die erfolgsneutral im Eigenkapital abzugrenzen ist.