Leitsatz

1. Unterjährige Zinsvorteile sind bei der Prüfung eines Liquiditätsvorteils im Rahmen des Billigkeitserlasses von Nachforderungszinsen zur Umsatzsteuer gemäß § 233a AO unbeachtlich.

2. Dem Erlass von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer steht nicht entgegen, dass es zu mehreren aufeinanderfolgenden jahresübergreifenden Umsatzverlagerungen kommt (Anschluss an BFH-Urteil vom 11.07.1996 ‐ V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259).

 

Normenkette

§ 227, § 233a AO, § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b, § 18 Abs. 6 UStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin gab in den Jahren 2009 bis 2013 monatliche USt-Voranmeldungen für die von ihr nach vereinbarten Entgelten zu versteuernden Dienstleistungen ab. Bei einer Außenprüfung für die Jahre 2009 bis 2011 wurde u.a. festgestellt, dass die Klägerin, die in den Streitjahren keine Dauerfristverlängerung in Anspruch genommen hatte, ihre erklärten Umsätze stets dem Monat der Rechnungsstellung zugeordnet hatte, obwohl sie 90 % ihrer Leistungen bereits im Vormonat erbracht hatte. Grund hierfür war, dass die Klägerin meist erst nach Ablauf der Abgabefrist für den jeweiligen Voranmeldungszeitraum die für die Rechnungsstellung nötigen Informationen von ihren Subunternehmern erhielt. Um die falsche Zuordnung der Umsätze zu korrigieren, ordnete die Außenprüfung jeweils 90 % der im ­Januar angemeldeten Umsätze dem Vorjahr zu. In den entsprechend den Prüfungsfeststellungen geänderten USt-Jahresbescheiden vom 23.12.2015 für 2009 bis 2011 setzte das FA Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO fest. Sie betrugen 1.361.528 EUR für 2009 (Zinslauf: 56 Monate), 123.981 EUR für 2010 (Zinslauf: 44 Monate) und 232.800 EUR für 2011 (Zinslauf: 32 Monate). Nachdem die Klägerin für 2012 und 2013 entsprechend den Prüfungsfeststellungen geänderte Jahressteuererklärungen abgegeben hatte, erließ das FA am 4.1.2016 Zinsbescheide, in denen es Nachzahlungszinsen i.H.v. 165.740 EUR für 2012 (Zinslauf: 20 Monate) und i.H.v. 38.948 EUR für 2013 (Zinslauf: 8 Monate) festsetzte. Die insgesamt festgesetzten Zinsen beliefen sich damit auf 1.918.925 EUR. Einen Antrag der Klägerin auf Erlass der Nachzahlungszinsen aus Billigkeitsgründen lehnte das FA ab. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Demgegenüber verpflichtete das FG (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 4.8.2020, 1 K 610/18) das FA zu einer Neubescheidung dahin gehend, dass von einem grundsätzlichen Anspruch auf Billigkeitserlass auszugehen sei.

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz.

 

Hinweis

1. Vorliegend geht es um die von ursprünglichen Steuerfestsetzungen abweichende zeitliche Zuordnung von Umsätzen durch die Finanzbehörde, die zugleich zu einer Steuernachforderung und zu einer Steuererstattung führt. Hierzu hatte der BFH bereits entschieden, dass § 233a AO keine Zinsvorteile abschöpfen soll, die in Wirklichkeit nicht vorhanden sind (BFH, Urteil vom 11.7.1996, V R 18/95, BFH/NV 1996, 312, BStBl II 1997, 259). Danach besteht ein Anspruch auf Billigkeitserlass nach § 227 AO, wenn eine um einen Monat verspätete Steueranmeldung zu einem Zinslauf von acht Monaten führt, wobei der Liquiditätsvorteil durch eine spätere Anmeldung und entsprechende Vorauszahlung vor Beginn des Zinslaufs wieder entfallen ist. Maßgeblich ist hierfür insbesondere, dass die Änderung der zeitlichen Zuordnung eines Umsatzes anders als die Gewinnverlagerung (bei unveränderter Rechtslage) aufkommensneutral ist.

2. Zu beachten ist weiter, dass festgesetzte Vorauszahlungen nicht verzinst werden (§ 233a Abs. 1 Satz 2 AO). Hieraus leitet der BFH ab, dass ein monatlicher Zinsvorteil, den der Gesetzgeber nicht abschöpfen will, nicht als Begründung für die fehlende Unbilligkeit einer Zinsfestsetzung für die Jahressteuer herangezogen werden kann. Unterjährige Zinsvorteile sind bei der Prüfung eines Liquiditätsvorteils im Rahmen des Billigkeitserlasses von Nachforderungszinsen zur USt gemäß § 233a AO unbeachtlich.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 23.2.2023 – V R 30/20

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