3.1 Die traditionelle Jahresabschlussanalyse
Zur Bonitätseinschätzung von Unternehmen werden die Angaben im Jahresabschluss (Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung sowie Anhang und Lagebericht) untersucht und bewertet, um auf die gegenwärtige und zukünftige Finanz- und Ertragslage des jeweiligen Unternehmens zu schließen. Die eigentliche Analyse erfolgt in 3 Stufen:
- Als erstes werden die vorliegenden Informationen aufbereitet. Dazu werden die Aktiv- und Passivpositionen neu strukturiert (z. B. nach Fälligkeit der Passiva) und zu bestimmten Gruppen zusammengefasst (z. B. Haftkapital oder Working Capital). Hierbei müssen Informationen über die angewendeten Ansatz- und Bewertungswahlrechte berücksichtigt werden, die im Anhang der Bilanz zu finden sind.
- In der zweiten Stufe werden aus den aufbereiteten Daten Kennzahlen ermittelt. Mit bestandsorientierten Kennzahlen, die auf der Grundlage der Bilanzzahlen gebildet werden, sollen vor allem Erkenntnisse über die Vermögens- und Kapitalstruktur gewonnen werden. Für die Analyse der Erfolgsquellen werden stromgrößenorientierte Kennzahlen auf der Basis der Gewinn- und Verlustrechnung berechnet. Dabei liefert die Kapitalflussrechnung dynamische Kennzahlen, die Finanzbewegungen innerhalb des zugrunde liegenden Zeitraums (i. d. R. ein Jahr) widerspiegeln (z. B. Cashflow).
- Die dritte Stufe der Bonitätsanalyse beinhaltet die Bewertung der ermittelten Kennzahlen. Dazu werden verschiedene Vergleiche durchgeführt. Bei Zeitvergleichen werden Vorjahreswerte und aktuelle Werte miteinander verglichen, um Erkenntnisse zur Trendentwicklung zu gewinnen. Bei Betriebsvergleichen werden Kennzahlen branchengleicher Unternehmen gegenübergestellt, mit denen die relative Stellung des Unternehmens im Markt beurteilt wird. Sollten Plangrößen vorliegen, könnte auch ein Soll-Ist-Vergleich durchgeführt werden. Allerdings ist dies eher selten möglich, da die geplanten Zahlen von den jeweiligen Unternehmen nicht offen gelegt werden müssen.
Die Aussagekraft der Jahresabschlussanalyse im Hinblick auf die zukünftige Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens wird überwiegend skeptisch beurteilt. Die Kritik bezieht sich zum einen auf die Vergangenheitsorientierung der Daten und zum anderen auf die Möglichkeit, durch bilanzpolitische Maßnahmen die Aussagekraft einzelner Größen zu verändern. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Faktoren, die im Jahresabschluss unberücksichtigt bleiben, die aber für die Beurteilung der Bonität wichtig sind (z. B. Auftragsbestände, Kundenstruktur, Liquiditätsrechnungen).
3.2 Mathematisch-statistische Verfahren der Bonitätsanalyse
Mit den Verfahren der Kreditwürdigkeitsprüfung soll erreicht werden, dass Kreditnehmer, bei denen mit Störungen im Kreditverlauf zu rechnen ist, entsprechend ihres Risikos eingeschätzt werden. Gerade die große Anzahl an Unternehmensschieflagen hat gezeigt, dass die traditionelle Jahresabschlussanalyse nicht ausreicht, dieses Risiko richtig abzubilden. Um den Prozess der Bonitätsprüfung qualitativ zu verbessern, werden deshalb zusätzlich mathematisch-statistische Analyseverfahren eingesetzt.
3.2.1 Diskriminanzanalyse
Ein solches Verfahren ist die Diskriminanzanalyse, die zur Insolvenzprognose angewendet wird. Dazu werden Kennzahlen der Jahresabschlussanalyse von Unternehmen, die in einem bestimmten Zeitraum insolvent wurden, mit den Kennzahlen verglichen, die bei Unternehmen erhoben wurden, die im gleichen Zeitraum solvent geblieben sind (die Unternehmen sollten hinsichtlich spezifischer Merkmale wie Branche, Betriebsgröße u. a. vergleichbar sein). Im Anschluss werden aus den vorhandenen Daten die Kennzahlen ermittelt, die als Merkmale für eine Prognose zur Insolvenzgefährdung angesehen werden können. Häufig ausgewählte Kennzahlen beziehen sich beispielsweise auf die Rentabilität und die Liquidität sowie auf den Verschuldungsgrad. Aus diesen spezifischen Kennzahlen wird eine Trennfunktion (Diskriminanzfunktion) gebildet.
Mit dieser Funktion lässt sich dann für jedes Unternehmen ein Diskriminanzwert errechnen, der auch als Bonitätsindikator bezeichnet wird. Außerdem wird ein cut-off point ermittelt, der als kritischer Grenzwert insolvenzgefährdete Unternehmen von bonitätsmäßig besseren Unternehmen trennt. Liegt der Diskriminanzwert des jeweiligen Unternehmens über dem cut-off point, so wird das Kreditengagement als bonitätsmäßig gut eingestuft und umgekehrt.
Die Diskriminanzanalyse basiert auf der Überlegung, dass Merkmale, die in der Vergangenheit bei insolvent gewordenen Unternehmen beobachtet wurden, auch zukünftig für eine mögliche Insolvenz hohe Prognosekraft haben. Deshalb wird ein schlechter Diskriminanzwert als Frühwarnsignal für zukünftige Unternehmensrisiken angesehen.
Auch die Diskriminanzanalyse benötigt Daten, die zum Teil aus alten Veröffentlichungen stammen. Die Kritik der Vergangenheitsorientierung gilt also auch hier. Gleichzeitig werden eventuell bereits unternommene Anstrengungen zur Verbesserung der Lage im Unternehmen unberücksichtigt gelassen.
3.2.2 Kreditscoring-Systeme
Gerade im Mengengeschäft ist eine schnelle und kostengünstige Beurteilung von Vertragspartnern erwünscht. Diesen Vorteil bietet...