Prof. Dr. Werner Gleißner
Grundsätzlich fordert der Gesetzgeber, dass "unternehmerische Entscheidungen" auf Grundlage "angemessener Informationen" zu treffen sind. Die Beweislast dafür liegt beim Vorstand bzw. Geschäftsführer (§ 93 Abs. 2 AktG). Ein Vorstand kann sich dabei seinen Sorgfaltspflichtanforderungen (und Haftungsrisiken) auch nicht entledigen, wenn er die Zustimmung des Aufsichtsrats einholt. Auch wenn der Aufsichtsrat einer unternehmerischen Entscheidung zugestimmt hat, bleibt die Verantwortung für eine ordnungsgemäße Vorbereitung und eine adäquate Entscheidungsvorlage beim Vorstand bzw. Geschäftsführer.
Bei einer Entscheidung unter Unsicherheit sind es insbesondere die Risikoinformationen, die bei der Entscheidungsvorbereitung besonders zu beachten sind und Vorstand bzw. Geschäftsführer zur Verfügung gestellt werden müssen, damit dieser über "angemessene Informationen" verfügt. Die Konsequenz ist eine engere Verknüpfung von Controlling und Risikomanagement bei der Entscheidungsvorbereitung ("entscheidungsorientiertes Risikomanagement"). Entscheidend ist die Betrachtung der Risiken zu dem Zeitpunkt, bei dem man sie besonders beeinflussen kann: nämlich in der Entscheidungssituation.
Die nachfolgend genannten inhaltlichen Anforderungen sind speziell relevant für Entscheidungen über
- Änderungen der Unternehmensstrategie
- Jahresplanung (Jahresbudget)
- Akquisitionen und größere Investitionen
- Änderung bei Versicherungsschutz oder wesentlichen Risikobewältigungsmaßnahmen (wie z. B. Hedging von Wechselkursrisiken)
- Finanzierungsentscheidungen (speziell mit Kreditvereinbarungen/Covenants)
- Großprojekte (mit Kunden oder im Bereich Forschung und Entwicklung)
Die Anforderungen aus der Business Judgement Rule sind für einen Alleingesellschafter (Inhaber-Geschäftsführer) meist ohne größere Bedeutung, solange das Unternehmen nicht in eine Insolvenzsituation kommt. In einer derartigen Situation aber hätten möglicherweise die Gläubiger Zugriff auf das Privatvermögen, wenn sich belegen lässt, dass die Insolvenz durch eine nicht adäquat vorbereitete unternehmerische Entscheidung, z. B. eine Großinvestition, verursacht war. Ökonomisch ist die bessere Fundierung und Vorbereitung unternehmerischer Entscheidungen natürlich grundsätzlich empfehlenswert. Besondere Relevanz hat das Thema für Geschäftsführer, die nicht selbst Gesellschafter sind, oder Geschäftsführer, die zumindest nicht alleine Gesellschafter sind. Grundsätzlich kann nämlich jeder Gesellschafter, der z. B. durch eine Entscheidung für ein Großprojekt oder eine Investition später Verluste erleidet, die hier zugrundeliegenden Entscheidungsvorlagen prüfen lassen. Er kann nun dem Geschäftsführer eine Sorgfaltspflichtverletzung vorwerfen, wenn die oben skizzierten Anforderungen nicht beweisbar erfüllt waren. Insbesondere problematisch ist es aus den erläuterten Gründen eine Konstellation, in der später Risiken eingetreten sind, die so in den Entscheidungsvorlagen nicht genannt und damit gewürdigt wurden. Gerade bei Auseinandersetzungen im (Familien-)Gesellschafterkreis ergeben sich hier schnell sehr kritische Entwicklungen für Geschäftsführer.