Entscheidungsstichwort (Thema)
Kinderfreibetrag für nichteheliches Kind
Leitsatz (redaktionell)
Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 GG gebieten es, dem Vater eines nichtehelichen Kindes, der mit dem Kind und dessen Mutter in einem gemeinsamen Haushalt lebt und beide unterhält, für dieses Kind einen Kinderfreibetrag einzuräumen, wenn die Zielsetzung der Freibetragsregelung, den Unterhalt und die Pflege des Kindes zu erleichtern, nur durch die Gewährung eines Kinderfreibetrages an den Vater verwirklicht werden kann. Im Streitfall bezog die Mutter nur eine Witwenrente, die nicht zu einer Einkommensteuer führte.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 2 Nr. 3; EStDV § 65 Abs. 5; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6
Verfahrensgang
BFH (Urteil vom 16.03.1973; Aktenzeichen VI R 130/70) |
FG Baden-Württemberg (Urteil vom 24.02.1970; Aktenzeichen IV 416/66) |
Gründe
A.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich dagegen, daß dem Beschwerdeführer bei der Durchführung des von ihm beantragten Lohnsteuer-Jahresausgleichs für die Jahre 1963, 1964 und 1965 ein Kinderfreibetrag für sein nichteheliches Kind und daraus folgende weitere Steuererleichterungen nicht gewährt worden sind.
1. Der Beschwerdeführer ist Vater eines nichtehelichen Kindes, das ständig pflegebedürftig ist. Er führt mit der Mutter des Kindes einen gemeinsamen Haushalt, in dem auch das Kind lebt.
Nach den Angaben des Beschwerdeführers war die Mutter des Kindes in den Jahren 1963 bis 1965 nicht erwerbstätig. Sie bezog eine Witwenrente die 1963 insgesamt 2576 DM und 1965 insgesamt 2818 DM betrug, Im übrigen kam der Beschwerdeführer für den Unterhalt von Mutter und Kind auf.
Das Finanzamt G… lehnte es ab, dem Beschwerdeführer bei der Durchführung des Lohnsteuer-Jahreausgleichs für die Jahre 1963, 1964 und 1965 einen Kinderfreibetrag und daraus folgende Steuererleichterungen – insbesondere einen weiteren Freibetrag wegen der Körperbehinderung des Kindes – zu gewähren.
Das Finanzgericht wies die dagegen gerichtete Klage des Beschwerdeführers ab. Es führte im wesentlichen aus, hinsichtlich des nichtehelichen Kindes des Beschwerdeführers seien die in § 32 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a bis f des Einkommensteuergesetzes genannten Voraussetzungen eines steuerlich begünstigten Kindschaftsverhältnisses nicht gegeben. Die Einschränkung des § 32 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. e EStG, wonach für nichteheliche Kinder nur die Mutter einen Kinderfreibetrag erhalte, sei jedenfalls für die Jahre 1963 bis 1965 als verfassungsgemäß anzusehen. Ein Pflegekindschaftsverhältnis liege nicht vor, weil das Kind mit der Mutter in einer Haushaltsgemeinschaft lebe und sie in der Lage sei, die Obhut und Fürsorge für das Kind auszuüben.
Die vom Beschwerdeführer dagegen eingelegte Revision wurde vom Bundesfinanzhof zurückgewiesen. Der Bundesfinanzhof teilte entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung die Auffassung des Finanzgerichts.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die über seine Anträge auf Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs für 1963, 1964 und 1965 ergangenen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen. Er ist der Meinung, es verstoße gegen Art. 3 und 6 GG, daß ihm für sein nichteheliches Kind ein Kinderfreibetrag und die daraus folgenden weiteren Steuererleichterungen nicht gewährt worden seien.
3. Die Bundesregierung hat von einer Stellungnahme abgesehen.
Der Vorsteher des Finanzamts G… hat die Angaben des Beschwerdeführers über die Einkommensverhältnisse der Mutter des Kindes bestätigt.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden (BVerfGE 36, 126 [132 ff.]), daß die im Rahmen des Gleichheitssatzes zu beachtende Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 5 GG es gebietet, dem Vater eines nichtehelichen Kindes, der mit dem Kind und dessen Mutter in einem gemeinsamen Haushalt lebt und beide unterhält, für dieses Kind einen Kinderfreibetrag einzuräumen, wenn die Zielsetzung der Freibetragsregelung, den Unterhalt und die Pflege des Kindes zu erleichtern, nur durch die Gewährung eines Kinderfreibetrages an den Vater verwirklicht werden kann.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.
Insbesondere ist eine steuerliche Entlastung der Personen, die die Obhut des Kindes in den Jahren 1963 bis 1965 ausgeübt und es unterhalten haben, nur zu erreichen, wenn ein Kinderfreibetrag bei Durchführung des vom Beschwerdeführer beantragten jeweiligen Lohnsteuer-Jahresausgleichs berücksichtigt wird. Der Kinderfreibetrag, der der Mutter des Kindes nach § 32 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. e EStG zusteht, kann sich für die Jahre 1963 bis 1965 steuerlich nicht auswirken. Die von der Mutter des Kindes bezogene Witwenrente unterliegt der Einkommensteuer nach § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG nur mit dem Ertragsanteil, das sind hier 48 v. H. der Rentenbezüge. Die sich danach ergebenden zu versteuernden Beträge sind – ohne die Berücksichtigung von Werbungskosten und Sonderausgaben – bereits geringer als der für die fraglichen Jahre geltende einkommensteuerliche Grundfreibetrag von 1680 DM.
2. Die Gerichts- und Verwaltungsentscheidungen, die das verfassungsmässige Recht des Beschwerdeführers, für die Jahre 1963 bis 1965 einen Kinderfreibetrag zu erhalten, nicht beachtet haben, waren aufzuheben.
Die Sache war nach § 95 Abs. 2 BVerfGG an den Bundesfinanzhof zurückzuverweisen. Dieser wird eine Kostenentscheidung zu treffen haben. Die Finanzverwaltung wird erneut unter Beachtung der verfassungsmäßigen Rechte des Beschwerdeführers über dessen Anträge befinden müssen.
3. Da sich die Verfassungsbeschwerde als begründet erweist, sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten (§ 34 Abs. 4 BVerfG).
Fundstellen