Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit einer Richtervorlage. Entstehung der Selbstverbrauchsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Zulässigkeit einer Richtervorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Begründung eines Vorlagebeschlusses muß ergeben, inwiefern die Entscheidung des vorlegenden Gerichts von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Rechtsvorschrift abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist. Der Vorlagebeschluß muß aus sich heraus ohne Beiziehung von Akten verständlich sein. Das vorlegende Gericht hat in den Gründen seines Beschlusses den Sachverhalt, soweit er für die rechtliche Beurteilung wesentlich ist, und die rechtlichen Erwägungen erschöpfend darzulegen.

2. Im übrigen hat das vorlegende Gericht auch in seinem Berichtigungsbeschluß die gebotene Auseinandersetzung mit dem ausführlichen Urteil des Bundesfinanzhofs vom 27. März 1981 – V R 97/77 – (BFHE 133, 106) zu den hier maßgeblichen Bestimmungen des Steueränderungsgesetzes 1973 und den damit verbundenen verfassungsrechtlichen Fragen vermissen lassen.

3. Aus § 30 Abs. 2 UStG 1973 ergibt sich, daß die Selbstverbrauchbesteuerung erst dann ausgelöst wird, wenn der Unternehmer seinen Investitionsentschluß in der Weise verwirklicht, daß er den Investitionsgegenstand der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zuführt.

 

Normenkette

GG Art. 20. Abs. 3, Art. 100 Abs. 1; BVerfGG § 80 Abs. 2; UStG § 27 Abs. 15 Fassung: 1973-06-26, § 30 Fassung: 1973-06-26

 

Verfahrensgang

FG Münster (Vorlegungsbeschluss vom 01.04.1982; Aktenzeichen V 3297/78 U)

 

Gründe

Die Vorlage betrifft die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, daß die Selbstverbrauchsteuer auf die Zuführung solcher Wirtschaftsgüter zum Anlagevermögen erhoben wird, die der Unternehmer vor dem Beschluß des Deutschen Bundestages über die Wiedereinführung der Steuer bestellt hat.

I.

Die Bundesregierung beschloß am 9. Mai 1973 ein Stabilitätsprogramm, das u. a. zur Dämpfung der besonders expansiven Investitionsnachfrage eine auf längstens zwei Jahre befristete Investitionsteuer vorsah. Diese Steuer sollte mit Wirkung vom 9. Mai 1973 im Rahmen der Mehrwertsteuer erhoben werden.

Der steuerliche Inhalt des Stabilitätsprogramms wurde nach seiner Bekanntgabe am 10. Mai 1973 in die Ausschußberatungen über den Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 1973 eingebracht. In der Sitzung vom 23. Mai 1973 nahm der Deutsche Bundestag die Vorlage in zweiter und dritter Lesung an. Nach seiner Verkündung am 28. Juni 1973 (BGBl. I S. 676) trat das Steueränderungsgesetz 1973 am 29. Juni 1973 in Kraft.

Die hier maßgeblichen Vorschriften des Steueränderungsgesetzes 1973 lauten auszugsweise:

Artikel 6

Umsatzsteuer

§ 1

Änderung des Umsatzsteuergesetzes

Das Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer) vom 29. Mai 1967

(Bundesgesetzbl. I S. 545) … wird wie folgt geändert:

1.-10. …

11. § 27 wird wie folgt geändert:

a)-d) …

e) Hinter Absatz 14 wird folgender Absatz 15 angefügt:

„(15) Die Vorschrift des § 30 in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 1973 ist auf den Selbstverbrauch anzuwenden, der in der Zeit vom 9. Mai 1973 bis zum 30. April 1975 bewirkt wird. Hat der Unternehmer in diesem Zeitraum ein Wirtschaftsgut bestellt oder mit dessen Herstellung begonnen, so entfällt für dieses Wirtschaftsgut die in Satz 1 bezeichnete Befristung für die Anwendung des § 30. Die Vorschrift des § 30 ist jedoch nicht anzuwenden, wenn der Selbstverbrauch auf ein Wirtschaftsgut entfällt, das vom Unternehmer nachweislich vor dem 9. Mai 1973 bestellt worden ist oder mit dessen Herstellung der Unternehmer vor diesem Zeitpunkt begonnen hat …”

12. § 30 erhält folgende Fassung:

㤠30

Vorübergehende Erhebung der Steuer für den Selbstverbrauch zum Ausschluß des Vorsteuerabzugs bei Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens

(1) Neben den in § 1 Abs. 1 bezeichneten Umsätzen unterliegt auch der Selbstverbrauch der Umsatzsteuer.

(2) Selbstverbrauch liegt vor, wenn ein Unternehmer abnutzbare körperliche Wirtschaftsgüter, die nicht zu den geringwertigen Wirtschaftsgütern im Sinne des § 6 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes gehören, im Inland der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zuführt.

…”

Das Umsatzsteuergesetz wurde am 16. November 1973 (UStG 1973, BGBl. I S. 1681) neu bekanntgemacht. Das Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze vom 26. November 1979 (BGBl. I S. 1953) – UStG 1980 – setzte das Umsatzsteuergesetz 1973 außer Kraft. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980 ist jedoch auf Umsätze und sonstige Sachverhalte aus der Zeit vor dem 1. Januar 1980 das im Zeitpunkt des maßgebenden Ereignisses für sie geltende Umsatzsteuerrecht weiterhin anzuwenden.

II.

Im Ausgangsverfahren hatte das Finanzamt den Kläger zur Selbstverbrauchsteuer in Höhe von 3 840,65 DM herangezogen. Vor dem Finanzgericht Münster vertrat der Kläger die Auffassung, daß sich das Finanzamt bei Erhebung der Selbstverbrauchsteuer auf eine verfassungswidrige Vorschrift gestützt habe.

Durch Beschluß vom 8. April 1981 setzte das Finanzgericht das Verfahren aus und legte die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung darüber vor, ob § 27 Abs. 15 UStG 1973 insoweit verfassungswidrig ist, als er die Anwendung des § 30 UStG 1973 auf den Selbstverbrauch anordnet, der in der Zeit vom 9. Mai 1973 bis 23. Mai 1973 bewirkt worden ist.

In den Gründen seines Beschlusses führte das Finanzgericht u. a. aus: Der Kläger, der als Alleinunternehmer eine Bonbonfabrik betreibe, habe am 11. Mai 1973 auf einer Fachmesse eine Verpackungsmaschine zum Nettopreis von 34 915,– DM bestellt. Das Finanzamt habe diese Bestellung gemäß § 30 i. V. m. § 27 Abs. 15 UStG 1973 als investitionsteuerpflichtig angesehen, da sie nach dem 8. Mai 1973 erfolgt sei. § 27 Abs. 15 Satz 1 UStG 1973 sei jedoch in dem durch die Beschlußformel beschriebenen Umfang verfassungswidrig, weil die Regelung eine „echte” Rückwirkung darstelle und kein anerkannter Ausnahmefall vorliege.

Dem Vorlagebeschluß waren die Betriebsprüfungsakten und Umsatzsteuerakten des beklagten Finanzamts beigefügt.

III.

Zu dem Vorlagebeschluß vom 8. April 1981 äußerten sich der Bundesminister der Finanzen, das beklagte Finanzamt und der Präsident des Bundesfinanzhofs.

1. Der Bundesminister der Finanzen hielt die Vorlage für unzulässig und die beanstandete Regelung für verfassungsgemäß:

Das Vorlagegericht habe nicht festgestellt, ob § 30 UStG 1973, dessen zeitliche Anwendung die beanstandete Norm des § 27 Abs. 15 UStG 1973 regeln solle, nach einfachem Recht überhaupt zu einer Selbstverbrauchsteuer führen würde. So fehle insbesondere eine Feststellung darüber, ob der Kläger die Maschine der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zugeführt habe. Darüber hinaus sei die vorgelegte Frage nicht entscheidungserheblich, da in der Zeit vom 9. bis 23. Mai 1973 ein Selbstverbrauch nicht stattgefunden habe. Nach eigenen Feststellungen komme ein Selbstverbrauch frühestens nach Lieferung der Verpackungsmaschine am 4. Oktober 1973 in Betracht.

In materieller Hinsicht sei nur zu überprüfen, ob es verfassungsgemäß sei, daß der Gesetzgeber auch solche Wirtschaftsgüter der Selbstverbrauchsteuer unterworfen habe, die zwar erst nach dem Gesetzesbeschluß (23. Mai 1973) dem Anlagevermögen zugeführt worden seien, die der Unternehmer aber schon vorher in der Zeit zwischen dem Eckwertbeschluß der Bundesregierung (9. Mai 1973) und dem Gesetzesbeschluß bestellt habe. Diese Frage sei zu bejahen. Die Voraussetzungen für die Annahme einer unechten Rückwirkung lägen vor, da der die Besteuerung auslösende gesetzliche Tatbestand des Selbstverbrauchs erst nach dem Gesetzesbeschluß durch die Zuführung der Maschine zum Anlagevermögen verwirklicht worden sei. Das Vertrauen der Betroffenen in den Fortbestand des geltenden Rechts sei verfassungsrechtlich nicht geschützt. Der Gesetzgeber sei berechtigt gewesen, dem durch das Gesetzgebungsverfahren ausgelösten Ankündigungseffekt durch die getroffene Regelung entgegenzuwirken.

2. Das beklagte Finanzamt trat der Auffassung des Finanzgerichts entgegen und bezog sich zur Begründung seiner Rechtsauffassung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 27. März 1981 – V R 97/77 – (BFHE 133, 106). Es wies darauf hin, daß die Lieferung der Verpackungsmaschine nach den Feststellungen der Betriebsprüfung erst am 4. Oktober 1973 ausgeführt worden sei.

3. Der Präsident des Bundesfinanzhofs teilte mit, daß der V. Senat des Bundesfinanzhofs mit Urteil vom 27. März 1981 – V R 97/77 – (BFHE 133, 106) die Verfassungsmäßigkeit der rechtlich zusammenhängenden Vorschriften des § 27 Abs. 15 und § 30 UStG 1973 bejaht habe; der V. Senat habe außerdem dem Urteil vom gleichen Tage – V R 119/79 – (BFHE 133, 115) zur Auslegung des § 27 Abs. 15 UStG 1973 eine vom Vorlagebeschluß abweichende Rechtsauffassung zugrunde gelegt.

IV.

Das Finanzgericht, dem die Stellungnahmen übersandt worden waren, berichtigte am 1. April 1982 den Vorlagebeschluß. Es legte dem Bundesverfassungsgericht nunmehr die Frage vor, ob § 27 Abs. 15 UStG 1973 insoweit verfassungswidrig ist, als er eine Selbstverbrauchsteuer auch für solche Zuführungen von Wirtschaftsgütern zur Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen anordnet, die vom Unternehmer in der Zeit vom 9. Mai 1973 bis 23. Mai 1973 bestellt wurden bzw. mit deren Herstellung in dieser Zeit begonnen wurde.

Zur Begründung führte das Finanzgericht aus:

Nach der Sonderregelung des § 27 Abs. 15 Satz 3 UStG 1973 sei der Zeitpunkt der Zuführung des Wirtschaftsgutes zum Anlagevermögen ohne Bedeutung, wenn die Bestellung nachweislich vor dem gesetzlichen Stichtag des 9. Mai 1973 erfolgt sei. Frühere Bestellungen lösten aus Gründen des Vertrauensschutzes keine Selbstverbrauchsteuerpflicht aus, selbst wenn innerhalb der gesetzlichen Fristen Zuführungen zum Anlagevermögen erfolgten. Sollte dieser Stichtag wegen fehlender Voraussetzungen für eine verfassungsrechtlich zulässige Rückwirkung durch einen späteren Stichtag ersetzt werden müssen, würde eine vor diesem neuen Stichtag liegende Bestellung ebensowenig eine Steuerpflicht auslösen wie nach derzeitiger Rechtslage die Bestellung vor dem 9. Mai 1973. Ob das Wirtschaftsgut im vorliegenden Falle am 4. Oktober 1973 oder später dem Anlagevermögen zugeführt worden sei, sei somit nicht erheblich.

Da nach der Gesetzesfassung der Investitionsentschluß das vorrangige, primäre Tatbestandsmerkmal sei, das die Steuerpflicht auslöse, komme es für die Frage, welcher Lebenssachverhalt bei Beschlußfassung durch das Parlament abgeschlossen gewesen sei, hierauf entscheidend an. Sollte hingegen in der Bestellung vom 11. Mai 1973 ein begonnener, aber noch nicht beendeter Investitionsvorgang zu sehen sein, handle es sich um ein Steuergesetz mit unechter Rückwirkung. Bei der dann vorzunehmenden Abwägung sei zu berücksichtigen, daß das Vertrauen des Bürgers auf eine Fortgeltung der bisherigen Rechtslage nicht durch einen Regierungsbeschluß über eine Gesetzgebungsinitiative, sondern durch den Gesetzesbeschluß des Parlaments berührt werde. Wenn dieser Grundsatz im Kern Bestand haben solle, könne seine Durchbrechung nur dann hingenommen werden, wenn zwingende Gründe des allgemeinen Wohls vorlägen, die einer Nachprüfung zugänglich seien. Es gäbe jedoch keine überprüfbaren Fakten zu der Frage, welches Investitionsvolumen in der Zeit zwischen dem Regierungsbeschluß und der kurzfristig angestrebten und vollzogenen Parlamentsentscheidung angefallen sein würde bzw. entstanden sei. Solange hierüber keine ausreichenden Erkenntnisse vorlägen, sei es nicht nachgewiesen, daß durch den Ankündigungseffekt eine besondere Investitionsnachfrage ausgelöst und damit die inflatorische Entwicklung nachhaltig verschlimmert worden wäre.

B.

Die Vorlage ist unzulässig. Die Begründung der Vorlage genügt auch nach der Ergänzung durch den Berichtigungsbeschluß nicht den Anforderungen, die gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 2 BVerfGG an die Zulässigkeit eines konkreten Normenkontrollantrags zu stellen sind.

Nach ständiger Rechtsprechung muß die Begründung des Vorlagebeschlusses angeben, inwiefern die Entscheidung des vorlegenden Gerichts von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Rechtsvorschrift abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist. Da dieser Begründungszwang das Bundesverfassungsgericht entlasten soll, muß der Vorlagebeschluß aus sich heraus ohne Beiziehung von Akten verständlich sein. Das vorlegende Gericht hat in den Gründen seines Beschlusses den Sachverhalt, soweit er für die rechtliche Beurteilung wesentlich ist, und die rechtlichen Erwägungen erschöpfend darzulegen. Dabei darf die vorgenommene tatsächliche und rechtliche Würdigung nicht offensichtlich unhaltbar sein (vgl. BVerfGE 17, 135 (138 f.); 48, 396 (399 f.); 53, 257 (287)).

1. Im vorliegenden Fall hat das Finanzgericht den für seine Entscheidung wesentlichen Sachverhalt nicht hinreichend dargestellt. Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist die Erhebung der Selbstverbrauchsteuer 1973. Wie sich aus § 30 Abs. 2 UStG 1973 ergibt und wie auch der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 27. März 1981 – V R 97/77 – (BFHE 133, 106) ausgeführt hat, wird die Selbstverbrauchbesteuerung erst dann ausgelöst, wenn der Unternehmer seinen Investitionsentschluß in der Weise verwirklicht, daß er den Investitionsgegenstand der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zuführt. Hierzu enthält der Vorlagebeschluß keine Feststellungen. Auch dem Berichtigungsbeschluß vom 1. April 1982 ist nicht zu entnehmen, ob der Kläger die bestellte Maschine der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zugeführt hat. Die Vorlage der Betriebsprüfungsakten des Finanzamts, aus denen zu entnehmen ist, daß der Kläger die Verpackungsmaschine vermutlich im Oktober 1973 erhalten hat, erspart nicht die vollständige Darlegung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Aus den Akten ergibt sich nicht, ob und wann der Kläger die Maschine tatsächlich selbst der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zugeführt hat.

2. Im übrigen hat das vorlegende Gericht auch in seinem Berichtigungsbeschluß die gebotene Auseinandersetzung mit dem ausführlichen Urteil des Bundesfinanzhofs vom 27. März 1981 – V R 97/77 – (BFHE 133, 106) zu den hier maßgeblichen Bestimmungen des Steueränderungsgesetzes 1973 und den damit verbundenen verfassungsrechtlichen Fragen vermissen lassen (vgl. BVerfGE 47, 109 (114 f.); 37, 328 (333 f.); 22, 373 (378 f.)).

 

Fundstellen

BVerfGE, 223

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