Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigung zum Erlass von Erläuterungen zum Zolltarif. Unabhängigkeit der Richter

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes, das die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnungen Erläuterungen zur Auslegung und zur Anwendung des Zolltarifs zu geben (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG).

 

Leitsatz (redaktionell)

Unter Gesetz im Sinne des Art. 97 Abs. 1 GG ist auch das von der vollziehenden Gewalt ordnungsgemäß gesetzte Verordnungsrecht zu verstehen. Es bindet deshalb die Rechtsprechung. Der dem Gesetz unterworfene Richter wird durch diese Bindung in seiner verfassungsmäßig garantierten Unabhängigkeit nicht berührt.

 

Normenkette

GG Art. 80 Abs. 1 S. 2, Art. 97 Abs. 1; ZG § 49 Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz (Vorlegungsbeschluss vom 14.12.1962; Aktenzeichen III 100/62)

 

Gründe

A.-I.

1. Die Firma R… führte in der Zeit vom 23. November 1960 bis zum 15. Juni 1961 in mehreren Sendungen größere Mengen Zitronensaft „Lemon-Squash”) und Limonensaft „Lime-Cordial”) aus Großbritannien in das deutsche Zollgebiet ein.

Bei der zollamtlichen Abfertigung wies das Zollamt Ludwigshafen-Zollhof die eingeführten Fruchtsäfte der Tarifnummer 20.07 -B-1-a-1 des Deutschen Zolltarifs 1960 und der Zolltarifnummer 20.07 -B-(ii)-a-II des Deutschen Zolltarifs 1961 zu und erhob demgemäß 20 v.H. des Wertes als Zoll und 6 v.H. des Zollbetrages als Umsatzausgleichsteuer. Da das Zollamt jedoch Zweifel hatte, ob die Fruchtsäfte der richtigen Tarifnummer zugewiesen worden waren, ersuchte es die Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt in Frankfurt/Main, die Erzeugnisse zu analysieren und zolltariflich zu begutachten. Die Anstalt kam in mehreren Gutachten zu dem Ergebnis, bei den eingeführten Waren handle es sich um gezuckerten, natürlichen Zitronen- oder Limonensaft mit Zusatz erheblicher Mengen Wasser. Wegen des Wasserzusatzes könnten die Fruchtsäfte nicht der Tarifnummer 20.07 zugewiesen werden, weil nach den Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif 1960 und 1961 – Nr. I, 2 zu Tarifnummer 20.07 – lediglich „ein geringer Wasserzusatz ohne Einfluß auf die Tarifierung” bleibe. Nach ihrer Zusammensetzung und nach den Angaben auf den Flaschen, in denen die Säfte zum Verkauf angeboten werden, handle es sich nicht um trinkfähige Fruchtsaftgetränke; sie müßten vielmehr mit Wasser verdünnt werden, um genußtauglich zu werden. Aus diesem Grunde fielen sie auch nicht unter die Tarifnummer 22.02 des Deutschen Zolltarifs 1960 und 1961. Es bleibe deshalb nichts anderes übrig, als sie der Zolltarifnummer 21.07-B des Deutschen Zolltarifs 1960 und 1961 zuzuweisen, woraus sich ein Zollsatz von 27 v.H. des Wertes ergebe.

Das Zollamt schloß sich dieser Beurteilung durch die Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt an und forderte durch Steuerbescheid vom 29. September 1961 von der Importfirma 3557.-DM Zoll und 212.80 DM Ausgleichsteuer nach. Den dagegen erhobenen Einspruch wies das Hauptzollamt Ludwigshafen durch Bescheid vom 18. Mai 1962 als unbegründet zurück.

Mit der Berufung zum Finanzgericht Rheinland-Pfalz beantragte die Firma, den Nachforderungsbescheid vom 29. September 1961 sowie die Einspruchsentscheidung vom 18. Mai 1962 aufzuheben. Sie ist der Auffassung, der Zitronen- und Limonensaft sei von der Zollverwaltung zu Unrecht der Zolltarifnummer 21.07-B zugewiesen worden. Zwar sei in den Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif 1960 und 1961 unter Nr. I, 15 zu Zolltarifnummer 21.07 bestimmt, daß „Limonadengrundstoffe aus Pflanzenauszügen” zu dieser Tarifnummer gehörten. Die eingeführten Säfte seien jedoch keine Limonadengrundstoffe in diesem Sinne, sondern Fruchtsaftgetränke, die in den Erläuterungen zu Tarifnummer 22.02 unter Nr. I ausdrücklich als zu dieser Tarifnummer gehörig bezeichnet und deshalb nur mit 20 v.H. des Wertes zu verzollen seien.

2. Mit Beschluß vom 14. Dezember 1962 setzte das Finanzgericht Rheinland-Pfalz das Berufungsverfahren aus, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, „ob die in § 49 Abs. 3 des Zollgesetzes vom 20. 3. 1939 (RGBl. I S. 529) in der Fassung des Fünften Zolländerungsgesetzes vom 27. 7. 1957 (BGBl. I S. 1671) der Bundesregierung erteilte Ermächtigung mit den in den Artikeln 80 und 97 GG verankerten Grundsätzen der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Richter vereinbar ist”.

Das Finanzgericht beabsichtigt, der Berufung hinsichtlich eines Teilbetrages der nachgeforderten Abgaben deshalb stattzugeben, weil für einige Zollabfertigungen nicht die Berufungsführerin, sondern der Spediteur Zoll- und Steuerschuldner sei. Auch bezüglich der noch verbleibenden Restbeträge von 1216.- DM Zoll und 72.30 DM Ausgleichsteuer will es den Steuerbescheid aufheben. Es sieht sich aber durch die Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif 1960 und 1961 gehindert, diese Entscheidung zu treffen.

Das Gericht ist der Auffassung, die eingeführten Fruchtsäfte fielen unter die Tarifnummer 20.07 des Deutschen Zolltarifs 1960 und 1961 und seien deshalb zu Recht ursprünglich nur mit 20 v.H. des Wertes verzollt worden. Die Tarifnummer 20.07 erfasse bei wortgetreuer Auslegung die dort genannten Fruchtsäfte ohne Rücksicht auf die Menge eines etwaigen Wasserzusatzes.

Die dem Nachforderungsbescheid zugrunde liegende Auffassung, daß unter diese Tarifnummer nur Fruchtsäfte mit geringem Wasserzusatz fielen, beruhe allein auf den Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif 1960 und 1961. Wenn diese Erläuterungen rechtswirksam seien, dann müsse das Gericht gemäß § 1 Abs. 3 der Verordnung über Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif 1960 vom 30. Juni 1960 (BGBl. II S. 1849) den Deutschen Zolltarif 1960 und gemäß § 1 der Verordnung über Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif 1961 vom 25. Januar 1961 (BGBl. II S. 49) den Deutschen Zolltarif 1961 nach diesen Erläuterungen auslegen und anwenden. Das habe zur Folge, daß die Fruchtsäfte wegen ihres erheblichen Wasserzusatzes nicht der Tarifnummer 20.07 und wegen ihrer mangelnden Trinkfertigkeit auch nicht der Tarifnummer 22.02, die nach ihrem Wortlaut „und andere… Getränke”) lediglich trinkfertige Erzeugnisse erfasse, zugewiesen werden könnten. In diesem Falle müßten sie der Tarifnummer 21.07 zugewiesen werden und die Berufung könne, soweit der angefochtene Steuerbescheid nicht schon aus dem oben genannten Grund teilweise aufzuheben sei, keinen Erfolg haben. Seien die genannten Verordnungen über die Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif 1960 und 1961 aber für das Gericht nicht verbindlich, so werde es feststellen, daß der Zitronen- und Limonensaft bei der Abfertigung zutreffend nach der Zolltarifnummer 20.07 verzollt wurde und deshalb die Abgabenachforderung vom 29. September 1961 nicht berechtigt war. Es werde dann der Berufung im vollen Umfang stattgeben.

Das Finanzgericht hält die Verordnungen über Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif 1960 und 1961 für nichtig, weil die in § 49 Abs. 3 des Zollgesetzes (ZG) der Bundesregierung erteilte Ermächtigung, „durch Rechtsverordnung Erläuterungen zur Auslegung und zur Anwendung des Zolltarifs (zu) geben”, mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei.

Der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit verpflichte den Gesetzgeber, das Abgabenrecht so zu regeln, daß der Bürger in der Lage sei, bereits aus dem Gesetz zu erkennen, was von ihm gefordert werden könne. Das für die Erhebung der Steuer Wesentliche müsse das Gesetz selbst regeln und dürfe die Regelung nicht dem Verordnunggeber überlassen. Ermächtige der Gesetzgeber die vollziehende Gewalt, verbindliche Vorschriften über die Auslegung und Anwendung eines Steuergesetzes zu erlassen, dann liege darin das Eingeständnis, daß der Eingriff in die Freiheitssphäre des Bürgers in dem Gesetz selbst nicht hinreichend umschrieben sei. Der Gesetzgeber lasse damit den Bürger über die Grenzen und über das Ausmaß des steuerlichen Eingriffs im unklaren. Er verstoße damit auch gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach eine Ermächtigung an die Bundesregierung zur Rechtsetzung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmt sein müsse.

Die Ermächtigung des § 49 Abs. 3 ZG verstoße auch gegen die Bestimmung des Art. 97 GG, weil sie darauf abziele, die Finanzgerichte zu zwingen, Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt von Tarifbegriffen nicht nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, sondern auf Grund der von der Bundesregierung nach eigenem Gutdünken gebildeten und in den Rang einer allgemeinverbindlichen Rechtsnorm erhobenen Erläuterung zum Tarif zu entscheiden. Das aber verletze den Grundsatz der Unabhängigkeit des Richters.

3. Der Bundesminister der Finanzen ist der Ansicht, § 49 Abs. 3 ZG sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Er führt namens der Bundesregierung aus:

  1. Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung des § 49 Abs. 3 ZG seien hinreichend bestimmt. Der Inhalt der Ermächtigung ergebe sich klar aus dem Wortlaut der Vorschrift. Zweck der Ermächtigung sei es, eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Zolltarifs zu gewährleisten. Das Ausmaß der Ermächtigung sei durch die im Zolltarif verwendeten Warenbezeichnungen hinreichend abgegrenzt. Damit sei zugleich erkennbar gemacht, welchen Inhalt die auf Grund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben könnten. Sie hätten zu bestimmen, was bei verständiger Würdigung unter den einzelnen Warenbegriffen des Zolltarifs zu verstehen sei. Soweit es für die Zuordnung einer Ware zu einer bestimmten Tarifnummer auf wissenschaftliche Untersuchungsmethoden ankomme, müsse im Interesse der Rechtssicherheit und der Einheitlichkeit der Abgabenerhebung durch Verordnung allgemeinverbindlich bestimmt werden, nach welcher der meist mehreren möglichen Methoden zu verfahren sei.
  2. Die wechselvolle und schnelle Entwicklung des Wirtschaftslebens könne es erforderlich machen, daß eine neue Ware in kürzester Zeit in das Zolltarifschema eingeordnet werden müsse. Die dabei auftauchenden Zweifelsfragen seien im förmlichen Gesetzgebungsverfahren nicht stets rechtzeitig zu lösen. Bei der Auslegung und Anwendung des Zolltarifs seien zudem Auskünfte, Empfehlungen und Erläuterungen zwischenstaatlicher und überstaatlicher Organisationen im Rahmen vertraglicher Verpflichtungen zu berücksichtigen. Insbesondere aus den Brüsseler Abkommen über das Zolltarifschema für die Einreihung der Waren in die Zolltarife, über den Zollwert der Waren und über die Gründung des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens, ferner aus den Verträgen über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft ergäben sich weitgehende internationale tarifrechtliche Bindungen. Diesen internationalen und supranationalen Verpflichtungen müsse die Bundesrepublik Deutschland rasch nachkommen. Dies könne nur durch Rechtsverordnungen geschehen.
  3. Sinn der Ermächtigung des § 49 Abs. 3 ZG und der darauf beruhenden Erläuterungen sei es, die Auslegung und Anwendung des Zolltarifs dem raschen Wandel der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung sowie den internationalen Verpflichtungen so schnell wie möglich anzupassen und damit im Interesse der Rechtssicherheit und der verfassungsmäßig gebotenen Steuergerechtigkeit und Steuergleichheit klare Verhältnisse zu schaffen.

4. Der Bundesfinanzhof hat mitgeteilt, der für das Zolltarifwesen zuständige VII. Senat habe in seinem Urteil vom 30. November 1960 – VII 60/59 U – (Slg. Bd. 72 S. 147) die Verfassungsmäßigkeit des § 49 Abs. 3 ZG bejaht und die darauf beruhenden „Erläuterungen” als geltendes Recht angewandt.

5. Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 7. September 1964 namens der Bundesregierung gemäß § 82 Abs. 2 BVerfGG den Beitritt zu dem Verfahren erklärt. Er hat am 19. Januar 1965 auf mündliche Verhandlung verzichtet.

II.

1. Am 1. April 1939 trat das Zollgesetz vom 20. März 1939 – fortan ZG 1939 – (RGBl. I S. 529) in Kraft und löste das bisherige deutsche Zollrecht ab. Gemäß § 108 Abs. 1 ZG galt dazu der alte Zolltarif vom 27. Februar 1905 „Bülow-Tarif”) weiter. Nach dem zweiten Weltkrieg setzte bei den Staaten der freien Welt eine Entwicklung ein, mit der das Ziel verfolgt wurde, die Zollförmlichkeiten zu vereinfachen, das Zoll- und Zolltarifrecht zu vereinheitlichen und damit dem Welthandel wieder die Wege zu erleichtern. In diesem Zusammenhang sind die „Brüsseler Verträge” für die Bundesrepublik Deutschland von Bedeutung. Das sind:

  1. Das Abkommen über das Zolltarifschema für die Einreihung der Waren in die Zolltarife vom 15. Dezember 1950 (BGBl. 1952 II S. 2); ratifiziert durch das Gesetz über internationale Vereinbarungen auf dem Gebiet des Zollwesens vom 17. Dezember 1951 (BGBl. 1952 II S. 1); in Kraft getreten am 22. Mai 1960 zusammen mit dem Berichtigungsprotokoll vom 1. Juli 1955 (vgl. Bekanntmachung vom 29. September 1960, BGBl. II S. 2319).

    Die wichtigste Verpflichtung aus dem Abkommen ergibt sich aus dessen Artikel II a, wonach jeder vertragschließende Teil seinen Zolltarif in Übereinstimmung mit dem Brüsseler Zolltarifschema aufstellt und anwendet.

  2. Das Abkommen über den Zollwert der Waren vom 15. Dezember 1950 (BGBl. 1952 II S. 8); ratifiziert durch das oben erwähnte Gesetz vom 17. Dezember 1951; in Kraft getreten am 28. Juli 1953 (vgl. Bekanntmachung vom 7. Juli 1953, BGBl. II S. 256).
  3. Das Abkommen über die Gründung eines Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens vom 15. Dezember 1950 (BGBl. 1952 II S. 19; ratifiziert durch das bereits erwähnte Gesetz vom 17. Dezember 1951; in Kraft getreten am 4. November 1952 (vgl. Bekanntmachung vom 29. Dezember 1952, BGBl. 1953 II S. 1).

Mit dem Abkommen wurde der sogenannte Brüsseler Zoll-Rat gegründet, dessen Aufgabe gemäß Art. III d des Abkommens u.a. darin besteht, Empfehlungen auszusprechen, um eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Zolltarifschemas sicherzustellen. In Erfüllung dieser Aufgabe hat der Rat im Juli 1955 Erläuterungen zum Brüsseler Zolltarifschema 1955 herausgegeben.

Die ersten grundsätzlichen Änderungen des Zollrechts enthielten im Anschluß an die Brüsseler Verträge vom 15. Dezember 1950 das Zolltarifgesetz vom 16. August 1951 (BGBl. I S. 527) – fortan ZTG 1951 – und der am 1. Oktober 1951 in Kraft getretene Zolltarif 1951. Das Gesetz zur Änderung des Zollgesetzes und der Verbrauchsteuergesetze vom 23. Mai 1952 (BGBl. I S. 317) – die „Kleine Zollrechtsnovelle” – glich das Zollgesetz 1939 den veränderten Verhältnissen, insbesondere dem durch die Brüsseler Verträge geforderten Übergang vom Stückzoll zum Wertzoll, an. Die Unterzeichnung des Berichtigungsprotokolls zum Brüsseler Abkommen über das Zolltarifschema gab Anlaß, durch das Zolltarifgesetz vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 1395) – fortan ZTG 1957 – einen dem Brüsseler Zolltarifschema 1955 entsprechenden Deutschen Zolltarif 1958 in Kraft zu setzen. Mit dem Zolltarifgesetz vom 23. Dezember 1958 (BGBl. II S. 751) trat sodann mit Wirkung vom 1. Januar 1959 der Deutsche Zolltarif 1959 in Kraft, mit dem die Bundesrepublik Deutschland den aus den „Römischen Verträgen” (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Europäische Atomgemeinschaft) übernommenen Verpflichtungen nachkam. In der Folgezeit wurden weitere Tarifänderungen vorgenommen: die Zolltarifordnung vom 23. Mai 1960 (BGBl. II S. 1521) erließ den Deutschen Zolltarif 1960, das Zolltarifgesetz vom 23. Dezember 1960 (BGBl. II S. 2425) den Deutschen Zolltarif 1961.

Das Zollgesetz vom 14. Juni 1961 (BGBl. I S. 737) ordnete die unübersichtlich gewordene Materie neu. Seine materiellen Vorschriften traten am 1. Januar 1962, die im Gesetz enthaltenen Ermächtigungen am Tage nach der Verkündung des Gesetzes in Kraft.

2. Das deutsche Zollrecht hat stets Ermächtigungen an die Exekutive zum Erlaß von Rechtsverordnungen gekannt.

a) § 12 des Vereinszollgesetzes von 1869 bestimmte:

Zur richtigen Anwendung des Vereinszolltarifs dient das amtliche Warenverzeichnis, welches die einzelnen Warenartikel nach ihren im Handel und sonst üblichen Benennungen in alphabetischer Ordnung aufzählt und die auf jeden derselben anzuwendende Tarifnummer bezeichnet.

§ 167 Abs. 2 lautete:

Die zur Ausführung des Gesetzes erforderlichen Regulative und sonstigen Bestimmungen werden von dem Bundesrat des Zollvereins festgestellt.

Auf Grund dieser Ermächtigung sowie auf Grund des Art. 7 Abs. 1 Nr. 2 der Reichsverfassung von 1871 hat der Bundesrat zu den jeweiligen Zolltarifen ein amtliches Warenverzeichnis mit Anmerkungen und Instruktionspunkten erlassen (vgl. z.B. Zentralblatt für das Deutsche Reich von 1879 S. 837 und von 1906 S. 31). Diese Warenverzeichnisse sind vom Reichsfinanzhof und vom Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung als rechtsverbindliche Normen mit „gleicher Gesetzeskraft” (vgl. RGSt. 21, 325 [327]) anerkannt worden (vgl. RFH 10, 18; 30, 347; RGSt. 13, 321; 25, 8; 43, 427).

b) § 49 Abs. 2 und 3 ZG 1939 lauteten:

(2) Der Reichsminister der Finanzen kann den Zolltarif im Einvernehmen mit den beteiligten Reichsministern ändern.

(3) Der Zolltarif wird nach den Durchführungsvorschriften zum Zolltarif ausgelegt. Diese haben die gleiche verbindliche Kraft wie der Zolltarif selbst.

Hierzu bestimmte § 108 Abs. 2:

Durchführungsvorschriften im Sinne des § 49 Abs. 3 sind das Warenverzeichnis zum Zolltarif und Teil III der Anleitung für die Zollabfertigung, beide vom 23. Januar 1906 (Zentralbl. f. d. Deutsche Reich S. 31), mit ihren Änderungen.

Als Ermächtigung für notwendige Änderungen des Warenverzeichnisses diente die Generalklausel des § 12 AO, nach der der Reichsminister der Finanzen zur Durchführung und zur Ergänzung der vom Reich erlassenen Steuergesetze Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften erlassen konnte.

c) Das Zolltarifgesetz vom 16. August 1951 enthielt in § 4 eine Ermächtigung an die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung Zollsätze aus wirtschaftlichen Gründen zu ermäßigen, aufzuheben oder unter bestimmten Voraussetzungen in gewissem Umfang zu erhöhen.

In § 18 Nr. 1 ZTG 1951 ist erstmals auch eine Ermächtigung an die Bundesregierung enthalten, den Zolltarif im Wege der Rechtsverordnung zu erläutern. Die Vorschrift lautete:

§ 18

Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung:

1. Erläuterungen zur Auslegung und zur Anwendung des Zolltarifs zu geben;

Hierzu bestimmte § 2 desselben Gesetzes:

Die Erläuterungen zum Zolltarif sind die Durchführungsvorschriften zum Zolltarif im Sinne des § 49 Abs. 3 des Zollgesetzes.

Die Ermächtigung des § 4 ZTG 1951 trat an die Stelle der mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes gemäß Art. 129 Abs. 3 GG erloschenen Ermächtigung des § 49 Abs. 2 ZG 1939. Durch § 2 ZTG 1951 wurde § 108 Abs. 2 ZG 1939 gegenstandslos. Deshalb bestimmte die Zollrechtsnovelle vom 23. Mai 1952 die formelle Aufhebung des früheren § 49 Abs. 2 ZG 1939 und änderte § 108 Abs. 2 ZG 1939 in Übereinstimmung mit § 2 ZTG 1951 dahin ab, daß als Durchführungsvorschriften im Sinne des § 49 Abs. 3 ZG 1939 die Erläuterungen zum Zolltarif 1951 zu betrachten sind. Außerdem wurde der Bundesminister der Finanzen durch den neu eingefügten § 109a ZG ermächtigt, durch Rechtsverordnung von der Erhebung der Eingangsabgaben für bestimmte Waren unter bestimmten Voraussetzungen abzusehen.

d) Das Fünfte Zolländerungsgesetz vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 1671) übernahm die Ermächtigung des § 4 ZTG 1951 als § 49 Abs. 2 und die Ermächtigung des § 18 Nr. 1 ZTG 1951 unverändert als § 49 Abs. 3 in das Zollgesetz. Die bisherigen Vorschriften in § 49 Abs. 3 und § 108 Abs. 2 ZG 1939, wonach der Zolltarif nach den dazu ergangenen Erläuterungen auszulegen und anzuwenden war, wurden ersatzlos gestrichen.

Die Vorschrift des § 49 Abs. 3 ZG 1939 lautete nunmehr:

(3) Die Bundesregierung kann durch Rechtsverordnung Erläuterungen zur Auslegung und zur Anwendung des Zolltarifs geben.

In dieser Fassung ist die Vorschrift durch die Gerichtsvorlage der verfassungsrechtlichen Prüfung unterbreitet.

Zu dem mit dem Zolltarifgesetz vom 27. Juli 1957 verkündeten Deutschen Zolltarif 1958 erließ die Bundesregierung auf Grund des § 49 Abs. 3 ZG in der Fassung des Fünften Zolländerungsgesetzes erstmals durch Rechtsverordnung vom 18. Dezember 1957 (BGBl. II S. 1697) „Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif 1958”. Sie berücksichtigten weitgehend die vom Brüsseler Zoll-Rat herausgegebenen Erläuterungen zum Brüsseler Zolltarifschema 1955 und wurden während ihrer einjährigen Gültigkeitsdauer durch insgesamt 4 Verordnungen geändert.

Die zum Deutschen Zolltarif 1959 durch Verordnung der Bundesregierung vom 3. Februar 1959 (BGBl. II S. 68) ergangenen „Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif 1959” sowie die „Erläuterungen zum Zolltarif 1960” wurden ebenfalls wiederholt geändert.

B.

§ 49 Abs. 3 ZG 1939 in der Fassung des Fünften Zolländerungsgesetzes vom 27. Juli 1957 ist eine nachkonstitutionelle gesetzliche Vorschrift, auf deren Gültigkeit es nach Ansicht des Finanzgerichts für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens ankommt. In der Begründung des Vorlagebeschlusses ist dargetan, inwiefern von der Gültigkeit der zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellten Norm die Entscheidung des Gerichts abhängig ist und mit welchen Vorschriften des Grundgesetzes sie das Gericht für unvereinbar hält. Die Vorlage ist damit gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 BVerfGG zulässig.

C.

§ 49 Abs. 3 ZG 1939 in der Fassung des Fünften Zolländerungsgesetzes vom 27. Juli 1957 war mit dem Grundgesetz vereinbar.

I.

1. Zölle sind Abgaben, welche die Staaten bei bestimmten Warenbewegungen über die Staatsgrenzen – Einfuhr, Ausfuhr und Durchfuhr – erheben. Ergibt sich aus dem Zollgesetz die Zollpflichtigkeit einer Warenbewegung, so gibt der Zolltarif Auskunft darüber, wie hoch zu verzollen ist. Der Zolltarif ist ein Warenkatalog, der nach Möglichkeit jede im Handelsverkehr vorkommende Ware erfaßt und für sie einen bestimmten Zollsatz ausweist. Der auf dem Brüsseler Zolltarifschema beruhende Deutsche Zolltarif (ab 1951) führt die Waren in 21 Abschnitten und 99 Kapiteln auf; er enthält über 1000 Hauptpositionen und über 3000 Unterpositionen mit den dazugehörigen Zollsätzen.

2. Neben der laufenden Anpassung an die handels- und wirtschaftspolitischen Gegebenheiten muß der Deutsche Zolltarif seit 1951 ständig in Übereinstimmung mit den von der Bundesrepublik eingegangenen internationalen vertraglichen Verpflichtungen gebracht werden. Aus den Brüsseler Verträgen vom 15. Dezember 1950 ergab sich die Verpflichtung zur Umstellung des Zolltarifs auf das Wertzollsystem und zur Übernahme des Brüsseler Zolltarifschemas. Die Römischen Verträge über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft sehen für die nahe Zukunft einen gemeinsamen Zolltarif der Mitgliedstaaten vor, der durch schrittweisen Abbau der Binnenzölle und durch die Harmonisierung der Außenzölle geschaffen werden soll. Ähnliche Verpflichtungen ergaben sich für einen Teilbereich des Zolltarifrechts bereits aus den Verträgen über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.

3. Obwohl mit den modernen Zolltarifen versucht wird, durch eine weitgehende Spezialisierung, durch Legaldefinitionen bei den einzelnen Tarifnummern sowie durch allgemeine und besondere Tarifierungsvorschriften dem Ziel eines erschöpfenden Warenkatalogs möglichst nahe zu kommen, lassen diese Tarife zwangsläufig Zweifelsfragen offen. Schon aus diesem Grunde war es seit dem Bestehen eines einheitlichen Deutschen Zolltarifs erforderlich, den Tarif durch Erläuterungen zu ergänzen.

Die Notwendigkeit derartiger Erläuterungen ergibt sich nach dem Inkrafttreten der Brüsseler Verträge insbesondere daraus, daß die Bundesrepublik verpflichtet ist, ihren Zolltarif in Übereinstimmung mit dem Brüsseler Zolltarifschema anzuwenden und dabei die vom Brüsseler Zoll-Rat für die einheitliche Auslegung und Anwendung des Abkommens ausgesprochenen Empfehlungen zu berücksichtigen. Dazu gehören auch die von einem Unterausschuß des Rates im Jahre 1955 herausgegebenen Erläuterungen zum Brüsseler Zolltarifschema. Seit dem Jahre 1957 sind daher auf der Grundlage der Brüsseler Erläuterungen zu jedem Deutschen Zolltarif umfangreiche Erläuterungen erlassen worden.

4. Der zu regelnde Sachbereich ist dadurch gekennzeichnet, daß die ergänzenden staatlichen Regelungen rasch ergehen müssen (vgl. BVerfGE 8, 274 [321]). Die zu erlassenden Bestimmungen sollen außerdem nicht nur für die Zollbehörden, sondern auch für den Bürger verpflichtend sein.

Im Interesse der Rechtssicherheit sollen die Erläuterungen schließlich auch den Richter binden. Könnten die Gerichte den Zolltarif ohne Bindung an die Erläuterungen auslegen und anwenden, so hätten sie nach den dem Zolltarif vorangestellten „Allgemeinen Tarifierungsvorschriften” in Zweifelsfällen eine Ware derjenigen Tarifnummer zuzuweisen, die zur höchsten Zollbelastung führt (vgl. Nr. 3 Buchst. c der Allgemeinen Tarifierungsvorschriften). Ein solches Verfahren läge weder im Interesse des betroffenen Staatsbürgers noch im Interesse der Wirtschaftspolitik.

Die Erläuterungen zum Zolltarif bedürfen daher der Form der Rechtsverordnung. Der Verordnunggeber muß sich dann gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG auf eine Ermächtigung stützen können, deren Inhalt, Zweck und Ausmaß im Gesetz bestimmt sind.

II.

Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Zolltarifrechts ist die Ermächtigung in § 49 Abs. 3 ZG nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt.

1. Eine Ermächtigung ist auch dann hinsichtlich ihres Inhalts hinreichend bestimmt, wenn sich durch Auslegung ermitteln läßt, welche Fragen auf Grund der Ermächtigung geregelt werden können. Diesem Erfordernis genügt die Ermächtigung des § 49 Abs. 3 ZG. Denn die Erläuterungen zur Auslegung des Zolltarifs sollen nur die im Zolltarif unter den einzelnen Tarifnummern und Tarifstellen angeführten Warenbezeichnungen beschreiben und gegeneinander abgrenzen; die Erläuterungen zur Anwendung des Zolltarifs sollen die technischen Fragen der Tarifierung regeln.

Mit Rücksicht auf die Vielfalt der Waren und die ständig fortschreitende technische Entwicklung, die immer neue Warentypen hervorbringt, muß sich die Ermächtigung auf den gesamten Warenkatalog des Zolltarifs erstrecken. Obwohl der Gesetzgeber mit dem Zolltarif einen möglichst vollständigen und lückenlosen Warenkatalog anstrebt, sind hinsichtlich jeder einzelnen Tarifstelle Zweifels- und Grenzfälle denkbar, für die ein Bedürfnis nach allgemeinverbindlichen, klärenden Erläuterungen besteht oder entstehen kann. Dem trägt § 49 Abs. 3 ZG 1939 Rechnung. Der Gesetzgeber hat durch diese Bestimmung selbst die Entscheidung darüber getroffen, welche Fragen durch Rechtsverordnung geregelt werden sollen, und damit bei Berücksichtigung der Besonderheiten des Zolltarifrechts den Inhalt der Ermächtigung hinreichend bestimmt.

2. Sachliche Schranken für das Ausmaß der Ermächtigung in § 49 Abs. 3 ZG ergeben sich sowohl aus dem Wortlaut der Vorschrift als auch aus der Aufgabe des Zolltarifs. Die von der Bundesregierung in Form einer Rechtsverordnung zu erlassenden Erläuterungen sollen der Auslegung und der Anwendung des Zolltarifs dienen. Mit diesen beiden Begriffen wird der Regelungsbefugnis des Verordnunggebers eine Schranke gesetzt. Er kann nur solche Vorschriften erlassen, die sich aus dem im Zolltarif objektivierten Willen des Gesetzgebers nach den allgemeinen Auslegungsregeln ableiten lassen.

3. Die Ermächtigung des § 49 Abs. 3 ZG bezweckt vor allem eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Zolltarifs. Mit dieser allgemeinen Zwecksetzung ist aber für den Verordnunggeber noch nicht in ausreichendem Maße bestimmt, mit welchem Ziel er von der Ermächtigung Gebrauch machen soll. Die Tendenz und das Programm, das der Verordnunggeber beim Erlaß der Erläuterungen verfolgen soll, ergeben sich jedoch aus Sinn und Zweck des Zolltarifs sowie aus den von der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet des Zoll- und Zolltarifrechts abgeschlossenen internationalen Verträgen und Abkommen. Die Erläuterungen zum Zolltarif sollen eine dem Zweck des Zolltarifgesetzes und dem Sinn der internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland entsprechende einheitliche Handhabung des Tarifrechts sichern. Die Erläuterungen sollen dazu dienen, jede eingeführte Ware einheitlich mit dem Zoll zu belasten, dem sie nach den gesetzgeberischen Vorstellungen aus wirtschaftspolitischen Gründen unterworfen sein soll. Der Verordnunggeber hat mit den Erläuterungen dieselben Tendenzen zu verfolgen, die dem Zolltarif selbst innewohnen. Bei ihrer Abfassung hat er auch auf Auskünfte, Empfehlungen und Erläuterungen internationaler Organisationen im Rahmen der vertraglichen Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland Rücksicht zu nehmen. Damit ist ihm für seine Regelung ein festes Programm an die Hand gegeben, das den Zweck der Ermächtigung hinreichend bestimmt.

III.

Nach Ansicht des Finanzgerichts verstößt die zu prüfende Ermächtigung auch gegen Art. 97 Abs. 1 GG. Diese Auffassung geht aber fehl. Nach Art. 97 Abs. 1 GG sind die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Unter Gesetz im Sinne des Art. 97 Abs. 1 GG ist auch das von der vollziehenden Gewalt ordnungsgemäß gesetzte Verordnungsrecht zu verstehen. Es bindet deshalb die Rechtsprechung. Der dem Gesetz unterworfene Richter wird durch diese Bindung in seiner verfassungsmäßig garantierten Unabhängigkeit nicht berührt (vgl. BVerfGE 18, 52 [59]).

 

Fundstellen

BVerfGE, 17

JZ 1965, 523

MDR 1965, 544

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