Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige Vorlage wegen Umsatzausgleichsteuer und Abschöpfungsabgabe bei Einfuhr von Braugerste
Leitsatz (amtlich)
Zur Zulässigkeit einer Vorlage nach Artikel 100 Absatz 1 GG in einem Fall, bei dem die Entscheidungserheblichkeit des zur Prüfung gestellten Gesetzes von der Auslegung von Recht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft abhängt.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Vorlage ist unzulässig, und zwar sowohl hinsichtlich des Art. 1 Vertragsgesetz zum EWGV in Verbindung mit Art. 189 des Vertrags als auch hinsichtlich des Abschöpfungserhebungsgesetzes und des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19.
2. Die Umsatzausgleichsteuer fällt als inländische Abgabe unter Art. 95 ff. EWGV und ist nicht als Abgabe zollgleicher Wirkung nach Art. 12 ff. EWGV anzusehen.
3. Dem Art. 189 EWGV kommt große Bedeutung im Rahmen des gesamten Vertrages zu. Man kann jedoch nicht davon ausgehen, daß der ganze Vertrag seinen Sinn verlöre, wenn Art. 189 EWGV und die auf Grund dieser Bestimmung erlassenen Verordnungen in der Bundesrepublik Deutschland der unmittelbaren Gültigkeit entbehrten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führt die Nichtigkeit einer Bestimmung eines Gesetzes grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit des ganzen Gesetzes. Das ganze Gesetz ist vielmehr in einem solchen Fall nur dann nichtig, wenn sich aus seinem Sinn ergibt, daß die übrigen Bestimmungen keine selbständige Bedeutung haben, oder wenn die verfassungswidrigen Vorschriften Teil einer Gesamtregelung sind, die ihren Sinn und ihre Rechtfertigung verlöre, nähme man einen ihrer Bestandteile heraus.
Normenkette
GG Art. 20, 80, 100 Abs. 1, Art. 105 Abs. 1, Art. 106 Abs. 1; EWGV Art. 189; EWGV 19 Art. 18; UStG § 4 Abs. 4, § 7 Abs. 2 Nr. 2b, Abs. 4 S. 2; AbG
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Vorlegungsbeschluss vom 14.11.1963; Aktenzeichen RML Nr. III 77/63) |
Gründe
A. – I.
1. Art. 9 Abs. 1 und Art. 12 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957 (EWGV) bestimmen:
Artikel 9
(1) Grundlage der Gemeinschaft ist eine Zollunion, die sich auf den gesamten Warenaustausch erstreckt; sie umfaßt das Verbot, zwischen den Mitgliedstaaten Ein- und Ausfuhrzölle und Abgaben gleicher Wirkung zu erheben, sowie die Einführung eines Gemeinsamen Zolltarifs gegenüber dritten Ländern.
Artikel 12
Die Mitgliedstaaten werden untereinander weder neue Einfuhr- oder Ausfuhrzölle oder Abgaben gleicher Wirkung einführen, noch die in ihren gegenseitigen Handelsbeziehungen angewandten erhöhen.
Die Art. 95 ff. des Vertrags enthalten Vorschriften über die Erhebung inländischer Abgaben auf eingeführte Waren. Art. 95 und 97 EWGV lauten:
Artikel 95
Die Mitgliedstaaten erheben auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten weder unmittelbar noch mittelbar höhere inländische Abgaben gleich welcher Art, als gleichartige inländische Waren unmittelbar oder mittelbar zu tragen haben. Die Mitgliedstaaten erheben auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten keine inländischen Abgaben, die geeignet sind, andere Produktionen mittelbar zu schützen. Spätestens mit Beginn der zweiten Stufe werden die Mitgliedstaaten die bei Inkrafttreten dieses Vertrages geltenden Bestimmungen aufheben oder berichtigen, die den obengenannten Vorschriften entgegenstehen.
Artikel 97
Mitgliedstaaten, welche die Umsatzsteuer nach dem System der kumulativen Mehrphasensteuer erheben, können für inländische Abgaben, die sie von eingeführten Waren erheben, und für Rückvergütungen, die sie für ausgeführte Waren gewähren, unter Wahrung der in den Artikeln 95 und 96 aufgestellten Grundsätze Durchschnittssätze für Waren oder Gruppen von Waren festlegen. Entsprechen diese Durchschnittssätze nicht den genannten Grundsätzen, so richtet die Kommission geeignete Richtlinien oder Entscheidungen an den betreffenden Staat.
Die Befugnisse des Rats und der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ergeben sich unter anderem aus Art. 189 EWGV. Die Absätze 1 und 2 dieser Bestimmung haben folgenden Wortlaut:
Zur Erfüllung ihrer Aufgaben und nach Maßgabe dieses Vertrags erlassen der Rat und die Kommission Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen, sprechen Empfehlungen aus oder geben Stellungnahmen ab.
Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.
Die gesetzgebenden Körperschaften des Bundes haben dem Vertrag durch Art. 1 des Gesetzes zu den Verträgen vom 25. März 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft – Vertragsgesetz zum EWGV – vom 27. Juli 1957 (BGBl. II S. 753) zugestimmt.
2. a) Am 4. April 1962 erließ der Rat der Gemeinschaft auf Grund von Art. 189 EWGV die Verordnung Nr. 19 über die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Getreide – VO Nr. 19 – (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, S. 933/62; BGBl. 1962 II S. 710).
Die Ziele der Verordnung Nr. 19 werden in der Präambel unter anderem wie folgt umschrieben:
Der Handel mit Agrarerzeugnissen zwischen den Mitgliedstaaten wird durch eine Reihe von Hindernissen, nämlich Zölle, Abgaben gleicher Wirkung, Kontingente und sonstige mengenmäßige Beschränkungen, gehemmt, die in der Übergangszeit in unterschiedlicher Weise und Zeitfolge schrittweise beseitigt werden müßten, wenn die Organe der Gemeinschaft keine Harmonisierungsmaßnahmen treffen; eine einheitliche Maßnahme an der Grenze auf dem Gebiet des innergemeinschaftlichen Warenverkehrs erlaubt hingegen einen gleichlaufend fortschreitenden Abbau dieser Hindernisse in allen Mitgliedstaaten in einer Zeitfolge, die der schrittweisen Entwicklung der gemeinsamen Agrarpolitik angepaßt ist.
Eine solche einheitliche Maßnahme an der Grenze, die an die Stelle sämtlicher einzelstaatlichen Maßnahmen tritt, muß sowohl eine angemessene Stützung der Agrarmärkte der Mitgliedstaaten während der Übergangszeit sicherstellen als auch mit der Entwicklung des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft die schrittweise Errichtung des Gemeinsamen Marktes ermöglichen. Dieses Ergebnis kann durch innergemeinschaftliche Abschöpfungen erzielt werden, die dem Unterschied zwischen den Preisen des ausführenden und des einführenden Mitgliedstaates entsprechen, wodurch auf dem Markt eines Landes mit höheren Preisen etwaige Störungen durch Einfuhren aus einem Land mit niedrigeren Preisen vermieden werden.
Dementsprechend bestimmt Art. 1 VO Nr. 19:
Um eine fortschreitende Entwicklung des Gemeinsamen Marktes und der gemeinsamen Agrarpolitik zu gewährleisten, wird schrittweise eine gemeinsame Marktorganisation für Getreide errichtet, die eine Abschöpfungsregelung für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern für folgende Erzeugnisse umfaßt: … Gerste …
Art. 18 Abs. 1 VO Nr. 19 lautet:
Im Handel zwischen den Mitgliedstaaten sind sowohl bei der Einfuhr als auch bei der Ausfuhr mit der Anwendung der innergemeinschaftlichen Abschöpfungsregelung unvereinbar:
– die Erhebung von Zöllen oder Abgaben gleicher Wirkung;
…
Nach Art. 23 Abs. 1 VO Nr. 19 treffen die Mitgliedstaaten „alle Maßnahmen zur Anpassung ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften, damit diese Verordnung ab 30. Juli 1962 tatsächlich angewandt werden kann”. Art. 29 Satz 5 bestimmt, daß die Verordnung in allen ihren Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt.
b) Die durch die Verordnung Nr. 19 getroffene Regelung ist durch nationales Recht ergänzt worden. Für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland sind diese ergänzenden Regelungen erlassen worden vor allem durch das – mehrfach geänderte – Abschöpfungserhebungsgesetz – AbschG – vom 25. Juli 1962 (BGBl. I S. 453) sowie durch das – ebenfalls mehrfach geänderte – Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 (Getreide) des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – DurchfG VO Nr. 19 – vom 26. Juli 1962 (BGBl. I S. 455).
§ 1 AbschG in der im Dezember 1962 geltenden Fassung bestimmte:
Die Einfuhr von Waren unterliegt einer Abgabe (Abschöpfung), wenn die Erhebung einer solchen Abgabe in den Verordnungen vorgeschrieben oder zugelassen ist, die der Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf Grund der Artikel 42 oder 43 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957 (Bundesgesetzbl. II S. 753) erläßt.
c) In der Bundesrepublik Deutschland wird auf die Einfuhr von Gegenständen auf Grund der Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes – UStG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. September 1951 (BGBl. I S. 791), zuletzt geändert durch das 17. Änderungsgesetz vom 23. Dezember 1966 (BGBl. I S. 709), eine Umsatzausgleichsteuer erhoben.
II.
1. Die Berufungsführerin des Ausgangsverfahrens, die Firma …, führte im Dezember 1962 in drei Sendungen etwa 500 t Braugerste, die sie von einem französischen Großhändler bezog, aus Frankreich in das deutsche Zollgebiet ein. Das Zollamt Speyer erhob auf Grund der Verordnung Nr. 19 und des Abschöpfungserhebungsgesetzes einen Abschöpfungsbetrag sowie auf Grund von § 1 Nr. 3 UStG eine Ausgleichsteuer. Da dem Zollamt noch nicht bekannt war, welchen Abschöpfungssatz die Einfuhr- und Vorratsstelle gemäß § 6 Abs. 1 DurchfG VO Nr. 19 für den Abfertigungszeitpunkt errechnet hatte, setzte es auf Grund eines Erlasses des Bundesministers der Finanzen vom 17. Juli 1962 (BZBl. 1962 S. 652) die Abschöpfung durch zwei Bescheide vom 3. und einen Bescheid vom 10. Dezember 1962 zunächst vorläufig und erst mit weiterem Bescheid vom 3. Januar 1963 endgültig auf insgesamt 45 172,40 DM fest. Die Umsatzausgleichsteuer setzte es durch die Bescheide vom 3. und 10. Dezember 1962 sogleich endgültig nach einem Erhebungssatz von 1,5 v. H. des Zollwertes auf insgesamt 1873,30 DM fest.
Am 18. Dezember 1962 legte die Berufungsführerin gegen die drei Bescheide des Zollamts Speyer vom 3. und 10. Dezember 1962 Einspruch ein. Sie wandte sich gegen die Erhebung der Umsatzausgleichsteuer mit der Begründung, es sei mit der Verordnung Nr. 19 unvereinbar, neben der Abschöpfung eine Ausgleichsteuer zu erheben. Gegen die Festsetzung der Abschöpfung legte sie lediglich „insoweit” Einspruch ein, als der Abschöpfungsbetrag nicht um eine etwa entstandene Umsatzausgleichsteuer ermäßigt worden sei.
Das Hauptzollamt Ludwigshafen wies die Einsprüche der Berufungsführerin mit Verfügung vom 5. April 1963 als unbegründet zurück. Die Umsatzausgleichsteuer gehöre nicht zu den Abgaben zollgleicher Wirkung im Sinn der Verordnung Nr. 19. Vielmehr seien für sie die Vorschriften der Art. 95 ff. EWGV maßgebend, die vom Fortbestand der Umsatzausgleichsteuer ausgingen.
Gegen diese Einspruchsentscheidung wandte sich die Berufungsführerin mit der Berufung an das Finanzgericht Rheinland-Pfalz in Neustadt a. d. Weinstraße. Sie beantragte in erster Linie, unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung die mit den drei Abschöpfungsbescheiden des Zollamts Speyer vom 3. und 10. Dezember 1962 verbundenen Umsatzausgleichsteuer-Bescheide aufzuheben; hilfsweise bat sie, die in den Abschöpfungsbescheiden festgesetzte Abschöpfung um die erhobene Ausgleichsteuer zu ermäßigen.
Die Berufungsführerin vertrat die Ansicht, der unmittelbar geltende Art. 18 VO Nr. 19 verbiete den Behörden der Bundesrepublik Deutschland, für die Einfuhr von Getreide aus einem anderen Mitgliedstaat Zölle oder Abgaben gleicher Wirkung zu erheben; für Getreide sei die Umsatzausgleichsteuer eine Abgabe, die wie ein Zoll wirke. Die Entscheidung des Rechtsstreits hänge davon ab, wie der in der Verordnung Nr. 19 verwendete Begriff der „Abgabe mit zollgleicher Wirkung” auszulegen sei. Sie rege an, diese Frage gemäß Art. 177 EWGV dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Im weiteren Verlauf des Verfahrens vor dem Finanzgericht äußerte sich die Berufungsführerin ferner dahin, das Abschöpfungserhebungsgesetz sei verfassungswidrig, weil es nicht der rechtsstaatlichen Forderung genüge, daß ein Steuergesetz das für die Erhebung der Abgabe Wesentliche selbst bestimmen müsse.
2. a) Das Finanzgericht hat durch Beschluß vom 14. November 1963 das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG folgende Fragen vorgelegt:
(1) ob die durch Art. 1 des Gesetzes vom 27. Juli 1957 (BGBl. II S. 753) zu den Verträgen vom 25. März 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (BGBl. II S. 766) in Verbindung mit Art. 189 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dem Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erteilte Ermächtigung, auch für die Bundesrepublik Deutschland Verordnungen mit allgemeiner Verbindlichkeit und unmittelbarer Geltung zu erlassen, vereinbar ist mit dem in den Artikeln 20 und 129 Abs. 3 GG zum Ausdruck gebrachten Verbot der Ermächtigung von Exekutivorganen zum Erlaß gesetzesändernder Rechtsverordnungen;
(2) ob das Abschöpfungserhebungsgesetz vom 25. Juli 1962 (BGBl. I S. 453) mit den Artikeln 105 Abs. 1 und 2, 106 Abs. 1 und 108 Abs. 1 GG vereinbar ist;
(3) ob das Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 (Getreide) des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 26. Juli 1962 (BGBl. I S. 455) mit dem sich aus dem Prinzip der Gewaltenteilung und der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 und 80 GG) ergebenden Grundsatz vereinbar ist, daß der Staatsbürger in der Lage sein muß, aus einem Abgabengesetz zu erkennen und vorauszusehen, was von ihm gefordert werden kann.
b) Das Finanzgericht ist der Ansicht, Art. 18 VO Nr. 19 verbiete die Erhebung von Umsatzausgleichsteuer auf die Einfuhr von Braugerste. Zwar diene die Ausgleichsteuer im Unterschied zum Zoll im allgemeinen der Beseitigung des Wettbewerbsnachteils, der in der Regel für Inlandswaren gegenüber eingeführten Waren dadurch entstehe, daß ihre Lieferung der Umsatzsteuer unterliege, die eingeführten Waren jedoch in ihrem Herkunftsstaat mit entsprechenden Steuern nicht belastet seien. Diese Ausgleichsfunktion besitze die Ausgleichsteuer jedoch in den Fällen nicht, in denen der Umsatz gleichartiger Waren im Inland nicht der Umsatzsteuer unterliege. In solchen Fällen äußere die Erhebung der Ausgleichsteuer eine zollgleiche Wirkung. Die Lieferung inländischer Braugerste durch den Großhändler sei nach Maßgabe von § 4 Nr. 4 UStG in der Fassung des 11. Änderungsgesetzes vom 16. August 1961 (BGBl. I S. 1330) von der Umsatzsteuer befreit; die Einfuhr der vom ausländischen Großhändler gelieferten Braugerste unterliege hingegen einer Ausgleichsteuer von 1,5 v. H. des Wertes (§ 7 Abs. 4 Satz 2 iVm. Abs. 2 Nr. 2 b UStG in der Fassung des 11. Änderungsgesetzes). Wenn – wie hier – die Erhebung einer Abgabe wie die Erhebung eines Zolls wirke, dann sei dies „nach dem klaren Wortlaut des Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 19 mit der Anwendung der Abschöpfungsregelung nicht vereinbar”. Die Verordnung Nr. 19 gelte gemäß Art. 189 EWGV in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar; jeder Bürger könne sich in einem Rechtsstreit auf sie berufen und daraus unmittelbar Rechte herleiten.
Zu der Frage, ob die Verfassungsmäßigkeit der zur Prüfung gestellten Normen entscheidungserheblich ist, führt das Finanzgericht aus:
Wenn entweder die Billigung des Art. 189 EWGV durch Art. 1 Vertragsgesetz zum EWGV oder das Abschöpfungserhebungsgesetz oder das Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 verfassungswidrig sei, so müsse die Berufung als unbegründet zurückgewiesen werden, weil in diesen Fällen der durch § 1 Nr. 3 UStG angeordneten Erhebung der Umsatzausgleichsteuer keine wirksame Ausnahmevorschrift entgegenstehe. Wenn hingegen die Verordnung Nr. 19 rechtswirksam sei, so könne sie ihrem Art. 23 zufolge dennoch ohne die gleichzeitige Rechtswirksamkeit der vom Bundesgesetzgeber durch das Abschöpfungserhebungsgesetz und das Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 geschaffenen Vorschriften nicht angewandt werden.
Nach der Überzeugung des Finanzgerichts ist die Verordnung Nr. 19 rechtsunwirksam, weil Art. 1 Vertragsgesetz zum EWGV, soweit er die Ermächtigung des Rats und der Kommission zum Erlaß von „Verordnungen” durch Art. 189 EWGV betreffe, mit dem Grundgesetz unvereinbar sei.
Der Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gehöre zur Exekutive; ihm stehe keine „originäre”, sondern nur eine abgeleitete Rechtsetzungsbefugnis zu. Die von ihm nach Art. 189 EWGV erlassenen Verordnungen seien Rechtsverordnungen im Sinne des Grundgesetzes. Die Rechtsetzungsermächtigung des Rats verstoße gegen das in Art. 20 Abs. 2 und Art. 129 Abs. 3 GG enthaltene Verbot von Ermächtigungen zum Erlaß gesetzesändernder Rechtsverordnungen. Sie verletze ferner Art. 80 GG, weil Art. 189 EWGV nicht das Ausmaß der Ermächtigung abgrenze.
Sofern jedoch Art. 189 EWGV als eine Ermächtigung des Rats zu deuten sei, „Gesetze mit unmittelbarer Wirkung gegenüber den Bürgern der Bundesrepublik zu erlassen”, verletze diese in Art. 1 Vertragsgesetz zum EWGV einer „übernationalen Exekutivbehörde” verliehene Befugnis den durch Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten Grundsatz der Gewaltenteilung. Auch Art. 24 GG erlaube nicht, zwischenstaatliche Exekutivorgane mit vollziehender und gesetzgebender Gewalt auszustatten.
Die Billigung des Art. 189 EWGV durch das Vertragsgesetz habe eine vom Rechtsstaat „wegführende Entwicklung eingeleitet”; die dadurch bewirkte Verletzung von Art. 79 Abs. 3 GG könne auch für eine Übergangszeit nicht hingenommen werden.
Das Finanzgericht hält das Abschöpfungserhebungsgesetz für unvereinbar mit Art. 105 Abs. 1 und 3, 106 Abs. 1 und 108 Abs. 1 GG.
Das Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 – und auch das Abschöpfungserhebungsgesetz – seien mit der rechtsstaatlichen Forderung unvereinbar, daß ein Abgabengesetz selbst darüber Aufschluß geben müsse, in welchen Fällen und in welcher Höhe Abgaben vom Bürger gefordert würden.
III.
1. a) Die Bundesregierung hält die Vorlage für unzulässig. Das Finanzgericht könne beim jetzigen Stand des Ausgangsverfahrens nicht mit der für einen Antrag nach Art. 100 Abs. 1 GG erforderlichen Sicherheit beurteilen, ob es für seine Entscheidung auf die Gültigkeit der Verordnung Nr. 19 und damit inzidenter auf die Verfassungsmäßigkeit von Art. 1 Vertragsgesetz zum EWGV ankomme. Es habe die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nur deshalb bejaht, weil es auf Grund einer bestimmten Auslegung von Art. 18 VO Nr. 19 angenommen habe, diese Norm verbiete die im Ausgangsverfahren streitige Erhebung der Umsatzausgleichsteuer. Das vorlegende Gericht habe versäumt, über die Frage der Auslegung von Art. 18 VO Nr. 19 eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs gemäß Art. 177 Abs. 2 EWGV einzuholen. Ergebe eine solche Vorabentscheidung, daß nach der für das Finanzgericht bindenden Auslegung Art. 18 VO Nr. 19 die Erhebung der Umsatzausgleichsteuer nicht verbiete, so verliere die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit von Art. 1 Vertragsgesetz zum EWGV jede Entscheidungserheblichkeit. Da das Finanzgericht diese für die Frage der Entscheidungserheblichkeit relevante „Aufklärungsmaßnahme” unterlassen habe, sei seine Beurteilungsgrundlage lückenhaft und der Normenkontrollantrag nicht vorlagereif.
Damit entfalle auch die Entscheidungserheblichkeit der Gültigkeit des Abschöpfungserhebungsgesetzes und des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19. Denn nach Auffassung des Finanzgerichts komme es auf die Gültigkeit dieser Gesetze nur deshalb an, weil das Gericht die Verordnung Nr. 19 ohne diese Bundesgesetze nicht als innerstaatlich anwendbar betrachte.
b) Art. 1 Vertragsgesetz zum EWGV ist nach Ansicht der Bundesregierung mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Finanzgericht verkenne den Rechtscharakter der Verordnungen des Rats sowie Bedeutung und materielle Tragweite des Art. 24 Abs. 1 GG.
Die nach Art. 189 EWGV erlassenen Verordnungen seien den Rechtsverordnungen im Sinne des Grundgesetzes nicht vergleichbar. Der Rat sei kein Exekutivorgan. Ihm stünde eine von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige und originäre Rechtsetzungsgewalt zu. Die Art. 20, 80 und 129 GG seien im Bereich zwischenstaatlicher Institutionen nicht anwendbar.
Art. 1 Vertragsgesetz zum EWGV beruhe auf der Ermächtigung des Art. 24 Abs. 1 GG und halte sich in den Schranken, die der Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen durch Art. 79 Abs. 3 GG gesetzt seien. Ein ausgewogenes System des Zusammenwirkens von Rat, Kommission und Europäischem Parlament verbürge eine der traditionellen Gewaltenteilung gleichwertige und institutionell gesicherte Machtkontrolle. Es genüge den Mindestanforderungen einer rechtsstaatlichen Ordnung und enthalte außerdem Ansätze für den Ausbau der demokratischen Elemente der Gemeinschaft im weiteren Fortgang der Integration. Es sei nicht geboten, bei einem supranationalen Zusammenschluß nur parlamentarische Gremien mit Rechtsetzungsbefugnissen auszustatten.
Die Bundesregierung ist weiter der Meinung, daß auch das Abschöpfungserhebungsgesetz dem Grundgesetz entspreche. Die Abschöpfungen seien Zölle im Sinne der Art. 105, 106 und 108 GG. Sehe man sie jedoch nicht als Zölle an, so stehe dem Bund dennoch insoweit die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zu, und zwar nach Art. 73 Nr. 5 GG (Einheit des Zoll- und Handelsgebiets).
Schließlich hält die Bundesregierung das Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 für vereinbar mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz, daß der Staatsbürger in der Lage sein müsse, aus einem Abgabengesetz zu erkennen, was von ihm gefordert werden könne.
2. Für den Bundestag hat sich der Abgeordnete Professor Dr. W. unter anderem wie folgt geäußert:
Art. 1 Vertragsgesetz zum EWGV sei im Hinblick auf Art. 24 und 25 GG sowie angesichts der Struktur der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die eine demokratische Legitimation ihrer Rechtsetzung mittelbar über die Parlamente der Mitgliedsstaaten sichere, sowie vor allem unter Berücksichtigung der dynamischen Kraft der Gemeinschaft verfassungsmäßig.
Der Rat sei kein Exekutivorgan, sondern der Gesetzgeber der Gemeinschaft; er entspreche in seiner Struktur der in Bundesstaaten üblichen zweiten Kammer. Die durch Art. 79 Abs. 3 GG gesicherten Grundsätze seien durch den Vertrag nicht angetastet worden. Die demokratische Legitimation und Kontrolle des Rats werde durch die Verantwortlichkeit des einzelnen Ratsmitglieds gegenüber seinem nationalen Parlament gesichert. In der Phase des Übergangs und einer schrittweisen Verwirklichung eines europäischen Zusammenschlusses müsse hingenommen werden, daß die Rechtsetzung noch nicht von einem europäischen Parlament wahrgenommen werden könne.
Auch die gegen die Gültigkeit des Abschöpfungserhebungsgesetzes erhobenen Bedenken seien unbegründet. Bei der Abschöpfungsregelung handele es sich in erster Linie um eine handelspolitische Maßnahme, die jedenfalls durch die Bundeskompetenz zur Regelung der Ein- und Ausfuhr land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse (Art. 74 Nr. 17 GG) gedeckt sei.
3. Die Berufungsführerin des Ausgangsverfahrens hält Art. 1 Vertragsgesetz zum EWGV für verfassungsmäßig. Das im Vertrag nur unvollkommen ausgeformte System der Gewaltenhemmung und das Fehlen eines mit stärkeren Befugnissen ausgestatteten, demokratisch legitimierten Parlaments könnten insbesondere deshalb hingenommen werden, weil während der Zeit des Übergangs zu einer politischen Einigung Europas die unterschiedlichen Verfassungsstrukturen der Mitgliedstaaten nicht das verbindliche Modell für die Organisation der Gemeinschaft sein könnten.
Die Berufungsführerin ist jedoch der Meinung, daß das Abschöpfungserhebungsgesetz verfassungswidrig sei. Sie hält ferner die Ermächtigung des § 5 DurchfG VO Nr. 19 für unvereinbar mit Art. 80 Abs. 1 GG.
B.
Die Vorlage ist unzulässig, und zwar sowohl hinsichtlich des Art. 1 Vertragsgesetz zum EWGV in Verbindung mit Art. 189 des Vertrags als auch hinsichtlich des Abschöpfungserhebungsgesetzes und des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19.
I.
1. In dem vom Finanzgericht zu entscheidenden Fall kollidiert – nach Ansicht des Finanzgerichts – eine Norm des nationalen Rechts (§ 1 Nr. 3, § 7 Abs. 4 Satz 2 UStG in der Fassung des 11. Änderungsgesetzes) mit einer Norm des Gemeinschaftsrechts (Art. 18 VO Nr. 19). Dem Vorlagebeschluß liegt, soweit die Verfassungsmäßigkeit von Art. 1 Vertragsgesetz zur Prüfung gestellt wird, die Ansicht zugrunde, das nationale Gericht sei kompetent, über solche Normenkollisionen zu befinden. Das Gericht will weiterhin bei seiner Entscheidung der Norm des Gemeinschaftsrechts – falls sie gültig ist – den Vorzug vor dem nationalen Gesetz geben.
Bedenken gegen die Zulässigkeit der Vorlage bestehen insofern nicht, obwohl das Finanzgericht seine Ansicht zu beiden Fragen nicht näher dargelegt hat.
2. a) Auf die Gültigkeit von Art. 18 VO Nr. 19 in der Bundesrepublik Deutschland und damit auf die Verfassungsmäßigkeit von Art. 1 des Vertragsgesetzes in Verbindung mit Art. 189 EWGV kommt es für die Entscheidung des Finanzgerichts offensichtlich nur dann an, wenn man davon ausgeht, daß Art. 18 VO Nr. 19 im vorliegenden Fall eingreift und verbietet, neben der Abschöpfung noch die „zollgleiche Abgabe” Umsatzausgleichsteuer zu erheben. Greift hingegen dieses Verbot nicht ein, so hängt die Entscheidung im Ausgangsverfahren nicht mehr von der Gültigkeit des Art. 18 VO Nr. 19 in der Bundesrepublik Deutschland ab; dann ist auch die Verfassungsmäßigkeit von Art. 1 des Vertragsgesetzes in Verbindung mit Art. 189 EWGV für die Entscheidung des Finanzgerichts nicht mehr erheblich.
b) Das Finanzgericht meint, das Verbot des Art. 18 VO Nr. 19 müsse eingreifen, vorausgesetzt, die Verordnung Nr. 19 gelte in der Bundesrepublik Deutschland. Das Finanzgericht hat hierzu insbesondere darauf verwiesen, daß die Ausgleichsteuer in dem ihm vorliegenden Fall eine ausgleichende Funktion deshalb nicht erfüllen könne, weil die inländische Lieferung von Braugerste im Großhandel umsatzsteuerfrei sei (§ 4 Nr. 4 UStG). Deshalb wirke die Umsatzausgleichsteuer von 1,5 v. H. des Wertes der eingeführten Braugerste (§ 7 Abs. 4 Satz 2 UStG in der Fassung des 11. Änderungsgesetzes, jetzt § 7 Abs. 5 Nr. 4 UStG) wie ein Zoll; ihre Erhebung sei nach Art. 18 VO Nr. 19 unzulässig.
Art. 18 VO Nr. 19 greift jedoch in dem vom Finanzgericht zu entscheidenden Fall nicht ein. Die Zulässigkeit der Erhebung von Umsatzausgleichsteuer ist hier vielmehr ausschließlich nach den Art. 95 ff. EWGV zu beurteilen. Die entgegenstehende Ansicht des Finanzgerichts ist nicht haltbar. Für die Entscheidung des Finanzgerichts kommt es auf die Gültigkeit des Art. 18 VO Nr. 19 – und damit auf die Verfassungsmäßigkeit des Art. 1 Vertragsgesetz in Verbindung mit Art. 189 EWGV – nicht an. Deshalb ist die Vorlage insoweit unzulässig (vgl. hierzu BVerfGE 18,274 [280 f.]; 19, 282 [286] sowie 7, 59 ff.; 10, 1 [3]; 13, 165 [167]).
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Umsatzausgleichsteuer in Fällen, in denen sie über die inländische Umsatzsteuerbelastung gleichartiger Waren hinausgeht, abstrakt gesehen als eine Abgabe von gleicher Wirkung wie ein Zoll zu charakterisieren wäre. Entscheidend ist allein, ob in solchen Fällen das Verbot des Art. 18 VO Nr. 19 eingreift.
c) Gemäß Art. 18 VO Nr. 19 ist im Handel zwischen Mitgliedstaaten die Erhebung von Zöllen oder Abgaben gleicher Wirkung unvereinbar mit der innergemeinschaftlichen Abschöpfungsregelung. Nach Art. 12 EWGV werden die Mitgliedstaaten untereinander keine neuen Zölle oder Abgaben gleicher Wirkung einführen. Die Worte „Zölle oder Abgaben gleicher Wirkung” haben in beiden Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts dieselbe Bedeutung. Das ist allgemeine Meinung.
Der Vertrag enthält für Zölle und Abgaben zollgleicher Wirkung einerseits und für inländische Abgaben andererseits verschiedenartige Regelungen. Bedeutsam ist vor allem, daß die im Zweiten Teil des Vertrags (Grundlagen der Gemeinschaft), Tit. I Kap. 1 (Die Zollunion), genannten Abgaben zollgleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten während der Übergangszeit (Art. 8 EWGV) schrittweise aufgehoben werden (Art. 13 Abs. 2 EWGV). Für die inländischen Abgaben finden sich im Dritten Teil (Die Politik der Gemeinschaft), Tit. I Kap. 2 (Steuerliche Vorschriften), detaillierte Regelungen. Die diesen Regelungen entgegenstehenden inländischen Abgaben waren spätestens mit Beginn der zweiten Stufe der Übergangszeit aufzuheben.
Es ist seit jeher vorherrschende Meinung gewesen, daß die Umsatzausgleichsteuer als inländische Abgabe unter Art. 95 ff. EWGV fällt und nicht als Abgabe zollgleicher Wirkung nach Art. 12 ff. EWGV anzusehen ist (vgl. Wohlfahrt-Everling-Glaesner- Sprung, Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 1960, Erl. 3 zu Art. 9 sowie Vorbem. 1 und 2 vor Art. 95; Hübschmann- Grabower-Beck-v. Wallis, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 1.-2. Aufl. 1955/1966, Anm. 4 a zu § 7 Abs. 4-7 UStG; Hahnfeld, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern – ZfZ – 1959, 380 [381]; Sprung, Finanzarchiv, Neue Folge Bd. 20 [1959/60], 201 [209 Anm. 1, 216 ff.]; FG Nürnberg, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 1963, 326 f.).
Das muß auch dann gelten, wenn die Belastung der eingeführten Ware mit Umsatzausgleichsteuer im Einzelfall über die inländische Umsatzsteuerbelastung vergleichbarer Waren hinausgeht (vgl. v. d. Groeben-v. Boeckh, Kommentar zum EWG-Vertrag, 1958, Erl. 5 b zu Art. 13 sowie Erl. 2 und 3 zu Art. 95; Schwarz, ZfZ 1964, 100 [104 f.]; Bail, ZfZ 1967, 1 [9 f.]; FG Düsseldorf, EFG 1966, 24; FG Baden-Württemberg, Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters – AWD BB – 1967, 205 [206], und wohl auch Runge, AWD BB 1963, 225 [226]).
d) Soweit noch Zweifel an der Richtigkeit der Ansicht bestanden, die Erhebung der Umsatzausgleichsteuer sei ausschließlich nach den Bestimmungen der Art. 95 ff. EWGV zu beurteilen, sind diese Zweifel durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Europäischer Gerichtshof) vom 16. Juni 1966 in der Rechtssache 57/65 (Rspr.XII,258) ausgeräumt worden.
Das Urteil erging auf einen Vorlagebeschluß des Finanzgerichts des Saarlandes (abgedruckt: Europarecht 1966, 64), das über einen Sachverhalt zu entscheiden hatte und inzwischen entschieden hat (Europarecht 1967, 138), der – was die Umsatzausgleichsteuer angeht – dem Sachverhalt entspricht, über den im Ausgangsverfahren vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz zu entscheiden ist, nämlich über die Erhebung von Ausgleichsteuer im innergemeinschaftlichen Handel mit Waren, die im Inland von der Umsatzsteuer befreit sind. Das Finanzgericht des Saarlandes hatte dem Europäischen Gerichtshof nach Art. 177 EWGV unter anderem die Frage vorgelegt,
…
(3) ob Art. 95 Abs. 1 und 3 EWGV in Verbindung mit Art. 12 oder Art. 13 EWGV unmittelbare Wirkungen und individuelle Rechte des Einzelnen begründen, welche die staatlichen Gerichte zu beachten haben.
Hierzu hat der Europäische Gerichtshof – wenn auch als obiter dictum – darauf hingewiesen, daß die Art. 12 und 13 einerseits und 95 andererseits nicht auf ein und denselben Sachverhalt angewandt werden könnten. Abgaben zollgleicher Wirkung und inländische Abgaben seien unterschiedlichen Regelungen unterworfen. Eine Abgabe, welche die Belastung einer inländischen Abgabe ausgleichen solle, nehme durch diese Zweckbestimmung den Inlandscharakter der Abgabe an, deren Wirkung sie ausgleichen solle.
Der Europäische Gerichtshof hat also – unter Berücksichtigung der ausführlichen Darlegungen des Generalanwalts Gand (siehe Rspr. XII, 269 ff.) und der Stellungnahmen der Kommission (aaO S. 261 f.), der Bundesregierung sowie der niederländischen und der belgischen Regierung (aaO S. 263 ff.) – für die Qualifizierung einer Abgabe entscheidend auf deren Zweckbestimmung abgehoben (siehe auch EuGH Rspr. VIII, 867 und XI, 635). Dabei hatte er die Umsatzausgleichsteuer vor Augen und war sich bewußt, daß in dem vom Finanzgericht des Saarlandes zu entscheidenden Fall die Ausgleichsteuer wegen Befreiung gleichartiger Waren von der Umsatzsteuer eine entsprechende Umsatzsteuerbelastung nicht ausglich. Der Gerichtshof hat zum Ausdruck gebracht, daß die Ausgleichsteuer eine inländische Abgabe und auch dann keine Abgabe zollgleicher Wirkung ist, wenn sie im Einzelfall über die inländische Umsatzsteuerbelastung gleichartiger Waren hinausgeht und daher insoweit wie ein Zoll wirkt. Für sie greift das Verbot des Art. 12 nicht ein; die Erhebung der Ausgleichsteuer unterliegt nur den Beschränkungen der Art. 95 ff. EWGV. Spätestens seit diesem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, des zur verbindlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts berufenen Organs der Gemeinschaft (Art. 177 EWGV), ist also geklärt und nicht mehr zweifelhaft, daß auf die Erhebung der Umsatzausgleichsteuer nur Art. 95 ff. EWGV, nicht zugleich Art. 12 des Vertrags und also auch nicht Art. 18 VO Nr. 19 anzuwenden sind (ebenso Hübschmann-Grabower-Beck-v. Wallis, aaO, Anm. 56 und 56 a zu § 1 Ziff. 3 UStG; Bail, ZfZ 1967, 1 [10]; Everling, NJW 1967, 465 [467 Anm. 25]; Meier, AWD BB 1966, 384, und 1967, 140 [141]; Schwarz, ZfZ 1966, 225 [226]. – Anderer Ansicht wohl nur Ulmer, AWD BB 1966, 277 [280]; Wendt, Der Betrieb 1966, 1249 [1250]).
Das gilt jedenfalls dann, wenn es sich um die Einfuhr von Waren aus einem Mitgliedstaat handelt, denen gleichartige inländische Waren gegenüberstehen (siehe Art. 95 Abs. 1 EWGV: Die Mitgliedstaaten erheben auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten weder unmittelbar noch mittelbar höhere inländische Abgaben … als gleichartige inländische Waren … zu tragen haben). Die weiteren Fragen, ob die Erhebung der Umsatzausgleichsteuer auch dann ausschließlich nach den Art. 95 ff. EWGV zu beurteilen ist, wenn Waren aus Drittländern oder wenn aus Mitgliedstaaten Waren eingeführt werden, denen gleichartige inländische Waren nicht gegenüberstehen (vgl. Meier, AWD BB 1967, 140 [143 ff.]), kann außer Betracht bleiben. Denn in dem vom Finanzgericht zu entscheidenden Fall ist die Ausgleichsteuer für die Einfuhr von Braugerste, die auch im Inland gewonnen wird, aus Frankreich festgesetzt worden.
e) Es hat sich also ergeben, daß die Ansicht des Finanzgerichts, seine Entscheidung sei abhängig von der Gültigkeit des Art. 18 VO Nr. 19 und der Verfassungsmäßigkeit des Art. 1 Vertragsgesetz in Verbindung mit Art. 189 EWGV, unrichtig und nicht mehr haltbar ist. Hingegen stellt sich die Frage, ob die Erhebung der Umsatzausgleichsteuer in dem vom Finanzgericht zu entscheidenden Fall in Einklang steht mit Art. 95 ff. EWGV.
Es wäre jedoch falsch zu meinen, eben deshalb komme es dennoch für die Entscheidung des Finanzgerichts auf die Gültigkeit von Art. 1 des Vertragsgesetzes an. Es sind zwar Zweifel geäußert worden, ob sich die vom Finanzgericht angenommene Verfassungswidrigkeit des Art. 1 auf die Zustimmung zu Art. 189 EWGV beschränken würde oder ob nicht vielmehr – wegen der Bedeutung dieser Vertragsvorschrift für die Verwirklichung der Vertragsziele – in diesem Fall Art. 1 des Vertragsgesetzes insgesamt als nichtig anzusehen sei, so daß der gesamte Vertrag – also auch seine Art. 95 ff., soweit sie unmittelbare Wirkungen erzeugen – in der Bundesrepublik Deutschland nicht verbindlich wäre (vgl. BFH, Beschluß vom 25. April 1967 – VII 198/63 –, AWD BB 1967, 227 [228]).
Dem Art. 189 EWGV kommt große Bedeutung im Rahmen des gesamten Vertrages zu. Man kann jedoch nicht davon ausgehen, daß der ganze Vertrag seinen Sinn verlöre, wenn Art. 189 EWGV und die auf Grund dieser Bestimmung erlassenen Verordnungen in der Bundesrepublik Deutschland der unmittelbaren Gültigkeit entbehrten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führt die Nichtigkeit einer Bestimmung eines Gesetzes grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit des ganzen Gesetzes. Das ganze Gesetz ist vielmehr in einem solchen Fall nur dann nichtig, wenn sich aus seinem Sinn ergibt, daß die übrigen Bestimmungen keine selbständige Bedeutung haben, oder wenn die verfassungswidrigen Vorschriften Teil einer Gesamtregelung sind, die ihren Sinn und ihre Rechtfertigung verlöre, nähme man einen ihrer Bestandteile heraus (vgl. BVerfGE 8, 274 [301]; 9, 305 [333]; 10, 200 [220]; 15, 1 [25]). Diese Grundsätze gelten entsprechend auch für Vertragsgesetze (vgl. BVerfGE 12, 205 [240]). Ihre Anwendung auf Art. 1 Vertragsgesetz zum EWGV ergibt: Selbst wenn man diese Vorschrift, soweit sie sich auf Art. 189 EWGV bezieht, für verfassungswidrig erachten sollte, so würde doch damit Art. 1 des Vertragsgesetzes nicht insgesamt nichtig werden; die Gültigkeit der übrigen Vertragsbestimmungen in der Bundesrepublik Deutschland bliebe unberührt.
II.
Das Finanzgericht hat dem Bundesverfassungsgericht ferner die Frage vorgelegt, ob das Abschöpfungserhebungsgesetz und das Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Auch insoweit ist die Vorlage unzulässig. Das Finanzgericht hat in der Begründung seines Vorlagebeschlusses nicht hinreichend deutlich dargelegt, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit dieser beiden Gesetze abhängig ist (§ 80 Abs. 2 BVerfGG).
1. Für die Zulässigkeit der Vorlage hinsichtlich dieser beiden Gesetze ist von Bedeutung, daß das Finanzgericht in dem bei ihm anhängigen Verfahren nur über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Umsatzausgleichsteuer, nicht auch über die Festsetzung der Abschöpfung zu entscheiden hat.
Die Berufungsführerin hat am 18. Dezember 1962 gegen die beiden Bescheide des Zollamts Speyer vom 3. Dezember 1962 und den Bescheid vom 10. Dezember 1962 Einspruch lediglich insoweit eingelegt, als durch diese Bescheide Umsatzausgleichsteuer festgesetzt worden ist, nicht hingegen gegen die vorläufige Festsetzung der Abschöpfung durch diese Bescheide. Nur über diese Einsprüche gegen die Festsetzung der Umsatzausgleichsteuer hat das Hauptzollamt Ludwigshafen durch die Einspruchsentscheidung vom 5. April 1963 entschieden, gegen die die Berufungsführerin Berufung an das Finanzgericht eingelegt hat. Lediglich über diese Einspruchsentscheidung, also nur über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Umsatzausgleichsteuer, kann das Finanzgericht entscheiden.
Der schon mit dem Einspruch gegen die drei Bescheide des Zollamts Speyer vom 3. und 10. Dezember 1962 gestellte Hilfsantrag der Berufungsführerin, die Abschöpfungsbeträge um die berechneten Ausgleichsteuerbeträge zu kürzen, kann nicht zu einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Erhebung der Abschöpfung führen. Die mit den drei Bescheiden vom 3. und 10. Dezember 1962 erfolgte vorläufige Festsetzung der Abschöpfung hat sich durch den Bescheid des Zollamts Speyer vom 3. Januar 1963 erledigt, durch den die Abschöpfung endgültig festgesetzt worden ist. Der Einspruch der Berufungsführerin vom 18. Dezember 1962 richtet sich nicht gegen diesen Bescheid vom 3. Januar 1963, die Einspruchsentscheidung des Hauptzollamts vom 5. April 1963 bezieht sich nicht auf ihn. Der Bescheid vom 3. Januar 1963 und also die Zulässigkeit der Erhebung der Abschöpfung sind nicht Gegenstand des Ausgangsverfahrens.
Davon geht auch das vorlegende Gericht aus. Es bezeichnet als von ihm zu entscheidende Frage lediglich die Frage, ob das Zollamt durch die Verordnung Nr. 19 gehindert war, für die eingeführte Braugerste Umsatzausgleichsteuer zu erheben. Das Finanzgericht will und kann also zur Rechtmäßigkeit der vom Zollamt Speyer festgesetzten Abschöpfung keine Entscheidung treffen – unbeschadet der Frage, ob der Abschöpfungsbetrag rechnerisch um den Betrag der festgesetzten Ausgleichsteuer vermindert werden kann.
2. Nach Ansicht des Finanzgerichts hängt seine Entscheidung zunächst davon ab, ob das in Art. 18 VO Nr. 19 enthaltene Verbot, neben der Abschöpfung zollgleiche Abgaben zu erheben, im vorliegenden Fall eingreift.
Das Finanzgericht will die Berufung zurückweisen, wenn entweder die Verordnung Nr. 19 oder das Abschöpfungserhebungsgesetz oder das Durchführungsgesetz zur Verordnung Nr. 19 ungültig ist. Auch bei Ungültigkeit nur einer der drei Regelungen fehle es an einer „Ausnahmevorschrift”, die der Erhebung der Ausgleichsteuer entgegenstehe.
Hingegen will das Finanzgericht der Berufung dann – und nur dann – stattgeben, wenn sowohl die Verordnung Nr. 19 als auch das Abschöpfungserhebungsgesetz und das Durchführungsgesetz zur Verordnung Nr. 19 gültig sind. Nur wenn alle drei Regelungen gültig seien, könne die Umsatzausgleichsteuer nicht erhoben werden (siehe S. 4,5 und 8 des Vorlagebeschlusses).
a) Ist die Verordnung Nr. 19 in der Bundesrepublik Deutschland nicht unmittelbar verbindlich und greift demzufolge das Verbot ihres Art. 18 im vorliegenden Fall nicht ein, so will das Finanzgericht die Berufung zurückweisen. Dann bestünde nämlich kein Verbot, neben der Abschöpfung Abgaben mit zollgleicher Wirkung zu erheben.
Das Finanzgericht legt nicht dar, welche Bestimmungen des Abschöpfungserhebungsgesetzes und des Durchführungsgesetzes zur Verordnung Nr. 19 der Erhebung der Umsatzausgleichsteuer entgegenstehen könnten. Die beiden Gesetze enthalten auch kein Verbot, das dem des Art. 18 VO Nr. 19 entspricht. Greift also nicht dieses Verbot ein, so ist nach den Ausführungen des Finanzgerichts die Berufung zurückzuweisen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob das Abschöpfungserhebungsgesetz und das Durchführungsgesetz zur Verordnung Nr. 19 gültig sind.
Das Finanzgericht hat also nicht dargelegt, inwiefern seine Entscheidung – wenn das Verbot des Art. 18 VO Nr. 19 nicht eingreift – noch von der Gültigkeit der beiden Gesetze abhängt.
b) Ist jedoch die Verordnung Nr. 19 in der Bundesrepublik Deutschland gültig und greift demzufolge – nach der Ansicht des Finanzgerichts – das Verbot ihres Art. 18, neben der Abschöpfung zollgleiche Abgaben zu erheben, im vorliegenden Fall ein, so will das Finanzgericht der Berufung nur dann stattgeben, wenn zugleich auch das Abschöpfungserhebungsgesetz und das Durchführungsgesetz zur Verordnung Nr. 19 gültig sind. Denn bei Gültigkeit der Verordnung Nr. 19 könne sie „ihrem Art. 23 zufolge dennoch ohne die gleichzeitige Rechtswirksamkeit der vom Bundesgesetzgeber durch das Abschöpfungserhebungsgesetz und durch das Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 geschaffenen Vorschriften nicht angewandt werden” (Vorlagebeschluß Seite 8). Es ist zwar richtig, daß Abschöpfungen in der Bundesrepublik Deutschland nicht erhoben werden können, wenn nur die Verordnung Nr. 19, nicht aber zugleich das Abschöpfungserhebungsgesetz und das Durchführungsgesetz zur Verordnung Nr. 19 gültig sind. Ohne die ergänzenden Regelungen dieser beiden Gesetze ist die Abschöpfungsregelung der Gemeinschaft nicht vollziehbar. Das ist hier jedoch ohne Bedeutung. Denn im Ausgangsverfahren wird nicht darüber gestritten, ob die Abschöpfung erhoben werden darf.
Nach Ansicht des Finanzgerichts soll aber Art. 18 VO Nr. 19 in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar und allgemein verbindlich mit der Folge gelten, daß der Staatsbürger sich auf diese Vorschrift zu berufen und aus ihr unmittelbare Rechte herzuleiten vermag (Vorlagebeschluß S. 5 und 7 f.). Dann bedarf es keiner weiteren nationalen Vorschriften, damit das Verbot des Art. 18 VO Nr. 19, neben der Abschöpfung zollgleiche Abgaben zu erheben, „tatsächlich angewandt werden kann” (Art. 23 VO Nr. 19). Auf die Gültigkeit des Abschöpfungserhebungsgesetzes und des Durchführungsgesetzes zur Verordnung Nr. 19 kommt es nicht mehr an.
Das Finanzgericht meint also einerseits, die Verordnung Nr. 19 könne insgesamt nur dann angewandt werden, wenn auch das Abschöpfungserhebungsgesetz und das Durchführungsgesetz zur Verordnung Nr. 19 gültig seien; der Berufung will es nur dann stattgeben, wenn alle drei Regelungen gültig sind. Andererseits geht es davon aus, das Verbot, neben der Abschöpfung zollgleiche Abgaben zu erheben, solle unmittelbar und allgemeinverbindlich gelten. Diese Darlegungen lassen nicht mit der von § 80 Abs. 2 BVerfGG geforderten Deutlichkeit erkennen, inwiefern die Entscheidung des Finanzgerichts nach dessen Ansicht – falls die Verordnung Nr. 19 in der Bundesrepublik Deutschland gültig ist – noch von der Gültigkeit des Abschöpfungserhebungsgesetzes und des Durchführungsgesetzes zur Verordnung Nr. 19 abhängig ist.
III.
Diese Entscheidung ist mit 4 gegen 3 Stimmen ergangen.
Fundstellen
Haufe-Index 1721396 |
BVerfGE, 134 |
NJW 1967, 1707 |
NJW 1967, 2109 |
EuR 1967, 351 |
DVBl. 1967, 891 |
Europarecht Casebook 2000 2000, 379 |