Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsteuerbeihilfe für Arbeiterwohnstätten
Leitsatz (redaktionell)
- Der Anspruch auf Grundsteuerbeihilfe nach § 29 GrStG (Grundsteuerbefreiung bei Errichtung einer Arbeiterwohnstätte) ist ein Vergütungsanspruch i. S. des § 158 Abs. 1 AO, dessen Bewilligung davon abhängt, daß ein Antrag bis zum Ablauf des Jahres, das auf das Jahr der Bezugsfertigkeit folgt, gestellt wurde.
- Steuergesetze sind Gesetze, die die einzelnen Steuern regeln oder sichern, für deren Verwaltung die Reichsabgabenordnung gilt. Dies ist bei allen öffentlich-rechtlichen Abgaben der Fall, die nach Art. 105 Abs. 1 und 2 GG der Gesetzgebung des Bundes unterliegen und durch Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Soweit solche Abgaben nur teilweise durch Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden, gilt die Reichsabgabenordnung, soweit diese Verwaltung reicht. Die Grundsteuer unterliegt nun – mit Ausnahme der Festsetzung der Hebesätze – der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; GrStG § 29 Abs. 4; AO § 152 Abs. 3, § 153 Abs. 1, § 158 Abs. 1; ArbWoFöV § 11 Abs. 2
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Beschluss vom 03.04.1957; Aktenzeichen FG III 2/56 Gr) |
Tatbestand
A. – I.
Nach § 29 des Grundsteuergesetzes vom 1. Dezember 1936 (RGBl. I S. 986) i. V. m. § 11 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung vom 1. April 1937 (RGBl. I S. 437) gewährte das Reich für Arbeiterwohnstätten, die in der Zeit vom 1. April 1937 bis zum 31. März 1940 bezugsfertig wurden, zur Erzielung tragbarer Lasten oder Mieten eine unmittelbar an die erhebungsberechtigte Gemeinde abzuführende Beihilfe in Höhe der Grundsteuer auf die Dauer von 20 Jahren. Der Zeitraum, innerhalb dessen beihilfefähige Arbeiterwohnstätten bezugsfertig sein mußten, wurde mehrfach erweitert, zuletzt wurde die Beihilfe auf Arbeiterwohnstätten ausgedehnt, die bis zum 31. März 1945 bezugsfertig wurden (Verordnung vom 13. Mai 1944 – RGBl. I S. 119). Nach dem Zusammenbruch erfüllten die Länder die Verpflichtung des Reiches zur Entrichtung der bereits bewilligten Grundsteuerbeihilfen. Einzelne Länder gewährten Beihilfe auch für Arbeiterwohnstätten, für die vor dem Zusammenbruch noch keine Beihilfe beantragt worden war. Grundsteuerbeihilfen, die von den Ländern in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 15. August 1951 im Rahmen der reichsrechtlichen Bestimmungen bewilligt worden waren, wurden auf Grund des Gesetzes zur Änderung des Grundsteuergesetzes vom 10. August 1951 (BGBl. I S. 515) vom Bund übernommen, wenn die Arbeiterwohnstätten bis zum 31. März 1945 bezugsfertig geworden waren (vgl. gemeinsames Rundschreiben des Bundesministers für Wohnungsbau und des Bundesministers der Finanzen über Grundsteuerbeihilfen für Arbeiterwohnstätten vom 22. Februar 1954 – BStBl. I S. 46 – Ziff. II 3). Durch Art. I Nr. 8 des Gesetzes vom 10. August 1951 wurde dem § 29 GrStG folgender Absatz 4 angefügt:
“(4) Der Bundesminister der Finanzen wird ermächtigt, nachträglich noch Grundsteuerbeihilfen für solche Arbeiterwohnstätten zu bewilligen, bei welchen die Gewährung der Grundsteuerbeihilfe vorgesehen oder in Aussicht gestellt war, das Verfahren jedoch infolge der Kriegsereignisse nicht mehr zum Abschluß gekommen ist oder die Arbeiterwohnstätten infolge der Kriegsereignisse nicht bis zum 31. März 1945 bezugsfertig erstellt werden konnten.”
II.
Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens hat im Jahre 1941 ein Siedlungshaus errichtet, das den Voraussetzungen für die Anerkennung als Arbeiterwohnstätte genügt. Mit der Behauptung, er habe bereits unmittelbar nach der Fertigstellung seines Hauses die Gewährung von Grundsteuerbeihilfe beantragt, aber infolge der Kriegsereignisse keinen Bescheid erhalten, hat er nachträgliche Bewilligung der Beihilfe begehrt. Die Oberfinanzdirektion Düsseldorf hat den Beihilfeantrag wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 29 Abs. 4 GrStG abgelehnt. Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller Berufung eingelegt.
III.
Die III. Kammer des Finanzgerichts in Düsseldorf hat das Berufungsverfahren mit Beschluß vom 3. April 1957 – FG III 2/56 Gr. – nach Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eingeholt.
Nach Auffassung des Gerichts hat der Berufungsführer zwar nicht bewiesen, daß er bereits vor dem Zusammenbruch einen infolge von Kriegsereignissen nicht mehr beschiedenen Antrag auf Bewilligung von Grundsteuerbeihilfe gestellt habe. Das Gericht sieht sich aber an der Zurückweisung der Berufung gehindert, weil § 29 Abs. 4 GrStG den allgemeinen Gleichheitssatz verletze. Die Voraussetzungen für die nachträgliche Bewilligung einer Beihilfe seien sachfremd; sie hätten “mit der Sache, um die es geht, nämlich mit der Frage, welche Wohnungslasten durch die Beihilfegewährung zu verringern sind, überhaupt nichts zu tun”.
Art. 3 Abs.1 GG sei auch dadurch verletzt, daß das Gesetz vom 10. August 1951 keine Übergangsregelung enthalte. Der Beschwerdeführer habe seinen nachträglichen Beihilfeantrag am 3. August 1951, also vor der Verkündung dieses Gesetzes (15. August 1951) gestellt. Eine von den einschränkenden Voraussetzungen des § 29 Abs. 4 GrStG unabhängige Bewilligung der Beihilfe sei demnach von dem zufälligen Umstand abhängig gewesen, ob seinem Antrag noch vor dem 15. August 1951 wirksam stattgegeben worden sei. Der Gesetzgeber sei aber verpflichtet gewesen, derartige zufällige und damit willkürliche Ergebnisse durch eine Übergangsregelung zu vermeiden.
IV.
Der Bundesminister der Finanzen, der namens der Bundesregierung dem Verfahren beigetreten ist, hält § 29 Abs. 4 GrStG für vereinbar mit dem Grundgesetz. Es handele sich um eine Billigkeitsregelung zugunsten der Eigentümer von Arbeiterwohnstätten, die deshalb nicht in den Genuß der Grundsteuerbeihilfe gekommen seien, weil das Bewilligungsverfahren infolge der Kriegsereignisse nicht mehr abgeschlossen worden sei; es leuchte ohne weiteres ein, die nachträgliche Bewilligung der Beihilfe auf solche Fälle zu beschränken. Auch das Fehlen einer Übergangsregelung stelle keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar. Der einzelne Staatsbürger habe dem Gesetzgeber gegenüber keinen Anspruch darauf, daß die Möglichkeit erhalten bleibe, eine Beihilfe zu bekommen. Der Gesetzgeber könne vielmehr bestimmen, daß diese Möglichkeit künftig nicht mehr oder nur noch eingeschränkt bestehen solle.
Die Bayerische Staatsregierung bejaht ebenfalls die Gültigkeit des § 29 Abs. 4 GrStG. Indem diese Bestimmung die nachträgliche Bewilligung der Grundsteuerbeihilfe nur bei kriegsbedingten Härtefällen zulasse, regele sie Gleiches nicht willkürlich verschieden, sondern erstrebe die Gleichstellung aller Eigentümer beihilfefähiger Arbeiterwohnstätten.
Der III. Senat des Bundesfinanzhofs vertritt in seiner Äußerung nach § 80 Abs. 4 BVerfGG die Auffassung, bei der Grundsteuerbeihilfe handele es sich um einen Vergütungsanspruch im Sinne des § 158 Abs. 1 AO. Die Bewilligung der Beihilfe sei daher ausgeschlossen, wenn der Antrag nicht innerhalb der dort bestimmten Frist gestellt worden sei. Durch den im Jahre 1951 in das Grundsteuergesetz eingefügten Absatz 4 des § 29 sei also nicht eine bis dahin unbegrenzt bestehende Möglichkeit, Beihilfe zu erlangen, eingeschränkt worden; vielmehr habe diese Vorschrift bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen die Möglichkeit eröffnet, noch nachträglich Grundsteuerbeihilfe zu gewähren.
Der Bundesgerichtshof hat ohne Bezug auf die zur Prüfung gestellte Norm über seine Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 GG berichtet.
V.
Der Bundesminister der Finanzen hat auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
B. – I.
Die Vorlage ist zulässig.
Nach der Rechtsauffassung des Finanzgerichts kommt es für seine Entscheidung darauf an, ob § 29 Abs. 4 GrStG mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Im Falle der Gültigkeit der Vorschrift will es die Berufung zurückweisen, weil es nicht als erwiesen ansieht, daß der Antragsteller vor dem Zusammenbruch einen infolge der Kriegsereignisse nicht beschiedenen Antrag auf Bewilligung der Grundsteuerbeihilfe gestellt habe. Ist § 29 Abs.4 GrStG hingegen verfassungswidrig, so will das Finanzgericht der Berufung stattgeben. Ob nicht das Rechtsmittel auch in diesem Fall erfolglos bleiben müßte, weil der Antragsteller die Beihilfe erst am 3. August 1951 und damit nach Ablauf der Frist des § 158 Abs. 1 AO beantragt hat, braucht im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit nicht entschieden zu werden. Die Ansicht des Finanzgerichts, § 158 Abs.1 AO sei nicht anwendbar, weil die Beihilfe keinen Vergütungsanspruch im Sinne dieser Bestimmung darstelle, ist nicht offensichtlich unhaltbar und muß daher für die Beurteilung der Erheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage zugrunde gelegt werden (BVerfGE 7, 171 ≪175≫).
II.
§ 29 Abs.4 GrStG ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Diese Vorschrift hat nicht den Anspruch des Eigentümers einer Arbeiterwohnstätte auf Gewährung von Grundsteuerbeihilfe geschmälert, vielmehr unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eröffnet, “nachträglich noch” Beihilfe zu erhalten.
1. Die Bewilligung einer Beihilfe nach § 29 GrStG hängt davon ab, daß der Berechtigte einen Antrag innerhalb der Frist des § 158 Abs. 1 AO gestellt hat, soweit nicht eine andere Frist vorgeschrieben ist. Nach dieser Bestimmung kann ein “Anspruch auf Vergütung”, den “Steuergesetze” unter besonderen Voraussetzungen in Fällen gewähren, wo eine Steuer “entrichtet worden” ist, nur bis zum Ablauf des Jahres geltend gemacht werden, das auf das Jahr folgt, in dem er zuerst hätte geltend gemacht werden können.
a) Das durch § 29 GrStG gewährte Recht auf Grundsteuerbeihilfe stellt einen solchen Vergütungsanspruch dar.
Vergütungsansprüche werden in der Regel dann gewährt, wenn ein mit einer Steuer belasteter Gegenstand eine Verwendung gefunden hat, die nach Ansicht des Gesetzgebers Steuerfreiheit rechtfertigt (vgl. RFHE 9,36 [37]; Lassar, Der Erstattungsanspruch im Verwaltungs- und Finanzrecht, S. 108; Becker, Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., Vorbem. 4 zu §§ 127 – 136). Durch Zubilligung eines solchen Anspruchs soll ein Anreiz für ein wirtschaftlich erwünschtes Verhalten (z. B. die Ausfuhr) geschaffen werden (BFH in BStBl. 1959 III S. 471; Kühn, Reichsabgabenordnung, 5. Aufl., Anm. 1 zu § 158). Die Form des Vergütungsanspruchs wird meist deswegen gewählt, weil die beabsichtigte Ermäßigung oder Befreiung auf anderem Wege nicht so leicht gewährt werden kann (Bühler, Lehrbuch des Steuerrechts, Bd. I, 1927, S. 236 f.).
Dem § 29 GrStG liegen Erwägungen dieser Art zugrunde. Beim Erlaß des Grundsteuergesetzes vom 1. Dezember 1936 bestand ein dringender Bedarf an Wohnungen, die nach Größe, Art und Ausstattung sowie nach der Höhe der Lasten oder Mieten für die Arbeiterschaft bestimmt waren und von dieser benutzt wurden (vgl. § 29 Abs. 3 GrStG). Der Bau solcher Wohnungen sollte durch langfristige Befreiung von der Grundsteuer gefördert werden. Da diese Steuerbefreiung sich auf die Gemeinden, denen vom 1. April 1938 ab die Grundsteuer als Gemeindesteuer zustand, sehr nachteilig auswirken konnte, gewährte das Reich für Arbeiterwohnstätten eine Beihilfe in Höhe der Grundsteuer (vgl. Begründung zu § 29 des Grundsteuergesetzes: RStBl.1937 S. 717 [724]; Gürsching/Stenger, Grundsteuergesetz, Anm. 1 zu § 29).
Für die Annahme eines Vergütungsanspruchs spricht auch, daß die Grundsteuerbeihilfe von den Berechtigten verlangt, d. h. bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen aus Rechtsgründen beansprucht werden kann (Gürsching/Stenger, aaO Anm. 32). Dies ist für Vergütungsansprüche charakteristisch (Becker aaO Vorbem. 3 zu §§ 127 – 136).
Demgegenüber kann nicht entscheidend darauf abgehoben werden, daß § 29 GrStG von “Beihilfe” und nicht von “Vergütung” spricht. Die Verwendung dieses im Steuerrecht ungebräuchlichen Ausdrucks erklärt sich daraus, daß der Anspruch aus § 29 GrStG aus überwiegend sozialpolitischen Gründen eingeräumt wurde, während für die Gewährung von Vergütungsansprüchen im allgemeinen wirtschaftspolitische Erwägungen im Vordergrund stehen.
Ein Vergütungsanspruch im Sinne des § 158 Abs. 1 AO ist im übrigen nicht, wie im Schrifttum gelegentlich angenommen wird, nur dann gegeben, wenn er einer vom Steuerschuldner verschiedenen Person zusteht. Die Gesetze gewähren zwar in der Regel einen Anspruch auf Vergütung nicht dem, der die Steuer entrichtet, sondern dem Erwerber der ordnungsmäßig versteuerten Waren, der sie in einer Weise verwendet hat, die der Gesetzgeber als förderungswürdig ansieht. Aus dem Begriff des Vergütungsanspruchs ergibt sich aber eine solche Beschränkung nicht (vgl. BFH in BStBl.1959 III S. 471 [472]), insbesondere enthält die Reichsabgabenordnung keine Vorschrift darüber, wann eine Vergütung zu gewähren ist, sondern verweist insoweit auf die einzelnen Steuergesetze. Diese schließen es nicht aus, daß der Steuerschuldner selbst eine Vergütung erhält, wenn er die Voraussetzungen dafür erfüllt. So steht beispielsweise einem Unternehmer, der einen Gegenstand in das Inland eingeführt hat und ohne Bearbeitung oder Verarbeitung wieder ausgeführt hat, der Anspruch auf Vergütung der auf der Einfuhr lastenden Steuern zu (Ausfuhrhändlervergütung: § 16 Abs. 1 Satz 1 UStG i. V. m. § 74 Abs. 3 Satz 1 UStDB). Dem Unternehmer, der Waren ausführt, zu deren Herstellung rohe Kakaobohnen oder ausländischer Rohtabak verwandt worden sind, kann der Zoll ganz oder teilweise auch dann vergütet werden, wenn er diese Rohstoffe selbst eingeführt hat (vgl. Gesetz über die Vergütung des Kakaozolles bei der Ausfuhr von Kakaowaren i. d. F. vom 4. Juli 1939 – RGBl. I S. 1100 – und § 80 Tabaksteuergesetz vom 6. Mai 1953 – BGBl. I S. 169). Ferner wird auch den Herstellern bestimmter Waren, die mit einer Verbrauchsteuer belastet sind, Steuervergünstigung gewährt, z. B. bei der Ausfuhr von Mineralölerzeugnissen (§ 11 MinöStG 1957 vom 5. Dezember 1957 – BGBl. I S. 1833 – i. V. m. § 39 MinöStDV vom 26. Mai 1953 – BGBl. I S. 237) und Zuckererzeugnissen (§ 9 Abs.3 ZuckStG vom 19. August 1959 – BGBl. I S. 645 – i. V. m. § 15 ZuckStDB vom 19. August 1959 – BGBl. I S. 647). Schließlich sehen verschiedene Verbrauchsteuergesetze nach Maßgabe von Rechtsverordnungen Steuervergütung bei der Ausfuhr von Erzeugnissen vor, zu deren Herstellung z. B. Kaffee (§ 4 Kaffeesteuergesetz vom 30. Juli 1953 – BGBl. I S. 708), Tee (§ 4 Abs. 2 Teesteuergesetz vom 30. Juli 1953 – BGBl. I S. 710) oder Salz (§ 9 Salzsteuergesetz i. d. F. vom 25. Januar 1960 – BGBl. I S. 50) verwandt worden ist.
b) Der Anwendbarkeit des § 158 Abs. 1 AO auf den Anspruch auf Grundsteuerbeihilfe steht nicht entgegen, daß diese Bestimmung ihrem Wortlaut nach nur in Fällen Anwendung findet, “wo eine Steuer entrichtet worden ist”.
Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über die Förderung von Arbeiterwohnstätten vom 1. April 1937 (RGBl. I S. 437) wird die Grundsteuerbeihilfe an die Gemeinde gezahlt, die zur Erhebung der Steuer berechtigt ist. Der Steuerschuldner wird in Höhe der Zahlung von seiner Zahlungspflicht befreit (§ 11 Abs. 2 Satz 2). Diese Regelung hat zur Grundlage, daß der Steuerschuldner die Grundsteuer für den Beihilfezeitraum nicht zahlt. Trotzdem wird hierdurch die Geltung des § 158 Abs. 1 AO auf den Grundsteuerbeihilfeanspruch nicht ausgeschlossen. Vergütungsansprüche werden allerdings in der Regel erst dann gewährt, wenn die Steuer bereits bezahlt wurde; denn die Vergütung soll nicht zur Bereicherung eines Empfängers führen, der durch die Steuer weder unmittelbar noch mittelbar vorbelastet wurde.
Bei der Grundsteuerbeihilfe ist eine Bereicherung des Grundsteuerschuldners aber ausgeschlossen, weil sie im Gegensatz zu den übrigen Vergütungen nicht an den Berechtigten selbst ausbezahlt, sondern unmittelbar an die hebeberechtigte Gemeinde abgeführt wird. Außerdem unterscheidet sich die Grundsteuerbeihilfe von den übrigen Vergütungen dadurch, daß sie die jeweils zu entrichtende Grundsteuer tilgen soll, während jene dazu bestimmt sind, eine bereits entstandene steuerliche Belastung auszugleichen. Diese wesentlichen Unterschiede lassen es gerechtfertigt erscheinen, die Fristregelung des § 158 Abs. 1 AO auf den Grundsteuerbeihilfeanspruch – mindestens entsprechend – anzuwenden, obwohl in diesem Fall die zu vergütende Steuer nicht entrichtet worden ist.
Hierfür spricht auch der gesetzgeberische Zweck, der mit den Fristbestimmungen der §§ 152 Abs. 3, 153 und 158 Abs. 1 AO verfolgt wird. Die zur Erstattung oder Vergütung verpflichtete Körperschaft soll nämlich innerhalb eines bestimmten Zeitraumes Klarheit darüber haben, ob sie von einem Berechtigten in Anspruch genommen wird. Eine Erstattung oder Vergütung soll daher nur innerhalb bestimmter Fristen verlangt werden können. Es ist kein Grund ersichtlich, den Anspruch auf Gewährung von Grundsteuerbeihilfe als vom Ablauf einer solchen Frist unabhängig anzusehen.
c) Der Beihilfeanspruch wird auch durch ein “Steuergesetz” im Sinne der Reichsabgabenordnung gewährt.
Steuergesetze sind Gesetze, die die einzelnen Steuern regeln oder sichern, für deren Verwaltung die Reichsabgabenordnung gilt (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 AO). Dies ist bei allen öffentlich-rechtlichen Abgaben der Fall, die nach Art. 105 Abs. 1 und 2 GG der Gesetzgebung des Bundes unterliegen und durch Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden (§ 3 Abs. 1 AO). Soweit solche Abgaben nur teilweise durch Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden, gilt die Reichsabgabenordnung, soweit diese Verwaltung reicht (§ 3 Abs. 2 AO). Die Grundsteuer unterliegt nun – mit Ausnahme der Festsetzung der Hebesätze – der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes (Art. 105 Abs. 2 Nr. 3 GG). Zur Verwaltung der Grundsteuer sind Landesfinanzbehörden teilweise zuständig. So obliegt z. B. den Finanzämtern nach § 18 Nr. 1 AO die Festsetzung und Zerlegung der Steuermeßbeträge; insbesondere haben sie auch den Bescheid über die Gewährung oder Ablehnung der Grundsteuerbeihilfe zu erlassen (§ 10 Abs. 2 der Verordnung über die Förderung von Arbeiterwohnstätten vom 1. April 1937 – RGBl. I S. 437). Der § 29 GrStG ist somit als Steuergesetz im Sinne des § 158 Abs. 1 AO anzusehen.
Hiergegen kann nicht mit dem Finanzgericht eingewandt werden, diese Beihilferegelung sei “der Sache nach keine steuerliche Vorschrift, sondern eine Bestimmung, die – nicht durch Steuerbefreiung, sondern auf andere Weise – der Wohnungsbauförderung dient”. Es trifft zwar zu, daß durch die Gewährung von Grundsteuerbeihilfe ein Anreiz für den Bau von Arbeiterwohnstätten geschaffen werden sollte. Wie bereits ausgeführt, ist es aber gerade für einen Vergütungsanspruch kennzeichnend, daß durch seine Gewährung der Zweck verfolgt wird, ein bestimmtes, wirtschaftspolitisch erwünschtes Verhalten zu fördern. Außerdem wirkt die Grundsteuerbeihilfe wie eine Steuerbefreiung, weil sie in Höhe der Steuer gewährt wird (§ 29 Abs.2 GrStG). Die Form der Beihilfe durch das Reich wurde nur gewählt, um die Finanzlage der erhebungsberechtigten Gemeinden nicht zu beeinträchtigen.
d) Der Anspruch auf Beihilfe nach § 29 GrStG ist somit ein Anspruch auf Vergütung im Sinne des § 158 Abs. 1 AO. Diese Rechtsauffassung vertritt auch der Bundesfinanzhof, der – von der steuerlichen Natur des § 9 GrStG ausgehend – mehrfach über die Auslegung dieser Bestimmung entschieden (vgl. BFHE 63, S. 102; BStBl. 1959 III S. 471) und ausgesprochen hat, daß die Bewilligung der Grundsteuerbeihilfe von der Einhaltung der Frist des § 158 Abs. 1 AO abhängig ist (Urteil vom 3. September 1954 – III 123/54; ebenso Gürsching/Stenger, aaO, § 29 Anm. 32; vgl. auch BFH in BStBl. 1959 III S. 471).
Es braucht nicht entschieden zu werden, ob die in Ziff. 27 Satz 3 des Runderlasses des Reichsministers der Finanzen vom 1. August 1940 (RStBl. S. 769) getroffene Regelung eine von § 158 Abs.1 AO rechtswirksam abweichende Fristbestimmung darstellt (vgl. Finanzgericht Stuttgart, DStZ (Ausgabe B) 1957, S. 128); denn jedenfalls ist auch die dort bestimmte Ausschlußfrist (bis 31. März des auf das Jahr der Bezugsfertigkeit folgenden zweiten Kalenderjahres), auf deren Einhaltung der Reichsminister der Finanzen mit Erlaß vom 2. Januar 1942 (RStBl. S. 17) für die Dauer des Krieges verzichtet hat, im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes vom 10. August 1951 in allen Fällen verstrichen, wo die Arbeiterwohnstätte bis zum 31. März 1945 bezugsfertig geworden ist.
2. Können demnach verspätet gestellte Anträge nicht zur Bewilligung der Grundsteuerbeihilfe führen, so hat § 29 Abs. 4 GrStG nicht etwa bewirkt, daß bestehende Ansprüche der Eigentümer von Arbeiterwohnstätten seit dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 10. August 1951 nur noch unter bestimmten Voraussetzungen geltend gemacht werden können. Die Bestimmung hat vielmehr die Möglichkeit eröffnet, Beihilfe nachträglich noch in solchen Fällen zu gewähren, in denen die Bewilligung aus kriegsbedingten Gründen unterblieben ist.
Es verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, daß die Beihilfe nur unter bestimmten Voraussetzungen nachträglich bewilligt werden kann.
Bei § 29 Abs. 4 GrStG handelt es sich um eine Billigkeitsvorschrift zugunsten der Eigentümer von Arbeiterwohnstätten, die infolge der Kriegsereignisse nicht in den Genuß der Grundsteuerbeihilfe gekommen sind. Aus einleuchtenden, sich aus der Natur der Sache ergebenden Gründen sollen die Nachteile, die diese Personen hinnehmen mußten, ausgeglichen und ihnen Grundsteuerbeihilfe dann gewährt werden, wenn sie diese bei normalem Ablauf der Ereignisse erhalten hätten. Indem der Gesetzgeber die nachträgliche Bewilligung der Beihilfe in solchen Härtefällen zugelassen hat, war er unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht verpflichtet, eine entsprechende Regelung auch zugunsten solcher Eigentümer von Arbeiterwohnstätten zu treffen, denen aus nicht-kriegsbedingten Gründen keine Beihilfe bewilligt worden ist. Er war insbesondere nicht gehalten, die Härteklausel auf die Fälle auszudehnen, in denen ein Beihilfeanspruch wegen Versäumung der Antragsfrist ausgeschlossen ist.
Die nach Auskunft des Bundesministers der Finanzen in den Ländern Bayern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz vor der Verkündung des Gesetzes vom 10. August 1951 geübte Verwaltungspraxis rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. In diesen Ländern wurde die Bewilligung der Grundsteuerbeihilfe zwar nicht von der Einhaltung einer Antragsfrist abhängig gemacht. Hieraus erwuchs dem Bundesgesetzgeber unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes indes nicht die Verpflichtung, selbst ebenfalls auf die Einhaltung der Antragsfrist zu verzichten. Art. 3 Abs.1 GG verlangt nicht, daß Eigentümern, die die nach Reichsrecht bestehende Antragsfrist versäumt haben, die nur in jenen Ländern bestehende Aussicht auf Grundsteuerbeihilfe erhalten bleiben mußte, und zwar auch nicht in den Fällen, in denen ein Beihilfeantrag schon vor der Verkündung des Gesetzes vom 10. August 1951 gestellt worden war. Es bedurfte also keiner besonderen “Übergangsregelung” zugunsten dieser Personen. Der Bundesgesetzgeber konnte vielmehr die Voraussetzungen für eine nachträgliche Beihilfegewährung durch den Bund einheitlich festsetzen.
Fundstellen
Haufe-Index 1711951 |
BVerfGE, 372 |