Entscheidungsstichwort (Thema)
Heranziehung von Ausländern zu Lastenausgleichsabgaben
Normenkette
GG Art. 3, 25; LAG § 91
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Entscheidung vom 30.01.1963; Aktenzeichen III 37/62 LA) |
Tenor
Die Vorlage ist unzulässig.
Tatbestand
I.
1. Bei der III. Kammer des Finanzgerichts … ist eine Hypothekengewinnabgabesache
- des bolivianischen Staatsangehörigen Dr. …
- des Dipl.-Ing. … der 1938 die palästinensische Staatsbürgerschaft erworben hat, und
- des Kaufmanns … eines Staatsangehörigen der Vereinigten Staaten von Amerika,
anhängig. Die drei Berufungsführer wenden sich gegen die Heranziehung des Grundstücks K., … straße …, zur Hypothekengewinnabgabe.
Das Grundstück war 1942 nach den Vorschriften zur „Verhinderung volks- und staatsfeindlicher Bestrebungen” zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen worden. Eine Wiedergutmachungskammer beim Landgericht K. hat 1952 die Rückerstattung dieses Grundstücks an die Berufungsführer zu 1. und 2. und an einen W. L. … als Erben der früheren Eigentümer angeordnet. Der Berufungsführer zu 3 hat 1955 durch einen vor dem Wiedergutmachungsamt beim Landgericht K. abgeschlossenen Vergleich die Rechte des W. L. … aus dem Beschluß der Wiedergutmachungskammer erworben.
Im Grundbuch war seit 1926 eine Aufwertungshypothek von 56716 Goldmark zugunsten der Hypothekenbank in Hamburg eingetragen. Wegen des Schuldnergewinns aus der Umstellung dieser Verbindlichkeit auf Deutsche Mark setzte das Finanzamt K. im Jahre 1957 eine Abgabeschuld in Höhe von 12 417,30 DM fest. Der Einspruch der Berufungsführer blieb ohne Erfolg. Sie haben Berufung eingelegt, über die das Finanzgericht zu entscheiden hat.
2. a) Ihre Berufung haben die Berufungsführer im wesentlichen wie folgt begründet:
Ihre Heranziehung zur Hypothekengewinnabgabe stehe im Widerspruch zu allgemeinen Regeln des Völkerrechts, nach denen ausländische Staatsangehörige nicht zur Bezahlung der Kriegsfolgelasten ihres Gastlandes mit ihrem Vermögen herangezogen werden könnten, soweit die Abgabe den Rahmen allgemeiner Steuersätze übersteige, und nach denen bestimmte Rechte der Menschen nicht angetastet werden dürften. Die Festsetzung der Hypothekengewinnabgabe verletze im vorliegenden Fall weiterhin Art. 6 Abs. 1 des Zehnten Teils des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen (BGBl 1955 II S. 405 [444], künftig: Überleitungsvertrag [ÜV] Teil X). § 91 LAG – die gesetzliche Grundlage für die Heranziehung zur Hypothekengewinnabgabe – sei mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Die durch diese Vorschrift getroffene Regelung erfasse nur in einem formellen Sinn alle Schuldnergewinne gleich, führe aber im Falle der Berufungsführer zu einer offenbaren Ungleichheit. Die Vorschrift verletze Art. 3 Abs. 1 GG ferner deshalb, weil sie das Gebot, ungleiche Tatbestände ungleich zu behandeln, außer acht lasse. Der Gesetzgeber habe den allgemeinen Gleichheitssatz auch dadurch verletzt, daß er für die Rückerstattungsberechtigten als Hypothekenschuldner nicht eine Ausnahmeregelung geschaffen habe.
b) Die Berufungsführer haben dem Finanzgericht ein von Prof. Seidl-Hohenveldern in einer anderen Sache erstattetes Gutachten vorgelegt, das die Frage untersucht und verneint, ob ausländische Staatsangehörige mit ihren in der Bundesrepublik Deutschland gelegenen Liegenschaften zur Vermögensabgabe herangezogen werden können. Nach dem Gutachten ist die Vermögensabgabe keine Steuer im Sinne des Völkerrechts, sondern eine Sozialreformmaßnahme. Einen derartigen Eingriff in das Vermögen von Ausländern dürfe ein Staat nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht nur gegen volle Entschädigung vornehmen. Selbst wenn man die Vermögensabgabe als Steuer im Sinne des Völkerrechts ansehen könnte, wäre die Heranziehung von Ausländern zur Vermögensabgabe völkerrechtswidrig, weil ein Staat ausländisches Eigentum nur in maßvoller Weise besteuern dürfe. Außerdem dürfte die Heranziehung von Ausländern zur Vermögensabgabe auch damit in Widerspruch stehen, „daß das moderne Völkerrecht nicht zulasse, im Gastland ansässige Ausländer selbst im Falle eines Krieges mit außerordentlichen Vermögensabgaben zu belegen”.
3. Das Finanzgericht hat am 30. Januar 1963 gemäß Art. 100 Abs. 2 GG beschlossen, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob eine allgemeine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist, nach der ausländische Staatsangehörige oder Angehörige der Vereinten Nationen und deren Grundstücke nicht der Hypothekengewinnabgabe unterliegen.
Nach Auffassung des Finanzgerichts hängt die Entscheidung über die Berufung davon ab, ob die Berufungsführer und ihr Grundstück nach einer völkerrechtlichen Norm von der Hypothekengewinnabgabe befreit seien, weil die Abgabeschuld nach dem Lastenausgleichsrecht zutreffend festgesetzt worden sei.
Das Finanzgericht hält es für zweifelhaft, ob es eine allgemeine Regel des Völkerrechts gibt, nach der ausländische Staatsangehörige nicht zu Abgaben vom Vermögen herangezogen werden können, die dem besonderen Zweck dienen, Kriegsfolgelasten zu decken. Als Abgaben in diesem Sinn seien auch solche Abgaben anzusehen, die – wie die Hypothekengewinnabgabe – als öffentliche Lasten auf einem Grundstück ausländischer Staatsangehöriger ruhten. Die Zweifel erstreckten sich auch darauf, ob ein solches völkerrechtliches Heranziehungsverbot etwa nur zugunsten von Angehörigen der Siegermächte oder von Angehörigen der Vereinten Nationen bestehe. Die Ausführungen im Gutachten von Prof. Seidl-Hohenveldern seien beachtlich.
Entscheidungsgründe
II.
Die Vorlage ist unzulässig.
Vorlagen nach Art. 100 Abs. 2 GG sind nur zulässig, wenn eine allgemeine Regel des Völkerrechts für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich ist. Die Begründung einer solchen Vorlage muß gemäß § 84 in Verbindung mit § 80 Abs. 2 BVerfGG angeben, inwiefern die Entscheidung des vorlegenden Gerichts davon abhängt, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist; es genügt, wenn sich dies dem Zusammenhang der Ausführungen im Beschluß entnehmen läßt (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Oktober 1962 – 2 BvM 1/60 – S. 8).
Der Vorlagebeschluß genügt diesen Anforderungen nicht.
1. Das vorlegende Gericht hat sich nicht ausdrücklich zu der Frage geäußert, ob § 91 LAG mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Man wird aber dem Zusammenhang seiner Ausführungen entnehmen können, daß es die Ansicht der Berufungsführer insofern nicht teilt.
2. Nach dem Tenor des Vorlagebeschlusses soll das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob eine allgemeine Völkerrechtsregel Bestandteil des Bundesrechts ist, nach der ausländische Staatsangehörige nicht zur Hypothekengewinnabgabe herangezogen werden dürfen. Da die Hypothekengewinnabgabe ein besonderes Institut des deutschen Rechts ist, kann es eine allgemeine Völkerrechtsregel dieses Inhalts nicht geben. Es geht dem vorlegenden Gericht vielmehr – wie aus der Begründung seines Beschlusses hervorgeht – darum, ob eine allgemeine Regel des Völkerrechts gilt, „nach der ausländische Staatsangehörige nicht zu Abgaben vom Vermögen herangezogen werden können, die dem besonderen Zweck dienen, Kriegsfolgelasten zu decken”. Zu diesen Abgaben rechnet das Gericht offenbar auch die Hypothekengewinnabgabe, ohne sich allerdings auch nur andeutungsweise mit der Frage auseinanderzusetzen, ob diese Abgabe ausschließlich Kriegsfolgelasten decken soll (vgl. § 1 LAG) und ob die allgemeine Völkerrechtsregel, deren Existenz zweifelhaft ist, nach Ansicht des vorlegenden Gerichts nur dann eingreifen würde, wenn Abgaben ausschließlich diesem Zweck zu dienen bestimmt sind, oder auch dann, wenn sie außerdem noch andere Lasten decken sollen.
Das vorlegende Gericht geht davon aus, daß die Berufungsführer Staatsangehörige einer der Vereinten Nationen im Sinn von Art. 6 und 9 ÜV Teil X sind. Für solche Staatsangehörige bestimmt aber Art. 6 Abs. 1 ÜV Teil X, daß sie und ihr Vermögen bis zur endgültigen Regelung der sich aus dem Krieg ergebenden Ansprüche gegen Deutschland „von allen Sondersteuern, -abgaben oder -auflagen befreit (sind), die sich tatsächlich auf das Vermögen auswirken und zu dem besonderen Zweck auferlegt werden, Lasten zu decken, die sich aus dem Kriege … ergeben”.
Die allgemeine Völkerrechtsregel, um die es geht, deckt sich also in ihrem wesentlichen Inhalt mit dem, was Art. 6 Abs. 1 ÜV Teil X seinem Wortlaut nach für die Staatsangehörigen der Vereinten Nationen anordnet. Ist dem so, dann kommt es für die Entscheidung des vorlegenden Gerichts nicht darauf an, ob eine solche allgemeine Regel des Völkerrechts besteht. Es kann seine Entscheidung auf Grund von Art. 6 Abs. 1 ÜV Teil X fällen.
Die Berufungsführer haben im Ausgangsverfahren übrigens ausdrücklich dargelegt, daß die Heranziehung zur Hypothekengewinnabgabe ihrer Ansicht nach in Widerspruch zu Art. 6 Abs. 1 ÜV Teil X stehe. Das vorlegende Gericht erwähnt dies zwar, gibt aber in seiner Begründung nicht an, inwiefern es dennoch für seine Entscheidung auf die allgemeine Völkerrechtsregel ankomme.
3. a) Unterstellt man jedoch, das vorlegende Gericht wolle Art. 6 ÜV Teil X dahin auslegen, daß sich aus dem Zusammenhang seiner Bestimmungen ergebe, für die Hypothekengewinnabgabe könne – anders als die Berufungsführer meinen – Art. 6 Abs. 1 nicht zugunsten von Staatsangehörigen einer der Vereinten Nationen eingreifen,
vgl. zu dieser Frage die Begründung zu Art. 6 ÜV Teil X, BT I/1949 Drucks. Nr. 3500, Anlage 4 S. 59; Urteil der 1. Kammer der Schiedskommission für Güter, Rechte und Interessen in Deutschland (= Schiedskommission) vom 2. Juni 1959 – AC/1/J (59) 11 –, Entscheidungen der Schiedskommission, Band II Nr. 54; Urteil der 2. Kammer der Schiedskommission im Fall Gilis vom 23. März 1962 – AC/2/J (62) 1 –
so ergibt sich die weitere Frage, ob die vertragliche Sonderregelung des Art. 6 ÜV Teil X einer allgemeinen Völkerrechtsregel vorgehen und deren Anwendung ausschließen würde (so offenbar der Bundesfinanzhof, BFH 70, 287 [289] und BStBl 1963 III S. 300, sowie das oben genannte Urteil der 1. Kammer der Schiedskommission vom 2. Juni 1959). Auf die allgemeine Völkerrechtsregel käme es für die Entscheidung des Finanzgerichts nur dann an, wenn diese Frage zu verneinen wäre. Die Begründung des Vorlagebeschlusses äußert sich nicht zu dieser Frage; auch dem Zusammenhang der Ausführungen kann nicht entnommen werden, daß das Gericht sich zu ihr eine Meinung gebildet hat.
b) Bedenken gegen die Verdrängung einer allgemeinen Völkerrechtsregel durch den Überleitungsvertrag könnten freilich insoweit bestehen, als dadurch die Rechtsstellung von Angehörigen eines Staates der Vereinten Nationen beeinträchtigt würde, der weder zu den Unterzeichnerstaaten des Überleitungsvertrages gehört noch der Satzung der Schiedskommission (Anhang zum Überleitungsvertrag, BGBl 1955 II S. 459) beigetreten ist. Der Beitritt hat nach Art. 17 Abs. 3 der Satzung zur Folge, daß der beitretende Staat voll als Partei des im Zehnten Teil des Vertrags enthaltenen Übereinkommens zwischen den Unterzeichnerstaaten gilt.
Diese Frage könnte für den Berufungsführer zu 1. wegen seiner bolivianischen Staatsangehörigkeit und vielleicht auch für den Berufungsführer zu 2., der 1938 die palästinensische Staatsbürgerschaft erworben hat, von Bedeutung sein.
Auch zu dieser Frage hat sich das Finanzgericht nicht geäußert, obwohl die Entscheidungserheblichkeit der vom vorlegenden Gericht für möglich gehaltenen allgemeinen Völkerrechtsregel von ihr abhängen kann.
4. Obwohl das vorlegende Gericht davon ausgeht, daß die Berufungsführer Staatsangehörige der Vereinten Nationen sind, hat es dem Bundesverfassungsgericht im Tenor seines Beschlusses die Frage vorgelegt, ob ausländische Staatsangehörige oder Angehörige der Vereinten Nationen nach einer allgemeinen Völkerrechtsregel nicht zur Hypothekengewinnabgabe herangezogen werden können. In der Begründung hat es ausgeführt, seine Zweifel erstreckten sich auch darauf, ob ein „völkerrechtliches Heranziehungsverbot” etwa nur zugunsten von Angehörigen der Siegermächte oder der Vereinten Nationen bestehe.
Es ist schwer vorstellbar, daß es eine allgemeine Regel des Völkerrechts – und allein die Frage, ob eine solche Völkerrechtsregel Bestandteil des Bundesrechts ist, kann dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden – geben könnte, die nur für Staatsangehörige der Vereinten Nationen oder der Siegermächte gilt.
Insgesamt kann also dem Vorlagebeschluß nicht mit der von §§ 84, 80 Abs. 2 BVerfGG geforderten Deutlichkeit entnommen werden, inwiefern die Entscheidung des Finanzgerichts davon abhängt, ob eine allgemeine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist.
Fundstellen
BStBl I 1963, 627 |
BVerfGE, 276 |