Entscheidungsstichwort (Thema)
Verstoß gegen die Bilanzierungspflichten der Verordnung über die Rechnungslegung der Kreditinstitute als Ordnungswidrigkeit oder Kriminalstrafe
Leitsatz (redaktionell)
1. Verwirklicht dasselbe Verhalten sowohl den Tatbestand einer Norm des Ordnungswidrigkeitenrechts als auch den Tatbestand einer Strafnorm, verdrängt das Strafgesetz nach § 21 Abs. 1 Satz 1 OWiG den Bußgeldtatbestand.
2. § 331 Nr. 1 HGB stellt über § 340 m HGB die unrichtige Wiedergabe bzw. Verschleierung der Verhältnisse eines Kreditinstituts unter anderem in der Eröffnungsbilanz und im Jahresabschluss unter Strafe.
3. Zum Verhältnis von Strafgesetz und Bußgeldnorm bei Verletzung von Bilanzierungsvorschriften für Kreditinstitute.
Normenkette
HGB §§ 340m, 331 Nr. 1, § 340n Abs. 1 Nr. 6; RechKredV § 38 Abs. 1 Nrn. 7-8, § 26 Abs. 2, § 35 Abs. 4; OwiG § 21 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
Zwar hat der Beschwerdeführer durch sein Verhalten neben dem Straftatbestand aus §§ 340 m, 331 Nr. 1 HGB durch Verstoß gegen die Bilanzierungspflichten der Verordnung über die Rechnungslegung der Kreditinstitute (RechKredV) jeweils auch eine Ordnungswidrigkeit nach § 340n Abs. 1 Nr. 6 HGB in Verbindung mit §§ 38 Abs. 1 Nr. 7 und 8, 26 Abs. 2, 35 Abs. 4 RechKredV begangen. Es ist von Verfassungs wegen jedoch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht den Beschwerdeführer zu Kriminalstrafe verurteilt hat, statt gegen ihn ein Bußgeld zu verhängen. Entgegen der in der Verfassungsbeschwerde geäußerten Ansicht gebührt der Bußgeldvorschrift hier nicht der Vorrang gegenüber der Strafnorm. Vielmehr tritt der Ordnungswidrigkeitentatbestand – wie die Strafkammer in ihrem Urteil angenommen hat – hinter den Straftatbestand des § 331 HGB zurück.
Verwirklicht dasselbe Verhalten sowohl den Tatbestand einer Norm des Ordnungswidrigkeitenrechts als auch den Tatbestand einer Strafnorm, verdrängt das Strafgesetz nach § 21 Abs. 1 Satz 1 OWiG den Bußgeldtatbestand. Diese gesetzgeberische Wertentscheidung eines Vorrangs der Strafbestimmung ist die Regel. Von ihr sind nur in beschränktem Maße Ausnahmen zulässig.
In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass der Ordnungswidrigkeitentatbestand dem Straftatbestand vorgeht, wenn er die speziellere Regelung darstellt (vgl. BayObLG, NStZ 1990, S. 440, 441; NStZ 2005, S. 172, 173; Bohnert, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 3. Aufl., § 21 Rn. 7). Spezieller ist er dann, wenn der Grundtatbestand und der Schutzzweck von Strafgesetz und Bußgeldvorschrift übereinstimmen, der Bußgeldtatbestand aber besondere Umstände mildernder Art enthält. Partielle Überschneidungen der Regelungsgehalte der Tatbestände reichen für die Annahme von Spezialität nicht aus (vgl. König, in: Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 21 Rn. 7).
Hier fehlt es an der für ein Spezialitätsverhältnis vorausgesetzten Identität von Straf- und Bußgeldtatbestand. Während § 340n Abs. 1 Nr. 6 HGB in Verbindung mit §§ 38 Abs. 1 Nr. 7 und 8, 26 Abs. 2, 35 Abs. 4 RechKredV die Nichtaufnahme von Eventualverbindlichkeiten in die Bilanz eines Kreditinstituts betrifft, stellt § 331 Nr. 1 HGB über § 340 m HGB die unrichtige Wiedergabe bzw. Verschleierung der Verhältnisse eines Kreditinstituts unter anderem in der Eröffnungsbilanz und im Jahresabschluss unter Strafe.
Allerdings ist nach einem Teil des juristischen Schrifttums Spezialität im Sinne der strafrechtlichen Konkurrenzlehre nicht die einzige Konstellation, die eine Ausnahme von der gesetzlichen Regel des § 21 Abs. 1 Satz 1 OWiG bilden können soll. Ein Vorrang der Bußgeldnorm gegenüber dem Strafgesetz wird auch für den Fall angenommen, dass der Ordnungswidrigkeitentatbestand zeitlich nach der Strafbestimmung erlassen wurde und bei Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips aus § 21 Abs. 1 Satz 1 OWiG stets hinter das Strafgesetz zurückträte, mithin keinen eigenständigen Regelungsgehalt hätte (vgl. Bohnert, OWiG, § 21 Rn. 5). Begründet wird der Vorrang der Bußgeldvorschrift in diesem Fall damit, dass ihr Erlass ansonsten sinnlos gewesen wäre, der Gesetzgeber aber keine sinnlosen Normen erlasse (vgl. Bohnert, in: Karlsruher Kommentar, a.a.O., Rn. 9).
Diese – auch vom Beschwerdeführer vertretene – Rechtsauffassung trifft jedoch nur bedingt zu. Sie verkennt die dem Ordnungswidrigkeitenrecht im Regelfall vom Gesetzgeber beigemessene Funktion. Üblicherweise dient das Ordnungswidrigkeitenrecht aus Sicht des Gesetzgebers dazu, letzte Lücken im Gefüge rechtsgutsichernder Normen zu schließen, um so Missbräuchen auf einem Rechtsgebiet umfassend entgegenzuwirken. Dieser Intention würde zuwidergehandelt, wollte man den Vorrang einer Bußgeldbestimmung gegenüber einer Strafvorschrift immer und selbst dort annehmen, wo – entgegen der Annahme des Gesetzgebers – wegen bereits bestehender Strafbarkeit gar keine Lücke im Rechtsgüterschutz vorgelegen hat (vgl. König, JA 2004, S. 497, 499). Damit eine im Regelungsgehalt einer Strafvorschrift aufgehende Bußgeldnorm das Strafgesetz verdrängt, ist deshalb die ausdrückliche Äußerung eines entsprechenden gesetzgeberischen Willens zu fordern (vgl. König, in: Göhler, a.a.O.).
Ungeachtet der Frage, ob – wie vom Beschwerdeführer behauptet – sämtliche Verstöße gegen § 340n Abs. 1 Nr. 6 HGB in Verbindung mit §§ 38 Abs. 1 Nr. 7 und 8, 26 Abs. 2, 35 Abs. 4 RechKredV auch zugleich Straftaten nach §§ 340m, 331 Nr. 1 HGB darstellen, sucht man einen Ausspruch des Gesetzgebers für den Vorrang des Bußgeldtatbestandes gegenüber der Strafnorm vergeblich.
Die den Bereich des strafbaren und ordnungswidrigen Verhaltens betreffenden Sanktionsnormen der §§ 340m und 340n HGB gehen auf das Bankbilanzrichtlinie-Gesetz vom 30. November 1990 (BGBl I S. 2570) zurück, das der Umsetzung der vom Rat der Europäischen Gemeinschaften am 8. Dezember 1986 verabschiedeten Richtlinie über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten – 86/635/EWG – und der Umsetzung der Richtlinie vom 13. Februar 1989 über die Pflichten der in einem Mitgliedsstaat eingerichteten Zweigniederlassungen von Kreditinstituten und Finanzinstituten mit Sitz außerhalb dieses Mitgliedsstaats zur Offenlegung von Jahresabschlussunterlagen – 89/117/EWG – dienen sollte. Um die Durchsetzung der durch die Richtlinien gemachten Vorgaben zu sichern, hielt der Gesetzgeber die Anwendung der Strafnorm des § 331 HGB auf die Tätigkeit von Kreditinstituten ebenso für erforderlich wie die Bußgeldbewehrung von Verstößen gegen bestimmte Rechnungslegungsvorschriften, die sich in Rechtsverordnungen befinden, die auf Grundlage des § 330 Abs. 2 HGB erlassen wurden (vgl. BTDrucks 11/6275, S. 26; BRDrucks 616/89, S. 26). Weder in den Materialien zu diesen Bestimmungen noch in der Verordnung über die Rechnungslegung der Kreditinstitute (BGBl 1992 I S. 203 ff.) selbst findet sich ein Hinweis darauf, dass Ordnungswidrigkeiten nach § 340n HGB – insbesondere Verstöße gegen die Pflicht zur Bilanzierung von Eventualverbindlichkeiten – aus dem Anwendungsbereich der Strafnorm des § 331 HGB ausgenommen werden sollten.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen