Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohnungsdurchsuchung durch Vollziehungsbeamten des Finanzamtes unterliegt dem Richtervorbehalt. rechtliches Gehör
Leitsatz (amtlich)
1. Der Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG erstreckt sich auch auf die Wohnungsdurchsuchung des Vollziehungsbeamten gemäß § 287 AO.
2. Zum Prüfungsumfang und zur Gewährung vorherigen rechtlichen Gehörs bei richterlicher Durchsuchungsanordnung gemäß Art. 13 Abs. 2 GG zum Zwecke der Zwangsvollstreckung.
Leitsatz (redaktionell)
Art. 103 Abs. 1 GG gebietet zwar grundsätzlich die vorherige Anhörung des Vollstreckungsschuldners. Da das rechtliche Gehör dem Betroffenen Gelegenheit geben soll, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluß zu nehmen, ist in den Regelfällen des normalen gerichtlichen Verfahrens nur eine vorherige Anhörung sinnvoll. Die Sicherung gefährdeter Interessen kann jedoch in besonderen Verfahrenslagen einen sofortigen Zugriff notwendig machen, der die vorherige Anhörung ausschließt. In diesen Fällen ist eine Verweisung der Betroffenen auf nachträgliche Anhörung mit dem Grundgesetz vereinbar. Ist der Vollstreckungserfolg gefährdet, wird das Absehen von der Anhörung des Vollstreckungsschuldners vor Erlaß der Durchsuchungsanordnung den Besonderheiten dieser Durchsuchungsart auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 103 Abs. 1 GG gerecht.
Normenkette
GG Art. 13 Abs. 2, Art. 103 Abs. 1; AO 1977 § 287 Abs. 1
Verfahrensgang
Gründe
A. – I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen der Gewährung rechtlichen Gehörs und des Prüfungsumfangs bei richterlicher Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung (Art. 13 Abs. 2 GG) zum Zwecke der Zwangsvollstreckung.
1. Der Beschwerdeführer ist Steuerberater; er war für einen später in Konkurs geratenen Konzern tätig. Das Finanzamt wirft ihm vor, er habe bei dieser Tätigkeit in den Jahren 1974 bis 1977 bewußt falsche Umsatzsteuer-Jahreserklärungen erstellt und dadurch die Umsatzsteuer verkürzt. Es nahm den Beschwerdeführer als Mittäter einer Steuerhinterziehung durch drei Haftungsbescheide vom 24. August 1979 für Beträge von 41 469 864 DM, 28 985 645 DM und 7 877 832 DM als Gesamtschuldner neben dem Steuerschuldner gemäß §§ 44, 71, 191 der Abgabenordnung (AO 1977) vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 613) – im folgenden: AO – in Anspruch. Da wegen des Konkurses die Vollstreckung gegen den Steuerschuldner aussichtslos erschien, wurde mit den Haftungsbescheiden ein Leistungsgebot an den Beschwerdeführer verbunden (§§ 191, 219 AO). Die Haftungsbescheide schlüsselten die jeweilige Gesamtsumme nach Einzelbeträgen für die Jahre 1974 bis 1977 auf.
Durch drei Bescheide vom 7. September 1979 widerrief das Finanzamt gemäß § 130 Abs. 1 AO die Bescheide vom 24. August 1979 mit der Maßgabe, daß der Beschwerdeführer nunmehr für Teilbeträge von 2 500 000 DM, 2 000 000 DM und 500 000 DM bei fortbestehender Zahlungsaufforderung und unverändertem Rechtsgrund des Haftungsanspruchs in Anspruch genommen wurde.
2. Aufgrund der neuen Bescheide begann das Finanzamt, gegen den Beschwerdeführer zu vollstrecken, indem es zunächst Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse hinsichtlich Konten bei Sparkasse, Postscheckamt und Bausparkasse erließ. Dem Vollziehungsbeamten des Finanzamts, in dessen Amtsbezirk der Beschwerdeführer wohnt, wurde außerdem Vollstreckungsauftrag erteilt. Die Ehefrau des Beschwerdeführers und dessen Rechtsanwalt verhinderten die Mobiliarvollstreckung unter Hinweis auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 1979 (BVerfGE 51, 97).
Daraufhin beantragte das Finanzamt beim Finanzgericht, „ohne weitere Anhörung des Beschwerdeführers durch besondere richterliche Anordnung die Zulässigkeit der in § 758 ZPO und § 287 Abs. 1 AO vorgesehenen Vollstreckungsmaßnahmen sowie der etwa erforderlich werdenden Abholung der Pfandstücke zum Zwecke der Versteigerung zu beschließen”.
Zur Begründung des Antrags verwies das Finanzamt auf die Haftungsbescheide vom 7. September 1979 über insgesamt 5 000 000 DM, die fällig und vollstreckbar seien. Es wies auf den fehlgeschlagenen Vollstreckungsversuch hin. Nach den getroffenen Feststellungen seien augenscheinlich pfändbare Sachen vorhanden. Andere Vollstreckungsmaßnahmen seien erfolglos verlaufen.
Dem Antrag wurde die Vollstreckungsakte beigelegt.
3. Durch Beschluß vom 2. Oktober 1979 gestattete das Finanzgericht die Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers zum Zwecke der Vollstreckung und zur etwaigen Abholung von Pfandstücken.
In den Gründen führt das Gericht aus, die Entscheidung ergehe ohne vorherige Anhörung des Beschwerdeführers, weil zu besorgen sei, er könne anderenfalls den Durchsuchungszweck vereiteln. Dem antragstellenden Finanzamt stünden vollstreckbare Abgabenforderungen zu; es sei glaubhaft angegeben, daß andere Vollstreckungsmaßnahmen zuvor erfolglos verlaufen seien. Nach den schon getroffenen Feststellungen des Vollziehungsbeamten befänden sich in der Wohnung des Beschwerdeführers Einrichtungsgegenstände, die für eine Mobiliarpfändung in Betracht kämen.
Im Entwurf dieser Entscheidung war unter Bezug auf einen Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 5. November 1976 (BStBl. 1977 II S. 183 ff.) der Satz enthalten, das Gericht sei an die Erklärung des Finanzamts, vollstreckbare Abgabenforderungen zu haben, gebunden. Dieser Satz wurde vor der Beschlußfassung wieder aus den Entscheidungsgründen gestrichen.
Aufgrund dieses Beschlusses durchsuchte der Vollziehungsbeamte am 9. Oktober 1979 die Wohnung des Beschwerdeführers und führte eine Mobiliarpfändung durch.
Am 22. Februar 1980 setzte das Finanzamt gemäß § 361 AO die Vollziehung aus den Haftungsbescheiden mit der Maßgabe aus, daß die bisher getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen in vollem Umfang als Sicherheit bestehen blieben.
4. Gegen den Beschluß des Finanzgerichts legte der Beschwerdeführer Beschwerde zum Bundesfinanzhof ein. Er begründete sie damit, der Beschluß des Finanzgerichts sei rechtswidrig, weil es die Vollstreckungsvoraussetzungen nicht geprüft habe. Hätten die Bescheide vom 7. September 1979 dem Finanzgericht vorgelegen, so hätte es unschwer erkennen können, daß sie wegen offensichtlicher Fehlerhaftigkeit nichtig seien und damit die Voraussetzungen für eine Zwangsvollstreckung nicht vorlägen. Dem Finanzamt stünden vollstreckbare Abgabenforderungen nicht zu. Außerdem stehe dem Antrag des Finanzamts das Gebot der Verhältnismäßigkeit entgegen.
Der Bundesfinanzhof wies die Beschwerde durch Beschluß vom 11. August 1980 mit der Maßgabe als unbegründet zurück, daß die Durchsuchung nur bis zum 19. September 1980 erfolgen dürfe.
In den Gründen des Beschlusses wird ausgeführt, das Gericht, bei dem eine Durchsuchungsermächtigung beantragt werde, habe zu prüfen, ob die dafür in Betracht kommenden formellen und materiellen Voraussetzungen vorlägen, ob der allgemeine Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sei, insbesondere ob die Vollstreckung gerade im Wege der Durchsuchung der Wohnung des Schuldners für diesen eine unverhältnismäßige Härte bedeuten könnte. Wie das Gericht diese Prüfung vorzunehmen habe, lasse sich allgemeingültig nicht sagen. Es erscheine jedenfalls nicht erforderlich, daß die vollstreckbaren Verwaltungsakte und die Leistungsgebote sowie deren Zustellung oder Bekanntgabe und das Nichtvorliegen von Vollstreckungsaussetzungen durch Vorlage sämtlicher Akten dem Gericht nachgewiesen würden. Dieses könne sich vielmehr auf vielfältige andere Weise die Überzeugung davon verschaffen, daß die Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung gegeben seien; unter Umständen könne es sich auch allein auf den substantiierten Vortrag der Vollstreckungsbehörde stützen, wenn dieser ausreiche, ihm die erforderliche Überzeugung zu vermitteln.
Das Finanzgericht habe diesen Anforderungen genügt, auch wenn es sich darauf beschränkt habe, die Voraussetzungen der beantragten Anordnung anhand des Sachstandsberichts des Finanzamts zu prüfen, in dem die Höhe und Vollstreckbarkeit der Steuerforderungen, frühere erfolglose Vollstreckungsmaßnahmen und die Erfolgsaussichten einer Wohnungsdurchsuchung dargelegt worden seien.
Aus der Streichung des Satzes, das Gericht sei an die Erklärung des Finanzamts gebunden, ergebe sich gerade, daß das Finanzgericht selbständig geprüft habe.
Auch wenn das Finanzgericht den Sachstandsbericht des Finanzamts für die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung nicht als ausreichend angesehen und deshalb die Vorlage der zu vollstreckenden Verwaltungsakte verlangt hätte, wäre seine Entscheidung gerechtfertigt gewesen.
Die ursprünglichen Haftungsbescheide seien nur hinsichtlich des Haftungsbetrags teilweise zurückgenommen worden, nicht auch hinsichtlich ihrer Begründung und des Zeitpunkts der Zahlungsaufforderung. Die Bescheide vom 7. September 1979 seien keine nichtigen Verwaltungsakte. Zwar deute die teilweise Zurücknahme bis auf einen runden Gesamtbetrag darauf hin, daß der ursprüngliche Gesamtbetrag nicht aus rechtlichen, sondern aus praktischen Erwägungen reduziert worden sei und sich das Finanzamt somit möglicherweise zu Unrecht auf § 130 Abs. 1 AO berufen habe. Darin liege aber kein „besonders schwerwiegender Fehler” im Sinne des § 125 Abs. 1 AO, da es sich nur um die unrichtige Anwendung einer in Frage kommenden Rechtsvorschrift handele.
Das Finanzgericht erwähne in seinem Beschluß allerdings nicht ausdrücklich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Gebot, eine unverhältnismäßige Härte zu vermeiden. Die Hinweise auf die bisher erfolglosen Vollstreckungsmaßnahmen und die Feststellung über den Wohnungsinhalt zeigten jedoch, daß das Finanzgericht die Frage nach der Verhältnismäßigkeit zwischen Zweck und Mittel, insbesondere der unverhältnismäßigen Härte, geprüft habe. Auch sei das Ergebnis dieser Prüfung zutreffend.
II.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 13 und Art. 103 Abs. 1 GG durch die Durchsuchung seiner Wohnung und die darauf bezogenen Entscheidungen des Finanzgerichts Düsseldorf und des Bundesfinanzhofs. Zur Begründung führt er im wesentlichen aus:
Die Grundsätze der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 1979 (BVerfGE 51, 97) müßten auch bei Vollstreckungen durch den Vollziehungsbeamten wegen Abgabenforderungen gelten. Somit sei zu prüfen, ob die rechtlichen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung in formeller und materieller Hinsicht auch tatsächlich vorlägen. Im vorliegenden Falle seien die Anforderungen an die Prüfungspflicht des Gerichts besonders hoch, da noch keine richterlichen Entscheidungen als Ausgangspunkt der Zwangsvollstreckung vorgelegen hätten. Insbesondere sei zu prüfen gewesen, ob der zu vollstreckende Verwaltungsakt wirksam (also nicht nichtig) sei, wobei sich das Finanzgericht nicht nur mit einer Erklärung der Vollstreckungsbehörde hätte begnügen dürfen.
Da diese Grundsätze vom Finanzgericht nicht beachtet worden seien, verletze sein Beschluß das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 13 GG. Aus der Streichung im Beschlußentwurf und der Formulierung der Gründe lasse sich entnehmen, daß das Finanzgericht gar keine Prüfung der Vollstreckungsvoraussetzungen vorgenommen habe.
Zudem habe das Finanzgericht grundgesetzwidrig verschaffte Informationen verwertet, indem es auf die – ohne richterliche Durchsuchungsanordnung erlangten – Feststellungen des Vollziehungsbeamten bei seinem ersten Vollstreckungsversuch Bezug genommen habe.
Hätte das Finanzgericht ordnungsgemäß geprüft, hätte es auch die offensichtliche Nichtigkeit der Haftungsbescheide erkennen müssen. Diese Nichtigkeit folge daraus, daß die Bescheide vom 7. September 1979 inhaltlich unbestimmt seien, weil die reduzierten Beträge nicht auf die verschiedenen Steuerjahre aufgeteilt seien und vom Beschwerdeführer auch nicht aufgeteilt werden könnten.
Die nachträgliche richterliche Kontrolle durch den Bundesfinanzhof könne die gebotene präventive Überprüfung nicht ersetzen und den Grundrechtsverstoß nicht heilen.
Der Bundesfinanzhof habe seinen eigenen Prüfungsumfang ebenfalls verkannt, indem er die ihm vorgelegten Steuer- und Vollstreckungsakten nicht selbst überprüft habe. Er habe sogar die Anordnung der Wohnungsdurchsuchung über den 22. Februar 1980 hinaus aufrechterhalten, obwohl die Vollstreckung ab diesem Zeitpunkt ausgesetzt gewesen sei.
Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, da der Beschwerdeführer nicht bereits im Anordnungsverfahren vor dem Beschluß des Finanzgerichts gehört worden sei. Irgendwelche Gründe, aus denen eine Anhörung hätte unterbleiben können, hätten nicht vorgelegen.
III.
Der Bundesminister der Justiz hat namens der Bundesregierung im wesentlichen ausgeführt:
Der eine Durchsuchung im Vollstreckungsverfahren anordnende Richter habe zwar nicht mehr den Inhalt des Titels zu prüfen, aber die förmlichen und materiellen Voraussetzungen der Durchsuchung. Ob das Finanzgericht bei der vorliegenden, unübersichtlichen Fallgestaltung sich bei dieser Prüfung mit einem Sachstandsbericht des zuständigen Finanzamts habe begnügen dürfen, könne dahingestellt bleiben. Der Bundesfinanzhof habe das Vorhandensein ordnungsgemäßer Titel im einzelnen überprüft und damit einen etwaigen Verfassungsverstoß geheilt. Zwar möge der Bundesfinanzhof dabei übersehen haben, daß die Haftungsbescheide vom 7. September 1979 möglicherweise dem Bestimmtheitsgebot des § 119 AO nicht genügten, weil sie keine Aufgliederung nach einzelnen Besteuerungszeiträumen enthielten. Aber selbst im Falle einer Nichtigkeit dieser Verwaltungsakte wären die Haftungsbescheide vom 24. August 1979 mit ihrem ursprünglichen Inhalt wirksam geblieben, so daß insoweit formell ordnungsgemäße Titel vorgelegen hätten.
Es sei auch zulässig gewesen, Erkenntnisse des Vollziehungsbeamten, die er beim ersten Vollstreckungsversuch gewonnen habe, zu verwerten. Insoweit verkenne der Beschwerdeführer, daß Art. 13 Abs. 2 GG das Betreten einer Wohnung zu Durchsuchungszwecken ohne vorherige richterliche Anordnung nicht schlechthin verbiete. Eine solche Anordnung sei entbehrlich, wenn der Schuldner dem Vollziehungsbeamten freiwillig das Betreten gestatte.
Die richterliche Durchsuchungsanordnung könne auch ohne Anhörung des Betroffenen ergehen, wenn die Sicherung gefährdeter Interessen dies erfordere (BVerfGE 51, 97 (111)). Die Feststellung des Finanzgerichts, im Falle einer Anhörung könne der Durchsuchungszweck vereitelt werden, liege im Rahmen fachgerichtlicher Würdigung des Sachverhalts und sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Art. 103 Abs. 1 GG sei daher nicht verletzt.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
Zwar ist die beanstandete Durchsuchung der Wohnung beendet. Auch ist eine Wiederholung zum Zwecke der Pfändung nicht zu besorgen, solange die bisher vorgenommenen Pfändungen als Sicherheit bestehen bleiben. Gleichwohl ist ein Rechtsschutzbedürfnis für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde zu bejahen. Es würde der Bedeutung des Grundrechtsschutzes nach Art. 13 GG nicht entsprechen, wenn die Befugnis, Verfassungsbeschwerde gegen Wohnungsdurchsuchungen einzulegen, mit deren Beendigung ohne weiteres entfiele (vgl. BVerfGE 51, 97 (105)). Die Auswirkungen der Durchsuchung und damit der angegriffenen Beschlüsse bestehen fort. Auch müßte die Wohnung zur Abholung der Pfandstücke erneut betreten werden.
C.
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
Prüfungsmaßstab für die Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer durch die angegriffenen Entscheidungen in einem Grundrecht verletzt ist, sind der in Art. 13 Abs. 2 GG statuierte Richtervorbehalt und der in Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht.
I.
Es liegt kein Verstoß gegen Art. 13 Abs. 2 GG vor.
1. § 287 AO in der hier maßgeblichen Fassung vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 613) enthielt entsprechend der bis zur Entscheidung BVerfGE 51, 97 vorherrschenden restriktiven Interpretation des Art. 13 Abs. 2 GG – ebenso wie § 758 ZPO – keine Bestimmung über das Erfordernis einer richterlichen Anordnung für eine Wohnungsdurchsuchung. Da indessen Art. 13 Abs. 2 GG unmittelbar geltendes und anzuwendendes Recht ist, wurde auch § 287 AO durch Art. 13 Abs. 2 GG dahin ergänzt, daß die Durchsuchung, soweit nicht Gefahr im Verzuge ist, der Anordnung durch den Richter bedarf (vgl. jetzt § 287 Abs. 4 AO, angefügt durch Art. 13 Nr. 4 des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze vom 20. August 1980 (BGBl.I S. 1545)). Da die Vorschriften des § 758 ZPO und des § 287 AO für die Durchsuchung die gleiche Regelung treffen, die Interessenlage gleich ist und das Grundrecht aus Art. 13 GG in gleicher Weise berührt wird, gelten die Ausführungen in der Entscheidung BVerfGE 51, 97 entsprechend auch für die Vollstreckung durch einen Vollziehungsbeamten des Finanzamts.
2. Die Rüge des Beschwerdeführers, das Finanzgericht habe die vor Anordnung einer Durchsuchung verfassungsrechtlich gebotene Prüfung unterlassen, ist unbegründet.
a) Aus Art. 13 Abs. 2 GG lassen sich unmittelbar keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, was der eine Durchsuchung anordnende Richter zu prüfen hat; denn dort wird nur bestimmt, daß ein Richter eingeschaltet werden muß. Auch Art. 13 Abs. 3 GG liefert dafür keine Anhaltspunkte. Die dort genannten Voraussetzungen (Abwehr einer gemeinen Gefahr, Lebensgefahr usw.) für zulässige „Eingriffe und Beschränkungen” gelten nicht gleichzeitig auch für Durchsuchungen gemäß Art. 13 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 32, 54 (73)). Prüfungsumfang und Prüfungsmaßstäbe ergeben sich vielmehr in erster Linie aus den gesetzlichen Bestimmungen, welche die Voraussetzungen für die Durchsuchung festlegen. Dabei darf die Einschaltung des Richters einerseits nicht bloße Formsache sein. Es muß eine unabhängige, neutrale Prüfung der Voraussetzungen der Durchsuchung erfolgen; andernfalls würde das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG des potentiell Betroffenen entgegen dem Normzweck des Art. 13 Abs. 2 GG gerade nicht verstärkt gesichert. Dies folgt aus Art. 13 Abs. 1 GG, wonach die Durchsuchung wohlbegründete Ausnahme zu sein hat. Andererseits ist der Richter wegen der Durchsuchung der Wohnung und nicht zur Nachprüfung des Inhalts bereits vollstreckbarer Maßnahmen eingeschaltet. Es darf daher auch nicht indirekt eine „neue Instanz” geschaffen werden.
Aus Art. 13 Abs. 2 GG folgt hinsichtlich Prüfungsumfang und -maßstab daher nur, daß die sich aus der Verfassung und dem einfachen Recht ergebenden Voraussetzungen der Durchsuchung in richterlicher Unabhängigkeit geprüft werden müssen.
b) In der Entscheidung BVerfGE 51, 97 (113) wird beispielhaft ausgeführt, der Richter könne die Wahrung der Verhältnismäßigkeit (etwa bei Krankheit des Schuldners oder eines Familienangehörigen, bei Bagatellforderungen usw.) prüfen; außerdem seien die förmlichen und materiellen Voraussetzungen der Vollstreckungsdurchsuchung einer Nachprüfung zugänglich. Gleichzeitig wird klargestellt, daß der Inhalt des vollstreckbaren Titels keiner materiellrechtlichen Überprüfung mehr unterliegt.
Die angegriffene Entscheidung des Bundesfinanzhofs geht von einem Prüfungsumfang aus, für den ersichtlich die angeführten Gesichtspunkte (formelle und materielle Vollstreckungsvoraussetzungen, Verhältnismäßigkeit) maßgebend waren. Zwar stellt der Bundesfinanzhof keinen in Einzelheiten gehenden Katalog der zu prüfenden Fragen auf (vgl. hierzu Rößler, NJW 1979, S. 2137 (2138); Bauer, DStR 1979, S. 579 (582 f.)). Solche Einzelheiten lassen sich aber unter die leitenden Gesichtspunkte – Vollstreckungsvoraussetzungen und Verhältnismäßigkeit – einordnen.
c) Danach hat der Richter, bevor er eine Durchsuchung anordnet, zumindest zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung dieser Maßnahme vorliegen und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist. Nur dann, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, daß das Gericht dieser Prüfungspflicht nicht nachgekommen ist, kann eine Verletzung des Art. 13 Abs. 2 GG festgestellt werden. Dies trifft im vorliegenden Fall jedoch nicht zu.
Den vom Beschwerdeführer erhobenen Vorwurf, das Finanzgericht habe überhaupt nicht geprüft, sondern die Erklärung des Finanzamts über die Vollstreckbarkeit als verbindlich erachtet, hat bereits der Bundesfinanzhof ausgeräumt. Dem ist beizutreten.
Es ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, daß das Finanzgericht sich mit dem Sachstandsbericht des Finanzamts und den Vollstreckungsakten als Unterlagen seiner Prüfung und Überzeugungsbildung begnügt hat.
Der Bundesfinanzhof hat hierzu im einzelnen ausgeführt:
„Wie das Gericht das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Durchsuchungsermächtigung und die Wahrung des Rechtsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu prüfen hat, läßt sich allgemeingültig nicht sagen. Nicht erforderlich erscheint jedenfalls, daß das Gericht stets darauf besteht, daß jeweils die vollstreckbaren Verwaltungsakte und die Leistungsgebote sowie die Zustellung oder Bekanntgabe und das Nichtvorliegen von Vollstreckungsaussetzungen durch Vorlage sämtlicher Akten nachgewiesen wird. Das Gericht kann sich auf vielfältige andere Weise die Überzeugung davon verschaffen, daß die Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung gegeben sind. Es kann sich unter Umständen auch allein auf den substantiierten Vortrag der Vollstreckungsbehörde stützen, wenn dieser ausreicht, ihm die erforderliche Überzeugung zu vermitteln (BFHE 130, 136).”
Diese Rechtsauffassung begegnet unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keinen Bedenken. Weder aus Art. 13 Abs. 2 GG noch aus dem Rechtsstaatsprinzip ergeben sich besondere Regeln darüber, welche Beweismittel der Richter hier für seine Überzeugungsbildung heranzuziehen hat. Dies ist vielmehr allein eine Frage der einschlägigen einfachrechtlichen Verfahrensvorschriften.
Daß das Finanzgericht zutreffend davon ausgegangen ist, die Haftungsbescheide vom 7. September 1979 seien wirksam (nicht nichtig), hat der Bundesfinanzhof anhand der Vorschriften der Abgabenordnung eingehend geprüft und bejaht. Die Anwendung und Auslegung dieser Bestimmungen ist grundsätzlich eine Frage des einfachen Rechts, deren Beantwortung den zuständigen Fachgerichten obliegt. Das Bundesverfassungsgericht kann nur dann eingreifen, wenn hierbei die Auswirkungen eines Grundrechts verkannt worden sind. Ein solcher Fehler ist aber weder dargetan noch ersichtlich.
3. Der Hinweis des Finanzgerichts auf die Feststellung des Vollziehungsbeamten, in der Wohnung des Beschwerdeführers befänden sich lohnende Pfandobjekte, verletzt den Beschwerdeführer nicht in Grundrechten. Dabei mag dahinstehen, ob dem Vollziehungsbeamten freiwillig das Betreten der Wohnung gestattet wurde. Die Erwägungen des Finanzgerichts sind aus dem Zusammenhang eindeutig so zu verstehen, daß es im Rahmen seiner Prüfung, ob die Durchsuchung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht, den denkbaren Einwand ausräumen wollte, die Durchsuchung sei überflüssig, weil ohnehin keine verwertbaren Gegenstände vorhanden seien. Das Finanzgericht hätte sich schon mit dem Erfahrungssatz begnügen können, daß bei heutigem Lebensstandard regelmäßig in Wohnungen verwertbare Pfandstücke zu finden sind.
II.
Der Beschwerdeführer ist in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht deshalb verletzt worden, weil das Finanzgericht ihn vor Erlaß der Durchsuchungsanordnung nicht angehört hat.
1. Zur Frage der vorherigen Anhörung des Vollstreckungsschuldners wird in der Entscheidung BVerfGE 51, 97 (111) ausgeführt: „Ähnlich wie der Erlaß eines Haftbefehls (BVerfGE 9, 89 (102 ff.)) und die Anordnung der Beschlagnahme (BVerfGE 18, 399 (404)) wird auch die richterliche Durchsuchungsanordnung ohne Anhörung des Betroffenen ergehen können, wenn die Sicherung gefährdeter Interessen dies erfordert.” In Rechtsprechung und Schrifttum wird überwiegend die Meinung vertreten, daß eine vorherige Anhörung des Vollstreckungsschuldners unterbleiben könne. Die Voraussetzungen, unter denen dies geschehen dürfe, werden allerdings verschieden beurteilt (vgl. zu dieser teilweise schon vor dem Erlaß der Entscheidung BVerfGE 51, 97 erörterten Frage u. a. BFHE 120, 455 (460); OLG Stuttgart, NJW 1970, S. 1329 (1330); OVG Lüneburg, Kommunale Steuerzeitschrift 1975, S. 57 (59); LG Berlin, DGVZ 1979, S. 166 (167); LG Zweibrücken, DGVZ 1980, S. 27; AG Kerpen, DGVZ 1979, S. 136 (137); Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Rdnr. 46 zu Art. 103 Abs. 1 GG; Amelung, ZZP 88 (1975), S. 74 (80, 84); Seip, DGVZ 1979, S. 97 (99); Wochner, NJW 1979, S. 2509; Kleemann, DGVZ 1980, S. 3 (6); Egon Schneider, NJW 1980, S. 2377 (2383)).
2. Wie die Frage des rechtlichen Gehörs bei einer richterlichen Durchsuchungsanordnung gemäß Art. 13 Abs. 2 GG zu beurteilen ist, läßt sich der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnehmen. Die für die Anhörung des Beschuldigten bei Anordnung der Untersuchungshaft (BVerfGE 9, 89 (97)), bei strafprozessualer Beschlagnahme (BVerfGE 18, 399 (404)) und bei richterlicher Durchsuchungsanordnung nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung (BVerfGE 49, 329 (342)) aufgestellten Grundsätze können hier entsprechend angewendet werden. Danach gebietet Art. 103 Abs. 1 GG zwar grundsätzlich die vorherige Anhörung des Vollstreckungsschuldners. Da das rechtliche Gehör dem Betroffenen Gelegenheit geben soll, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluß zu nehmen, ist in den Regelfällen des normalen gerichtlichen Verfahrens nur eine vorherige Anhörung sinnvoll. Die Sicherung gefährdeter Interessen kann jedoch in besonderen Verfahrenslagen einen sofortigen Zugriff notwendig machen, der die vorherige Anhörung ausschließt. In diesen Fällen ist eine Verweisung der Betroffenen auf nachträgliche Anhörung mit dem Grundgesetz vereinbar. Ist der Vollstreckungserfolg gefährdet, wird das Absehen von der Anhörung des Vollstreckungsschuldners vor Erlaß der Durchsuchungsanordnung den Besonderheiten dieser Durchsuchungsart auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 103 Abs. 1 GG gerecht. Es ist eine rein tatsächliche Frage, ob in der Praxis diese Gefährdung nahezu regelmäßig vorliegen wird. Ob die Gefährdung besteht, muß das zuständige Gericht immer im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände prüfen und entscheiden, wobei es nicht gehindert ist, allgemeine Erfahrungssätze zu berücksichtigen. Die Entscheidung darüber, ob von der vorherigen Anhörung des Vollstreckungsschuldners abgesehen werden kann, bleibt somit dem richterlichen Ermessen im Einzelfall überlassen. Das Bundesverfassungsgericht ist darauf beschränkt, zu prüfen, ob der Richter „sein Ermessen willkürlich ausgeübt, d. h. sich von unsachlichen Erwägungen hat leiten lassen oder die Bedeutung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs verkannt hat” (BVerfGE 9, 89 (108)).
3. Diesen Maßstäben wird der Durchsuchungsbeschluß des Finanzgerichts gerecht. Für eine Verkennung der Grundsätze des Art. 103 Abs. 1 GG oder für Willkür fehlen Anhaltspunkte. Zwar kann eingewandt werden, der Beschwerdeführer sei durch den ersten, erfolglosen Vollstreckungsversuch bereits gewarnt gewesen, er habe also ohnehin Gelegenheit gehabt, Vereitelungsmaßnahmen zu ergreifen. Dennoch ist die Auffassung des Finanzgerichts vertretbar, es sei zu besorgen, der Beschwerdeführer könne bei vorheriger gerichtlicher Anhörung den Durchsuchungszweck vereiteln.
Fundstellen
Haufe-Index 1614366 |
BVerfGE, 346 |
NJW 1981, 2111 |