Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschwer als Voraussetzung für Grundrechtsverletzung. Nichterhebung von Kosten wegen unrichtiger Sachbehandlung
Leitsatz (redaktionell)
1. Löst ein Verwaltungsakt keine Beschwer des Adressaten aus, können auch die eine Überprüfung des Verwaltungsakts ablehnenden Entscheidungen keine Grundrechtsverletzungen auslösen.
2. Eine allein aus der Kostenentscheidung herrührende Beschwer reicht nicht aus, um ein Rechtsschutzinteresse an der verfassungsrechtlichen Prüfung der gesamten Gerichtsentscheidung und an deren Aufhebung zu begründen.
3. Kann angenommen werden, daß der Beschwerdeführer einen sachdienlichen Antrag gestellt hätte, wenn er dazu nach § 76 Abs. 2 FGO aufgefordert worden wäre, kommt eine Nichterhebung der Gerichtskosten nach § 8 GKG in Betracht.
Normenkette
BVerfGG § 90 Abs. 1; GKG § 8; FGO § 76 Abs. 2
Verfahrensgang
Gründe
Der Beschwerdeführer macht geltend, die jeweils nur an die Mutter ausgeführten Zustellungen des Bescheids vom 16. Januar 1973 und der Einspruchsentscheidung vom 26. April 1973 hätten die Einspruchs- und Klagefrist nicht in Lauf gesetzt, weil dadurch die verfassungsrechtlich geschützten Rechte des zur gleichberechtigten Vertretung des Beschwerdeführers mitberufenen Vaters übergangen worden seien. Die Beschwer und die damit verbundene Beeinträchtigung seiner Grundrechte sieht der Beschwerdeführer darin, daß eine sachliche Überprüfung der Lohn- und Kirchensteuerfestsetzung im finanzgerichtlichen Verfahren unterblieben ist. Der Sache nach rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.
Der Bescheid vom 16. Januar 1973 hat jedoch den Beschwerdeführer nicht beschwert. Folglich konnten auch die eine Überprüfung des Bescheids ablehnenden Entscheidungen den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten beeinträchtigen (§ 90 Abs. 1 BVerfGG). Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
1. Der Bescheid vom 16. Januar 1973 war ein gemäß § 94 AO a.F. ergangener Änderungsbescheid; er änderte zugunsten des Bescherdeführers den Lohnsteuerbescheid für 1970 bis 1972 vom 10. Januar 1973, indem er die Steuerfestsetzung für 1970 ersatzlos aufhob, die für 1971 herabsetzte und die für 1972 unverändert beließ.
a) Gegen den Erstbescheid vom 10. Januar 1973, gegen den fristgerecht Einspruch eingelegt worden ist, richtet sich die Verfassungsbeschwerde nicht. Insoweit ist auch der Rechtsweg nicht erschöpft (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG), weil eine Einspruchsentscheidung bisher nicht ergangen ist. Angesichts der Weigerung der Finanzverwaltung, eine Einspruchsentscheidung zu erlassen, hat der Beschwerdeführer, wie der Hessische Minister der Finanzen zutreffend hervorgehoben hat, aufgrund der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BStBl. 1976 II, 116) die Möglichkeit, Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Einspruchsentscheidung zu erheben.
b) Der gegen den Erstbescheid eingelegte Einspruch erfaßte nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BStBl. 1976 II, 551; 1977 II, 37) automatisch den während des Einspruchsverfahrens ergangenen dem Einspruch nicht voll stattgebenden Änderungsbescheid, ohne daß es einer besonderen Anfechtung des Änderungsbescheids bedurfte. Dagegen kann der Minister der Finanzen nicht mit Erfolg einwenden, der Einspruch gegen den Erstbescheid sei vom Beschwerdeführer beschränkt worden und das Finanzamt habe dem beschränkten Einspruch in vollem Umfang durch Erlaß des Änderungsbescheids stattgegeben.
Der Beschwerdeführer hat zwar in dem Einspruchsschreiben den Nachweis zu führen versucht, daß er bis zum 15. März 1971 bei dem Autohaus G. in L. als Lehrling beschäftigt gewesen sei und daß der Arbeitgeber von der Lehrlingsvergütung Lohn- und Kirchensteuer einbehalten habe. Gleichzeitig hat der Beschwerdeführer jedoch die Vorlage von weiteren Krankenkassenbescheinigungen in Aussicht gestellt. Das kann nur so verstanden werden, daß der Beschwerdeführer mit Hilfe der weiteren Krankenkassenbescheinigungen glaubhaft machen wollte, nach dem 15. März 1971 nicht im Betrieb seiner Eltern beschäftigt gewesen zu sein. Überdies erhob der Beschwerdeführer in dem Einspruchsschreiben wegen der Pfändung seines Personenkraftwagens, die aufgrund der Lohnsteuerfestsetzung für 1970 bis 1972 vorgenommen worden war, Schadensersatzansprüche. Daraus muß man bei verständiger Würdigung den Schluß ziehen, der Beschwerdeführer habe sich gegen die Steuerfestsetzung für 1970 bis 1972 insgesamt zur Wehr setzen wollen; nicht aber kann daraus mit dem Hessischen Minister der Finanzen gefolgert werden, der Beschwerdeführer habe sich mit der Steuerfestsetzung für die Zeit nach dem 15. März 1971 abfinden wollen und seinen Einspruch dementsprechend beschränkt.
2. Der Beschwerdeführer kann auch nicht geltend machen, er sei zwar nicht durch die Gerichtsentscheidungen in der Hauptsache, wohl aber durch die Nebenentscheidung über die Verfahrenskosten in seinen Grundrechten verletzt.Eine allein aus der Kostenentscheidung herrührende Beschwer reicht nicht aus, um ein Rechtsschutzinteresse an der verfassungsrechtlichen Prüfung der gesamten Gerichtsentscheidung und an deren Aufhebung zu begründen (BVerfGE 53, 247 [256]).
Es spricht im übrigen manches dafür, daß im Ausgangsverfahren aus Versehen unbemerkt geblieben ist, daß der Bescheid vom 16. Januar 1973 ein Änderungsbescheid war, der automatisch Gegenstand des noch offenen Einspruchsverfahrens gegen den Erstbescheid geworden ist. Statt des eigentlich überflüssigen Ausgangsverfahrens hätte der Beschwerdeführer begehren können, die Finanzbehörde zur Erteilung einer Einspruchsentscheidung gegen den Erstbescheid zu verpflichten. Da angenommen werden kann, daß der Beschwerdeführer einen derartigen sachdienlichen Antrag gestellt hätte, wenn er dazu nach § 76 Abs. 2 FGO aufgefordert worden wäre, kommt eine Nichterhebung der Gerichtskosten nach § 8 GKG in Betracht. Ob die Voraussetzungen des § 8 GKG vorliegen, kann in dem dort geregelten Verfahren geprüft werden.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen