Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwang zur Selbstbezichtigung aufgrund der Auskunftspflicht im Steuerverfahren
Leitsatz (redaktionell)
Im Hinblick auf die gleichmäßige Erfassung aller Steuerpflichtigen und der Notwendigkeit von Steuereinnahmen des Staates ist es sachlich gerechtfertigt, daß die Steuerpflichtigen bzw. die für diese im Steuerverfahren handelnden Personen zur wahrheitsgemäßen Auskunft verpflichtet sind ohne Rücksicht darauf, ob hierdurch Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten aufgedeckt werden. Soweit es sich hierbei um Steuerstraftaten handelt, kann der Betroffene durch eine Selbstanzeige Strafbefreiung erlangen.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1; AO 1977 §§ 371, 393 Abs. 2
Verfahrensgang
BGH (Beschluss vom 15.01.1988; Aktenzeichen 3 StR 465/87) |
LG Stuttgart (Urteil vom 09.03.1987; Aktenzeichen 143 Js 61/82) |
Gründe
Die angegriffenen Entscheidungen sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Bestrafung des Beschwerdeführers wegen der in Tateinheit begangenen Vergehen der Steuerhinterziehung verletzt ihn nicht in seinen Grundrechten.
Art. 2 Abs. 1 GG schreibt keinen lückenlosen Schutz gegen staatlichen Zwang zur Selbstbezichtigung vor ohne Rücksicht darauf, ob dadurch schutzwürdige Belange Dritter beeinträchtigt werden. Das Grundgesetz hat die Spannung Individuum – Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden; der einzelne muß sich diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des allgemein Zumutbaren vorsieht, vorausgesetzt, daß dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibt. Unzumutbar und mit der Würde des Menschen unvereinbar wäre ein Zwang, durch eigene Aussagen die Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Verurteilung oder die Verhängung entsprechender Sanktionen liefern zu müssen. Insoweit gewährt Art.2 Abs. 1 GG als Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe einen Schutz, der alter und bewährter Rechtstradition entspricht. Handelt es sich hingegen um Auskünfte zur Erfüllung eines berechtigten Informationsbedürfnisses, ist der Gesetzgeber befugt, die Belange der verschiedenen Beteiligten gegeneinander abzuwägen (BVerfGE 56, 37 [49]).
Der Staat ist darauf angewiesen, die ihm gesetzlich zustehenden Steuereinnahmen tatsächlich zu erzielen, um seinen vielfältigen Aufgaben gerecht werden zu können. Darüber hinaus ist die gleichmäßige Erfassung aller Steuerpflichtigen im Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG geboten. Es ist daher sachlich gerechtfertigt, daß die Steuerpflichtigen bzw. die für diese im Steuerverfahren handelnden Personen zur wahrheitsgemäßen Auskunft verpflichtet sind ohne Rücksicht darauf, ob hierdurch Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten aufgedeckt werden. Soweit es sich hierbei um Steuerstraftaten handelt, kann der Betroffene durch eine Selbstanzeige (§ 371 AO) Strafbefreiung erlangen. Soweit eine gesonderte Ahndung einer Steuerordnungswidrigkeit überhaupt in Frage kommt (vgl. § 21 OWiG) und eine strafbefreiende Selbstanzeige nicht möglich sein sollte, bietet das Bußgeldverfahren ausreichende Möglichkeiten, etwaigen verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden (vgl. § 47 OWiG). Dies wäre gegebenenfalls in einem anhängig werdenden Ordnungswidrigkeitenverfahren zu prüfen. Der vorliegende Sachverhalt gibt zu einer näheren Erörterung keinen Anlaß. Soweit im Rahmen des Besteuerungsverfahrens Tatsachen oder Beweismittel für Taten offenbart werden, die sich nicht auf eine Steuerstraftat beziehen, legt § 393 Abs. 2 Satz 1 AO ein grundsätzliches Verwertungsverbot fest (vgl. hierzu BVerfGE 56, 37 [50 ff.]). Ob die in § 393 Abs. 2 Satz 2 AO hiervon für besonders schwerwiegende Taten vorgesehene Ausnahme verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht, wäre in einem wegen einer solchen Tat durchgeführten Strafverfahren, gegebenenfalls auf Verfassungsbeschwerde hin, zu prüfen. Vorliegend spielt dies keine Rolle.
Der Beschwerdeführer hat nicht substantiiert dargetan, daß er nicht in der Lage gewesen wäre, die hinterzogenen Steuern innerhalb einer angemessenen Frist zu entrichten (§ 371 Abs. 3 AO). Hierfür bestehen im Blick auf die sehr gute wirtschaftliche Lage sowohl des Beschwerdeführers persönlich als auch der von ihm vertretenen Firma keinerlei Anhaltspunkte.
Fundstellen