Leitsatz (amtlich)
1. Die Verpflichtung zur erneuten Entscheidung über einen Antrag auf Übernahme in ein Beamtenverhältnis richtet sich nach dem im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz geltenden Recht (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 20. September 2018 - 2 A 9.17 - BVerwGE 163, 112).
2. Das nachträgliche Inkrafttreten einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage heilt eine Rechtsverordnung nicht, die zuvor auf eine unzureichende Grundlage gestützt worden ist.
Verfahrensgang
Hamburgisches OVG (Urteil vom 26.08.2021; Aktenzeichen 5 Bf 186/19) |
VG Hamburg (Urteil vom 12.03.2019; Aktenzeichen 20 K 2489/16) |
Tenor
Das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. August 2021 wird aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 12. März 2019 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der erneuten Entscheidung die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde zu legen ist.
Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens trägt die Beklagte.
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin begehrt die Berufung in ein Beamtenverhältnis auf Probe.
Rz. 2
Die 1968 geborene Klägerin ist als angestellte Lehrkraft seit August 2014 im Schuldienst der Beklagten tätig. Zuvor war sie nach Abschluss der Realschule und einer Ausbildung zur Kinderkrankenschwester zunächst - bis zum Jahr 1998 in Vollzeit - in diesem Beruf beschäftigt. Nachdem sie parallel hierzu die Allgemeine Hochschulreife erworben hatte, nahm sie im Jahr 1995 ein Studium der Anglistik, Italianistik und Kunstgeschichte auf. Aufgrund der Geburt ihres ersten Kindes befand sich die Klägerin von Juni 2000 bis Juni 2003 in Elternzeit. Von November 2003 bis 2007 war sie beurlaubt. 2004 wechselte die Klägerin in den Lehramtsstudiengang für die Grund- und Mittelstufe. Im Februar 2007 wurde das zweite Kind der Klägerin geboren, woraufhin bis zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses als Kinderkrankenschwester 2011 weitere Phasen von Elternzeit und Sonderurlaub folgten. Die Erste Staatsprüfung legte die Klägerin im Dezember 2012, die Zweite Staatsprüfung im Juli 2014 ab. Dem schloss sich die Übernahme in den Schuldienst der Beklagten an.
Rz. 3
Ihren im Juli 2014 gestellten Antrag auf Berufung in ein Beamtenverhältnis auf Probe lehnte die Beklagte ab. Die Klägerin habe die maßgebliche Einstellungshöchstaltersgrenze überschritten und die Voraussetzungen für einen Nachteilsausgleich im Hinblick auf Kinderbetreuungszeiten lägen nicht vor. Der hiergegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos.
Rz. 4
Das Verwaltungsgericht hat die Bescheide aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Die Klägerin habe die Einstellungshöchstaltersgrenze von 45 Jahren zwar überschritten, die Regelung verstoße aber gegen höherrangiges Recht. Die maßgebliche Verordnungsermächtigung genüge dem Wesentlichkeitsgrundsatz nicht.
Rz. 5
Während des von der Beklagten angestrengten Berufungsverfahrens änderte der Gesetzgeber das Hamburgische Beamtengesetz. Daraufhin hat das Berufungsgericht die Klage unter Änderung des erstinstanzlichen Urteils abgewiesen. Ein Anspruch auf Neubescheidung bestehe nicht. Die in der Verordnung über die Laufbahnen der hamburgischen Beamtinnen und Beamten geregelte Einstellungshöchstaltersgrenze von 45 Jahren finde in den zwischenzeitlich geänderten gesetzlichen Regelungen eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage. Die damit maßgebliche Einstellungshöchstaltersgrenze habe die Klägerin überschritten. Der Eingriff in die Grundrechte der Klägerin sei gerechtfertigt, eine Verletzung europarechtlicher Vorgaben nicht ersichtlich. Ausnahmen von der Einstellungshöchstaltersgrenze, insbesondere wegen Kindererziehungszeiten, schieden aus.
Rz. 6
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie beantragt,
das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. August 2021 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 12. März 2019 mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der erneuten Entscheidung die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde zu legen ist.
Rz. 7
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 2 und § 191 Abs. 2 VwGO, § 127 Nr. 2 BRRG und § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG). Zu Unrecht hat das Oberverwaltungsgericht § 25 Satz 1 und 2 Nr. 4 Buchst. b des Hamburgischen Beamtengesetzes in der Fassung vom 19. Dezember 2019 (HmbGVBl. S. 527 - HmbBG n. F.) als Grundlage des § 5 Abs. 1 der Verordnung vom 22. Dezember 2009 über die Laufbahnen der hamburgischen Beamtinnen und Beamten (HmbGVBl. 2009, 511 - HmbLVO) herangezogen und diese Vorschrift als rechtmäßig angesehen, die die Altersgrenze für die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe auf die Vollendung des 45. Lebensjahres festsetzt. Das die Klage auf Neubescheidung abweisende Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte über ihren Antrag auf Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts neu entscheidet. Denn dem Antrag der Klägerin auf Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe steht zum maßgeblichen Zeitpunkt der Revisionsverhandlung keine wirksame Einstellungshöchstaltersgrenze entgegen, weil § 5 HmbLVO unwirksam ist (1). Für den Erlass einer zukünftigen Höchstaltersgrenze im Rahmen einer Laufbahnverordnung kommt § 25 Satz 1 und 2 Nr. 4 Buchst. b HmbBG n. F. als Grundlage prinzipiell in Betracht (2.).
Rz. 9
1. Eine Ernennung darf nur vorgenommen werden, wenn die gesetzlich hierfür angeordneten Voraussetzungen zu diesem Zeitpunkt gegeben sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2015 - 2 C 35.13 - BVerwGE 152, 68 Rn. 27). Ist eine Höchstaltersgrenze wirksam bestimmt worden und überschreitet der Bewerber diese Altersgrenze, ist die Begründung des Beamtenverhältnisses auf Probe ausgeschlossen (BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2016 - 2 C 11.15 - BVerwGE 156, 180 Rn. 15). Zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, dass auch die Frage, ob die Beklagte zur Neubescheidung des Antrags der Klägerin auf Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe verpflichtet ist, nach den im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Regelungen zu beurteilen ist.
Rz. 10
a) Maßgeblich für die Entscheidung eines Gerichts sind die Rechtsvorschriften, die sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung für die Beurteilung des Klagebegehrens Geltung beimessen; dabei kann das insoweit maßgebende Recht seinerseits durch Übergangsregelungen auf früheres - d. h. außer Kraft getretenes - Recht verweisen und dieses für anwendbar erklären (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 3. November 1994 - 3 C 17.92 - BVerwGE 97, 79 ≪81 f.≫, vom 18. Juli 2002 - 3 C 54.01 - Buchholz 451.55 Subventionsrecht Nr. 103 Rn. 19 und vom 11. Oktober 2016 - 2 C 11.15 - BVerwGE 156, 180 Rn. 13 f.).
Rz. 11
Die beantragte Verpflichtung der Beklagten zur erneuten Entscheidung über die Übernahme der Klägerin in ein Beamtenverhältnis richtet sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nach dem im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz geltenden Recht (BVerwG, Urteil vom 20. September 2018 - 2 A 9.17 - BVerwGE 163, 112 Rn. 22 m. w. N.). Für das Revisionsverfahren ist von der Rechtslage auszugehen, die auch das Tatsachengericht zugrunde zu legen hätte, wenn es zu diesem Zeitpunkt entschiede (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Februar 2014 - 3 C 1.13 - BVerwGE 149, 74 Rn. 13 m. w. N.); maßgeblich ist mithin das derzeit geltende Recht.
Rz. 12
Nachträgliche Änderungen der Rechtslage sind folglich zu berücksichtigen, dies gilt auch für das Revisionsgericht. Die Kontroll- und Aufhebungsbefugnis aus § 137 Abs. 1 VwGO umfasst den nachträglichen Verstoß gegen revisibles Recht. Das Berufungsurteil erweist sich auch dann als unrichtig, wenn es auf Grundlage der damals geltenden Rechtslage fehlerfrei argumentiert, zwischenzeitlich aber neue Vorschriften in Kraft getreten sind, die zu einem anderen Ergebnis führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 3 C 23.17 - juris Rn. 23).
Rz. 13
b) Zum Zeitpunkt der Revisionsverhandlung hat die Beklagte eine Einstellungshöchstaltersgrenze aber nicht im Gesetz, sondern lediglich in § 5 Abs. 1 HmbLVO geregelt. Diese Bestimmung ist mangels einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage im Zeitpunkt des Erlasses der Rechtsverordnung unwirksam. Daran hat auch das Zwölfte Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 19. Dezember 2019 (HmbGVBl. S. 527) nichts geändert. Denn der Gesetzgeber hat lediglich die Vorschrift des § 25 HmbBG, die den Senat der Beklagten zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigt, im Hinblick auf die Bestimmung von Altersgrenzen für die Einstellung neu gefasst (§ 25 Satz 2 Nr. 4 HmbBG n. F.).
Rz. 14
Eine unmittelbare gesetzliche Regelung der Einstellungshöchstaltersgrenze lässt sich § 25 Satz 1 und 2 Nr. 4 Buchst. b HmbBG n. F. nicht entnehmen. Der Wortlaut der Bestimmung erschöpft sich unverändert darin, dem Verordnungsgeber die Möglichkeit zur Regelung von Altersgrenzen zu eröffnen, die ein angemessenes Verhältnis zwischen Dienstzeit und Versorgung sicherstellen sollen. Die Erwägung des Berufungsgerichts (UA S. 22 f.), der Gesetzgeber habe durch die "ausdrückliche Nennung und Billigung der aktuell geltenden Höchstaltersgrenze von 45 Jahren" in der Gesetzesbegründung "möglicherweise sogar unmittelbar selbst geregelt", findet im Wortlaut der Regelung keinen Anhaltspunkt. Im Übrigen nimmt der Verweis auf die "geltende" Einstellungshöchstaltersgrenze (vgl. Bü-Drs. 21/18658 S. 13) lediglich zusammenfassend § 5 Abs. 1 HmbLVO in Bezug, von dessen fortdauernder Gültigkeit der Gesetzgeber ausging. Hierin kann jedoch weder eine eigenständige Regelung des Gesetzgebers noch eine mittelbare Beschränkung der Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers gesehen werden, dem es unbenommen bleibt, in Ansehung der Überlegungen in der Gesetzesbegründung die Einstellungshöchstaltersgrenze anders als zuvor festzulegen.
Rz. 15
c) § 25 Satz 1 und 2 Nr. 4 Buchst. b HmbBG n. F. kann nicht als Grundlage von § 5 Abs. 1 HmbLVO angesehen werden.
Rz. 16
Nach Art. 53 Abs. 2 der Verfassung der Beklagten ist die Rechtsgrundlage einer Rechtsverordnung in der Verordnung anzugeben. Dieser Vorgabe entsprechend benennt die Laufbahnverordnung vom 22. Dezember 2009 als Grundlage § 25 des Hamburgischen Beamtengesetzes vom 15. Dezember 2009 (HmbGVBl. S. 405, 413 - HmbBG a. F.). Dies entspricht auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Denn als Grundlage einer Norm können nur solche Kompetenzvorschriften herangezogen werden, die zum Zeitpunkt der Ausfertigung dieser Norm bereits in Geltung gestanden haben (BVerfG, Urteil vom 26. Juli 1972 - 2 BvF 1/71 - BVerfGE 34, 9 ≪21, 24≫; Kammerbeschluss vom 25. Februar 1999 - 1 BvR 1472/91, 1 BvR 1510/91 - NJW 1999, 3404 ≪3405≫, BVerwG, Urteil vom 29. April 2010 - 2 C 77.08 - BVerwGE 137, 30 Rn. 20). Ist die bisherige Rechtsgrundlage unzureichend, so heilt das bloße Inkrafttreten einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage eine Rechtsverordnung nicht, die zuvor auf eine unzureichende Grundlage gestützt worden ist. Das nachträgliche Inkrafttreten einer gesetzlichen Regelung, die als Rechtsgrundlage der Rechtsverordnung dienen könnte, ist nur relevant, wenn die Rechtsverordnung aufgrund dieser geänderten Ermächtigungsgrundlage neu erlassen worden ist (BVerwG, Urteil vom 29. April 2010 - 2 C 77.08 - BVerwGE 137, 30 Rn. 20; BGH, Urteil vom 15. Februar 1979 - III ZR 172/77 - VersR 1979, 541 f.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, § 38 III 5, S. 672; Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, S. 159 f.). Dies folgt nicht nur aus dem für Rechtsverordnungen geltenden Zitiergebot, sondern aus allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen. Verfügt eine Rechtsnorm bei ihrem Inkrafttreten nicht über eine ausreichende Grundlage, so ist sie nichtig; sie ist nicht lediglich schwebend unwirksam und lebt wieder auf, wenn nachträglich die erforderliche gesetzliche Grundlage für ihren Erlass geschaffen wird.
Rz. 17
d) § 5 Abs. 1 HmbLVO ist unwirksam, weil die in der Verordnung genannte Ermächtigungsgrundlage des § 25 HmbBG a. F. unzureichend ist. Diese Regelung, nach der der Senat der Beklagten unter Berücksichtigung der §§ 10 und 13 bis 24 HmbBG a. F. durch Rechtsverordnung Vorschriften über die Laufbahnen erlässt und hierbei insbesondere Höchstaltersgrenzen für die Einstellung in einen Vorbereitungsdienst und in ein Beamtenverhältnis auf Probe regeln soll, genügt den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes nicht.
Rz. 18
aa) Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen. Im grundrechtsrelevanten Bereich bedeutet wesentlich in der Regel "wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte". Auch Gesetze, die zu Rechtsverordnungen oder Satzungen ermächtigen, können den Voraussetzungen des Gesetzesvorbehalts genügen, die wesentlichen Entscheidungen müssen aber durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst erfolgen. Das Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage bei Delegation einer Entscheidung auf den Verordnungsgeber stellt insoweit eine notwendige Ergänzung und Konkretisierung des Gesetzesvorbehalts und des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 u. a. - BVerfGE 139, 19 Rn. 52 ff.).
Rz. 19
Die parlamentarische Leitentscheidung ist an den rechtsstaatlichen Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG zu messen, der auf landesgesetzliche Verordnungsermächtigungen zwar nicht unmittelbar anwendbar ist, die hierzu festgelegten, aus dem rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungssystem des Grundgesetzes folgenden Grundsätze sind aber auch für die Landesgesetzgebung verbindlich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 u. a. - BVerfGE 139, 19 ≪48≫) und folglich auch dem hier maßgeblichen und inhaltsgleichen Art. 53 Abs. 1 der Verfassung der Beklagten zugrunde zu legen (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 26. August 2021 - 5 Bf 186/19 - juris Rn. 70). Demzufolge müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG führt als eine Ausprägung des "allgemeinen Gesetzesvorbehalts" den staatlichen Eingriff durch die Exekutive nachvollziehbar auf eine parlamentarische Willensäußerung zurück. Die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm muss der Grundrechtsrelevanz der Regelung entsprechen, zu der ermächtigt wird. Je erheblicher diese in die Rechtsstellung des Betroffenen eingreift, desto höhere Anforderungen müssen an den Bestimmtheitsgrad der Ermächtigung gestellt werden. Eine Ermächtigung darf daher nicht so unbestimmt sein, dass nicht mehr vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die auf Grund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 u. a. - BVerfGE 139, 19 Rn. 55 f.).
Rz. 20
bb) Nach diesen Maßstäben kann § 25 Satz 1 und 2 Nr. 4 HmbBG a. F. nicht als hinreichend bestimmte Verordnungsermächtigung zur Festsetzung von Einstellungshöchstaltersgrenzen angesehen werden.
Rz. 21
Eine Höchstaltersgrenze für die Begründung des Beamtenverhältnisses auf Probe stellt einen schwerwiegenden Eingriff auch in Art. 33 Abs. 2 GG dar, weil sie ältere Bewerber regelmäßig ohne Rücksicht auf Eignung, Befähigung und fachliche Leistung vom Beamtenverhältnis ausschließt. Die Altersgrenze kann zwar zur Gewährleistung eines ausgewogenen zeitlichen Verhältnisses zwischen Lebensdienstzeit und Ruhestandszeit und damit zwischen aktiver Beschäftigungszeit und Versorgungsansprüchen gerechtfertigt sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 u. a. - BVerfGE 139, 19 Rn. 68 ff.). Die für eine solche Rechtfertigung erforderliche parlamentarische Leitentscheidung ist § 25 Satz 1 und 2 Nr. 4 HmbBG a. F. aber nicht zu entnehmen.
Rz. 22
Die ausdrückliche Nennung der Altersgrenzen für die Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf Probe in der Soll-Vorschrift des § 25 Satz 2 Nr. 4 HmbBG a. F. zeigt lediglich, dass sich der Gesetzgeber mit dem Aspekt "Altersgrenze" befasst und die Notwendigkeit derartiger Regelungen angenommen hat. Allerdings fehlen im Wortlaut der gesetzlichen Regelung inhaltliche Vorgaben für die Ausgestaltung der Höchstaltersgrenze durch den Verordnungsgeber, wie z. B. die Benennung der bei der Bestimmung der Altersgrenze vom Normgeber zum Ausgleich zu bringenden widerstreitenden Prinzipien. Auch der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 25 HmbBG a. F. sind keine weiteren Vorgaben für die konkrete Ausgestaltung der Einstellungshöchstaltersgrenze zu entnehmen (Bü-Drs. 19/3757 S. 60 f.). Zwar nimmt § 23 Abs. 3 Nr. 2 HmbBG a. F. auf eine "für die Einstellung in einen Vorbereitungsdienst oder in ein Beamtenverhältnis auf Probe vorgesehene Höchstaltersgrenze" Bezug; diese Begründungserwägungen beschränken sich jedoch darauf, auf die Notwendigkeit einer laufbahnrechtlichen Ausgestaltung nach § 25 Satz 2 Nr. 10 HmbBG a. F. hinzuweisen (Bü-Drs. 19/3757 S. 60). Damit hat der Gesetzgeber dem Senat der Beklagten in § 25 Satz 2 HmbBG a. F. weder einen Rahmen noch Maßstäbe für die Ausgestaltung der Altersgrenze durch die zu schaffende Laufbahnverordnung vorgegeben. Die Entscheidung über die Ausgestaltung der Einstellungshöchstaltersgrenze ist vielmehr vollständig dem Verordnungsgeber überlassen. Demgegenüber hat der Gesetzgeber das Pendant der Einstellungshöchstaltersgrenze, den Ruhestand wegen Erreichens der Altersgrenze, in § 35 HmbBG a. F. detailliert geregelt (vgl. hierzu auch VG Hamburg, Urteil vom 12. März 2019 - 20 K 2489/16 - UA S. 9 f.). Die Neufassung des § 25 Satz 2 HmbBG durch das Gesetz vom 19. Dezember 2019 diente gerade dazu, die Ermächtigungsgrundlage zum Erlass einer Rechtsverordnung in Bezug auf die Regelung von Einstellungshöchstaltersgrenzen für die Berufung in ein Beamtenverhältnis auf Probe im Hinblick auf die oben dargelegten Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zu konkretisieren (Bü-Drs. 21/18658 S. 11).
Rz. 23
Da die Grundlage des § 25 Satz 2 Nr. 4 HmbBG a. F. für den Erlass einer Rechtsverordnung in Bezug auf eine Höchstaltersgrenze nicht hinreichend bestimmt ist, ist der hierauf gestützte § 5 Abs. 1 HmbLVO unwirksam (vgl. Remmert, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand September 2022, Art. 80 Rn. 137; Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 80 Rn. 82).
Rz. 24
2. Die Regelung einer Höchstaltersgrenze für die Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf Probe im Rahmen der Laufbahnverordnung kann grundsätzlich auf § 25 Satz 1 und 2 Nr. 4 Buchst. b HmbBG n. F. gestützt werden.
Rz. 25
a) Die Neuregelung dürfte den Vorgaben des Wesentlichkeitsgrundsatzes Rechnung tragen und damit im Ausgangspunkt eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage zum Erlass einer Verordnung zur Regelung von Einstellungshöchstaltersgrenzen bilden.
Rz. 26
§ 25 Satz 2 Nr. 4 Buchst. b HmbBG n. F. sieht vor, dass die in einer Rechtsverordnung zu erlassenden Vorschriften über die Laufbahnen insbesondere (auch) Regelungen zu Altersgrenzen für die Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf Probe zur Sicherstellung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Dienstzeit und Versorgung, einschließlich der Möglichkeit, Ausnahmen zuzulassen, enthalten. Ausweislich der Gesetzesbegründung (vgl. Bü-Drs. 21/18658 S. 11 ff.) dient die Neuregelung dazu, die Grundlage den aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgenden Anforderungen an die Bestimmtheit einer Verordnungsermächtigung anzupassen. Aus der Gesetzesbegründung lässt sich hinreichend klar entnehmen, an welchem Ziel sich der Verordnungsgeber bei der Festlegung der Einstellungshöchstaltersgrenze zu orientieren hat.
Rz. 27
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann die Gesetzesbegründung bei der Würdigung der Frage, ob die Ermächtigung hinreichend bestimmt ist, herangezogen werden. Verfassungsrechtlich ist nicht geboten, dass die Ermächtigung zum Erlass einer Verordnung in ihrem Wortlaut so genau wie nur irgend möglich formuliert und gefasst sein muss. Sie genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen vielmehr auch dann, wenn sich die Bestimmtheit durch Auslegung im Rahmen der allgemeingültigen Auslegungsmethoden ermitteln und feststellen lässt. Dies umfasst auch eine Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Norm (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 25. November 1980 - 2 BvL 7/76 u. a. - BVerfGE 55, 207 ≪226≫ und vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 u. a. - BVerfGE 139, 19 ≪53≫).
Rz. 28
Aus den Begründungserwägungen können Zweck, Inhalt und Ausmaß der Ermächtigung hinreichend klar entnommen werden. In ihr werden die "Determinanten" für die dem Verordnungsgeber aufgegebene Konkretisierung im Einzelnen benannt und erläutert. Dies gilt nicht nur für die rechnerischen Grundlagen der Ermittlung einer Zeitspanne, die typischerweise zum "Erdienen" des Ruhegehalts erforderlich ist. Vorgegeben und erläutert werden auch die bei der Bestimmung der Altersgrenze weiter zu berücksichtigenden Gesichtspunkte, wie etwa der Anteil vorzeitiger Versetzungen in den Ruhestand, die Anrechnung von Vordienstzeiten als ruhegehaltfähige Dienstzeit, die vorzeitige Gewährung der Mindestversorgung oder die lebenslange Beihilfegewährung für den Beamten und seine Familie unabhängig von der konkreten Dienstzeit. Im Hinblick darauf, dass die Erwägungen ausdrücklich auf die in der "geltenden" Laufbahnverordnung festgesetzte Einstellungshöchstaltersgrenze von 45 Jahren Bezug genommen haben (Bü-Drs. 21/18658 S. 13), kann im Übrigen davon ausgegangen werden, dass sich der Gesetzgeber daran im Grundsatz orientieren wollte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. November 1982 - 2 BvL 28.81 - BVerfGE 62, 203 ≪210≫).
Rz. 29
b) Zweifelhaft ist aber, ob § 25 Satz 1 und 2 Nr. 4 Buchst. b HmbBG n. F. hinsichtlich der Zulassung von Ausnahmen hinreichend bestimmt ist.
Rz. 30
Die Zweifel ergeben sich indes nicht bereits daraus, dass im Wortlaut der Vorschrift Vorgaben zu Zweck, Inhalt und Ausmaß der Delegation nicht enthalten sind. Denn in der Staatspraxis wird regelmäßig davon ausgegangen, dass die Maßgaben zur positiven Regelungsermächtigung als Kehrseite auch bei der Ausgestaltung zugelassener Ausnahmetatbestände zu berücksichtigen sind. Die Vorgabe der Kriterien für mögliche Ausnahmen folgt demnach als gleichsam unselbständiger Bestandteil aus denjenigen der Verordnungsermächtigung selbst. Dem entspricht, dass die Frage, ob ein Umstand bereits nicht dem Anwendungsbereich unterstellt oder als Ausnahmefall konstruiert wird, primär von der gewählten Regelungstechnik abhängt.
Rz. 31
Die Bedenken an der hinreichenden Bestimmbarkeit der in § 25 Satz 1 und 2 Nr. 4 Buchst. b HmbBG n. F. vorgesehenen Ausnahmeermächtigung folgen aber daraus, dass dem Gesetz insgesamt nicht entnommen werden kann, ob Ausnahmen nur aus dienstlichem Bedürfnis oder auch zur Berücksichtigung der Interessen von Bewerbern - wie etwa im Fall der Anrechnung von Kinderbetreuungszeiten oder bei atypischen Erwerbsbiografien - zugelassen werden sollen. Die entsprechenden Regelungen der Bundesländer lassen hierzu eine Vielzahl unterschiedlicher Regelungsansätze erkennen. Für § 25 Satz 1 und 2 Nr. 4 Buchst. b HmbBG n. F. lässt sich diese Frage aber auch bei Berücksichtigung der Entstehungsmaterialien, die sich insoweit auf einen Absatz beschränken (vgl. Bü-Drs. 21/18658 S. 13 zu Nummer 2 am Ende), nicht beantworten.
Rz. 32
Diese Entscheidung erscheint von wesentlicher Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung der Bewerber. Die von Art. 33 Abs. 2 GG erfassten Auswahlentscheidungen, zu denen auch die Berufung in ein Beamtenverhältnis auf Probe zählt, können grundsätzlich nur auf Gesichtspunkte gestützt werden, die unmittelbar der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung der Bewerber zuzuordnen sind. Einstellungshöchstaltersgrenzen dienen anderen Zwecken und sollen externe, außerhalb der Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG liegende Ziele verwirklichen. Das Wesentlichkeitsgebot stellt daher im vorliegenden Fall besondere Anforderungen an die Regelungsdichte einer Ermächtigung zum Erlass einer Verordnung auch hinsichtlich anzuerkennender Ausnahmen.
Rz. 33
Danach ist es Aufgabe des Gesetzgebers, dem Wesentlichkeitsgrundsatz entsprechend die anzuerkennenden Ausnahmetatbestände dem Grunde nach hinreichend bestimmt zu konturieren, um so dem Verordnungsgeber eine Ermächtigung an die Hand zu geben, aus der hervorgeht, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden kann. Die Ermächtigungsgrundlage muss mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, innerhalb welcher Grenzen dem Verordnungsgeber eine Gestaltungsfreiheit zustehen soll (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Oktober 1970 - 2 BvR 618/68 - BVerfGE 29, 198 Rn. 30). Einer richtungsweisenden Festlegung anzuerkennender Ausnahmetatbestände bedarf es schon deshalb, weil diese an rein dienstlichen Interessen orientiert sein, aber ebenso (auch) in der Sphäre der Einstellungsbewerber liegende Umstände berücksichtigen können. Regelungsbedürftig erscheint auch die Festlegung, bis zu welcher Höchstdauer entsprechende Ausnahmetatbestände in Ansatz gebracht werden dürfen.
Rz. 34
Im vorliegenden Fall gilt dies in besonderer Weise, weil die Begründung des Gesetzentwurfs die Zulassung von Ausnahmen explizit nur in Beziehung zu besonderen dienstlichen Interessen erwähnt (vgl. Bü-Drs. 21/18658 S. 13). Das geltende Beamtengesetz sieht in § 23 Abs. 3 Nr. 2 HmbBG aber einen Ausgleich beruflicher Verzögerungen vor, und lässt damit in der Person des Einstellungsbewerbers liegende Gründe für eine Anhebung der Einstellungshöchstaltersgrenze ausreichen. Insoweit besteht in § 25 Satz 2 Nr. 10 HmbBG a. F./n. F. eine gesonderte Ermächtigungsgrundlage, von der der Verordnungsgeber durch § 9 Abs. 3 HmbLVO Gebrauch gemacht hat. Fraglich ist danach, ob die Grundlage des § 25 Satz 2 Nr. 4 Buchst b HmbBG n. F. auch die Berücksichtigung weiterer in der Person des Bewerbers liegende Umstände abdeckt.
Rz. 35
3. Da es an der wirksamen Festlegung einer Einstellungshöchstaltersgrenze fehlt, erweist sich die angegriffene Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Die Beklagte hat den Antrag der Klägerin auf Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats neu zu bescheiden.
Rz. 36
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Fundstellen
Haufe-Index 15806255 |
BVerwGE 2024, 201 |
NVwZ 2023, 1423 |
ZBR 2023, 417 |
JZ 2023, 606 |
IÖD 2023, 218 |