Karl Würz, Dr. Reinhard Preusche
Wer unternehmerische Verantwortung trägt, ist gewohnt, mit Risiken umzugehen und auf sein "richtiges Händchen" zu vertrauen. Sie werden deshalb jetzt vielleicht sagen: "Alles richtig. Aber müssen wir jetzt schon reagieren? Und mit welcher Intensität? Lasst uns diese Brücke überqueren, wenn wir dahin kommen!" Mit dieser Einschätzung liegen Sie – bei entsprechender Risikobereitschaft – nicht ganz falsch. In der Mehrzahl der Fälle kommen Unternehmen bei Gesetzesverletzungen oder unredlichem Verhalten immer noch ungeschoren davon. So spektakulär einzelne Pressemeldungen auch sein mögen, sie betreffen, aufs Ganze betrachtet, nach wie vor eben doch nur Einzelfälle. Sie sollten allerdings Entwicklungskraft und -geschwindigkeit des Compliance-Risikopotenzials nicht unterschätzen.
Ein Beispiel aus der Korruptionsbekämpfung: Heute wird die Mehrzahl von Korruptionsfällen durch die normale Betriebsprüfung aufgedeckt. Während früher Scheinrechnungen grundsätzlich nur auffielen, wenn man bei Stichproben auf einen entsprechenden Beleg stieß, werden Rechnungen jetzt im Wege des digitalen Datenabgleichs erfasst und mit Empfängerkonten verglichen. Über die zentrale Kontenerfassung bei der Financial Intelligence Unit können Behörden sich leicht einen Überblick über alle Konten bei Kreditinstituten im Inland verschaffen. Korruptionszahlungen haben in Ausführung und Empfängerstruktur ähnliche Muster wie Geldwäschezahlungen und werden daher grenzüberschreitend erfasst. Mithilfe quantitativer Prüfsysteme, wie etwa dem Benford'schen Gesetz, können prüfwürdige Vorgänge schnell ausgefiltert werden.
Bis vor einigen Jahren galt das Kartellrecht als Domäne juristischer Spezialisten, an die Compliance in aller Regel nicht herangelassen wurde. Heute gehören kartellrechtliche Präventivmaßnahmen zum Kernrepertoire des Compliance-Beauftragten. Warum? Mit der Einführung sog. Bonusregelungen oder Leniency-Programme auf EU- und nationaler Ebene seit 1996 hat sich das Entdeckungsrisiko drastisch erhöht. Danach gilt: Wer als erster entscheidende Hinweise auf einen Wettbewerbsverstoß gibt, wird in der Regel von staatlichen Sanktionen verschont. Alle anderen werden bestraft.
Ein weiteres Beispiel: In der Stellenanzeige eines Bundeslandes aus 2014 werden Fachkräfte für das Thema Scheinselbstständigkeit gesucht. Warum wohl? Für staatliche Behörden werden sich OWiG-Ermittlungsverfahren, die gegen Geldbuße eingestellt werden, zu einer eigenen Finanzierungsquelle entwickeln. Das erleichtert die Einrichtung der hierzu erforderlichen Planstellen.
Schließlich: Fernsehberichte über gesellschaftlich nicht als konform empfundene Unternehmenspraktiken. Wie die Enthüllungsstaffeln von Günther Wallraff bei RTL zeigen, hat der Enthüllungsjournalismus mittlerweile seinen Weg aus dem Kreis grundsätzlich fachorientierter Magazine des öffentlich-rechtlichen Fernsehens hin zum Info-Unterhaltungsformat privater Fernsehsender gefunden.