Karl Würz, Dr. Reinhard Preusche
Die Einbindung des Qualitätsmanagements in den Compliance-Prozess und umgekehrt des Compliance-Beauftragten in das Qualitätsmanagement ist ein Beispiel dafür, wie Compliance-Gesichtspunkte in Fachprozessen berücksichtigt werden können. In der Regel sollten die Standardverfahren für das Qualitätsmanagement ausreichen und sich der Compliance-Beauftragte – abgesehen von der Berichterstattung in der RICKO-Gruppe – nicht in die Qualitätsmanagement-Fachprozesse einmischen.
3.3.1 Compliance-Prüfsteine für neue Produkte und Verfahren
Allerdings können neue Produkte und Verfahren besonders Compliance-störanfällig sein. Wegen der Konzentration auf produktions- oder vertriebsbezogene Fragestellungen besteht das Risiko, dass Compliance-Themen von den Fachbeteiligten nicht mit der notwendigen Aufmerksamkeit behandelt werden. Hierzu können zählen:
- neue Vorschriften oder Auflagen für Produktherstellung, Versand oder Vertrieb, mit denen im Unternehmen oder am Markt noch keine Erfahrung besteht,
- Unterschiede zwischen interner Qualitätssicherung und Vertriebsaussagen,
- unzureichende Verbraucherinformation,
- unzulässige Wettbewerbsbeschränkungen anlässlich von Produkteinführung und Markteintritt (z. B. Marktaufteilung, Vertriebssysteme, Einführungszeitplan) oder
- Compliance-widrige Vertriebsanreize (Korruption, Interessenkonflikte aus Vergütungssystemen).
Einige Beispiele für diese Aufzählung: Wir haben erlebt, dass von der Qualitätssicherung aufgeworfene Sicherheitsbedenken höheren Orts übergangen worden sind, damit ein neues Produkt termingerecht an den Kunden ausgeliefert werden konnte. Emissionswerte eines neuen Produkts wurden zur Messeeinführung geschönt und Prüfprotokolle sollten zur Tarnung verändert werden. In einem anderen Fall war übersehen worden, dass aufgrund der Verwendung einer besseren Lackierung andere Sicherheits- und Umweltbestimmungen zu beachten waren. Verbotene Kartellabsprachen liegen auch dann vor, wenn man sich mit Wettbewerbern auf einen Zeitplan für Produktneueinführungen verständigt. Selektive Vertriebssysteme zur Unterstützung neuer Produkte oder Dienstleistungen sollten im Vorhinein auf ihre wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit geprüft werden.
Wir empfehlen deshalb, für Entwicklungsphasen, die wichtige Weichenstellungen für die Entwicklung neuer Produkte oder Verfahren darstellen (Konzeption/Design, Beginn der Umsetzung, Testeinsatz, Freigabe/Praxiseinsatz), besondere Compliance-Prüfsteine vorzusehen. Dadurch kann man verhindern, dass Compliance-Aspekte nicht rechtzeitig berücksichtigt werden und später mühsam nachgeholt werden müssen.
3.3.2 Der menschliche Faktor als mögliche Schwachstelle
Ferner hat sich in Diskussionen mit unserem Experten für Qualitätsmanagement mittlerweile ein anderer Faktor herausgeschält: Die Standardverfahren für Qualitätsmanagement berücksichtigen den menschlichen Faktor nicht in ausreichendem Maße als mögliche Fehlerquelle. Das führt etwa zu der Frage, ob die Einkaufs- und Vertriebsprozesse für neue Produkte bereits genügend in die internen Unterstützungs- und Kontrollsysteme eingebunden sind, sodass keine besondere Gelegenheit für Betrug oder Veruntreuung entsteht. Bestehen entwicklungsbedingt vorübergehend Kopfmonopole, die eine wirksame Kontrolle gar nicht erlauben? Sind Single Source Letter und Sonderbeziehungen zu Dienstleistern oder Lieferanten entwicklungsbedingt notwendig? Wenn ja, können hieraus persönliche Interessenkonflikte entstehen? Das sind heikle Fragen. Wir denken nicht, dass sie in das Standard-Compliance-Frageschema gehören. Allerdings sollten Compliance-Beauftragte und der Qualitätsmanagement-Verantwortliche sie stets im Auge behalten, um auf konkrete Frühwarnzeichen rechtzeitig reagieren zu können.