Dr. Matthias Emler, Johannes Nawrath
Betrachtet man konkrete Projektbeispiele, zeigt sich die Breite der möglichen Anwendungsgebiete des algorithmischen Forecastings. Dies sei im Folgenden anhand von 3 unterschiedlich gelagerten Projektcases dargestellt.
6.1 Absatzprognose bei mittelständischem Pharmaunternehmen
Eines unserer Kundenprojekte bei einem mittelständischen Pharmaunternehmen befasste sich mit der Entwicklung eines Systems zur Absatzprognose und dessen Integration in die Unternehmensplanung, um damit die Strategieplanung mit dem 2-Jahre-Forecast länderübergreifend zu verbinden. Durch die organisationsübergreifende Synchronisation wurden transparente und reaktionsfähige Prozesse geschaffen, die eine optimierte Lager- und Produktionsstrategie ermöglichten.
Bereits eine mittlere Komplexität der Algorithmik konnte die Dynamik des Marktes zuverlässig vorhersagen, sodass durch eine entsprechende Skalierung der Lösung in die verschiedenen Märkte der produktive Einsatz schnell Effizienzen hervorbrachte. Indem die prädiktive algorithmische Lösung von Beginn an in die etablierte Standardlösung für (bisher rein manuelle) Forecasts eingebettet wurde, konnten der Roll-out und das Change-Management zielstrebig umgesetzt werden.
Entscheidend für den Erfolg war dabei die Art, wie sich Mensch und Maschine ergänzen. Der algorithmische Foreacst wird den Controllern als "second opinion" im etablierten Prozess angeboten. Die Controller nutzen diesen Vorschlag als Basis, können aber aufgrund ihrer Erfahrung und aktueller Marktkenntnis Änderungen vornehmen. Im Zusammenspiel wird die Qualität des Forecasts dadurch unmittelbar gesteigert.
Mittelbar steigt zusätzlich die Effizienz, da die Controller mit der Zeit erkennen, wo der Algorithmus gut arbeitet, so dass sie sich lediglich auf die Fälle fokussieren, bei denen die Maschine an ihre Grenzen stößt. In diesem konkreten Anwendungsfall wurde dieser digitale Forecast in einem zweiten Schritt direkt mit der Ausplanung der Operations verbunden, was im Sinne eines modernen Sales and Operations Planning (S&OP) Ansatzes weitere Effizienzen ermöglichte.
6.2 Cashflow-Prognose bei Energieversorger
Ein weiteres Projektbeispiel hatte zum Ziel, bei einem großen Energieversorger in kurzer Zeit eine kostengünstige, effiziente und anwenderfreundliche Webapplikation dem gesamten CFO-Bereich zur Verfügung zu stellen. Die kann, basierend auf prädiktiven Algorithmen aus historischen Daten zukünftige Zahlungsströme mit hoher Güte prognostizieren. In der Ausgangssituation war dabei die wesentliche Herausforderung, die Prognosegüte im Bereich der Cashflow-Planung zu verbessern und die korrespondierende Prozesseffizienz zu erhöhen. Die Forecasts sollten stärker datengetrieben und dadurch objektiver werden.
Darüber hinaus diente das Projekt auch der Befähigung der Experten im CFO-Bereich im Umgang mit diesen innovativen Methoden, um damit die Kompetenzen für die digitale Transformation des Finanzbereichs weiter auszubauen. Die Lösung wurde auf internationaler Ebene ausgerollt. Auch hier kommt sie i. S. v. einer "second opinion" im Zusammenspiel mit der bereits vorher existierenden Lösung zum Einsatz. Ein wichtiger Erfolgsfaktor war bei der Einführung das begleitende Training, um die Mitarbeiter schrittweise in das Arbeiten mit den prädiktiven Analytics-Funktionalitäten vertraut zu machen.
6.3 Versandmengenprognose für Logistikdienstleister
Ein weiteres Projektbeispiel bei einem Logistikdienstleister ist wiederum anders gelagert. Nach einer Analyse der bestehenden Entscheidungsprozesse im operativen Nachfrage-Forecast ergaben sich substanzielle Effizienzpotenziale durch Einsatz einer algorithmischen Lösung.
Der Logistikdienstleister plant traditionell die Kundenlieferungen auf Basis der faktisch für den nächsten Tag eingegangenen Bestellungen. Da die Planung der Lieferungen erst nach Eingang konkreter Bestellungen erfolgt, entstehen hohe Einkaufspreise an den Spotmärkten. Teilweise sind auch keine Lieferkapazitäten mehr verfügbar und die Ladung kann erst am nächsten Tag ausgeliefert werden.
Die Entwicklung eines algorithmischen Forecastmodells für die kurzfristige Nachfrage ermöglicht, dass historische Bestellmengen und -verhaltensweisen mit externen Faktoren wie z. B. der Wettervorhersage kombiniert werden. So können ca. 90 % des Transportvolumens für den Folgetag vorhergesagt werden, wodurch bessere Einkaufspreise für Transportleistungen erzielt werden können. Durch die Integration der Lösung in das operative Dispositionssystem wird die algorithmische Lösung komplett in den Steuerungsprozess integriert.
Diese 3 Projektbeispiele zeigen, dass die Anwendungsfelder für prädiktive Analytics sehr breit und industriespezifisch sind. Die unternehmensspezifische Erarbeitung von Anwendungsfällen mit substanziellem Mehrwert bildet angesichts dieser Praxiserfahrungen einen wichtigen Schritt bei der Digitalisierung des Forecastings.