Leitsatz
Im Rahmen der Beurteilung der Frage, in welchem Umfang ein Steuerpflichtiger seine Altersvorsorgeaufwendungen nach der bis 2004 geltenden Rechtslage aus versteuertem Einkommen geleistet hat, gelten Beiträge zu privaten Rentenversicherungen und kapitalbildenden Lebensversicherungen im Verhältnis zu den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung als lediglich nachrangig abziehbar.
Normenkette
§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa und bb Satz 2 EStG, § 10 Abs. 3 EStG in der bis 2004 geltenden Fassung, Art. 3 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Der Kläger war zunächst als Arbeitnehmer in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Danach war er freiberuflich tätig, blieb aber freiwillig in der GRV versichert. Die von ihm geleisteten Beiträge lagen in keinem Jahr oberhalb des jeweiligen Höchstbeitrags zur GRV. Der Kläger hatte aber in erheblichem Umfang in kapitalbildende Lebensversicherungen eingezahlt. Die von ihm im Streitjahr 2011 bezogenen Rentenzahlungen der GRV besteuerte das FA mit dem gesetzlichen Besteuerungsanteil von 62 %. Der Kläger meinte indes, die Öffnungsklausel sei anwendbar. Da er nicht pflichtversichert gewesen sei, habe der Höchstbeitrag bei Null gelegen, sodass jeder von ihm tatsächlich geleistete Beitrag als oberhalb des Höchstbeitrags liegend anzusehen sei. Außerdem komme es zu einer unzulässigen doppelten Besteuerung, weil die Beiträge in die GRV nachrangig zu allen anderen Vorsorgeaufwendungen seien. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.9.2015, 5 K 1075/13, Haufe-Index 9157710, EFG 2016, 572).
Entscheidung
Die Revision war nur insoweit begründet, als nach der neuen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Ermittlung der Höhe der zumutbaren Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG die geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen in einem größeren Umfang abgezogen werden konnten. In Bezug auf die Besteuerung der Rente hatte das FG zutreffend die Anwendung der Öffnungsklausel verneint sowie im Streitfall eine doppelte Besteuerung ausgeschlossen.
Hinweis
Nachdem durch die Rechtsprechung des BVerfG die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung der Besteuerung der Altersvorsorgeaufwendungen und der Alterseinkünfte durch das AltEinkG als geklärt angesehen werden dürfte, konzentriert sich die finanzgerichtliche Rechtsprechung nunmehr vor allem darauf, wie eine – verfassungswidrige – doppelte Besteuerung der Altersrenten zu ermitteln ist. Dazu enthält das Besprechungsurteil drei Erkenntnisse:
1. Beiträge zu kapitalbildenden Lebensversicherungen sind bei Beurteilung der Frage, in welchem Umfang sich die Beiträge zur Basis-Altersversorgung in der Zeit vor 2005 tatsächlich als Sonderausgaben ausgewirkt haben, nicht gleichrangig, sondern nur im Verhältnis zu den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung nachrangig abzuziehen. Eine gleichrangige Betrachtung dieser Kapitalanlage mit den Aufwendungen für die Basis-Altersversorgung würde nämlich dazu führen, dass ausgerechnet jene Steuerpflichtigen begünstigt würden, die weiterhin in erheblichem Maße von der fortbestehenden einkommensteuerrechtlichen Begünstigung der Auszahlungen aus derartigen Rentenversicherungsverträgen (Ertragsanteilsbesteuerung gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 4 EStG) profitieren. Daher ist zur Vermeidung einer insoweit nicht gerechtfertigten doppelten Begünstigung – nämlich einerseits durch Steuerfreistellung der früheren Beiträge und andererseits durch weitgehende Steuerfreistellung der Auszahlungen – im Rahmen der rückblickenden Aufteilung des Sonderausgabenabzugs ein Nachrang der Beiträge zu dieser Vorsorgeform anzunehmen
2. Vorsorgeaufwendungen des Ehegatten sind nicht vorrangig abzuziehen, da hierfür kein Grund ersichtlich ist.
3. Auf der Rentenbezugsseite weist der BFH für die Anwendung der sog. Öffnungsklausel des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG darauf hin, dass sich aus dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung zweifelsfrei ergibt, dass die Beitragsbemessungsgrenze – und damit auch der aus ihr abzuleitende Höchstbeitrag – gleichermaßen für Pflichtversicherte wie für freiwillig Versicherte gilt. Alle Versicherten mussten daher bis 2004 Beiträge oberhalb des Höchstbeitrags erbringen, um insoweit in den Genuss der Ertragsanteilsbesteuerung zu kommen.
4. Andere Aspekte der doppelten Besteuerung musste der BFH (noch) nicht abschließend entscheiden, wie z.B. die Fragen, ob Beiträge zu Unfall- und Haftpflichtversicherungen als gleichrangig zu den Beiträgen der GRV anzusehen sind oder ob für den Zeitraum des Rentenbezugs noch weitere steuerliche Abzugsbeträge in die Vergleichsrechnung einzubeziehen wären (vgl. zu weiteren offenen Fragen BFH, Urteil vom 21.6.2016, X R 44/14, BFH/NV 2016, 1791, unter III.2, BFH/PR 2017, 49, BFHE 254, 545).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 23.8.2017 – X R 33/15