Prof. Dr. Reinhold Hölscher, Dr. Matthias Michael Nelde
Eigenkapital kann formal als Wert der Ansprüche der Kapitalgeber am Bilanzvermögen charakterisiert werden. Basis des Eigenkapitals eines Unternehmens sind die Einlagen der Unternehmenseigner. Aus dieser Beteiligung an einem Unternehmen entsteht eine (Mit-)Eigentümerstellung. Im Gegensatz zum Fremdkapital — bei dem keine Haftung für Verbindlichkeiten des Unternehmens existiert — haftet der Eigenkapitalgeber mindestens in der Höhe seiner Einlage. Bei bestimmten Beteiligungsformen kann der Inhaber sogar mit seinem gesamten Privatvermögen unbegrenzt zur Haftung herangezogen werden.
Haftungs-/Beteiligungskapital
Das Eigenkapital kann auch als Haftungs- oder Beteiligungskapital bezeichnet werden. Während beim Fremdkapital ein fester und gewinn- bzw. verlustunabhängiger Zinsanspruch besteht, sind Eigenkapitalgeber in voller Höhe an Gewinn und Verlust des Unternehmens beteiligt. Im Falle der Auflösung des Unternehmens haben Eigenkapitalgeber einen Quotenanspruch am Liquidationserlös, falls der Liquidationserlös größer als die Schulden des Unternehmens ist. Fremdkapitalgeber haben in diesem Fall einen Anspruch in Höhe der Gläubigerforderung.
Berechtigung zur Unternehmensleitung
Eigenkapitalgeber sind in der Regel zur Unternehmensleitung berechtigt und stellen ihr Kapital zeitlich unbegrenzt zur Verfügung. Die Fremdkapitalgeber sind grundsätzlich von der Unternehmensleitung ausgeschlossen, teilweise besteht allerdings eine faktische Möglichkeit zur Einflussnahme (z. B. Banken im Rahmen von Kreditverhandlungen).
Fristigkeit
Fremdkapital steht dem Unternehmen normalerweise befristet zur Verfügung. Das zur Verfügung gestellte Eigenkapital ist begrenzt durch die finanzielle Kapazität und Bereitschaft der Eigenkapitalgeber. Die Bereitstellung von Fremdkapital ist abhängig von der Ertragskraft und vom Vorliegen bestimmter Sicherheiten.
1.1 Eigenkapitalbedarf in unterschiedlichen Lebensphasen des Unternehmens
In jeder Lebensphase eines Unternehmens hat Eigenkapital eine besondere Bedeutung. In der Gründungsphase müssen die Kosten für die Unternehmensgründung und die Markteinführung finanziert werden. Üblicherweise stehen den in dieser Zeit anfallenden Ausgaben nur geringe Einnahmen gegenüber, so dass gerade hier Eigenkapital notwendig ist, um Probleme in der Anlaufphase finanziell überbrücken zu können.
Die Wachstumsphase ist von einem steigenden Kapitalbedarf z. B. für die Erweiterung der Produktion geprägt. Auch hier stellt die Eigenkapitalausstattung des Unternehmens die Basis für den Ausbau der unternehmerischen Tätigkeiten dar.
In späteren Lebenszyklusphasen treten in vielen mittelständischen Unternehmen Nachfolgeprobleme auf, die auch besondere Anforderungen an Finanzierungen auslösen. Mit jeder Phase gehen demnach spezielle Finanzierungserfordernisse einher. Dem Eigenkapital kommt in jeder Phase eine besondere Bedeutung zu.
1.2 Eigenkapitalausstattung des Mittelstandes
Das in der Regel langfristig von den Unternehmern zur Verfügung gestellte Eigenkapital sichert den nachhaltig störungsfreien Geschäftsablauf. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die mit dem Eigenkapital verbundene Haftung. Durch das Eigenkapital wird im Unternehmen ein Risiko- bzw. Verlustpuffer aufgebaut. Auftretende Verluste führen dazu, dass die Ansprüche der Eigenkapitalgeber sinken. Die Fremdkapitalgeber sind (zunächst) von diesen Verlusten nicht betroffen und erhalten die vertraglich vereinbarte Verzinsung des eingesetzten Kapitals.
Rund 55 % der mittelständischen Unternehmen besitzen eine Eigenkapitalquote von unter 20 %. Bei 30 % der Unternehmen liegt die Eigenkapitalquote sogar unter 10 %. Da lediglich 30 % der Unternehmen mit einer Eigenkapitalbasis von mehr als 30 % kapitalisiert sind, ist die Eigenkapitalbasis gerade bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen als nur gering ausgeprägt zu betrachten. Diese Situation ist aktuell auf die anhaltende Niedrigzinsphase zurückzuführen, aufgrund derer die Unternehmen vermehrt Fremdkapital aufnehmen. Die nachfolgende Tabelle 1 zeigt die Eigenkapitalausstattung des Mittelstandes im Verhältnis zur Bilanzsumme für die Jahre 2017 und 2016:
Eigenkapitalausstattung des Mittelstandes im Verhältnis zur Bilanzsumme (Angaben in Prozent der Befragten) |
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2017 |
2016 |
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bis 10 % |
29,8 |
28,5 |
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bis 20 % |
25,6 |
23,2 |
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bis 30 % |
15,3 |
16,8 |
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über 30 % |
29,3 |
31,6 |
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Tab. 1: Eigenkapitalausstattung des Mittelstandes im Verhältnis zur Bilanzsumme (Quelle: Creditreform: Wirtschaftslage und Finanzierung im Mittelstand, Frühjahr 2017, S. 17)
1.3 Bedeutung der Eigenkapitalausstattung
Im Hinblick auf die Bonität des Kunden messen gerade Banken der Eigenkapitalausstattung eine besondere Bedeutung bei. Nach der Neugestaltung der Eigenkapitalvorschriften für Kreditinstitute hat insbesondere das Rating von Unternehmen für die Banken eine große Bedeutung. Durch die Regelungen von Basel III ist das zu unterlegende Eigenkapital abhängig vom jeweiligen Rating eines Kreditnehmers. Für einen Kreditnehmer mit einer guten Ratingnote muss von der Bank weniger Eigenkapital vorgehalten werden. Für das Kreditinstitut resultieren daraus geringere Kosten, so dass dem Unternehmen Kredite mit günstigeren...