Leitsatz
1. Dem nach § 191 Abs. 3 Satz 4 AO auf Haftungsbescheide sinngemäß anzuwendende § 171 Abs. 10 AO kann nicht entnommen werden, dass der Ablauf der Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid gehemmt ist, soweit und solange in offener Festsetzungsfrist der Steuerbescheid hinsichtlich der Steuer, für die gehaftet wird, noch zulässig ergehen kann.
2. Steuer- und Haftungsbescheid stehen nicht in dem Verhältnis von Grundlagen- und Folgebescheid zueinander.
Normenkette
§ 171 Abs. 10 AO , § 191 Abs. 3 Satz 4 AO
Sachverhalt
Der Kläger wird als Geschäftsführer einer GmbH als Haftungsschuldner wegen zu Unrecht erstatteter Umsatzsteuer 1989 in Anspruch genommen. Der Haftungsbescheid ist erst 1999 ergangen. Die Umsatzsteuer hatte das FA im März 1993 durch einen Steuerbescheid festgesetzt. Die dagegen erhobene Klage war allerdings erst 2002 rechtskräftig abgewiesen worden.
Entscheidung
Die Festsetzungsfrist für die Haftungsschuld ist abgelaufen, da die Steuer, für die gehaftet wird, bereits 1993 festgesetzt worden ist. § 171 Abs. 10 AO ist nicht anwendbar, obwohl ein Bescheid über die Steuer, für die gehaftet werden soll, wegen der Anfechtung des zuvor ergangenen Steuerbescheids nach § 171 Abs. 3a AO noch ergehen könnte. Denn der Steuerbescheid ist kein Grundlagenbescheid für den Haftungsbescheid.
Hinweis
1. Der Ablauf der Festsetzungsfrist für eine Folgesteuer ist gehemmt, soweit und solange in offener Festsetzungsfrist ein Grundlagenbescheid, der für die Festsetzung der Folgesteuer bindend ist, noch zulässig ergehen kann (BFH, Urteil vom 30.11.1999, IX R 41/97, BStBl II 2000, 173). Der Finanzbehörde soll damit eine ausreichende Frist zur Verfügung gestellt werden, um Feststellungen, die in einem Grundlagenbescheid getroffen wurden, durch den Erlass von – nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO gebotenen – Folgebescheiden umzusetzen.
2. Wie verhält es sich verjährungsrechtlich mit Haftungsbescheiden und deren Verhältnis zu den Bescheiden über die Steuern, für die gehaftet wird? Eine einem Folgebescheid vergleichbare Abhängigkeit eines Haftungsbescheids von dem Steuerbescheid besteht unbeschadet dessen sog. Akzessorität nicht, welche ohnehin eingeschränkt ist; die Haftungsinanspruchnahme setzt u.a. grundsätzlich eine Steuerfestsetzung überhaupt nicht voraus, sie ist auch dem Umfang nach nicht von einer etwa erfolgten Steuerfestsetzung abhängig. Der Rechtsgedanke des § 171 Abs. 10 AO ist also auf Haftungsbescheide nicht übertragbar, weil dieser kein Folgebescheid ist.
3. Auf Haftungsbescheide sind freilich nach § 191 Abs. 3 AO bekanntlich die Vorschriften über die Festsetzungsfrist bei Steuerbescheiden entsprechend anzuwenden (Satz 1). Gem. Satz 2 kann ein Haftungsbescheid vier Jahre nach Verwirklichung des Haftungstatbestands grundsätzlich nicht mehr ergehen. Allerdings endet die Frist nach dem vierten Satz nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist und es gilt "anderenfalls"§ 171 Abs. 10 AO sinngemäß, nach dem die Festsetzungsfrist für einen Folgebescheid erst zwei Jahre nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheides endet.
Was meint dieses "anderenfalls"? Der BFH bezieht es auf den Fall, dass die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid vor der Steuerfestsetzung endet. Die sinngemäße Anwendung des § 171 Abs. 10 AO bedeutet also nur, dass ein Haftungsbescheid noch innerhalb von zwei Jahren nach Bekanntgabe des entsprechenden Steuerbescheids erlassen werden kann.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 5.10.2004, VII R 7/04