4.1 Anwendungsgrundsätze
Zur Verhinderung von Umgehungsgestaltungen werden der Veräußerung von sperrfristbehafteten Anteilen durch § 22 Abs. 1 Satz 6 UmwStG weitere Vorgänge gleichgestellt. Damit wird sichergestellt, dass die Versteuerung des zum Veräußerungszeitpunkt maßgebenden Einbringungsgewinns I auch dann erfolgt, wenn anstelle einer Veräußerung ein veräußerungsgleicher Vorgang vorliegt. Dazu gehören auch Tatbestände, die nicht von dem ursprünglich Einbringenden verwirklicht werden, sondern von einem Rechtsnachfolger. Für diese Fälle werden umfangreiche vertragliche Absicherungen erforderlich.
Zu den Ersatzrealisationstatbeständen gehören nach § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 1 – 6 UmwStG u. a. Vorgänge wie die unentgeltliche unmittelbare oder mittelbare Übertragung der erhaltenen Anteile auf eine Kapitalgesellschaft, die Einbringung in eine weitere Kapitalgesellschaft und die anschließende mittelbare oder unmittelbare Weiterveräußerung oder Weitereinbringung zu einem Wertansatz oberhalb des Buchwerts (Ketteneinbringung). Für Zwecke des § 22 Abs. 1 und Abs. 2 UmwStG differenziert die Finanzverwaltung zwischen unentgeltlichen und entgeltlichen Übertragungen, die die rückwirkende Einbringungsgewinnbesteuerung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 1 UmwStG beim Einbringenden auslösen. Dazu gehören
- nach Rdnr. 22.20 UmwSt-Erlass: die unmittelbare oder mittelbare unentgeltliche Übertragung der sperrfristbehafteten Anteile durch den Einbringenden (z. B. im Wege der verdeckten Einlage, der verdeckten Gewinnausschüttung, der Realteilung oder die unentgeltliche Übertragung nach § 6 Abs. 3 und 5 EStG) auf eine Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft gem. § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 1 UmwStG.
- nach Rdnr. 22.21 UmwSt-Erlass: die entgeltliche Übertragung der sperrfristbehafteten Anteile nach § 22 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 1 UmwStG, wozu nach Rdnr. 22.22 i. V. m. 22.07 und 00.02 UmwSt-Erlass auch Umwandlungen und Einbringungen gehören. Mit Urteil vom 18.11.2020 hat der BFH im Einklang mit der bisherigen BFH-Rechtsprechung im Fall des Anteilstauschs i. S. von § 21 UmwStG entschieden, dass der Formwechsel der Kapitalgesellschaft zu einer Veräußerung der eingebrachten Anteile führt und einen Einbringungsgewinn II auslöst. Obwohl grundsätzlich auch bei einer Umwandlung bzw. Einbringung eine Veräußerung vorliegt, unterbleibt in den vorgenannten Fällen nach § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 2 UmwStG eine Besteuerung des Einbringungsgewinns, wenn der Einbringende oder dessen unentgeltlicher Rechtsnachfolger nachweist, dass die sperrfristbehafteten Anteile im Wege der Sacheinlage nach § 20 Abs. 1 UmwStG oder des qualifizierten Anteilstauschs nach § 21 Abs. 1 UmwStG bzw. auf Grund eines mit diesen Vorgängen vergleichbaren ausländischen Vorgangs zum Buchwert übertragen wurden. Eine Übertragung zu Buchwerten liegt vor, wenn beim Einbringenden stille Reserven nicht aufzudecken sind.
4.2 Billigkeitsregelung
Grundsätzlich führt nach der Verwaltungsauffassung jede einer Einbringung nachfolgende Umwandlung oder Einbringung zu einer schädlichen Veräußerung i. S. des § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG. Jedoch sieht Rdnr. 22.23 UmwSt-Erlass eine antragsabhängige Billigkeitsregelung vor. Danach kann auf übereinstimmenden Antrag aller Personen, bei denen ansonsten infolge des Umwandlungsvorgangs ein Einbringungsgewinn rückwirkend zu versteuern wäre, von einer rückwirkenden Einbringungsgewinnbesteuerung abgesehen werden, wenn folgende vier Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
- Es tritt keine steuerliche Statusverbesserung ein, was bedeutet, dass die Besteuerung eines Einbringungsgewinns I bzw. II nicht verhindert wird,
- es verlagern sich keine stillen Reserven von den sperrfristbehafteten Anteilen auf Anteile eines Dritten,
- das deutsche Besteuerungsrecht wird nicht ausgeschlossen oder eingeschränkt und
- die Antragsteller erklären sich damit einverstanden, dass auf alle unmittelbaren oder mittelbaren Anteile an einer an der Umwandlung beteiligten Gesellschaft § 22 Abs. 1 und Abs. 2 UmwStG entsprechend anzuwenden ist. Dabei sind Anteile am Einbringenden regelmäßig nicht einzubeziehen.
Bei der Prüfung des Antrags soll nach Auffassung der Finanzverwaltung die gesetzgeberische Grundentscheidung zu berücksichtigen sein, dass die §§ 22 Abs. 1 und Abs. 2 i. V. m. § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 2, 4 und 5 UmwStG nur punktuelle Ausnahmen von der Einbringungsgewinnbesteuerung zulassen. Daher soll die Billigkeitsregelung nur anwendbar sein, wenn der konkrete Einzelfall in jeder Hinsicht mit den Ausnahmetatbeständen i. S. des § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 2, 4 und 5 UmwStG vergleichbar ist. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass § 22 UmwStG eine Rückausnahme weder bei Buchwert-Einbringun...