Leitsatz
1. Ist der Erwerber eines Grundstücks beim Abschluss des Grundstückskaufvertrags hinsichtlich des "Ob" und "Wie" der Bebauung gebunden, wird das erworbene Grundstück erst dann im bebauten Zustand Gegenstand des Erwerbsvorgangs, wenn der Bauerrichtungsvertrag geschlossen wird.
2. Der Abschluss des Bauerrichtungsvertrags ist ein nachträgliches Ereignis, welches die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer auf den Zeitpunkt des Grundstückserwerbs dahingehend verändert, dass zu den Kosten des Grundstückserwerbs nunmehr auch die Baukosten hinzutreten.
Normenkette
§ 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO
Sachverhalt
Die Kläger erwarben mit notariell beurkundetem Kaufvertrag von der Stadt eines von sieben Reihenhausgrundstücken. Der Vertrag wurde von den Klägern – ohne Vertretungsmacht – auch im Namen der Stadt und der Bauunternehmerin X-GmbH geschlossen.
Im Vertrag hieß es, der Rat der Stadt habe die Vergabe der Reihenhausgrundstücke an den Architekten A auf der Basis der vorgelegten Bauskizzen beschlossen. Die Vermarktung und Bauausführung führe für ihn die X-GmbH aus. Die Erwerber verpflichteten sich in dem Grundstückskaufvertrag zur Bebauung mit einem Reihenhaus auf der Grundlage der dem Vertrag als Anlage beigefügten Bauzeichnungen des A.
Im August 2012 wurde zunächst der Kaufvertrag genehmigt. Sodann gab die X-GmbH gegenüber den Klägern ein Angebot zum Abschluss eines Bauerrichtungsvertrags nach den Plänen des A ab. In Unkenntnis dessen setzte das FA zunächst GrESt für den Erwerb des unbebauten Grundstücks durch die Kläger fest.
Im September schlossen die Kläger mit der X-GmbH als Generalunternehmerin den Bauvertrag über die Errichtung des Reihenhauses zu einem Festpreis. Nach Kenntnis hiervon erließ das FA einen Änderungsbescheid wegen eines rückwirkenden Ereignisses und bezog die Baukosten für das Reihenhaus in die Bemessungsgrundlage mit ein.
Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Nach Auffassung der Vorinstanz (Niedersächsisches FG, Urteil vom 13.10.2014, 7 K 158/14, Haufe-Index 8515762, EFG 2015, 1741) waren bereits bei Abschluss des Kaufvertrags die Voraussetzungen des einheitlichen Vertragswerks gegeben.
Entscheidung
Die Revision des FA hatte Erfolg und führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.
Erst mit Abschluss des Bauerrichtungsvertrags im September lag ein einheitlicher Erwerbsgegenstand vor, der es erlaubt, die Bauerrichtungskosten in die Bemessungsgrundlage mit einzubeziehen; § 8 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Selbst wenn der Grundstückserwerber aufgrund von Absprachen oder aus faktischen Zwängen an das "Ob" und "Wie" der Bebauung gebunden ist, wird das Grundstück erst mit dem Abschluss des Bauerrichtungsvertrags in bebautem Zustand Erwerbsgegenstand.
Der Abschluss des Bauerrichtungsvertrags stellt allerdings ein zum Erlass eines Änderungsbescheids ermächtigendes rückwirkendes Ereignis dar; § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Mit Abschluss des Bauerrichtungsvertrags hat sich der Gegenstand des Erwerbsvorgangs nachträglich rückwirkend auf den Zeitpunkt des Erwerbs verändert.
Hinweis
Der Besprechungsfall handelt vom einheitlichen Erwerbsgegenstand im Grunderwerbsteuerrecht. Bei hinreichendem rechtlichen oder zumindest objektiv sachlichen Zusammenhang zwischen Kauf- und Werkvertrag ist ein zu bebauendes Grundstück Gegenstand des Erwerbs. Dies hat zur Folge, dass die Bauerrichtungskosten in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuerfestsetzung einbezogen werden.
Der BFH bringt mit der Entscheidung die Konkretisierung der Tatbestandsvoraussetzungen für diese Rechtsfigur weiter voran.
Ein mögliches Kriterium des einheitlichen Erwerbsgegenstands ist der Umstand, dass der Erwerber beim Abschluss des Grundstückskaufvertrags in seiner Entscheidung über das "Ob" und "Wie" der Baumaßnahme nicht mehr frei ist und deshalb feststeht, dass er das Grundstück nur in einem bestimmten (bebauten) Zustand erhalten wird.
Dies allein genügt jedoch nicht. Denn auch in diesem Fall ist das Grundstück erst mit dem Abschluss des Bauerrichtungsvertrags in bebautem Zustand Erwerbsgegenstand. Wird nach dem Kauf kein Bauerrichtungsvertrag mehr geschlossen, ist Erwerbsgegenstand nur das unbebaute Grundstück.
Wird der Bauerrichtungsvertrag allerdings geschlossen, ist dies nicht nur ein Indiz für das Vorliegen einer erweiterten Bemessungsgrundlage, sondern ein Ereignis, das i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Der ursprünglich geschlossene Kaufvertrag wird dann zur Rechtsgrundlage für einen einheitlichen Erwerbsgegenstand.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 25.1.2017 – II R 19/15