Von den in Kapitel 2 beschriebenen Performance Measurement Systemen ist der Balanced Scorecard Ansatz der in der allgemeinen Managementforschung und in der Unternehmenspraxis dominierende Ansatz. Erste Autoren wie bspw. Komatina et al. bescheinigen dem Balanced Scorecard Ansatz ein gutes Potenzial zur adäquaten Leistungsmessung im Einkauf.[1] Seit der ersten Veröffentlichung des Balanced Scorecard Ansatzes im Jahr 1992 von Kaplan und Norton wurde das Konzept kontinuierlich weiterentwickelt und angewendet.

[1] Vgl. Komatina/Nestić/Aleksić, 2019, S. 217.

3.1 Balanced Scorecard nach Kaplan und Norton

Als Ausgangslage für die Entwicklung der Einkauf 4.0 spezifischen Balanced Scorecard wird das Werk von Kaplan und Norton aus 2004 herangezogen.[1] Als Zwischenschritt zur Entwicklung der Einkauf 4.0 spezifischen Balanced Scorecard wird zunächst der Einkaufsbezug in dem Modell gestärkt und anschließend wird das Modell um die Digitalisierungsperspektive erweitert. Die Finanzperspektive wird in Wertperspektive umbenannt, die Kundenperspektive in interne Kundenperspektive (z. B. Produktion, F&E) und die Lieferantenperspektive wird als zusätzliche Betrachtungsperspektive ergänzt.

Wie von Kaplan und Norton beschrieben, gilt es, die Strategie inklusive der Werte Mission und Vision zu Beginn zu formulieren. Demnach sollte die Einkaufsstrategie aus der Unternehmensstrategie abgeleitet werden. Für die unterschiedlichen Perspektiven können Ziele formuliert werden, woraufhin diesen Zielen wiederum Kennzahlen zugeordnet werden (s. Abb. 1).

Abb. 1: Einkauf 4.0 Balanced Scorecard (beispielhafte Ziele und Kennzahlen)[2]

[1] Vgl. Kaplan/Norton, 2004, S. 12.
[2] Eigene Darstellung.

3.2 Wert-, interne Kunden- und Prozessperspektive

Die Wertperspektive verfolgt die Ziele Kostenminimierung und Erlössteigerung. Die Kostenminimierung wird bspw. durch die Optimierung des Beschaffungsprozesses realisiert. Durch die Möglichkeiten der Digitalisierung können Bestände optimiert, eine bessere Informationsgrundlage für Verhandlungen und Vertragsgestaltungen erzeugt, Lieferantenauswahlkosten sowie Kosten für die Wiederherstellung von Lieferantenausfällen reduziert und schließlich operative Prozesse automatisiert werden.

Zur Erlössteigerung können das Schaffen neuer Geschäftsmodelle, das Agieren des Einkaufs als Schnittstellenmanager oder das Monetarisieren von Daten des Einkaufs (z. B. Markt- und Lieferantendaten) durch Teilen der Daten mit Kunden und Dienstleistern beitragen.

Anhand der internen Kundenperspektive kann der Einkauf insbesondere von der Informationsbeschaffung profitieren. Durch das Agieren als Treiber der digitalen Transformation im Unternehmen kann die Wahrnehmung der internen Kunden sich dahingehend verändern, dass der Einkauf als Unterstützer bei der digitalen Transformation verstanden wird. Ebenso werden sich allerdings auch die Anforderungen der internen Kunden an das Beschaffungsportfolio verändern. An Bedeutung gewinnen z. B. die Beschaffung von digitalen Tools und digitalen Dienstleistungen, Sensoren zur Digitalisierung und Anbindung von Maschinen und Anlagen (intelligente Sensoren, kommunizierende Aktuatoren und zugehörige Steuerungen und Software).

In der Prozessperspektive wird traditionell zwischen strategischen Prozessen (Plan-to-Strategy), strategischen und taktischen Prozessen (Source-to-Contract) sowie operativen Prozessen (Purchase-to-Pay) differenziert. Im Plan-to-Strategy gilt es, zur Verfügung stehende Daten und IT-Systeme zu nutzen und große Datenmengen zu analysieren, um ein besseres Verständnis von Lieferanten, Märkten und Kunden zu gewinnen und somit fundierte Entscheidungen treffen und zukünftige Entwicklungen antizipieren zu können.

Die Qualität der Stammdaten (z. B. Lieferantenstammdaten) kann zum einen verbessert und zum anderen können Machine Learning oder andere semantische Analysen zur Kategorisierung von Warengruppen und des Spends eingesetzt werden. Im Source-to-Contract sind im Rahmen der Entwicklung zum Einkauf 4.0 die zentralen Aktivitäten die Nutzung von Plattformen zur Ausschreibung von Anfragen, das Einholen und der Vergleich von Angeboten sowie die Durchführung von Auktionen. Im Purchase-to-Pay gilt es aus dem E-Procurement bekannte Prozesse konsequent umzusetzen, sodass z. B. Katalogsysteme eingesetzt und Dokumente wie Bestellungen, Auftragsbestätigungen, Lieferavis oder Rechnungen elektronisch mit den Lieferanten standardisiert ausgetauscht werden können.

3.3 Lieferantenperspektive sowie Lern- und Wachstumsperspektive

In der Lieferantenperspektive gilt es in der Entwicklung zum Einkauf 4.0 partnerschaftliche Beziehungen zu strategischen Lieferanten im Sinne der Co-Creation, gestützt durch den verstärkten Einsatz digitaler Technologien, zu entwickeln. Partnerschaftliche Lieferantenbeziehungen können z. B. durch die Integration von Lieferantendaten und die Gestaltung der technologischen Schnittstellen zum Datenaustausch sowie durch die systematische Einbindung von Wissen und Kompetenzen von Schlüssellieferanten zur Erweiterung der Innovationsfähigkeit des eigenen Unternehmens charakterisiert werden.

Die Lern- und Wachstumsperspektive besteht aus dem Human-, Inf...

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