Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
Von der Deutschen Rentenversicherung im Zusammenhang mit Rentennachzahlungen gezahlte Zinsen gemäß § 44 SGB I unterliegen auch nach Änderung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG durch das AltEinKG der Steuerpflicht nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG (entgegen BMF, Schreiben vom 13.92010, IV C 3 S 2222/09/10041, BStBl I 2010, 681).
Normenkette
§ 20 Abs. 1 Nr. 7, § 22 Nr. 1 Satz 1, § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG, § 44 Abs. 1 SGB I
Sachverhalt
Die Klägerin bezog eine Witwenrente sowie eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Nachdem die Rente neu festgestellt worden war, erhielt die Klägerin im Streitjahr (2006) eine Rentennachzahlung für frühere Jahre sowie hierauf entfallende Zinsen nach § 44 Abs. 1 SGB I i.H.v. 1.399,75 EUR.
Das FA berücksichtigte die Nachzahlung und die Zinsen im Einkommensteuerbescheid 2006 erklärungsgemäß als sonstige Einkünfte mit einem Besteuerungsanteil von 50 % (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG).
Im Einspruchsverfahren begehrte die Klägerin erfolglos, die nach § 44 SGB I angefallenen Zinsen den Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zuzuordnen, weil nach Abzug des Werbungkostenpauschbetrages i.H.v. 51 EUR (§ 9a Satz 1 Nr. 2 EStG) und des Sparerfreibetrages in Höhe von 1.370 EUR (§ 20 Abs. 4 Satz 1 EStG) keine steuerpflichtigen Einkünfte verblieben.
Die Klage blieb erfolglos (Sächsisches FG, Urteil vom 20.3.2012, 6 K 2143/07, Haufe-Index 2944303).
Entscheidung
Auf die Revision der Klägerin hob der BFH die Vorentscheidung auf und gab der Klage statt. Hinsichtlich der Begründung kann auf die Praxis-Hinweise verwiesen werden.
Hinweis
1. Es gehört zum gesicherten Bestand der Rechtsprechung, dass zu den Einkünften aus Kapitalvermögen alle Vermögensmehrungen gehören, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für eine Kapitalnutzung sind. Unerheblich ist es, ob der Überlassung von Kapital ein Darlehensvertrag oder ein anderer Rechtsgrund zugrunde liegt. Auch die vom Schuldner erzwungene Kapitalüberlassung kann zu Einnahmen aus Kapitalvermögen führen.
2. Schon bisher waren nach diesen Maßstäben Zinsen für die verspätete Erfüllung von Rentenansprüchen als Einnahmen aus Kapitalvermögen zu beurteilen.
3. Allerdings ist § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG durch das AltEinKG dahin erweitert worden, dass neuerdings nicht nur "Leibrenten", sondern auch "andere Leistungen", die aus gesetzlichen Rentenversicherungen erbracht werden, zu den in dieser Vorschrift bezeichneten Einkünften gehören.
4. Aufgrund dieser Gesetzesänderung vertrat das BMF die Auffassung, von der Rentenversicherung gezahlte Zinsen zählten zu den anderen Leistungen i.S.d. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG (BMF, Schreiben vom 24.2.2005, IV C 3‐S 2255‐51/05, BStBl I 2005, 429, Rz. 83; vom 13.9.2010, IV C 3‐S 2222/09/10041, BStBl I 2010, 681, Rz. 136).
5. Der BFH ist der bisherigen Rechtsprechungslinie treu geblieben. Aus der Systematik des § 22 Nr. 1 EStG folgt, dass Zinsen, die unter § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG fallen, nicht als "andere Leistungen" nach Satz 3 Buchst. a steuerpflichtig sein können, da § 22 Nr. 1 EStGsubsidiär zu anderen Einkunftsarten ist. Aus den Gesetzesmaterialien und dem Gesetzeszweck folgt nichts anderes.
6. Die Subsumtion von Zinsen aus der gesetzlichen Rentenversicherung unter § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG ist insbesondere dann von Vorteil, wenn der Sparerfreibetrag noch nicht ausgeschöpft ist. Ist der Sparerfreibetrag hingegen ausgeschöpft, hängt es vom Einzelfall und vor allem vom Rentenbeginn ab, ob die Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zum Steuersatz von 25 % günstiger ist als die Besteuerung als "andere Leistungen" nach Maßgabe des in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG geregelten Besteuerungsanteils.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 9.6.2015 – VIII R 18/12